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Das unerträgliche Quietschen meiner Katze
Katinka ist eine sogenannte Glückskatze: getigert mit rotblonden Flecken, die Füßchen, die Brust und der untere Teil des Gesichts schön symmetrisch weiß. Sie ist schon sechzehn, das entspricht ungefähr achtzig Menschenjahren, also durchaus eine alte Dame. Man sieht Katzen das Alter kaum an, sie haben ja keine Falten oder Runzeln, sie bewegen sich höchstens ein bisschen langsamer. Allerdings höre ich manchmal immer noch von draußen ein lautes Fauchen und sehe dann, wie der Farn wild hin- und hergewedelt wird. Auf mein Rufen schießt dann plötzlich eine fremde Katze hervor und rast in den Nachbargarten. Jeder Hund, der es bisher gewagt hat, unseren Garten zu betreten, ist nach kurzer Zeit wieder winselnd geflüchtet. Und hat sich bei Herrchen oder Frauchen über seine zerkratzte Nase beklagt. Ab und zu finden wir sogar noch eine tote Maus vor der Tür. Doch die meiste Zeit schläft sie, wenn ich vor dem Computer sitze auf dem Schaffell unter meinem Schreibtisch, wenn ich koche auf einem der Küchenstühle, nachts am Fußende des Bettes. Es sieht dann so aus, als ob sie nichts von ihrer Umgebung mitbekommt. Gehe ich aber in ein anderes Zimmer, kommt sie kurz danach hinterher und rollt sich dort irgendwo zusammen, das Näschen unter den Hinterpfoten versteckt. Wenn ich auf dem Sofa liege, springt sie hoch, macht es sich auf meinem Bauch oder meinen Beinen gemütlich und schubst mich so lange mit ihrem Köpfchen an, bis ich endlich ihr weiches, seidiges Fell kraule. Dann schnurrt sie laut wie eine Waschmaschine. Mit geschlossenen Augen kann ich spüren, wie sich dieses warme, wohlige Vibrieren in meinem ganzen Körper ausbreitet.
Leider ist sie immer verfressener geworden. Sobald ich mich nur einen Schritt in Richtung Küche bewege, läuft sie schon vor zu ihrem Futternapf und quietscht. Wenn sie wenigstens miauen würde, wie es sich für eine ordentliche Katze gehört. Aber nein, sie bringt nur ein langgezogenes, hohes "Iiiiiiiik" zustande. Wie ich dieses Geräusch hasse! Es ist schlimmer als ein tropfender Wasserhahn oder eines der unzähligen Gartengeräte meiner Nachbarn, die stets losrattern, nachdem ich mich gerade in den Liegestuhl gekuschelt habe! Das kann ich abstellen oder woanders hin gehen. Katinka gibt erst Ruhe, wenn ich zur Dose greife. Als Freunde uns eines Tages fragten, ob wir eine Katze oder ein Mastschweinchen hätten, haben wir alles Mögliche ausprobiert, feste Fütterungszeiten, nur Herrchen gibt ihr Futter, mit dem Blumensprüher nass spritzen. Doch es half nur kurze Zeit, dann quälte sich wieder ein unerträgliches "Iiiiiiiik" durch meinen Gehörgang.
Bis vor kurzem bin ich nachts im Dunkeln aufs Klo gegangen, ich kenne den Weg sozusagen im Schlaf und ein bisschen stelle ich mir dann immer noch vor, dass ich mich vielleicht in einer anderen, exotischen Welt wiederfinde. Aber eines Tages spürte ich an meiner nackten Ferse etwas Feuchtes, Glitschiges. Was war das denn? Ich war sofort hellwach. Die Farbe und Konsistenz der Pfütze möchte ich lieber nicht näher beschreiben, es roch jedenfalls schwach säuerlich. Meine Katze musste sich also übergeben haben. 'Kann ja mal vorkommen', dachte ich, rubbelte den Teppichboden sauber und versuchte weiter zu schlafen. Doch zwei Tage später passierte das Gleiche, es musste also etwas Ernsteres dahinter stecken als eine leichte Magenverstimmung. Also fing ich an mir Gedanken zu machen. Und knipste natürlich bei nächtlichen Wanderungen das Licht an! Wir beschlossen, ihr kein Trockenfutter mehr zu geben und noch ein paar Wochen abzuwarten. Eines Tages quietschte sie dann überhaupt nicht mehr und fraß auch nichts. Besorgt standen wir um Katinka herum. Es sah nicht so aus, als ob es ihr schlecht ginge, sie lag einfach nur apathisch auf dem Sofa. Ich dachte daran, was meine Mutter gesagt hatte, nachdem ihr Kater im stolzen Alter von zweiundzwanzig Jahren gestorben war: "Gwendolin habe ich öfter gesehen als euch. Die Kinder gehen irgendwann ihre eigenen Wege. Der Kater hat mich immer begrüßt, wenn ich nach Hause kam!"
Nicht auszudenken, was mit Katinka geschehen könnte! Bis dahin war sie immer kerngesund gewesen, von einigen Bisswunden abgesehen. Damals hatte sie weniger an ihrer Wunde als unter der Schutzvorrichtung gelitten, die sie daran hindern sollte, sich zu lecken. Die Plastikmanschette, die wie ein Lampenschirm an ihrem Hals befestigt war, war ständig irgendwo dagegen gestoßen, und sie hatte sich kaum noch getraut, sich zu bewegen. Es zerreißt einem das Herz, wenn man sieht, dass ein Tier leidet. Es versteht ja gar nicht, was mit ihm passiert. Und wenn sie jetzt ernsthaft krank werden würde, vielleicht langsam dahinsiechen, vielleicht sogar - . Mir wurde ganz flau im Magen.
Beim Tierarzt wird sie immer zu einer reißenden Bestie. Ich musste selber einmal verarztet werden, nachdem sie sich im wahrsten Sinne mit Zähnen und Klauen geweigert hatte, ihr Katzenkörbchen zu verlassen um die jährliche Impfspritze zu bekommen. Deshalb rief ich erst einmal in der Praxis an.
"Hm, so einfach kann man nicht sagen, ob es etwas Ernsthaftes ist", sagte er und ich fühlte meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. "Aber warten Sie lieber erst noch einen Tag ab. Geben Sie ihr heute ein Babyglas mit gekochtem Huhn. Vielleicht verträgt sie ihr Futter nur nicht. Probieren sie danach mal Spezialfutter für ältere Katzen aus, das ist leichter verdaulich."
Also lief ich zum Supermarkt und weiß seitdem, wie sündhaft teuer diese Gläschen sind! Wie sehr freute ich mich, als sie anfing an dem Brei zu lecken. Aber am nächsten Tag rührte sie ihn nicht mehr an und gab wieder keinen Ton von sich. Ich war kurz davor zu verzweifeln – bis ich einen Blick auf den Herd warf. Da stand noch der Rest des gut gewürzten Bratfisches vom Vortag. Jetzt war nur noch ein etwa zwei Euro kleiner Fetzen übrig und auf dem Ceranfeld waren eindeutige Spuren zu sehen. Noch nie war ich über einen Diebstahl so glücklich gewesen. Nachdem sie diesen - wirklich schwer verdaulichen - Brocken gut vertragen hatte, fing sie wieder an zu quietschen. Oh, wie ich dieses Geräusch seitdem liebe!