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Das Präparat
Stille hatte sich um die Hütte gelegt. Der Schnee war gefallen und hatte alle Laute, jede Regung erstickt. Wäre kein Rauch aufgestiegen - niemand hätte geahnt dass es die Hütte gab.
Wald lag um sie herum. Dunkel und düster. Kein Lichtstrahl bahnte sich einen Weg durch das schneeschwere Geäst. In weiser Vorahnung dessen, was darunter lauerte.
Sie nahm mittlerweile fast jedes Wochenende den weiten Weg, die abweisenden Blicke der Einheimischen am Rande des schmalen Schotterweges und die nervenaufreibenden Schlaglöcher des Pfades in Kauf – nur um zur Hütte zu gelangen. Ihr Werk zu verrichten - so wie sie es für sich selbst im Geheimen gern nannte.
Lange hatte es heute gedauert. Zu lange. Ihr blieb heute nicht viel Zeit. Der Weg war zugeschneit gewesen und stellenweise hatte sie den festen Grund verlassen müssen um Schneebänken auszuweichen.
Liebevoll strichen ihre Fingerkuppen über die Ölfarbe auf dem Leinen... Der Pinsel aus Rotmarderhaar fuhr fast von selbst - lebendig - schwebend über den Untergrund. Fünf Stunden waren vergangen. Sie hatte nichts gegessen und nichts getrunken, doch das war wichtig. Sie durfte nicht abgelenkt werden, sonst musste sie von Neuem beginnen. All ihre Gedanken lagen bei ihrem Gemälde. Kein Detail durfte verloren gehen. Sie wusste, es würde ein Meisterwerk werden. Nichts, was sie je zuvor gemalt hatte, war hiermit zu vergleichen.
Belinda war in der Hütte aufgewachsen. Ihre Großmutter hatte sie aufgezogen und ihr alles beigebracht was sie können musste. Vater hatte sie nie einen gehabt. Ihre Mutter niemals gekannt. Großmutter Rosa hatte genügt. Sie gab ihr alles, was sie brauchte: Ein Dach über dem Kopf, Essen, Geld, die beste Schulausbildung, die sie in Norwegen bekommen konnte und die Karriere als Rechtsanwältin, die sich Belinda gewünscht hatte. Alles gehörte ihr. Schade, dass Rosa ihren Freund nicht gemocht hatte. Sie hatte ihre Großmutter eigentlich gut leiden können.
Endlich betrachtete sie das fertige Werk. Zufrieden warf sie ihre roten Locken aus dem Gesicht und stellte es zum Trocknen in die Nähe des prasselnden Feuers im Kamin. Fast hätte man meinen können, die Flammen leckten und züngelten nach dem Bildnis, doch wie sollten Flammen schon ein Verlangen nach einer bestimmten Malerei haben?
Sie ging in die kleine Stube, in der auch der Gasherd stand, drehte am Hahn, entzündete das Gas mit einem Streichholz und setzte sich Wasser zum Kochen auf. Getrocknete Kräuter, Pilze und kleine Flaschen an Bändern um den Hals hingen von der Decke. Sie waren mit allerlei naturfarbenen Flüssigkeiten gefüllt. Einmachgläser mit Beeren und Undefinierbarem standen in den Regalen. Ein ausgestopfter Rabe folgte ihr mit seinen starren vertrockneten Augenhöhlen bei der Arbeit.
Während das Wasser im Topf allmählich zu sieden begann und feine Blasen von seinem Grund aufstiegen wusch sie ihre Werkutensilien säuberlich aus und trocknete sie mit einem beigen Leintuch ab.
Endlich begann der Wasserkessel zu pfeifen. Sie streckte sich und holte von einem der niederen Deckenbalken zwei Dosen mit getrockneten Blättern herunter. Ausnahmsweise drei Löffel – zur Feier des Tages. Ein Lächeln huschte über ihre blassen Lippen, als sie den Tee aufbrühte.
Während Belinda die Tür zu ihrem Arbeitszimmer öffnete, schien ihr warmer Feuerschein entgegen...
Zusehends änderte sich ihre Ausstrahlung.
In ihr blasses ausgemergeltes Gesicht kam plötzlich Farbe.
Ihre Wangen erstrahlten im sanften Licht. Gleichsam dem Lecken der Flammen an den Holzscheiten bewegte sie sich geschmeidig zu ihrem Ohrensessel. Von ihrem Gemälde starrten ihr leere tote Augen entgegen als sie sich in dem Sessel niederließ und zufrieden einen Schluck ihres Gebräus zu sich nahm.
Euphorie ergriff von ihr Besitz als sie dem perfekten Abbild ihres derzeitigen Konkurrenten um die Verteidigung eines Kinderschänders – scheißreichen Kinderschänders – entgegenblickte. Es war ihr egal, ob dieser Wichser freikommen würde... Vielleicht würde sie der Welt einen Gefallen tun und auch dieses Problem irgendwann beseitigen. – Natürlich nachdem sie ihm das Geld für die Anwaltskosten aus den Taschen gezogen hatte. Andrew Norton...
Eigentlich schade um ihn. Vielleicht hätte sie ihn vorher noch zwischen ihre Schenkel gekriegt? Vielleicht hätte sie es sich dann noch anders überlegt? Lächeln. Pech.
Fast lüsternd stellte sie sich vor, wie ihr seine Blicke folgen würden... ihrer Hand... unter ihrer Unterwäsche...
Hysterisch lachend verscheuchte sie diese Gedankengänge und stellte ihr leeres Teeglas zu Boden.
Jetzt. Jetzt war gut. Jetzt war geradezu perfekt. Niemals würde sie sich von einem männlichen Objekt besitzen lassen.
Wäre ja noch schöner. Sie nicht. Sie würde nicht als bemitleidenswürdiges Hausmütterchen enden. Sie würde nie mit der Sekretärin betrogen werden. In ihrer Welt gab es keine Männer und Frauen. Es gab Sieger und Verlierer. Und sie hatte noch nie auf der Seite der Verlierer gestanden.
Langsam erhob sie sich. Sie löste ihre Spange, die sie im Haar trug, so dass ihr ihre wilden roten Locken ins Gesicht fielen.
Gemächlich öffnete sie Knopf für Knopf ihres Arbeitskittels und ließ ihn über ihre nackte Haut zu Boden gleiten. Sie trug nie Unterwäsche. Alles was sie einengte oder einschränkte verabscheute sie.
Nackt trat sie zum Bild, hob es auf.
Nun wendete Belinda sich zum Kamin. Die im Feuer glühende Ofenzange hob sie am hölzernen Griff vom Haken.
Fest umschlossen ihre langen Finger das Holz als sie die rotleuchtende Zange funkendsprühend auf das Kunstwerk presste.
Wind fing sich in ihren Haaren. Ein Sturm kam auf. Seufzend und stöhnend warf sie ihren Kopf zurück. Geschrei erhob sich als würden alle geschundenen Seelen dieser Welt zum Aufstand rufen. Drehend gleich einem Tornado fasste die Luft das Weibsstück und ihr Bildnis und hob sie vom Erdboden auf. Stichflammen fraßen sich durch das Leinen in ihrer Hand. Wie in Zeitlupe, als forderte die Genugtuung ihren Lohn zum Begleich der Arbeit zerfiel der Mann zu Asche.
Da legte sich der Wind und die Hexe lag am Boden in einem Pentagramm aus Ruß und Asche.
Die Putzfrau fand ihn am Morgen des nächsten Tages in seinem Büro. Plötzliche Thromboembolie mit 36. Komisch? Tja, Pech.
Belinda lächelte in sich hinein.
Zusammen mit der Zeitung in der sie die Todesanzeige gefunden hatte war sie von ihrem kleinen Einkauf im Dorf zurückgekehrt.
Schmunzelnd saß sie vorm Feuer. Vorm Fenster konnte man bereits wieder dicke Flocken vom Himmel fallen sehen. Überall nur weiß. Eine bedrückende Stimmung lag über dem Forst. Vorahnung des Unheils.
Belinda faltete die Zeitschrift zusammen, stand auf und folgte einem seltsamen Geruch in die Stube. Alles normal, wie immer – seltsam. Der Rabe beobachtete sie. Sie sah sich um, als spürte sie die Blicke des toten Tieres auf ihrem Rücken.
Beklommenheit ergriff Besitz von ihr. Doch als sie die Bewegung hinter sich gewahrte war es bereits zu spät. Das ausgestopfte Rabenvieh hatte zum Angriff angesetzt und raste im Sturzflug auf sie zu. Mit einem Schrei des Erstaunens fiel Belinda gegen den Herd...
Draußen war es bereits dunkel geworden, als sie wieder zu sich kam. Der Rabe lag starr neben ihr. Jahrelang hatte er dort oben gesessen und ausgerechnet jetzt musste er herunterfallen. Egal... Sie ging zurück in ihr Arbeitszimmer. Wie lange hatte sie nur bewusstlos in der Stube gelegen? Das Feuer war erloschen und die Glut verglommen. Sie machte sich daran Holz und Zeitungspapier in den Kamin zu richten. Behutsam nahm sie ein Streichholz aus der Schachtel.
Mit dem ersten Funken wurde sie gegen die Wand geschleudert. Überall Feuer. Ihre Haare, ihre Kleider brannten. Sie spürte wie sich das Fett unter ihrer Haut so schnell erhitzte, dass sie in Flammen aufging. Die Schreie verstummten schnell. Tot. Und doch hatte außer Belinda nichts brennen müssen. Hatte die Druckwelle das Feuer sofort wieder gelöscht? Hatte die Hütte nur Belinda, wie ein wucherndes Krebsgeschwür loswerden wollen? Egal, Pech gehabt...
Rosa stand am Herd und rührte lächelnd in einem Kessel. Der Rabe war verschwunden.