Das Versprechen
Eisiger Wind heulte durch die Nacht. Die Kälte drang ihr durch Mark und Bein und sie schlang ihre dünnen Arme mehr um sich, wie um sich vor der eisigen Brise zu schützen. Doch ungehindert drang er durch ihre Sommerjacke und ihre Gedanken wichen zu jenem so weit entfernten Tag.
Wärme flutete die Lichtung, genau jenen Ort, an dem sie nun so fror. Blumen reckten ihre Hälse der Sommersonne empor und das grüne Laub der Bäum raschelte leise in dem sanften Hauch, der das Land umstrich.
Entspannt lag sie auf ihrem Rücken und betrachtete, wie ein Schmetterling auf den warmen Winden schwebte und sich schließlich neben ihr auf der Brust von ihm niederließ. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und tiefes Verstehen lag darin.
Eis stürmte nun an jenem Ort. Der Schmetterling war längst gestorben, hatte sein Leben ausgehaucht, genau wie der Sommer dem Winter gewichen war.
Doch es war nicht nur Winterwetter, auch in ihrer Seele herrschte diese winterliche Leere.
Seit eben jenem Tag.
Der Blick brach nur für einen Moment, als er sich zu ihr hinüberlehnte und ihr sanft über die Lippen strich. Wärme rieselte durch ihren Körper und sie lehnte sich seiner Berührung entgegen.
„Liebst du mich?“ wollte er wissen und sie nickte langsam.
„Ja.“
„Für immer?“ Seine Stimme war sanft und warm und sie lächelte.
„Für immer.“ Ein tiefes Versprechen lag in ihren Worten und dann schloss sie die Augen. Den Kuss, den sie nun teilten, war die Besiegelung ihres Gelöbnisses und sie hatte sich nie so wohl gefühlt.
Schließlich brach dieser Kuss, doch sie beide wussten, ihre Liebe würde ewig halten. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie streckte die Hand nach ihm aus.
Ein ewiges Versprechen. Ein eisiger Windhauch riss sie aus ihren Gedanken und mit einem Schrei ging sie auf die Knie nieder. Zitternd zog sie die Beine an, bevor sie bemerkte, dass sie genau an jenem Ort kniete, an denen sie sich ewige Liebe geschworen hatten.
Weinend brach sie zusammen. Die Kälte ließ ihre Tränen noch auf ihrem blassen Gesicht zu Eis erstarren.
Ihre Hände berührten sich sachte, als etwas im nahen Gebüsch knackte. Erschrocken blickte er sich um.
„Sie sind hier!“ Die fremde Stimme hallte über die Lichtung.
Der Friede war gestört und beide sprangen auf. Rücken an Rücken standen sie da, blickten sich um. Ein leises Klirren ertönte, als er sein Schwert aus der Scheide zog.
„Flieh! Sollten wir uns verlieren, treffen wir uns, wenn vier Monde ins Land gegangen sind. Dann sollte ich alles geklärt haben.“
Unsicher nickte sie. Sie wagte es nicht zu widersprechen. Noch einmal berührten sich ihre Hände, dann hob er sein Schwert. Soldaten kamen aus dem Gebüsch und in diesem Moment rannte sie los.
„Nathan“, Ihre Stimme ging in dem eisigen Wind unter und schwach strich sie über die weiße, unberührte Schneedecke. „Vier Monde sind vergangen, doch du wirst nicht kommen.“
Sie spürte kaum, wie die Kälte ihr die Kraft aus den Knochen sog, wie sie schwächer und schwächer wurde.
Sie rannte, doch hielt noch ein einziges Mal an, um sich umzuwenden. Nathan kämpfte mit den Soldaten, doch er schien unterlegen. Seine Abwehr wurde schwächer, seine Schläge zielloser. Schließlich stolperte er und diesen Moment nutzte einer der Angreifer, um ihm das Schwert durch die Brust zu jagen.
„Nein!“ Voller Schmerz schrie sie auf und einige Vögel flatterten erschrocken davon. Ohne zu wissen, was sie tat, wandte sie sich von der Szene ab.
Es war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte. Die Trauer hatte ihr beinahe das Herz zerrissen und nun wollte sie wenigstens das Versprechen einlösen, was sie sich damals gegeben hatten.
„Nathan“, wisperte sie, bevor sie überrascht blinzelte.
Langsam schien sich seine Gestalt aus dem Sturm zu schälen. Schritt für Schritt kam er näher. Das schwarze Haar umwehte ihn und sein Umhang flatterte im Wind.
„Lydia, komm.“ Die Stimme der Erscheinung klang so real, dass sie zu ihm aufblickte. Alle Kälte war vergessen.
„Bist du es wirklich?“ Sie konnte es kaum glauben
Nathan lächelte bloß und streckte eine Hand aus. „Ja, ich bin es. Komm mit mir. Ich habe einen Ort gefunden, wo uns die Häscher nicht finden können.“
Leicht nickte Lydia und stemmte sich auf die Unterarme. Ihr fehlten sämtliche Worte, doch spürte sie, dass es so richtig war. Dann ergriff sie lächelnd seine ausgestreckte Hand.
Als sie stand, schlang er einen Arm um sie und gemeinsam gingen sie durch den tobenden Sturm, ohne jedoch die Kälte zu bemerken oder gar von ihr behindert zu werden. Schließlich verschwanden ihre Umrisse in der Ferne.
Zurück blieb nichts, außer dem leblosen Körper der jungen Frau.