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Das Objekt
Der Abend zog sich über den Baumwipfeln in die Länge.
Die Häuser flossen an mir vorbei, während ich nach der Nummer 34 suchte. Es war schon lange her, dass ich Leopold besucht hatte und an den genauen Weg konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Ich passierte minutenlang unzählige Häuser und zwischen zwei kleinen Bungalows sah ich seines dann endlich aufragen, ein mehrstöckiges Gebäude, das trotz seines Alters großartig erhalten war.
Ich prägte mir den hohen Bretterzaun ein und fuhr weiter. Ungefähr zweihundert Meter von Leopolds Haus entfernt lenkte ich meinen Wagen schwerfällig in eine Parklücke und stieg aus. Ich hoffte, ich würde heute endlich das Geld von ihm zurückbekommen. Der Rost an den Radläufen machte mir deutlich, wie sehr ich es benötigte.
Ich folgte mit den Augen den letzten Sonnenstrahlen, die sich durch das Dickicht des Blätterwerks der Bäume filterten. Anschließend drehte ich mich um, ging den Weg zurück auf das Haus zu und während quietschend das Torgatter hinter mir ins Schloss fiel, drückte ich auf die Klingel.
»Ah, Alex, wie geht es dir? Ich hab deinen Wagen gar nicht kommen hören.« Leopold sah mich an, als ich jedoch zu keiner Antwort ansetzte, fuhr er fort. »Du wirst nicht glauben, wie sehr ich mich darüber gefreut habe, als man mir gesagt hat, du würdest vorbei schauen.«
»Naja, eigentlich warst es ja du, der mich gebeten hat, endlich mal her zu kommen«, sagte ich und ergriff Leopolds Hand, »ist ja nicht so, dass ich dich mit meinen Besuchen überschüttet hätte.«
Leopold lächelte und verdrehte die Augen hinter den schmalen Brillengläsern. »Ja, äh, natürlich. Ach, du glaubst nicht, wie schnell einem das Gedächtnis einen Streich spielt, wenn man gezwungen ist, den ganzen Tag in diesem Haus zuzubringen. In dem einen Augenblick gehst du die Treppe hinunter, um dir etwas zu trinken zu holen und im nächsten kannst du dich nicht einmal mehr daran erinnern, wie du die Treppe gefunden hast. Manchmal, da verfluchte ich mich selbst, dass ich … naja, du weißt scho… Vorsicht, die Decke ist hier niedrig.«
Ich duckte mich und meine Stirn entging haarscharf der Kante der oberen Treppe.
»Heute würde ich das Haus anders bauen lassen, aber meine Familie hat es nicht so mit der Größe.«
Wir stiegen die beiden Treppen hinauf und, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, die hohen Stufen, zusammen mit den fünfzehn Kilo Übergewicht, ließen mich an ihrem Ende etwas schwerer atmen.
Leopold schlug mir auf die Schulter. »Na, du bist wohl auch nicht mehr der Jüngste?«
»Ganz im Gegensatz zu dir, was?« Trotz seiner annähernd fünfzig Jahre wirkte er keineswegs alt. Eher ging von ihm eine Unruhe aus, die mir fast jugendlich vorkam.
»Wenn du wüsstest.« Sein Lächeln wurde schmaler. »Ich merke weniger das Alter als die Schwerkraft. Von Elastizität kann meine Haut nur träumen. Kinder könnten aus meinem Gesicht Knetfiguren formen.«
Jetzt lachte ich.
»Aber, genug gealbert, los, komm mit. Setzen wir uns ins Wohnzimmer.«
Er führte mich durch einen langen Flur, an dessen Wände alte Bilder hingen. Nachdrucke bereits hässlicher Originale. Wir betraten einen relativ kleinen Raum. Es gab keine Couch, keinen Fernseher und kein Radio oder sonst etwas, was man in einem Wohnzimmer erwartete, dafür unzählige Bücher, die in Regalen, die bis zur Decke reichten, vor sich hin alterten.
»Liest du neuerdings viel?«, fragte ich. »Meine Güte, ich glaube, ich habe außer in einer Bibliothek noch nie so viele Bücher auf einem Haufen gesehen.«
»Ehrlich gesagt, ich lese kaum.«
Ich sah ihn an. »Aber das müssen hunderte sein!«
»Ungefähr achthundertfünfzig.«
Ich atmete laut aus. »Und wofür?«
Obwohl sein Blick auf mich gerichtet war, sah er mir nicht in die Augen.
»Ich …«, setzte er an, und selbst das kurze Wort zitterte in der Stille. »Ich sammle gerne Kunstgegenstände.« Er lachte. »Ich könnte dir nicht einmal sagen, welche Bücher in den Regalen stehen. Sie sehen alle so gleich aus, findest du nicht?«
Ich nickte. Farbsortiert bedeckten sie die hohen Wände, eine blau, die andere rot und orange, die letzte grün und schwarz.
»Es ist schön, sie um mich zu haben. Ich nehme sie nie aus dem Regal, deshalb steht die Leiter auch dort hinten in der Ecke und verstaubt. Aber manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann, und glaub mir, das passiert häufig, gehe ich die Regale entlang und streiche mit den Fingern über die Buchrücken.«
Leopold fing an, seine Hände zu kneten. »Es ist ein gutes Gefühl.«
Er berührte von seinem Sessel aus ein grünes Buch und ich bemerkte, dass auf den Regalen dick der Staub lag.
»Fast entspannend.«
»Oh, das ist nicht wahr!«, schrie Leopold fast und lachte so laut, dass ich befürchtete, er würde die Nachbarn wecken.
»Doch, ich schwörs dir. Bernhard hat es mir selbst erzählt.« Jetzt musste ich auch lachen. »Er hat gesagt, er wäre einfach neben ihr aufgewacht.«
»Neben ihm, meinst du wohl.«
Langsam beruhigten wir uns wieder. »Geschieht ihm fast recht, so viele Frauen wie er bereits unglücklich gemacht hat.«
»Oder glücklich für einen Augenblick.«
Kurz herrschte die Stille im Haus, die nur von dem Ticken meiner Armbanduhr unterbrochen wurde.
»Weißt du, was ich so an dir schätze und worauf ich, das muss ich zugeben, auch ein wenig eifersüchtig bin?«, sagte Leopold und seine Gesichtszüge strafften sich, wirkten fast verbissen.
»Was?«
»Du weißt, wie man erzählt. Es ist schwer, mich zu unterhalten, und … sei ruhig, das ist es wirklich. Und dir könnte ich lange zuhören.«
»Also, das ist …«
»Nicht ewig, aber eine Zeit lang sicher.«
Ich wollte zu einem Gegenschlag ansetzen, doch er redete ungehindert weiter.
»Schreibst du eigentlich noch? Deine drei Romane haben sich doch gut, fast hervorragend verkauft.«
Ich nickte lächelnd.
»Aber dein letztes Buch ist bereits Jahre her.«
Ich hatte Mühe, das Lächeln aufrecht zu erhalten. »Ich mache so etwas wie … wie eine kreative Pause, wenn du so willst.«
»Aha.« Leopold starrte in seinen Whiskey. »Und diese Pause … wofür? Fällt dir nichts mehr ein?« Die Eiswürfel in meinem Glas klirrten.
»Nein, ähm, daran liegt es nicht, aber ich möchte nichts erzwingen.« Ich zuckte beschwichtigend die Schultern und versuchte dann nervös das Thema zu wechseln. »Und? Ist das mit deiner Agoraphobie noch immer so … so unangenehm?«, sagte ich und legte etwas zu viel Groll in meine Stimme.
Leopolds Lächeln erstarb, und ich fühlte die Genugtuung, es ihm heimgezahlt zu haben. »Nun, ich glaube, nach all den Jahren habe ich mich daran gewöhnt. Sofern das überhaupt möglich ist.« Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Wieder herrschte Stille, die jedoch, Gott sei Dank, von dem Klingeln des Telefons gebrochen wurde.
Leopold seufzte erleichtert, ich ebenfalls, und er erhob sich aus dem Sessel. »Entschuldige mich kurz.«
»Was ist mit dem Dienstmädchen? Schläft sie schon?«, fragte ich. Ich erinnerte mich, dass eine Frau am Telefon gewesen war, als ich Leopold nach seiner Nachricht auf meinem Anrufbeantworter zurückgerufen hatte.
»Martha? Von wegen. Gefeuert hab ich sie«, sagte er und ich bemerkte, dass seine Hände zitterten, als er sie hinter dem Rücken verschränkte und das Zimmer verließ, »hat ge… geklaut wie eine Elster, die fette Kuh. Ent… entschuldige meine Ausdrucks… Ja, hallo?«
Ich versuchte, die Wut, die so auffällig war, dass sie beinah affektiert wirkte, in Leopolds Stimme zu ignorieren.
Bereits über zwei Stunden war ich hier und noch immer hatte er mir nicht erzählt, weshalb er mich herbestellt hatte. Ich kannte Leopold. Gut genug um zu wissen, dass er mich nicht eingeladen hatte, um mit mir zu tratschen. Um über meinen Erfolg zu reden, der ja nur bedingt vorhanden gewesen war. Ich wusste, dass all die Kleinigkeiten, der Whiskey, die Cracker, die Stille in seinem Haus, zu einem Plan gehörten, den ich noch nicht deuten konnte. Ich hoffte noch immer darauf, das Geld von ihm zu bekommen, doch je mehr Zeit verstrich, desto weniger glaubte ich daran, es je zu kriegen. Selbst darauf zu sprechen kommen würde ich nicht. Niemanden gingen meine zunehmenden Geldsorgen etwas an. Auch nicht Leopold. Schon gar nicht ihn.
Ich stand auf. Mein Rücken schmerzte vom langen Sitzen. Ich ging auf eine der Wände zu und nahm wahllos einige Bücher aus dem Regal. Draußen hörte ich Leopolds Stimme, ohne jedoch seine Worte zu verstehen.
Ich lächelte, er hatte sogar meine Romane in seinem Regal stehen. Und im Gegensatz zu den unzähligen anderen Büchern, sahen diese aus, als wären sie gelesen worden. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, meine Veröffentlichungen in der Hand zu halten, hätte mich nicht mit Stolz erfüllt. Ebenso müsste ich lügen, wenn ich sage, es hätte mich nicht gefreut zu sehen, dass mein alter Freund, der damals genauso darauf versessen gewesen war wie ich, Ruhm zu erlangen, immer noch in dem Haus seiner Eltern wohnte, das er nicht in der Lage war zu verlassen, und weiterhin nur von Berühmtheit träumte. Und, nein, ich fühlte mich nicht schlecht dabei. An meine eigene Unkreativität, die mittlerweile bereits zu einer Schreibblockade geworden war, versuchte ich nicht zu denken. Ich hatte Angst, würden meine Gedanken zu lange darum kreisen, dass ich versehentlich Leopolds Vermutungen bestätigen würde.
Ich stellte das Buch zurück und ging weiter die Wand entlang
Ich wartete mehrere Minuten auf Leopold. Seine Stimme, die immer lauter und zorniger geworden war, war vor einiger Zeit verstummt. Ich hatte Schritte gehört, die sich jedoch entfernt hatten.
»Leopold?«, rief ich, nicht allzu laut, denn plötzlich wurde ich mir der Stille um mich bewusst. »Wo bleibst du denn?« Ich hörte weder das Scharren seiner Hausschuhe, noch irgendein anderes Geräusch, das ich auf ihn schieben konnte. Ehrlich gesagt hörte ich überhaupt nichts.
Ich verließ das Zimmer und sah mich im Flur um. Der Hörer des Telefons, ein altes metallenes Ding, das aussah, als wog es mehr als die Kommode, auf der es stand, lag auf der Gabel. Leopold selbst war nicht zu sehen.
Ich fühlte mich unwohl, fast wie ein Eindringling, als ich den Flur entlang ging und durch die offen stehenden Türen in die verschiedenen Zimmer sah, doch noch länger auf Leopold warten, wollte ich nicht. Die Rollladen waren alle herab gelassen und nur das Flurlicht warf die Schatten weniger alter Möbelstücke an die Wände, deren Wuchtigkeit darauf schließen ließ, dass nicht nur das Mobiliar im Wohnzimmer seit Bau des Hauses dasselbe war.
»Leopold?«, rief ich erneut, um mein Herumschnüffeln zu rechtfertigen, sollte er mich dabei erwischen. Doch vergebens.
Ich war bei der letzten Tür angelangt. Sie war geschlossen. Ich klopfte und als niemand antwortete, öffnete ich sie.
Mir schlug ein Gestank entgegen, den ich nicht zuordnen konnte. Alt, intensiv, und trotzdem kaum in der Lage, den Staubgeruch zu überdecken. Irgendwie süßlich, gleichzeitig bitter. Eine Diele knarrte laut, als ich eintrat.
»Leopold?« Er stand mit dem Rücken zu mir vor dem Fenster und starrte in den Garten. In dem Raum war es düster, nur der Mond beleuchtete ihn schwach. »Was ist los?«
Als er noch immer nicht reagierte, sagte ich etwas lauter: »Leopold! Sag schon was!«
»Wir haben weniger Zeit, als ich gedacht habe.«
»Was?« Ich versuchte, nur durch den Mund zu atmen.
»Ich … «, begann er, ohne sich dabei umzudrehen. »Marthas Tochter hat angerufen.«
»Martha? Deine Haushaltshilfe?«
»Ja.«
»Was wollte sie denn?«
»Sie kann Martha seit drei Tagen nicht finden. Sie hat sehr nervös geklungen.«
Ich hob die Augenbrauen. »Was?«
»Sie kann Martha nicht finden!«
»Ich hab dich schon verstanden!« Ich hielt meinen rechten Handrücken unter meine Nase. »Aber ich dachte, du hättest sie gefeuert.«
»Naja«, er pausierte kurz und drehte sich um. Sein Gesicht lag im Schatten und so hatte ich nur die Stimme, um seine Gefühle zu deuten. »Das ist nicht ganz richtig so.«
»Was ist nicht ganz richtig?«
»Ich habe Martha nicht gekündigt.«
»Hat sie selbst gekündigt?« Ich wusste nicht, worauf Leopold hinaus wollte. Er sprach leise, fast, als wollte er, dass ich ihn nicht verstand, dass ich erneut nachfragte, was er mir mitteilen wollte. »Meine Güte, mach den Mund auf.«
Er schwieg weiter. Die Dunkelheit machte mich unruhig, ich fühlte mich von ihr bedrängt. Mit der Hand suchte ich nach einem Lichtschalter neben dem Türstock und flimmernd sprang eine nackte Neonröhre an.
Ich zuckte zusammen.
»Du hättest mich erst erklären lassen sollen.« Leopold kehrte mir wieder den Rücken zu.
Der Raum war fast leer. Ich weiß noch, wie ich mich geblendet fühlte von dem Strahlen der weißen Wände, das nur von wenigen roten und braunen Farbspritzern getrübt wurde. Wie sehr ich mich konzentrierte, keinen Blick auf das aus dem Augenwinkel wie ein Schatten wirkendes Gebilde zu werfen, das in einer Ecke des Raumes stand oder lag. Doch je länger ich versuchte, nicht hinzuschauen, desto schwieriger wurde es, standzuhalten.
»Sieh ruhig hin«, hörte ich Leopold sagen, doch meine Augen fingen an zu schielen, wurden von einer Verschwommenheit in die Höhlen gedrückt. »Schau hin und du wirst sehen, wer hier der wahre Künstler ist.«
Ich wollte es nicht, aber ich senkte meinen Blick. Über das, was ich zuvor nur schemenhaft wahrgenommen hatte, konnte ich jetzt nicht mehr hinweg sehen. Meine Augen wurden angezogen von einem Gebilde, das nur noch mit viel Fantasie als menschlicher Körper zu identifizieren war. Ich sah Blut, soviel getrocknetes Blut, dass es fast an Intensität zu verlieren drohte. Ich habe einen starken Magen, doch in diesem Augenblick konnte ich bereits Galle schmecken.
»Du liebst doch die Kunst, nicht wahr?«
Ich nickte reflexartig, bemerkte es jedoch nur am Rande, da meine komplette Aufmerksamkeit auf die Frau, die nackt auf dem Boden sitzend an einer Wand lehnte, vor mir gerichtet war, aus deren Schenkel und Waden, deren Oberarme und Bauchpartie Stücke ihres Fleisches herausgeschnitten worden waren.
»Kunst ist wundervoll. Ich wollte schon immer kreativ sein, war es auch. In meinem Kopf.«
Ihr Bauch war senkrecht aufgetrennt. Ich sah Innereien und glaubte, obwohl ich mir einredete, mir nicht sicher sein zu können, die herausgeschnittenen Fleischstücke erblicken zu können, wie sie wahllos in den Bauch gestopft worden waren. Die Frau musste dick, wenn nicht gar fett gewesen sein. Trotz der fehlenden Fleischteile waren ihre Beine noch immer stämmig.
»In den nächsten Tagen wird die Polizei bei mir auftauchen, da bin ich mir sicher.«
Ein Geldstück, es sah geschmolzen und unförmig aus, war tief in ihre Stirn gepresst worden. Die fette Kuh, wie eine Elster geklaut …
»Und ich bin noch nicht einmal annähernd damit fertig, es zu perfektionieren. Und da kommst du ins Spiel.«
Ich tat einige Schritte rückwärts auf die offen stehende Tür zu, versuchte dabei keinen Laut von mir zu geben. Als ich meinen Fuß aufsetzte, fühlte ich, wie die Dielen nachgaben und schnell begann ich zu reden.
»Was meinst du damit, Leopold? Hast du … sie etwa ungebracht?« Ich war mir der Dummheit meiner Frage bewusst, doch musste ich Leopold von dem Knarren unter meinen Sohlen ablenken.
Als er wieder anfing zu sprechen, machte ich einen weiteren Schritt rückwärts. »Du hast Geldsorgen, Alex. Schreibst nicht mehr, hast eine … wie nennt man das? Schreibblockade. Du stehst vor einem Problem, dem du alleine nicht mehr Herr werden kannst«, er pausierte kurz und genau in diesem Augenblick, entschloss sich das Parkett, mich zu verraten.
Leopold drehte sich um und starrte mich an. Das Neonlicht reflektierte sich schmutzig in seiner Brille, so dass ich seine Augen nicht sehen konnte. Ich hatte Angst, doch nicht so viel, wie ich unter diesen Umständen hätte haben sollen. Ich wusste, dass Leopold mit mir dasselbe tun könnte, wie mit seiner Haushaltshilfe, doch die Ruhe in seiner Stimme steckte mich an.
»Und ich habe ein Problem, dem ich nicht allein Herr werden kann.« Er nahm seine Brille ab, hauchte auf die Gläser und polierte sie mit seinem Hemd. »Wenn die Polizei kommt, und das wird sie bald, darf Martha nicht mehr hier sein. Und ich … ich kann sie nicht hier weg bringen. Wie du sicher versethst.«
Er blickte mir in die Augen und ich hielt stand. »Was willst du von mir?«
»Gib du Martha einen Platz. Als Gegenleistung gebe ich dir eine Geschichte, wie du sie noch nie gehört hast.«
Ich blickte auf Martha und je länger ich sie ansah, desto weniger erschreckte mich ihr Anblick.
***
Das lange Sitzen stört mich nicht mehr. Die Schmerzen in meinen Fingern, wenn sie sich um den Bleistift verkrampfen, stören mich nicht. Das ewige Neonlicht, zu dem ich gezwungen bin, seit ich die Rollladen meines Arbeitszimmers Tag und Nacht unten lasse, stört mich nicht. Hin und wieder drohen mir die zusammengerollten, stark nach Vanille riechenden Taschentücher aus den Nasenlöchern zu rutschen, aber auch das ist mir egal.
Ich lege Seite neunundzwanzig auf den Stapel, sehe kurz in Marthas weit aufgerissene Augen und fasse dann nach Seite dreißig.
© Tamira Samir