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Das neue Rosa

Lev

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06.02.2007
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Das neue Rosa

Spätsommer. Ein sonniger Tag irgendwo im Alpenvorland. Lockerer Wald. Giovanni und Armando, die derzeit hippsten Beschicker der internationalen Catwalks spazieren in selbstentworfener Outdoor-Bekleidung - gehalten in dezentem Malve - und tauschen Gedanken aus.

Armando grummelt: "Was bitte spricht gegen Flieder?"
"Ach Mandy! Was bist du aber auch immer schwierig! Flieder war gestern. Ach was, mindestens vorgestern. Nein, nein! Wir brauchen etwas Saftiges. Etwas Köchelndes. Und lieblich sollte es auch sein.", entgegnet Giovanni in leicht kippender Stimmlage.
"Dann bleiben wir doch bei Malve. Saftig, köchelnd - leicht flockige Note."
"Flockig!" kichert Giovanni "Wo du immer nur diese superben Worte hernimmst, mein Lieber? - Nein, nein! Heute tragen wir Malve. Doch wir sprechen von morgen. Der nächste Sommer ruft und ich kann ihn sogar schon riechen. Malve. Wahrlich Yesterday. Malve - Pah!"
"Nix Yesterday! Malve ist doch absolute New School!"
"Dieses Jahr mag Malve wohl etwas Frisches gewesen sein. Aber im nächsten Jahr warten neue Herausforderungen. Wenn ich da beispielsweise nur an diesen Koreaner Mo Quel-Pak denke, läuft es mir fröstelnd über den Rücken. Brrr!"

Eine Weile starren sich die beiden verbissen an und setzen dann, ein jeder in seine jeweiligen Gedanken versunken, ihren Weg fort.

Plötzlich ruft Armando aus: "Und ... Was wäre mit ... Rosa?!"
Giovanni reagiert nahezu panisch: "Rosa? ... Also nein! Rosa ... das ist doch ... also nein, Mandy! Nein! Wirklich ..."
Armandos Blick wird verklärt.
"Ein komplett neues Rosa! Ein mehrfärbiges Rosa!"
Giovanni weicht zurück. Er beginnt ernstlich an Armandos Geist zu zweifeln.
"Mehrfärbiges Rosa. Aber sicher. Ist schon gut, Mandy. Bliebe nur mehr zu klären, woher wir um Versaces Willen dein mehrfärbiges Rosa herkriegen sollen, Cherie?"

Armando steht starr da. Sein Arm bewegt sich nach oben - er geifert ein wenig, seine Hand öffnet sich langsam und ein Finger zeigt in die Höhe.
"Sieh doch. Dort! Hängt einfach so runter, mein neues Rosa."

Giovanni ist nun wie elektrisiert und sein Blick folgt Armandos Fingerzeig. Dort - ein Stück vor ihnen - hängt Marili, ihr bevorzugtes Model. Nackt! An einem einsamen, knorrigen Ast, der durch eine Laune der Natur aus einer kleinen, von einer Graskuppe bedeckten Felswand ragt. Die Sonne bescheint ihre perfekte, zartrosa geteintete Haut, die vom erblühenden Rot eines beginnenden Sonnenbrands geheimnisvoll leuchtet.
Giovanni springt zu Armando, umarmt ihn und drückt ihm spontan einen Kuss auf die Wange.
"Das ist es! Du bist ein Genie, Mandy. Ich liebe dich!"
Armando wischt sich möglichst unauffällig die Wange sauber. "Ich weiß! Holen wir sie!"

Die Designer stürmen los. Marili vernimmt die näherkommenden Stimmen und dreht sich an ihrem Ast, um zu sehen, ob Hilfe naht. Als sie ihre Arbeitgeber erkennt, hätte sie fast vor Freude in die Hände geklatscht.
So jubelte sie nur ein klein wenig hysterisch:
"Mandy! Gio! Wie bin ich froh, euch zu sehen! Mir ist da ein blödes Malheur passiert, mir Dummerchen. Stellt euch vor, richte ich da oben meine Sonnendecke, ..."

Giovanni und Armando rennen den kleinen Weg zur Graskuppe hoch, trampeln über Marili's abgelegte Unterwäsche und ihre Liegedecke.

" ... als ich abrutsche und runterpurzle. Glücklicherweise war da dieser Ast ..."

Armando steigt vorsichtig die Felswand hinunter, während sich Giovanni auf den Bauch wirft, um notfalls mit anzupacken.

"... der mich gerettet hat. Bin ich froh, dass ich diese Food-Return-Diät gemacht habe. Aber wenn ich nur an meine Nägel denke - das wird sicher wieder ewig dauern, bis die in Ordnung ..."

Armando ist bereits fast bei der herunterhängenden Marili angelangt. Er tastet sich langsam Richtung Ast vor und greift beherzt zu.

"... sind. Und erst meine Haut. Ach, wie ich Sonnenbrand hasse. Gott sei Dank habe ich in meinem Schnucci-Täschchen ..."

Armando klettert vorsichtig mit seiner heiklen Last hoch. Giovanni hilft, so gut er kann.

"... immer ein paar Wunder-Cremchen von unserem Kosmetiker Didi. Und sicherheitshalber habe ich auch immer ein paar Pulverchen dabei, weil meine armen Nerven ..."

Armando präsentiert stolz die so Geholte. Giovanni schlägt entzückt die Hände zusammen.

"... leiden ja so leicht, wie ihr wisst. Übrigens solltet ihr euch einmal überlegen, ob ihr ins Taschengeschäft einsteigt. Wenn ich mir so vorstelle, A & G in kleinen Diamantsteinchen ..."

Giovanni flüstert ehrfürchtig: " Und was ist das Hübsches?"
Armando grinst breit.
"Petrorhagi Saxifraga - die Felsennelke. Schon sehr selten."

"... oder auch G & A, wie es euch lieber ist. Da ist sicher viel Geld drin ..."

"Unglaublich. Hängen runter, einfach so, die Schönheiten. Diese zarten hellrosa Blütenblätter mit diesen unfassbaren dunklen, rosaroten Streifen - gleich drei Stück pro Blütenblatt."
Armando wirft sich stolz in die Brust.
"Und? Sind die saftig? Köchelnd? Und lieblich?"
Giovannis Atem beschleunigt hörbar.
"Ja, ja und nochmals Ja! Sogar flockig sind sie!"
"Na, ist das nun ein neues Rosa, oder was?"
"Mehr als das, Mandy, mehr als das", schluchzt Giovanni.

"... sag ich euch. Überhaupt Leder, ja, das hat Zukunft ..."

Giovanni und Armando gehen eingehängt - die verliebten Blicke immer auf die zarte Felsennelke gerichtet - den Weg, auf dem sie hergekommen sind, zurück.

"... und ich würde verdammt gut in Leder aussehen. Die pure Erotik ... So verdammt gut ..."

 

Tag, Lev!
Der Text hat was. In der Humor-Rubrik halte ich ihn ehrlich gesagt fehl am Platz, denn richtig lustig ist er meines Erachtens nach nicht. Eher würde ich ihn als Satire einstufen, mit deutlichem Überhang zum Skurrilen. Das ist eher so Loriot-mäßig, wo man sich nicht die Schenkel wundklopft, bis man Schnitzel daraus machen kann, sondern das einen schmunzeln lässt ob der Skurrilität, die trotz allem scharfer Beobachtungsgabe entspringt.
Wunderbar, wie du die Selbstverliebtheit aufgeblasener Designer persiflierst. Echt jetzt: Das ist ganz große Klasse! Und Marilis nervtötendes Geschnatter, das keinen der Anwesenden interessiert, rundet den Text formvollendet ab.
Für mich ganz klar der bislang beste Wettbewerbsbeitrag, trotz leichter Themenverfehlung.

 

Hallo Lev,

Jup, spassige Satire auf die Selbstverliebtheit dieser Branche, hach.
Kann Rainer da nur zustimmen. Auch schön ist der offene Schluss, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Ein "Hallo, und was ist mit mir?" würde alles kaputt machen. :-)

Kleinkram: Sagt man wirklich "mehrfärbiges"? (und nicht mehrfarbiges)

Gruss.dot

 

Danke Rainer, Danke dotslash

Mit soviel Lob hätte ich gar nicht gerechnet. Danke und :bounce:

@Rainer
Tja, das mit dem Humor ist so eine Sache. Streng genommen wäre auch die Satire dem Humor zuzuordnen, oder?
Ich weiß ehrlich nicht die Antwort, ob es nun Humor oder Satire ist, aber sie passt zum Thema "hängen runter" und darum muss sie richtig sein.

@dotslash
Laut Österreichischen Wörterbuch (welches sehr wohl am Duden orientiert ist) geht beides: mehrfärbig genau so wie mehrfarbig.

Danke nochmals
und Servus
Lev

 

Tja, das mit dem Humor ist so eine Sache. Streng genommen wäre auch die Satire dem Humor zuzuordnen, oder?
Ich weiß ehrlich nicht die Antwort, ob es nun Humor oder Satire ist, aber sie passt zum Thema "hängen runter" und darum muss sie richtig sein.

Ich bin kein Literaturtheoretiker oder Germanist und schreibe aus dem Selbstverständnis eines trivialen Geistes heraus. Aber ich trenne doch ganz gerne zwischen Satire und Humor. Humor ist für mich oberflächlicher und direkter als Satire, die meist versteckt und hintersinnig funktioniert (oder funktionieren soll).
Möchte an dieser Stelle aber keine Diskussion starten (die wir, wenn ich nicht irre, sogar schon mal hatten), sondern nur meinen Standpunkt darlegen.

 

Gut geschrieben, man möchte jede einzelne Person in der Geschichte abwatschen :)

 

Hallo Foehre,

puh - was grabst du denn da aus? Abwatschen, warum denn das? Sind doch eh alle lieb.

Danke für Lesen und Lob.

lg
lev

 

hallo lev,
auch von mir - wenn auch spät - ein herzliches kompliment für diese story. die figuren sind so wunderbar plastisch rübergekommen. beschreibung von den beiden malvenfarbigen, ihre gesten und vor allem ihre dialoge passen herrlich zusammen. ich spazierte heimlich mit und musste ständig grinsen dabei.

sehr gut gemacht!

ernst

 

@Ernst Clemens

Oh - Dankeschön. Welch nettes Kompliment.

Danke fürs Gefallen und Mitspazieren.

lg
lev

 

Hallo Lev,

so richtig lachen konnte ich über die Geschichte nicht, aber sie ist amüsant zu lesen, aus meiner Sicht eher "Satire" als "Humor", obwohl beide Rubriken ja miteinander verwandt sind.

Hab die Geschichte gerne gelesen, dein leichter, dialoglastiger Schreibstil und die vielen Absätze machten das Lesen am Bildschirm angenehm.

Der Titel passt, ist schön kurz, und erweckt Neugierde.

Unterhaltsam und skurril. Nette Idee. Die Selbstverliebtheit der Branche kam für mich gut rüber.

Viele Grüße
Michael

 

Hallo Michael,

danke für Lesen und Kritik.
Haben damals schon andere kritisiert, dass es eher Satire ist, was ich mittlerweile auch gerne bestätige.

Danke
lg
lev

 

>Ach ja, eines noch, ich habe viel geweint<,

lieber Lev,

trifft’s, aber ach, es wäre gelogen, denn tatsächlich war mir gar nicht danach. Nein, gelacht hab ich auch nicht, immerhin aber geschmunzelt. Mal was ganz anderes von Dir und so muss es auch sein. Ob das nun in der Modeindustrie und unter Schwulen so zugeht, weiß ich nicht, kenn keinen aus einer der beiden Branchen, aber es wirkt so, dass es so sein könnte. Die Geschichte ist nach einem Wort von Heidemarie Sander, äh, 'tschuldigung, Jil Sander ein „hand-tailored Geschichte“, für die „man viele Teile einer collection miteinander combinen muß“ (1997; für das Interview wurde sie „Wortpanscher des Jahres“).

Ein wenig schlägt die Kleinkrämerseele zu:

> … zartrosa geteintete Haut, die vom erblühendem Rot …< Besser: vom erblühenden Rot.
Schöne Wortschöpfung und Bedeutungserweuterung, den Teint – der die Gesichtsfarbe bzw. die Beschaffenheit der Gesichtshaut bezeichnet – zum Verb zu krönen und auf den ganzen Körper zu beziehen.

>mitanzupacken< besser aus einander: mit anzu…

>"Ja, Ja und nochmals Ja!< Das Adv. ja besser kleinschreiben „Ja, ja …

>"Mehr als das, Mandy, mehr als das." schluchzt Giovanni.< Punkt am Ende der wörtl. Rede weg, stattdessen nach dem Gänsefüßchen ein Komma.

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedel,

danke für die lobenden Worte. Werde nächstens deine Verbesserungsvorschläge umsetzen. In diesem Sinne, wie von mir gewohnt,
Danke für Lesen und Kritik.

lg
lev

 

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