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Das Omelett seines Lebens

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24.01.2003
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Das Omelett seines Lebens

Das Omelett seines Lebens

In der U-Bahn merkte Bernd, dass er auf der Unterlippe herumnagte. Es war ärgerlich, dass es immer wieder passierte. Warum tat er das nur? Er fühlte die glatte, harte Oberfläche des Buchs in der Stofftasche, die auf seinen Knien lag. Wenn er zuhause war, würde er sich damit an den Esstisch setzen, das Buch auf die dicke blaue Wachstuchtischdecke legen, darin blättern, eine halbe Stunde, eine Stunde vielleicht.

Er würde die Überschriften lesen: Rotbarsch-Filets in asiatischer Karamellsauce, Rogan-josh mit grünen Gujarati-Bohnen. Hmmm. Er würde sich die Fotos der Gerichte ansehen, ihm würde das Wasser im Munde zusammenlaufen. Aber dann würde irgendwann der Moment kommen. Der Augenblick, wo er merkte, dass wieder einmal ... Bernd versuchte, weiterzudenken, aber der Gedanke tat weh.

Als er noch bei seinen Eltern wohnte, hatte er nie selber gekocht. Das kam mit seiner ersten Wohnung. Er erinnerte sich an die Ravioli mit Kirschsoße, sein erstes Gericht ohne Rezept. Obwohl er hart im Nehmen war, hatte er das Zeug nach drei Bissen in die Toilettenschüssel klatschen lassen. Du musst das Rad nicht neu erfinden, hatte er sich damals gesagt. Erst mal das Handwerkszeug lernen, das Einmaleins. Kochen – Die große Schule hatte das erste Buch geheißen.

Das Anfängerbuch stellte ihn nicht lange zufrieden. Es ging weiter mit Italienisch kochen leicht gemacht, Cuisine française und Kochen mit dem Wok. Immer, wenn er in der Stadt war, zog es ihn in die Ratgeberecke der Buchläden. Er blätterte und suchte Sachen, die er noch nicht ausprobiert hatte. Es machte ihm Spaß. Warum?

Bernd wusste, wie man ein Omelett briet. Er wusste, mit was man die Dinger füllen konnte, mit Himbeeren und Minzblättern zum Beispiel oder herzhaft mit einer Champignon-Sahne-Soße. Er konnte einen vernünftigen Coq au vin zubereiten, seine Spinatknödel waren eine Legende in seinem Freundeskreis und die Ex-Kollegen von BMW schwärmten immer noch von der Lachsterrine, die er vor Jahren zum Ausstand zubereitet hatte.

Arabisch kochen, Schmackhaftes aus den Ländern der Seidenstraße, Alles Gute aus Rosinen, Zen in der Kunst des Kochens – so ging es weiter. Hast du schon einen Stern, fragten ihn manchmal im Scherz seine Gäste. Er lachte darüber, aber er forschte weiter in den Tiefen der kulinarischen Literatur. Immer seltener fand er Neues, und meistens waren es eher Abwandlungen bekannter Gerichte.

Das wurde ihm immer erst in diesem schrecklichen Augenblick klar. Nach der U-Bahn, nach dem Türaufschließen, wenn er in dem Kochbuch blätterte. Wenn sich das exotische Jambalaya als simple Gemüsepfanne mit Garnelen und Hähnchenbrust entpuppte, oder wenn sich herausstellte, dass das einzig Besondere an dem Grusinischen Huhn der Liebstöckel war. Auf solche Varianten hätte er auch selber kommen können!

Schon einmal, vor einem Jahr oder so, hatte er sich geschworen, nie wieder ein Kochbuch zu kaufen. Er hatte sich gedacht: Jetzt weiß ich so viel, jetzt kann ich den Rest auch selber rausfinden, einfach durch Probieren. Er würde keine süßen Tortellini mehr kochen. Er würde ein Küchenbuch führen, hineinschreiben, was er tat, und beim Essen Notizen machen, wie es gelungen war. Wie ein geduldiger Forscher.

Aber heute war er rückfällig geworden. Der Schwächebeweis steckte in der Stofftasche auf seinen Knien. Er würde wieder und wieder Bücher kaufen, er kam einfach nicht davon los. Bernd fuhr sich mit der Hand über die Augen. Egal, jetzt war das Buch gekauft, es ließ sich nicht mehr ändern.

Aber was – was, wenn ich es nun gar nicht angucke, dachte er. Er würde die Haustür aufsperren und so wie er war, mit Mantel und Straßenschuhen hineingehen in sein Schlafzimmer. Er würde das belastende Buch aus der Tasche nehmen und es in den Bücherschrank sperren, zu den anderen. Ohne auch nur einen Blick auf den Titel zu werfen. Er würde sich mit dem Rücken gegen die verschlossenen Schranktüren stemmen, damit die Bücherflut nicht mehr herauskonnte. Und dann würde er in die Küche gehen und sich ein Omelett braten. Vielleicht an der Kräuterei-Füllung mit Erbsen weiterfeilen. Er würde einfach seinen momentanen Eingebungen folgen. Das Omelett seines Lebens zubereiten. Ganz ohne Rezepte.

 

Hallo leixoletti,

ja, deine Geschichte hat mich zum Nachdenken angeregt. Nicht nur darüber, dass ich vielleicht mal etwas anderes, als Nudelgerichte oder Maultaschen kochen sollte (;)), sondern vor allem, was du mit deiner Geschichte aussagen willst, denn ich stehe gerade ziemlich auf der Leitung.
Da ist also Bernd, der beginnt, sich für das Kochen zu interessieren und sich anhand vieler Bücher das Kochen beibringt. Doch als er handwerklich soweit ist, mal eigene Gerichte zuzubereiten, ist er schon süchtig nach den Kochbüchern und kommt nicht mehr von ihnen los?!
Vielleicht kommt mein Unverständnis auch daher, dass ich selbst nicht der passionierte Koch bin...

Sprachlich ist dein Werk solide und passt zur Geschichte. Achja, und das Wasser ist mir auch im Mund zusammen gelaufen ;)

Chris

 

Hallo Chrischtoff,

danke fürs Lesen und Kommentieren. Du weißt nicht, was ich damit aussagen möchte? Und ich hatte befürchtet zu penetrant zu sein...

Wolln mal so sagen: Auch wenn du kein passionierter Koch bist, solltest du die Story verstehen. Du brauchst auch nicht alles nachkochen, um das zu kapieren. Vielleicht liest du noch mal die letzten drei Sätze? Es geht mir jedenfalls gar nicht so sehr ums Kochen. Eher um die Rezepte...

Mehr sag ich nicht. Alles auf dem Silbertablett? Nö. Esch Läbn isch koi Blumewies. (Wer hat das nochmal gesagt? 8-))

Grüße aus München,
Stefan

P.S.

 

Hallo Leixoletti,
wird das jetzt Mode, Metaphern-Geschichten über Omeletts oder Pfannkuchen?
Ganz nett geschrieben, aber berührt mich nicht wirklich.
Gruß, Elisha

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi elisha,

auch dir vielen Dank fürs Lesen. Du spielst auf die Pfannkuchen-Geschichte von groper an? Das ist ein Zufall, ich hab die Story schon im August geschrieben. Ich hab inzwischen durch das Feedback von anderen gemerkt, dass die Story nicht verstanden wird - da werd ich nochmal nachbessern müssen.

Grüße,
Stefan

 

Hallo leixoletti,

die Geschichte war mir etwas zu lang, diese Aneinanderreihung von Beispielen. Außerdem finde ich die ganzzeiligen Absätze störend, es beginnt ja nicht jedes Mal ein neues Kapitel und es gibt auch keinen Wechsel des Blickwinkels.
Die ruhige Sprache passt gut zu der beschriebenen Situation, vom Ende war ich positiv überrascht: Der Protagonist gefangen in der Welt die er sich selbst erschlossen hat, nicht nur er in Bezug auf das Kochen wird in solch einer Situation sein, wer will nicht einmal `sich selbst´ sein, sich gegen die einengende Flut stemmen, gleich, wodurch sie für den Einzelnen repräsentiert wird.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Hi Woltochinon,

danke fürs Kommentieren. Ich werde das bedenken, mit den vielen Kochbeispielen. Auch für die Anregung mit den Absätzen bin ich dankbar. Hab mal in meinen Büchern nachgeguckt, die meisten rücken die Folgezeile ein - war mich nicht bewusst. Schön, dass das Ende gefällt - das finde ich das schwierigste an einer Geschichte.

Grüße,
Stefan

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Leixoletti,
ich denke, dass ich deine Geschichte verstanden habe. Es geht einfach darum auf eigenen Beinen zu stehen und keine Angst vor Veränderungen zu haben. Der Prot. braucht keine Kochbücher mehr, hat aber Angst ganz ohne zu kochen. Weil es ein Schritt nach vorne für ihn bedeuten würde, ein Schritt ins Unbekannte.
Die gleiche Situation hat man bei einem Auszug von Zuhause, wenn man seine Wäsche bei seiner Mutter wäscht und sich dann eine eigene Waschmaschine zulegt. Man kann nun selbst waschen, würde aber die Besuche vermissen.
Habe ich das in etwa richtig verstanden? Aber was heißt schon richtig verstanden? So sehe ich einfach deine Geschichte.

 

Hallo leixoletti,

eigentlich eine Frage, die sich Suchtkranke irgendwann während der Therapie stellen. Brauche ich diese Krücke noch?
Ähnlich wie ein Suchtkranker scheint auch Bernd den Kauf der Kochbücher zu empfinden. Er kann nicht ohne sie, wird rückfällig, auch wenn er schon seit längerer Zeit weiß, sie geben ihm nicht mehr den Kick. In der Konsequenz der Drogen müssten jetzt die härteren Stoffe folgen. Das ist bei Kochbüchern nicht möglich.
Es geht also wohl mehr um die Krücken, die wir zum Leben verwenden, um unsere Ängste zu besiegen oder um unser Selbstbewusstsein daran zu stützen.
Man könnte das Kochen auch als Synonym für das Schreiben sehen. Wie oft stützen wir und auf Ratgeber, wie eine gute Geschichte auszusehen hat, auf Hinweise, was vermieden oder berücksichtigt werden muss.

Und wo wir gerade bei diesen Hinweisen sind:

Immer seltener fand er Neues, und meistens waren es eher Abwandlungen bekannter Gerichte.

Das wurde ihm meistens in diesem schrecklichen Augenblick klar

;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Stefan!

Eine interessante Geschichte. Ich dachte auch erst, es ginge ums Schreiben, aber gegen Ende hatte ich doch das Gefühl, es geht ums Leben an sich. Um die vielen weisen Ratgeber und Tips, wie man glücklich wird, stressfrei lebt, sich selbst findet - fernöstliche Weisheiten, Feng Shui usw.
Und dann kommt Dein Protagonist drauf, daß er das alles nicht braucht, sondern ganz einfach nach seinem Gefühl leben kann - sein Leben.

Sehr schöne Geschichte. :)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo klabauter, sim und Häferl,

danke für eure Kommentare. Ihr habt das alle drei ganz gut und richtig verstanden. Jeder hat noch eine Zutat mit reingetan, an die ich nicht gedacht hatte. Du, Klabautermann, denkst an Waschmaschinen. Sim erinnert sich an Drogenkranke und Häferl an Feng Shui. Ich find das schön, dass ihr sogar was Persönliches in meiner Story findet. Jedenfalls habt ihr alle den springenden Punkt gesehen - zu meiner großen Erleichterung. Mein Anfangsgedanke war in der Tat mein Bücherschrank und die wachsende Zahl der Bücher übers Schreiben darin.

Ruhm und Dank euch drei Tröstern 8-)

Stefan

 

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