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Das offene Fenster
Das offene Fenster (neue Version)
Etwas verlassen stand Sabine vor dem großen schmiedeeisernen Tor, das zum Gestüt Haagen führte. Durch die verzierten Gitterstäbe betrachtete sie das stattliche Gutshaus, das durch drei riesige alte Eichen hindurchschimmerte.
Also hatte Gernot doch nicht zu dick aufgetragen, als er ihr von dem Anwesen erzählte.
‚Gernot, was er wohl sagen wird, wenn ich so früh hier auftauche’, dachte die junge Frau. Eigentlich wollte sie erst am späten Nachmittag ankommen, doch ihre Freundin, die sie im Auto mitgenommen hatte, musste früher zu einem Kundenbesuch als verabredet.
Und nun stand sie hier vor verschlossenem Tor. Sabine sah sich um und entdeckte eine kleine Pforte, die in einem der Eckpfeiler eingelassen war. Langsam drückte sie die Klinke herunter und öffnete die Tür, die leise quietschte.
Vorsichtig trat Sabine auf den Kiesweg, der zum Haus führte. Bei jedem zaghaften Schritt knirschten die kleinen Steine unter ihren flachen Sohlen. Doch je weiter sie auf das Haus zuging, umso sicherer wurde ihr Gang.
Es war ein schönes Bild, das sich der jungen Frau bot. Das herbstlich eingefärbte Laub der Bäume stand im Kontrast zu dem weiß getünchten Fachwerkhaus des Wohngebäudes.
Links hinter einer niedrigen Hecke sah sie Pferde auf einer Koppel weiden. Rechterhand bei den Stallungen befand sich der Dressurplatz, wo ein Reitlehrer versuchte, drei jungen Mädchen Haltung im Sattel beizubringen.
Aus der Nähe flößte das große Wohnhaus Sabine etwas Angst ein. Sie hatte das Gefühl, als beobachteten sie glühende Augen aus den vielen Fenstern zwischen den dunklen Fachwerkbalken.
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Ob sie hier leben könnte? Aber so weit war es noch nicht. Sie kannte Gernot Haagen erst seit der Landwirtschaftsmesse, also ganze drei Wochen. Und da gleich an Heirat denken?
Außerdem lebte er nicht allein auf dem Hof. Zusammen mit seiner Mutter bewirtschaftete er das Gestüt. Ob seine Mutter sie akzeptieren wird?
Sabine wurde etwas übel bei dem Gedanken, sich eventuell in Gernot getäuscht zu haben und sich in ein Muttersöhnchen verliebt zu haben.
‚Jetzt bloß nicht schlapp machen’, dachte sie und war gerade im Begriff, die breite Steintreppe zum Eingangsportal hinaufzusteigen, als sie aus einem der Fenster im Erdgeschoss Stimmen vernahm.
Erst waren sie sehr leise und Sabine konnte nichts verstehen. Doch dann kamen die Personen näher ans halbgeöffnete Fenster und Sabine konnte die Unterhaltung verfolgen.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Das entscheidest du einfach so, ohne mich vorher zu fragen“, keifte eine weibliche Stimme.
„Aber Mutter, ich konnte es gar nicht besser treffen. Es war Liebe auf dem ersten Blick, als ich sie auf der Messe sah.“ Sabine erkannte klar und deutlich die Stimme ihres Freundes Gernot.
„Du und deine Verliebtheit!“ Wieder diese dominante weibliche Stimme. „Ein paar lange Beine, und schon gerätst du ins Schwärmen. Du entscheidest immer nur aus dem Bauch heraus und kümmerst dich nicht um den Rest.“
„Aber Mutter“, klang Gernots Stimme vorwurfsvoll. „Du kennst sie noch gar nicht und fällst schon dein Urteil? Warte nur ab, wenn du sie siehst. Du wirst begeistert sein von ihr. Sie wird heute am späten Nachmittag gebracht.“
„Da bin ich ja mal gespannt“, gab die Mutter zurück. „Du weißt ja, ohne meine Zustimmung läuft da gar nichts!“
Mehr konnte Sabine nicht hören, denn in diesem Moment wurde das Fenster von innen geschlossen.
‚Das kann ich nicht glauben’, dachte die junge Frau entsetzt. ‚Auf der Messe hat er mir den Himmel auf Erden versprochen und hier steht er voll und ganz unter der Fuchtel seiner Mutter. Erst mit ihrem Einverständnis, darf Gernot sich für mich entscheiden? Wir leben doch nicht im Mittelalter. Aber mit mir nicht!’
Kurz entschlossen machte Sabine auf dem Absatz kehrt und wollte den Hof nur weit weit hinter sich lassen, bevor sie jemand von der Familie entdeckte.
In diesem Augenblick öffnete sich die große dunkle Eichentür und Gernot trat heraus. Erstaunt hielt er kurz inne, fasste sich aber sogleich wieder und sprang leichtfüßig die wenigen Treppenstufen hinunter.
„Willst du etwa schon gehen?“, rief er der Davonstürmenden nach. „Bine, so warte doch!“
Abrupt blieb Sabine stehen. Es hatte keinen Zweck. Sie musste sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, weswegen sie das Gestüt verlassen wollte, ohne auch nur an die Tür geklopft zu haben.
„N… nein, natürlich nicht“, stotterte sie. „Ich dachte, … ich glaubte es sei keiner zu Hause. Ähm …. Und da wollte ich mich schon mal ein bisschen auf dem Hof umsehen.“ Gott sei Dank, war ihr eine passable Erklärung für ihr Entfernen eingefallen.
„Na, das können wir ja jetzt gemeinsam machen. Übrigens, warum bist du eigentlich so früh angekommen? Wir hatten dich erst am später erwartet“, plauderte Gernot weiter.
‚Gott sei Dank, er hat meinen Fluchtversuch nicht gemerkt’, dachte Sabine erleichtert und laut fragte sie: „Was … was hast du gemeint?“
„Wieso du schon hier bist, wollte ich wissen“, wiederholte Gernot seine Frage.
„Der Termin meiner Freundin hat sich verschoben“, antwortete sie etwas fahrig.
Sie waren inzwischen bei den Stallungen angekommen, als Gernot sie schräg von der Seite ansah. „Was ist eigentlich los mit dir? Wo bist du heute mit deinen Gedanken? So kenne ich doch gar nicht. Freust du dich nicht, hier bei mir zu sein?“
„Doch, doch natürlich freue ich mich.“ Sabine brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.
„Aber in Gedanken bist du woanders. Ich sehe dir doch an, dass dich etwas bedrückt. Willst du es mir nicht erzählen?“
Die junge Frau schüttelte nur stumm den Kopf. Sollte sie ihm davon erzählen, dass sie das Gespräch zwischen ihm und seiner Mutter belauscht hatte? Sie hatte Angst davor, wie er ihre Lauschaktion aufnehmen würde.
Doch Gernot ließ nicht locker. „Nun sag schon!“
Sabine raffte ihren ganzen Mut zusammen und gestand zögernd: „Ich … ich habe das Gespräch mit deiner Mutter mitbekommen, kurz bevor ich an die Tür klopfen wollte.“
„So, so, du hast also gelauscht?“ Forschend sah Gernot sie an.
„Tut mir Leid, aber ihr ward so laut, dass ich jedes Wort verstehen musste.“
„Na ja, da hast du ja gleich einen Eindruck bekommen, auf was es bei uns ankommt und wer der Boss auf dem Hof ist!“
„Jedenfalls weiß ich jetzt, dass du keine Entscheidung triffst ohne die Zustimmung deiner Mutter.“
„Natürlich nicht, mein Schatz!“
„Es hat sich ausgeschatzt“, fauchte Sabine. Stolz warf sie ihren Kopf in den Nacken und schaute ihn mit funkelnden Augen an.
„Reg’ dich doch nicht so auf, Sabine!“
„Ich soll mich nicht aufregen, wenn du zu feige bist, die Wahrheit zuzugeben“, fuhr sie ihn an.
„Welche Wahrheit?“
„Wie deine Mutter und du über mich denken!“
„Wie ich über dich denke, weißt du. Ich liebe dich vom ersten Augenblick an, als ich dich sah. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und meine Mutter würde sich nie ein Urteil über dich erlauben, solange sie dich noch nicht kennen gelernt hat“, verteidigte sich Gernot.
„Ach ja? Das hat sich vorhin aber noch ganz anders angehört.“ Tränen der Wut und des Zornes stiegen Sabine in die Augen. „Gib doch endlich zu, dass sie die Frau für dich aussucht, die ihren Ansprüchen gerecht wird und du dich nicht dagegen durchsetzten kannst. Denn genauso habe ich es verstanden, als ihr euch vorhin im Haus über mich unterhalten habt.“
Nun verstand Gernot die Aufregung seiner Freundin. Sie hatte also doch mehr gehört, als er dachte.
Langsam ging er auf Sabine zu und legte seinen Arm um ihre Schultern. Doch mit einer heftigen Bewegung schüttelte sie ihn ab.
„Lass das!“, zischte sie an und trat zurück. „Ich bin für eure Zwecke nicht geeignet.“
„Jetzt lass dir doch erklären“, setzte Gernot an.
Aber Sabine hatte bereits schnellen Schrittes und mit gesenkten Kopf den Stall verlassen. Tränen liefen ihr über die Wangen, die sie mit trotziger Handbewegung wegwischte. Hastig stolperte sie über den Hof zum Haupthaus zu.
In ihrem Zorn nahm sie die Gestalt, die ihr entgegenkam, erst wahr, als sie fast mit ihr zusammenstieß. Erschrocken hob Sabine den Kopf und durch einen Tränenschleier sah sie sich einer Frau mittleren Alters gegenüber.
„Sagen Sie, ist der Teufel hinter Ihnen her, oder warum haben Sie es so eilig?“, fragte diese mit freundlicher Stimme, ein mildes Lächeln umspielte dabei ihren Mund.
„Bine, Sabine, jetzt bleib halt stehen!“, rief Gernot vom Stall herüber und lief auf die beiden Frauen zu.
„Lass mich in Ruhe!“, schrie Sabine zurück und wollte weiter, als sie die Ältere am Ärmel festhielt.
„Was ist hier denn los? Kann mich jemand mal aufklären?“, fragte sie mit ruhigem aber bestimmten Ton.
„Das kann Gernot machen“, entgegnete Sabine und drehte sich zu ihm um.
„Bine, das ist ein Missverständnis. Was du gehört hast, das ging nicht um dich“, beschwor er sie.
„Ach ja. Um wen denn sonst? Ich nehme an, Sie sind Gernots Mutter?“ Sabine schaute zu der älteren Frau hin.
„Ja, die bin ich. Und Sie müssen Sabine Hansen sein, wenn ich hier richtig kombiniere?“
„Das ist Sabine Hansen. Ich habe dir doch erzählt, dass sie heute im Laufe des Tages kommen wird. Leider hat sie bei ihrer zu frühen Ankunft unseren kleinen Streit mitbekommen und ist nun der Meinung, es wäre um sie gegangen.“
Auf Gernots Gesicht machte sich ein Schmunzeln breit.
Als seine Mutter sogar noch in schallendes Gelächter ausbrach, verstand Sabine die Welt nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten? Warum machte man sich jetzt auch noch in ihrem Beisein über sie lustig?
„Verzeihen Sie, Fräulein Hansen.“ Frau von Haagen gelang es als Erste, wieder die Fassung zu gewinnen. „Nicht alles darf man auf sich beziehen, was man beim Lauschen hört. Gernot und ich haben uns über das neue Pferd unterhalten, das er auf der Messe gekauft hat. Und da dieses ohne jeglichen Stammbaum ist, war ich ziemlich wütend auf ihn. Aber die Zweifel über einen Fehlkauf konnte mir mein Sohn nehmen.“
„Aber erst, nachdem ich das Fenster geschlossen hatte“, fügte Gernot hinzu. Sabine sah die Beiden erstaunt an, bis endlich auch sie in erlösendes Lachen ausbrach, dass ihr erneut die Tränen über das Gesicht liefen, aber dieses Mal Tränen der Erleichterung.
Das offene Fenster alte Version
„Und du willst deinem Herrn Landwirt wirklich ganz unangemeldet ins Haus schneien“, fragte Renate ihre Freundin Sabine. „Meinst du, das ist besonders klug?“
„Klug oder nicht. Gernot weiß, dass ich heute komme. Nur die Ankunftszeit habe ich ihm nicht genannt“, entgegnete Sabine. „Ich wusste ja nicht genau, ob du vor- oder nachmittags fährst.“
„Jetzt erzähl doch mal, Bine. Was weißt du von diesem von und zu Haagen?“
„Eigentlich nicht viel“, berichtete Sabine bereitwillig. „Er lebt auf einem Gestüt, züchtet Pferde.“
„Lebt er dort alleine?“
„Nein. Soviel ich weiß, wohnt seine Mutter noch mit auf dem Hof.“
„Verheiratet ist er nicht etwa? Du weißt, was ich meine, liebe Sabine. Du hast schon immer ein Händchen dafür gehabt, dass du dir verheiratete Männer einfängst. Hast du dieses Mal wenigstens gefragt?“
„Ja, liebe Renate. Er war verheiratet. Aber seine Frau Bella ist bei einem Reitunfall ums Leben gekommen. Sie hieß übrigens Belinda von Weiterstadt und war auch von Adel, wie er. Seitdem lebt er alleine mit seiner Mutter auf dem Gestüt.“
„Na, wenn da mal nicht ein Haken an der Sache ist. Mutter und Sohn gemeinsam auf einem Gestüt, da wäre ich etwas vorsichtig“, meinte Renate skeptisch. „Aber vielleicht ist dein Gernot ja eine Ausnahme und entwickelt sich zu deinem Märchenprinzen.“ Dabei versetzte sie ihrer Beifahrerin einen freundschaftlichen Stoß.
Die beiden Freundinnen fuhren eine Zeitlang schweigend weiter.
Plötzlich rief Sabine: „Halt, hier muss es sein!“
Renate trat auf die Bremse und der alte Käfer hielt vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor.
„Du meinst wirklich, hier ist es?“, fragte sie.
„Ja, schau! Über dem Tor steht ‚Gestüt von Haagen’. Ich steige hier aus. Du kannst dann gleich weiterfahren.“
„Soll ich nicht lieber hineinfahren, Bine?“
„Nein. Behandle mich nicht immer wie ein kleines Kind! Ich laufe lieber das letzte Stück, denn ich will nicht so einen Wirbel machen und du hast es doch eilig. Wartet Peter nicht schon auf dich?“
„Du hast Recht, wie immer. Also mach’s gut. Und wenn etwas ist, du hast ja meine Handy-Nummer!“
„Ja. Aber ich glaube nicht, dass ich dich behelligen werde.“ Mit diesen Worten umarmten sich die Freundinnen zum Abschied. Sabine nahm ihre Reisetasche und stieg aus. Die Autotür schlug zu. Ein kurzes Winken und im nächsten Moment war der Käfer um die Ecke verschwunden.
Etwas verloren stand Sabine vor dem großen Tor und betrachtete durch die verzierten Gitterstäbe das stattliche Gutshaus, das durch drei riesige alte Eichen hindurchschimmerte.
Es war ein schönes Bild, das sich der jungen Frau bot. Das herbstlich eingefärbte Laub der Bäume stand im Kontrast zu dem weiß getünchten Fachwerkhaus des Wohngebäudes.
Sabine sah sich um und entdeckte eine kleine Pforte, die in einem der Eckpfeiler eingelassen war. Langsam drückte sie die Klinke herunter und öffnete die Tür, die leise quietschte. Vorsichtig trat Sabine auf den gerechten Kiesweg und schloss den Eingang wieder. Bei jedem zaghaften Schritt knirschten die kleinen Steine unter ihren flachen Schuhen. Doch je weiter sie auf das Haus zuging, umso sicherer und fester wurde ihre Gang.
Links hinter einer niedrigen Hecke sah sie Pferde auf einer Koppel weiden. Rechterhand bei den Stallungen befand sich der Dressurplatz, wo ein Reitlehrer versuchte, drei jungen Mädchen Haltung im Sattel beizubringen.
Das riesige Gebäude flößte Sabine aus der Nähe Angst ein. Sie hatte das Gefühl, als beobachteten sie glühende Augen aus den vielen Fenstern zwischen den dunklen Fachwerkbalken. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.
‚Jetzt bloß nicht schlapp machen’, dachte sie und war gerade im Begriff, die breite Steintreppe zum Eingangsportal hinauf zu steigen, als sie aus einem der Fenster im Erdgeschoss Stimmen vernahm.
Erst waren sie sehr leise und Sabine konnte nichts verstehen. Doch dann kamen die Personen näher ans halbgeöffnete Fenster und Sabine vermocht die Unterhaltung zu verfolgen.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Bella ist noch nicht lange tot und die schleppst schon eine Neue an“, keifte eine weibliche Stimme.
„Aber Mutter, du weißt ganz genau, dass ich eine Nachfolgerin brauche. Ich konnte es gar nicht besser treffen. Außerdem habe ich mich wirklich im ersten Augenblick in sie verliebt.“ Sabine erkannte klar und deutlich die Stimme ihres Freundes Gernot von Haagen.
„Du und deine Verliebtheit!“ Wieder diese dominante weibliche Stimme. „Du siehst nur ein paar lange Beine, und schon gerätst du ins Schwärmen. Dabei ist dir die Herkunft ganz egal. Das war schon immer so bei dir.“
„Aber Mutter“, klang Gernots Stimme vorwurfsvoll an Sabines Ohr. „Du kennst sie noch gar nicht und fällst schon dein Urteil? Warte nur ab, wenn du sie siehst. Sie muss jeden Moment kommen.“
„Da bin ich ja mal gespannt, ob sie Bella das Wasser reichen kann“, gab die Mutter zurück. „Bei ihr hattest du damals ausnahmsweise einen guten Geschmack bewiesen. Aber du weißt ja, ohne meine Zustimmung läuft da sowieso nichts. Wenn ich bedenke, wie stolz Bella jeden Tag über….“
Mehr konnte Sabine nicht mehr hören, denn einer der Beiden schloss mit einem Schlag das Fenster, dass die Scheiben vibrierten.
‚Das kann ich nicht glauben’, dachte die junge Frau entsetzt. ‚Auf der Messe hat er mir den Himmel auf Erden versprochen und hier steht er voll und ganz unter der Fuchtel seiner Mutter. Erst mit ihrem Einverständnis, darf Gernot sich für mich entscheiden. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Aber mit mir nicht!’
Kurz entschlossen machte Sabine auf dem Absatz kehrt und wollte den Hof nur weit weit hinter sich lassen, bevor sie jemand von der Familie Haagen entdeckte.
In diesem Augenblick öffnete sich die große dunkle Eichentür und Gernot trat heraus. Erstaunt hielt er kurz inne, fasste sich aber sogleich wieder und sprang leichtfüßig die wenigen Treppenstufen hinunter.
„Willst du etwa schon gehen?“, rief er der Davonstürmenden nach. „Bine, so warte doch!“
Abrupt blieb Sabine stehen. Es hatte keinen Zweck. Sie musste sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, weswegen sie das Gestüt verlassen wollte, ohne auch nur an die Tür geklopft zu haben.
„N… nein, natürlich nicht“, stotterte sie. „Ich dachte, ich glaubte es sei keiner zu Hause. Und …. Und da wollte ich mich schon mal ein bisschen auf dem Hof umsehen.“ Gott sei Dank, war ihr eine passable Erklärung für ihr Entfernen eingefallen.
„Na, das können wir ja jetzt gemeinsam machen.“ Gernot hatte wohl von ihrer geplanten Flucht keinen Verdacht geschöpft, denn er schlug vor, ihr Gepäck an der Treppe abzustellen und sich von ihm führen zu lassen.
Sabine hakte sich zwar bei ihrem Freund unter, doch eine große Wiedersehensfreude schien bei ihr nicht aufkommen zu wollen. Viel zu schwer belastete sie das belauschte Gespräch.
Außer ein paar belanglose Bemerkungen wie „ach, ja?“ oder „ich verstehe“, blieb sie stumm während des Rundgangs.
Gernot fiel dies zunächst nicht weiter auf. Erst als sie die Stallungen betraten, sah er sie schräg von der Seite an und fragte: „Was ist eigentlich los mit dir? Freust du dich nicht, hier bei mir zu sein?“
„Doch, doch natürlich freue ich mich.“ Sabine brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.
„Aber in Gedanken bist du wo anders. Ich sehe dir doch an, dass dich etwas bedrückt. Willst du es mir nicht erzählen?“
Die junge Frau schüttelte nur stumm den Kopf. Sollte sie ihm davon erzählen, dass sie das Gespräch zwischen ihm und seiner Mutter belauscht hatte? Sie hatte Angst davor, wie er ihre Lauschaktion aufnehmen würde.
Doch Gernot ließ nicht locker. „Nun sag schon. Was ist los mit dir?“
Sabine raffte ihren ganzen Mut zusammen und gestand zögernd: „Ich … ich habe dein Gespräch mit deiner Mutter mitbekommen, kurz bevor ich an die Tür klopfen wollte.“
„So, so, du hast also gelauscht?“ Forschend sah Gernot sie an.
„Tut mir Leid, aber ihr ward so laut, dass ich jedes Wort verstehen musste.“
„Na ja, da hast du ja gleich einen Eindruck bekommen, auf was es bei uns ankommt und wer der Boss auf dem Hof ist!“
„Wenn du meinst. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass Sie keine Entscheidung treffen, ohne die Zustimmung Ihrer Mutter, Herr Gernot von Haagen.“
„Natürlich nicht. Aber warum denn auf einmal so förmlich, mein Schatz?“
„Es hat sich aus geschatzt“, fauchte Sabine. Stolz warf sie ihren Kopf in den Nacken und schaute ihn mit funkelnden Augen an.
Ungläubig fragte Gernot sie: „Sag mal, was ist denn eigentlich los mit dir, heute?“
„Bist du jetzt auch noch zu feige, die Wahrheit zuzugeben“, fuhr sie ihn an.
„Welche Wahrheit?“
„Zuzugeben, wie deine Mutter und du über mich denken!“
„Wie ich über dich denke, weißt du. Ich liebe dich und zwar vom ersten Augenblick an, als ich dich auf der Landwirtschaftsmesse gesehen hatte. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und meine Mutter würde sich nie ein Urteil über dich erlauben, solange sie dich noch nicht kennen gelernt hat“, verteidigte sich Gernot.
„Ach ja. Das hat sich vorhin aber noch ganz anders angehört.“ Tränen der Wut und des Zornes stiegen Sabine in die Augen. „Gib doch endlich zu, dass sie die Nachfolgerin für dich aussucht, und zwar eine Frau sucht, die deiner verstorbenen Frau Bella das Wasser reichen kann. Denn genauso habt ihr doch über mich geredet, vorhin im Zimmer.“
Nun verstand Gernot die Aufregung seiner Freundin. Sie hatte also doch mehr gehört, als er dachte.
Langsam ging er auf Sabine zu und legte seinen Arm um ihre Schultern. Doch mit einer heftigen Bewegung schüttelte sie ihn ab.
„Lass das!“, fuhr sie ihn an und trat zurück. „Ich bin für eure Zwecke nicht geeignet.“
„Jetzt lass dir doch erklären“, setzte Gernot an.
Aber Sabine hatte bereits schnellen Schrittes und mit gesenkten Kopf den Stall verlassen. Tränen liefen ihr über die Wangen, die sie mit trotziger Handbewegung wegwischte. Hastig stolperte sie über den Hof zum Haupthaus zu.
In ihrem Zorn nahm sie die Gestalt, die ihre entgegenkam, erst wahr, als sie fast mit ihr zusammenstieß. Erschrocken hob Sabine den Kopf und durch einen Tränenschleier sah sie sich einer Frau mittleren Alters gegenüber.
„Sagen Sie, ist der Teufel hinter Ihnen her, oder warum haben Sie es so eilig?“, fragte sie mit freundlicher Stimme, ein mildes Lächeln umspielte ihren Mund.
„Bine, Sabine, jetzt bleib halt stehen!“, rief Gernot vom Stall herüber und lief auf die beiden Frauen zu.
„Lass mich in Ruhe!“, schrie Sabine zurück und wollte weiterlaufen, als sie die Ältere am Ärmel festhielt.
„Was ist hier denn los? Kann mich jemand mal aufklären?“, fragte sie mit ruhigem aber bestimmten Ton.
„Das kann Gernot machen“, entgegnete Sabine und drehte sich zu ihm um.
„Bine, das ist ein Missverständnis. Was du gehört hast, das ging nicht um dich“, beschwor er sie.
„Ach ja. Um wen denn sonst? Ich nehme an, Sie sind Gernots Mutter?“ Sabine schaute zu der älteren Frau hin.
„Ja, die bin ich. Und Sie müssen Sabine Hansen sein, wenn ich hier richtig kombiniere?“
„Das ist Sabine Hansen. Ich habe dir doch erzählt, dass sie heute im Laufe des Tages kommen wird. Leider hat sie bei ihrer Ankunft unseren kleinen Streit mitbekommen und ist nun der Meinung, es wäre um sie gegangen.“
Auf Gernots Gesicht machte sich ein Schmunzeln breit.
Als seine Mutter sogar noch in schallendes Gelächter ausbrach, verstand Sabine die Welt nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten? Warum machte man sich jetzt auch noch in ihrem Beisein über sie lustig?
„Verzeihen Sie, Fräulein Hansen.“ Frau von Haagen gelang es als Erste, wieder die Fassung zu gewinnen. „Nicht alles darf man auf sich beziehen, was man beim Lauschen hört. Gernot und ich haben uns über das neue Pferd unterhalten, das er für die kürzlich verstorbene Stute Bella gekauft hat. Und da dieses ohne jeglichen Stammbaum ist, war ich ziemlich wütend auf ihn. Aber die Zweifel über einen Fehlkauf konnte mir Gernot nehmen.“
„Aber erst, nachdem ich das Fenster geschlossen hatte“, fügte Gernot hinzu. Sabine sah die Beiden erstaunt an, bis endlich auch sie in erlösendes Lachen ausbrach, dass ihr erneut die Tränen über das Gesicht liefen, aber dieses Mal Tränen der Erleichterung.