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Das Reisebüro

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07.02.2010
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Das Reisebüro

„Hatten Sie einen angenehmen Tod?“
„Er war durchaus akzeptabel. Danke der Nachfrage.“
„Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auch das nächste Mal wieder beehren.“
Shuka verabschiedete sich mit einer Verbeugung vom achtbeinigen Ochsenfrosch. Dieser rückte als höfliche Geste seinen gelben Hut um 23 Grad nach rechts.

Das verspielte Plätschern eines Baches ertönte. Ein neuer Kunde. Shukas Spitzohren fuhren in die Höhe. „Nehmen Sie doch Platz. Wir freuen uns, Sie im Reisebüro Letum begrüßen zu dürfen. Shuka, mein Name. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ Höflichkeit war das Alpha und Omikron. Der geflügelte Nilpferdalligator nahm das Sitzkissen vom Stuhl, schob selbigen beiseite und ließ sich mit einer grazilen Bewegung auf dem Boden nieder, das Sitzkissen als Fußablage für die stämmigen Füße. Shuka beugte sich ein wenig über ihren Bürotisch, um dem Kunden so besser ihr Ohr leihen zu können. Mit einem leichten Knacken löste sie ihr linkes Ohr und reichte es hinunter. Der Herr mit der eingedellten Schnauze grunzte in das Ohr in seiner Klaue, wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass das rothaarige Hörorgan mit einigen Speichelfäden verziert wurde: „Kurzurlaub. Nicht lange. Habe nur wenige Aeris zur Verfügung. Aber brauche dringend Abstand vom Alltag. Abwechslung. Was hätten Sie da im Angebot für mich?“ Shuka kniff nachdenklich ihre Haselnussaugen zusammen. „Kurzurlaub... Wir haben da gerade ein ausgezeichnetes Angebot in Ihrer gewünschten Preisklasse. Erlebnisurlaub vom Filigransten. Wenn ich es Ihnen näher erläutern dürfte: Verpflegung rundum, all inclusive. Und das Highlight...“, die Schlitzaugen des Nilpferdalligators weiteten sich zu Untertassen „...als Highlight erleiden Sie einen schmerzvollen, langsamen Tod. Sie werden in einem verschmutzen Pferch geboren, gemästet auf engstem Raum mit anderen Nutztieren, bis Sie feist genug und schlachtreif sind. Die Schlachtung...“, Shuka zögerte. „Ich würde Ihnen einen Großteil des Genusses gehörig versalzen, wenn ich Details auch nur andeutete. Es sei nur so viel gesagt: Unsere Kunden waren mit diesem Angebot bisher immer mehr als zufrieden“, zwinkerte Shuka schelmisch. „Die Reise erstreckt sich ungefähr über ein halbes Jahr. Genau die richtige Zeitspanne für einen aufregenden Kurztrip. Die Kosten belaufen sich bei nur 478 Aeris. Ein sensationelles Schnäppchen! Und wenn Sie noch heute buchen, bekommen Sie gratis die ausgesprochen modische Ohrmuschel, die sie in ihrer Pranke halten, geschenkt. Na, wäre das etwas für Sie?“
Der mächtige Alligatorkopf nickte lebhaft mit seinen drei neongrün strahlenden Augen „Ich buche sofort!“
Shukas scharfkantige Zähnchen blitzten hervor, als sie ihren Mund zu einem köstlichen Grinsen verzog: „Sie haben sich genau richtig entschieden. Sie wissen doch: Wenn's um's Sterben geht – Reisebüro Letum“, säuselte sie in A-moll. Ein erfolgreicher Auftrag mehr. Shukas Konto stieg auf 1634 Aeris. Ein gedämpftes Seufzen. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie sich die gewünschte Reise leisten konnte. Aber sie wusste, das Sparen lohnte sich. Shukas Kopf entfuhr ein tiefer Pfeifton, das verschenkte Ohr wurde durch seinen Nachfolger ersetzt.

Kurzurlaube hatte sie schon etliche hinter sich. Katzen, Greifvögel, Elefanten, Schlachttiere. Auch in den Genuss längerer Urlaube war Shuka gekommen. Zum Beispiel hatte sie 9000 Jahre in einer Fichte den Lauf des Lebens beobachtet. Hatte Zivilisationen entstehen und untergehen sehen. In der Rolle des stillen, anteilslosen Beobachters. Stets der selbe Ort, nur die Umgebung in Veränderung. Entspannend und anregend zugleich. Aber diesmal wollte Shuka mehr. Der nächste Urlaub sollte etwas Besonderes werden. Von der Dauer her nicht vergleichbar, aber dafür ungemein unterhaltsamer. In einem Menschen wollte sie absteigen. Sie hatte schon viele packende Geschichten von ihren Kunden gehört. Sie selbst saß in ihrem Reisebüro fest. Sehnsüchtig. Die Reisen greifbar nah und doch so fern, wie es eine Parallelwelt eben nur sein konnte. Unsterblichkeit konnte derart fad sein. Kein Entkommen. Keine Krankheit, keine Verletzung. Keinerlei Gefahr. Kein Nervenkitzel. Kein Tod. Stets dasselbe Dahintreiben im glitzernden Strom der Ewigkeit. Sie bediente Kunden. Oder sie wurde bedient. Schon immer. Für immer. Dienstleistungen waren das Brot der Unsterblichkeit. Jedes Wesen betrieb seine persönliche Dienstleistungsbranche. Philosophiekurs, Fußnagel- und Schuhpolitur, Lufthauchmassagen. Jeder erfolgreiche Auftrag ein Aer. Das Reisebüro Letum jedoch unterschied sich deutlich von den anderen Dienstzweigen. Es diente nicht dazu, die lange Zeit der Ewigkeit totzuschlagen. Aeris hatten ausschließlich den Zweck, Urlaube erkaufen zu können. Sterblichkeitstourismus. Das einzige Schlupfloch für die Unsterblichen aus der immerwährenden Ewigkeit.

„Sie treten heute Ihre Reise in einen menschlichen Körper an?“ Die elefantengroße Ratte mit Löwenkopf bejahte; dabei tanzten ihre Schnurrbarthaare im Walzertakt. „Sie haben für den Spartarif das zeitliche Überraschungspaket gebucht. Ich drücke Ihnen die Kralle, dass Sie im Mittelalter landen. Die Folter in dieser Zeit steht in prächtiger Blüte. Ein fabelhafter Genuss“, rühmte Shuka und knipste mit ihrem großen Zeh den Scheinwerfer an. „Steigen Sie in den Schatten. In wenigen Augenblicken werden Sie sich in ihrer gewünschten Unterkunft manifestieren.“ Voller Fernweh sah sie der sich langsam auflösenden Dame hinterher. Bald würde auch Shuka endlich ihre ersehnte Reise antreten.

Ihr Körper brannte vor Aufregung. 13974 Aeris. Es war so weit. Diesmal schaltete Shuka den Scheinwerfer für sich selbst ein. Sie warf ihrer Urlaubsvertretung ein flüchtiges Abschiedsschwanzwedeln hinterher und trat in den Schatten. Jede Fibrille in ihr kribbelte, sie spürte die leichte Schwere und versank. Tauchte erst wieder auf im fleischigen Meer. Sie konnte durch ihre menschliche Unterkunft alles sehen, hören, riechen. Sie spürte, was er spürte. Das Gefühl des dahinschwindenden Lebens, der Verletzlichkeit und Sterblichkeit allzeit gegenwärtig. Unmittelbar dabei. Wenn auch nur als passiver, körperloser Bewohner. Aber das trübte keineswegs ihren Genuss. Sie hatte lange gespart für diesen Körper und wie erwartet, war es für sie die höchste Beglückung.

„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ In Scharen standen sie um ihn herum, weinten Freudentränen, fielen vor ihm auf die Knie und lobpreisten ihn. Shuka besah dieses Treiben vom gemütlichen Logenplatz in ihm. Sie schmunzelte amüsiert. Dieses naive Lechzen nach Unsterblichkeit. Sie konnte es spüren. In der umstehenden Menschentraube und in ihrem menschlichen Körper. In jeder ihrer immateriellen Fasern fühlte sie es. Es erheiterte sie immens. Bald würde sie ihren so ersehnten Tod durchleben. Sie starb nie wirklich. Der Tod war bloß das Flugticket zurück. Aber die Illusion genügte. Das Sterben des Wirts gab ihr für einen Moment die Empfindung, selbst sterblich zu sein. Und sie würde diesen Moment des Todeskampfes mit einem eisernen Schloss in ihrem Inneren einschließen. Bewahren. Mitnehmen in ihre triste Ewigkeit des Seins. Als bleibende Erinnerung, die man sich in Gedanken ruft, wenn die Unsterblichkeit wieder einmal unerträglich erscheint.

„Nun wird jeder, der sein Vertrauen auf den Sohn Gottes setzt, nicht zugrunde gehen, sondern ewig leben. Ewig werdet ihr leben!“ Angesichts so viel Einfältigkeit musste Shuka wohlig warm kichern. Wenn sie nur wüssten, was Unsterblichkeit wirklich bedeutete. Das Kichern verwandelte sich in ein Lachen aus Trompeten und Pauken. Aus voller Kehle toste ihr vergnügtes Gelächter.
Hätte sie sterben können, sie hätte sich totgelacht.

 

Sehr knackige Geschichte, kommt sehr gut auf den Punkt und verschwendet keine Zeit oder Worte. Der Tonfall ist absolut passend, trocken und durchaus boshaft. Besonders dankbar bin ich für den Verzicht auf den moralischen Dampfhammer, zu dem andere Autoren am Ende sicher gegriffen hätten.

Einzig das geliehene Ohr war mir zu flachwitzig, und am Anfang ist ein doppelte Fuß drin (sprich: eine Wortwiederholung).

Ansonsten völlig zu Recht auf der Empfehlungsliste - und wenn nichts dazwischen kommt, in einer der nächsten Ausgabe des kg.de/thunderbolt-Magazins GOLEM (wer nicht weiß, wovon ich gerade rede, kann ja mal auf die Startseite schauen).

Weiter so!

Uwe
:cool:

 

Endlich habe ich es auch geschafft diese Geschichte einmal zu lesen und es hat sich sauber gelohnt.
Danke für diese geniale Geschichte! Super Idee - gekonnt umgesetzt.

 

Hallo Lona,

mir hat Deine Geschichte auch sehr gut gefallen. Sie hat so richtig schön als Ausflug (Kurzurlaub) aus meiner derzeitigen Lektüre gepasst. Ich lese zur Zeit Christopher Moore "Ein todsicherer Job", in dem auch sehr viele Fabelwesen in der Unterwelt sind.

 

Wo ich schon ma' fürs ehem. Herrchen hier auf der Plattform rumstreun: >Mist, ich dachte nicht, dass es schon so etwas Idiotisches gibt...<,

liebe Lona,

ist kein Beinbruch. Man muss und – dem schlauen Köter Sokrates von nebenan sei Dank! – kann nicht alles wissen.

Es gibt noch Bekloppteres:

Ein junger Mann hielt vor Jahr und Tag bei einem gar nicht bekloppten Vater um die Hand der bezaubernden Tochter an. Schon am anderen Tag erhielt er die Hand: fein säuberlich im Standardpaket durch die Post.

Diese kleine Eulenspiegelei stammt – man traut seinen Augen nicht – von Patricia Highsmith, und auch sie wird nicht die Mutter des beim-Wort-Nehmens sein, wie Tyll Ulenspegel nicht der Vater.

Zudem „leiht“ Shuka ja nicht nur das Ohr, sie „verschenkt“ es sogar >“ …Und wenn Sie noch heute buchen, bekommen Sie gratis die ausgesprochen modische Ohrmuschel, die sie in ihrer Pranke halten, geschenkt“<, was auch gefahrlos geht, da es wieder nachwächst.
Schön auch Uwes Zusammenhang von Ohr und doppeltem Fuß – womit wir fast wieder beim Beinbruch wären, kehrte ich nicht doch ein klein’ Bisschen die Kleinkrämerseele hervor, obwohl’s einem alten Hund wie mir vielleicht gar nicht zustünde, denn Herrchen glaubt nicht an Ewigkeit, schon gar nicht an Unsterblichkeit und mischte sich hier nie & nimmer unters Publikum, ich toter Hund jedoch weiß es auf cloud nine besser!

Selbst wenn „stets am selben Ort“ auseinandergeschrieben wird (i. S. von „stets an dem [selben] Ort“, so sollte Deine Variante >stets der selbe Ort< vielleicht doch der + selbe = derselbe lauten. Obwohl - der gleiche wäre möglich ...

Gruß

Bingos Geist

Oh, verflixt, gerade merk ich, dass der siebte Himmel nicht hoch oben schwebt, sondern hier unterm Birnbaum liegt und meine Unsterblichkeit mit Herrchens Schädedeldecke irgendwann dahingeht! Am besten, ich komm’ma’ gleich in d’ Reisebüro zu Shuka …

 

Hey Lona,

auch ich kann mich nur anschließen. Die Geschichte ist sehr charmant geschrieben, der Stil erinnert schon fast an Pratchett :)

Ich freue mich schon darauf, mehr von dir zu lesen!

Grüße, Deschain

 

Hey Lona,

Ich finde deine Geschichte einfach klasse:-) Sie ist gut umgesetzt und angenehm geschrieben.
Großes LOB!
:D
LG

 

Ich schaue erst jetzt mal wieder hier vorbei.

Ich danke euch allen sehr für eure netten Kommentare! :)

 

Hallo Lona

Kurz ein paar rezensierende Worte zu Deiner fantastisch-herrlichen Geschichte:

Das vorgeblich Reale verbindet sich gleich zu Beginn mit dem Surrealen, die Erfahrung von Tod mit dem achtbeinigen Ochsenfrosch, ein überaus köstlicher Einstieg. Schlag auf Schlag wird dann die Aufmerksamkeit des Lesers gefordert, das Verspielte feiert sich orgiastisch. Ein Reisebüro für Kurzurlaube in den Tod, eine vielversprechend sterblichkeitstouristische Abwechslung in den eintönigen Äonen der Ewigkeit, den neu geschaffenen mythologischen Kreaturen massgeschneidert angepasst. Als Steigerungsform die Niederkunft in einen menschlichen Körper, doch nicht in irgendwelchem, nein der Gekreuzigte soll es sein.

Beim Lesen verdichtet sich das Abgehobene zu einer existenzphilosophischen Parabel, Hintergründig und Mehrdeutig. Das Liebliche korrumpiert das Sadomasochistische und lässt es in sprachlich poetischer Form zu gelungener Ironie hochschwingen. Der Einbezug von Jesu als Symbolfigur religiöser Unsterblichkeit scheint mir dabei subtil und in keiner Form verletzend, doch ist er das sakrale Gefäss, welches den Gehalt der Geschichte zur Vollendung führt.

Ich habe schon lange keine solch vergnügliche Erzählung dieses anspruchsvollen Genres mehr gelesen, die ich nicht einfach beiseitelegen kann, sondern deren Analyse mich noch beschäftigen wird.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ich habe mich sehr über deinen positiven und besonderen Kommentar gefreut. Besonders, da ich eben wirklich herzlich über folgenden Ausdruck lachen musste: Jesus als sakrales Gefäß
Ich finde, es sehr schön, dass du - dies spricht jedenfalls aus deinem Beitrag heraus - Inhalt und Bedeutung genau so aufgefasst hast, wie ich es vermitteln wollte. :)

Gruß, Lona

 

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