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Das Privileg
Das Privileg (Nach euren Vorschlägen verbessert.)
Orenibus wanderte durch die karge Steppe von Krimm. Er war vor vier Monaten vom Dreiseetal aufgebrochen. Seitdem wanderte er durch die unendlich erscheinende Steppe. Er hungerte und ernährte sich nur gelegentlich von kleinen Eidechsen und Schlangen, und trank den Tau des Morgens. Die Schmerzen seiner Entbehrungen waren inzwischen zu einem Teil von ihm geworden. Seine bloßen Füße bluteten und sein ausgemergelter, alter Körper war übersäht mit schweren Verbrennungen von der gnadenlosen Sonne. Getrieben von einem Schmerz, der tiefer ging als jedes Leiden seines Körpers. Es war die gähnende Leere in seiner Brust die unendliche Einsamkeit in seinem Herzen. Er hatte Flüsse von Tränen vergossen um seines Leids. Seiner Suche, die niemals Erfolg zu versprechen schien und die doch sein Schicksal war und wenn auch sein Verderben. Er suchte die Erleuchtung, er hatte sie gesucht solange er denken konnte. Aber nirgendwo hatte er sie gefunden. Er sehnte sich nur nach diesem einen Augenblick der absoluten Klarheit und der unbestreitbaren Gewissheit des Verstehens.
Er wanderte immer weiter bis zu den Wanderdünen von Napal. Als er die erste Düne bestieg gaben seine dünnen und zerbrechlichen Beine nach. Als er fiel, wusste er, dass sein Ende gekommen war. Er wehrte sich nicht als er langsam vom Sand zugedeckt wurde.
Ein letztes Mal öffnete er seine rissigen Lippen und benutzte seine Stimme, die sein Leben lang nur eine Frage gestellt hatte: „Was ist die Wahrheit über unsere Bestimmung? Was ist die Wahrheit über unseren endgültigen Zweck?“ Ein letztes Mal schloss er die Augen und spürte die sengenden Strahlen der Sonne auf seiner verbrannten Haut.
Zuerst dachte er, sein gequälter Verstand spiele ihm einen Streich. Er öffnete die Augen.
Der Wüstensand, auf dem er lag und der ihn bedeckte summte eine wunderschöne und zarte Melodie. Die Sandkörner vibrierten und tanzten einen absonderlichen Tanz. Mit was für einer überirdischen Schönheit die Wüste für ihn sang. Er schloss erneut die Augen und lächelte diesmal. Für dieses wundevolle Geschenk würde er wiederum als Dank seinen Leib der Wüste übergeben.
Jäh erschütterte ein Schock seinen sterbenden Geist. Sein Körper zuckte ungewollt und die Nackenhaare standen ihm zu Berge. Er spürte eine Präsenz um sich herum. In der Luft und in dem Sand. Sie war wie eine warme Decke, die sich auf seine schmerzende Haut legte und seine Schmerzen linderte. Irgendwo in der Ferne schrie ein Adler seinen Ruf stolz in die Welt.
Höre mich, der du nach Wissen suchst!
Ich bin Mithran!
Ich bin das Licht.
Der Schöpfer allen Lebens und der Erde. Mein ist das Reich am Firmament und Mein wird das Reich auf Erden.
Frohlocke, denn du suchetest nach der Wahrheit, und siehe nun die Wahrheit: die Ich bin.
Ich bin der Anfang und das Ende. Mein Licht soll erstrahlen in den Herzen aller Menschen unter meinem Himmel.
Als mein Prophet wirst du die Wahrhaftigkeit in die Welt tragen und mir dienen als mein oberster Diener auf Erden.
Die Worte erstrahlten in seinem Kopf wie das Licht der aufgehenden Sonne und zeigten ihm die Wahrhaftigkeit und die Bestimmung aller Menschen. Er weinte vor Glück und Ehrfurcht im Angesicht all dieser Offenbarungen. Der Geist der Erleuchtung erfüllte ihn und mit Tränen überströmten Gesicht stand er auf und sah in die Mittagsonne. Er lachte vor unvergleichbarer Dankbarkeit für dieses Geschenk und spürte keine Schmerzen, als seine Augen in das unermessliche Licht seines Herrn blickten und unter dessen Macht verdorrten. Denn einen Augenblick wurde ihm ein Blick auf etwas gewährt, das unendlich größer war als er.
„Dein wird das Reich auf Erden. Heil, Mithran, dem Vater des Lichts und des Lebens“, skandierte Orenibus mit voller und kräftiger Stimme über die unendlichen Weiten der Wüste.
Als er trittfest und geschmeidig die Wüste verließ und mit seinen blinden Augen einen Weg einschlug, den nur er kannte, sah ihm ein einsamer Adler hinterher und schrie, doch diesmal lag kein Stolz darin.
Es war Angst.
Du willst Antworten?
Dann finde sie. Aber deine eigenen.
Denn wer aufhört die Antworten selbst zu suchen und sich sagen lässt was diese sind.
Der gibt das Privileg des Sehens auf und wird erblinden.