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Das Paradies
Zeit zu Bett zu gehen, dachte sie sich. In ihr heiß geliebtes, kuscheliges Bett. Sie hatte lange dafür gespart und viele Überstunden machen müssen. Ein großes, weißes Holzbett mit hohen Kopf- und Fußteilen. Eine durchgehende Matratze, bei einer Breite von 1,80 m schon eine teure und nicht alltägliche Anschaffung.
Dann hatte sie noch ihr restliches Geld in dunkelrote, seidige Bettwäsche investiert. Ein traumhaftes, weißes Nachhemd hatte sie sich selbst geschneidert. Fast sah es aus wie ein Hochzeitskleid und sie darin wie eine Braut, die vor dem Altar auf ihren Bräutigam wartet.
Alle Fragen, wie sie denn den Rest der Wohnung ohne Geld wohnlich machen wollte, beantwortete sie mit einem Schulterzucken und einem Lächeln. Sie wusste, dass sie den Rest der Wohnung nicht wirklich bewohnen würde. Sie hatte ihr Bett und das reichte ihr. Von dem Nachthemd wussten die Freunde ohnehin nichts.
Endlich schlafen, endlich träumen. Sie hatte eine Verabredung – in ihren Träumen. Aber erzählen konnte sie das natürlich niemandem, wer würde ihr auch glauben. Glauben, dass sie eine Verabredung mit ihrem toten Freund hatte – in ihren Träumen.
Sie hatten gerade einen Termin für ihre Hochzeit festgesetzt, als er wieder einmal viel zu schnell mit seinem Wagen unterwegs war. Er liebte den Wagen beinahe so sehr wie sie, das wusste sie. Es war egal, er war einfach ihr Traummann. Als er ihr den Antrag machte, war sie im siebten Himmel. Auf mahnende Worte von Eltern und Freunden wollte sie nicht hören. Sie nahm nicht einmal wahr, was ihr über ihn erzählt wurde.
Im Krankenhaus, nach seinem Unfall, konnten sie noch einmal miteinander sprechen. Sie verabredeten sich, sich in ihren Träumen zu treffen, und ihre Liebe würde dort weiterleben. Er fiel bald darauf in ein Koma und der Arzt teilte seinen Eltern und ihr mit, dass dieses Koma durch eine Hirnschädigung hervorgerufen wurde, und selbst wenn er wieder aufwachen sollte, wäre die Schädigung zu groß, um ein lebenswertes Leben führen zu können. Er schlief noch am selben Tag für immer ein.
Sie vergaß die Verabredung zunächst und war nur noch betäubt von ihrem Kummer. Beinahe hätte sie auch noch ihre Arbeit verloren, weil sie wie eine Schlafwandlerin durch den Tag ging. Die Kunden beschwerten sich schon über sie, hielten sie für unfreundlich, weil sie nicht antwortete. Die Stammkunden hatten jedoch Mitleid und brachten den Geschäftsführer dazu, sie zu behalten.
Ihre Beinahe-Schwiegereltern luden sie zunächst weiterhin zu den Familienfesten ein, aber irgendwann gaben auch sie auf. Wer will schon einen Gast, der einen an seinen toten Sohn erinnert und nichts sagt. Nicht einmal wenn sie angesprochen wurde, kam eine Reaktion von ihr. Direkt unfreundlich benahm sie sich. So hatten sie sich das neue Verhältnis mit ihr nicht vorgestellt.
Sie schien den ganzen Tag zu schlafen, daher wunderte sie sich auch nicht weiter, dass sie nachts nicht schlafen konnte. So erinnerte sie sich lange Zeit gar nicht an die Verabredung. Schließlich schickten ihre Eltern sie zu einem Psychiater, damit sie sich bei einem Fremdem aussprechen konnte. Alle dachten, der Mann hätte Wunder gewirkt.
Aber die Wahrheit sah anders aus. Sie fing an, zu Träumen. Zunächst nur ganz kurz und wirr. Aber immer von ihm. Und dann fiel ihr das letzte Gespräch mit ihm wieder ein. Sie wachte aus ihrer Trauer auf und sah sich in der kleinen Wohnung um, die sie nach seinem Tod gemietet hatte. Die Wohnung, besser gesagt, die ihre Eltern und ihre beste Freundin für sie ausgesucht und angemietet hatten. Sie selbst war damals nicht besonders interessiert, sie hockte im Gästezimmer ihrer Eltern und wartete auf jemanden, der nie wieder kommen würde. In ihre gemeinsame Wohnung hatte sie nie wieder einen Fuß gesetzt. So hatten ihre Eltern die Regie übernommen und gemeinsam mit ihrer Freundin Wohnungen besichtigt. Für große Anschaffungen hatten sie zwar auch kein Geld, aber einige Möbel von Freunden und einige Pflanzen, machten die kleine Wohnung zumindest bewohnbar. Trotzdem war es ihr viel zu schäbig hier, für das Treffen mit ihm. Und sie fing an zu sparen und das Schlafzimmer herzurichten.
Sie fing an, wieder mit vollem Einsatz zu arbeiten und alle dachten, nun wäre der Verlust überwunden. Ihr Chef freute sich, dass er sie nicht entlassen hatte. Hätte es in seinem Markt so eine Auszeichnung gegeben, sie wäre jeden Monat zum Mitarbeiter des Monats geworden. Wurde jemand krank, rief die Abteilungsleiterin gleich bei ihr an, sie war so wild auf Überstunden und Extraschichten, dass sie abends todmüde ins Bett sank. Sie träumte dann allerdings nicht, dafür war sie zu müde. Bis ihr neues Bett geliefert und aufgebaut worden war, schlief sie häufig auf dem alten Sofa im Wohnzimmer. Sie wollte gar nicht träumen, sie wollte, dass alles perfekt war, wenn sie sich wiedersahen. Und so arbeitete sie weiter und sparte und schließlich kaufte sie das Bett. Sie hatte es gesehen und auf den ersten Blick gewusst, dass sie es haben musste. Es war wirklich perfekt.
Nun war alles vollkommen, ein richtiges Paradies und genau das wäre ihr auch am liebsten. Einfach einschlafen, träumen und nie mehr aufwachen. Sie hatte alles ganz genau geplant für diese Nacht. Schnell unter die Dusche, sie war in den letzten Wochen jeden zweiten Tag im Solarium gewesen. Nun hatte sie eine tolle Urlaubshaut. Beim Frisör war sie auch, lichte blonde Strähnchen und sanfte Locken umspielten ihr Gesicht. Jetzt noch ihr edles Nachthemd anziehen und ein kaltes Glas Sekt trinken. Ein wenig wasserfeste Wimperntusche – die verschmierte nicht so schlimm im Schlaf.
Dies sollte ihre Hochzeitsnacht werden und dementsprechend aufgeregt war sie auch schon seit Tagen. Sie trank noch einen Schluck Sekt und legte sich ins Bett. Durch den Sekt hatte sie die nötige Bettschwere, es war schließlich erst 21 Uhr und eigentlich noch viel zu früh zum schlafen. Vor allem, weil sie heute frei hatte und total erholt und entspannt war.
Sie schlief sofort ein und träumte, so schien es ihr, auch sofort. Er wartete schon auf sie, wie verabredet im Central Park an dem See, an dem sich immer die Brautpaare fotografieren lassen. Er trug einen Strauß gelber Rosen und lächelte sie schuldbewusst an. „Ich weiß, ich bin selbst schuld an meinem Unfall, aber bitte lass mich dir alles erklären“ Sie hatte ihm ins Wort fallen wollen, schwieg aber nun und lies sich von ihm zu einer Bank führen.
Er hat noch gar nichts zu meinem Kleid gesagt und überhaupt wieso nur gelbe Rosen, früher hatte er ihr immer rote Rosen geschenkt. Rot war die Farbe der Liebe. Gelbe Rosen schenkte man nur einer Verwandten oder guten Bekannten, aber nicht der Frau die man liebt, schoss es ihr durch den Kopf. Aber er sah so zerknirscht aus, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht – so hatte sie sich das nicht vorgestellt.
„Bitte, sag jetzt nichts, lass mich einfach zu Ende reden. Es ist auch so schon schwer genug für mich.“, er konnte ihr nicht in die Augen sehen und fixierte einen Punkt weit entfernt im Park. „Ich habe dich beobachtet, wie du gelebt hast die letzten Monate – nein, lass mich ausreden.“ Sie hatte ihm widersprechen wollen. Sagen, dass es ihr nichts ausmachte, dass es nun einmal so war, aber sie kam damit klar, besser dies als nichts. Aber sie schwieg, als sie seinen Blick sah.
„Weißt du, ich war nicht allein im Wagen als der Unfall passierte. Alle haben dir das verschwiegen, aber ich hab immer geglaubt, wenn du es gewusst hättest, wärest du vielleicht viel schneller darüber hinweg gekommen.“ Jetzt war sie zu sprachlos, ihm zu widersprechen, sie sah ihn nur an. „Du warst so besessen davon, zu heiraten und meine Eltern fanden dich ganz perfekt als Ehefrau, deswegen habe ich so lange nichts gesagt, aber es war schon längst aus für mich. Ich hatte jemanden kennen gelernt, und sie war auch an dem Tag mit im Auto. Du wolltest ja nichts merken“ sagte er verbittert „Du hättest vermutlich auch alles geleugnet und gesagt ich wüsste nicht was ich rede, wenn ich es dir damals gesagt hätte.“, er schluckte und sah sie an. „Nun muss ich es dir sagen, du musst endlich mit der Realität klarkommen. Sie ist auch gestorben, wir sind zusammen – für die Ewigkeit, hier im Paradies“
„Willst du sagen, du machst Schluss mit mir? Jetzt? Hier?“, stammelte sie. Sie konnte das nicht begreifen. Das hätte sie doch mitbekommen. Er wollte sie sicher nur schützen, damit sie in ein normales Leben zurückkehrte. Er war schon immer so fürsorglich.
„Nein, ich will dich nicht schützen“, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Ich hab jetzt restlos die Nase voll von deinen Träumereien, in die ich immer mit eingeplant werde. Sogar jetzt, fast ein Jahr nach meinem Tod, verplanst du mich noch. NEIN, ich lass das nicht mehr zu. Ich will dich einfach nur loswerden, verstehst du das nicht? Ich will mein eigenes Leben nach dem Tod führen, frei von dir sein. Will endlich unbeschwert mit Maja die Ewigkeit und das Paradies genießen. Lass mich doch jetzt wenigstens in Frieden!“
Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie aufgestanden war von der Bank, jetzt taumelte sie zurück, erschreckt und entsetzt. Sie fiel, und fiel – und schlug auf dem Boden vor ihrem wunderschönen Bett auf. Leider schlug sie dabei so unglücklich mit dem Kopf am Nachttisch an, dass sie ein Schädeltrauma erlitt. Von all dem merkte sie nicht mehr wirklich etwas, nur ein Gedanke erfüllte sie: „Jetzt können wir für immer zusammen sein.“ Und sie lächelte während sie starb. „Ja, ich will!“