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Den Blick geradeaus gerichtet

Seniors
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24.04.2003
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Den Blick geradeaus gerichtet

Er kürzte über den Friedhof ab, und bog vom linken Pfad aus in den Wald ein, der neben den Gräbern verlief.
Der Nebel von vorhin hatte sich zwischenzeitlich verzogen. Die aufgehende Sonne erhellte einen blauen Himmel, der vom baldigen Frühlingsbeginn kündete.
Nach wenigen Minuten tauchte vor ihm der verlassene Bauernhof auf. Der Weg zog eine Linkskurve, vorbei an halb zerfallenen Scheunen, und plötzlich endete der Wald.
Ein weites Feld erstreckte sich vor Richard, an dessem Ende er bereits das Firmengebäude ausmachen konnte.
Von der Idylle in Richtung Industriegebiet. Es faszinierte ihn jeden Tag aufs Neue, und wieder einmal freute er sich darüber, seinen Arbeitsplatz zu Fuß erreichen zu können.
Die Gegend war größtenteils ländlich. Nur wenige Unternehmen hatten sich auf dem kleinen Flecken angesiedelt, der so gar nicht hierher passte.
Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er noch genügend Zeit hatte. Gemächlich schlenderte er über den breiten Weg, zu dessen Seiten sich gefrorene Erde erstreckte.
Sobald der Wald hinter Richard lag, benötigte er knappe zehn Minuten, bis er auch das Feld hinter sich gelassen hatte.
Das zweistöckige Gebäude wuchs nur langsam in seinem Sichtfeld an. Ein schlichter Bau. Nicht besonders groß. Einige Büros, eine Telefonzentrale, und ein kleines Lager. Die Produktion befand sich im Ausland.
Als er die einzelnen Fenster erkennen konnte, bemerkte er auch, dass eines von ihnen offen stand. Eine Frau beugte sich daraus und wedelte aufgeregt mit den Armen herum.
Sandra.
Was wollte die denn bloß? Konnte sie ihn nicht ersteinmal in der Firma ankommen lassen?
Scheinbar nicht, dachte Richard sich, denn sein Handy klingelte, und als er es aus der Jackentasche zog, erkannte er auch sofort ihre Nummer auf dem Display.
Genervt, und jeglichem Zauber beraubt, den er noch Sekunden zuvor empfunden hatte, nahm er den Anruf an.
"Was ist denn?" - Sein Blick klebte noch immer auf der aus dem Fenster lehnenden Gestalt, die aufgrund des Mobiltelefons mittlerweile nur noch mit einem Arm wild umherschwenkte.

"Um Gottes Willen, hinter dir! Dreh dich nicht um. Lauf!"

 

Hi Cerbo,

Ich hab' im Moment so wenig Zeit, da kommen mir Geschichten in der Länge gerade richtig. :D

Kann mich Zerbröslers einhundertprozentiger Ablehnung nicht anschließen. Bei mir hat der finale Schockeffekt gesessen. Und billig ist Spiegelei auf Brot auch, zergeht aber trotzdem auf der Zunge, wenn man richtig Kohldampf hat. :)

Mmmmh ... Wie wär's mit einer Erweiterung der Thema-des-Monats-Rubrik um eine Dimension "Umfang"? So "Du hast nicht mehr als hundert Wörter um mich dazu zu bringen, meine eigene Unterhose zu ruinieren"? :hmm:

Ich muss nachdenken ...

Gruß,

Jan-Christoph

 

Hi Cerberus.

Bei mir hats auch gesessen.
Man geht bei dieser Kürze bereits mit einem negativen Gefühl heran: "Mal sehen, wie wir das Ding zerreißen können ...":D

Tja, und dann gelingt es dir tatsächlich, mit wenigen Wörtern ein angenehm dichtes Umfeld zu schaffen.

Vielleicht war es gerade das Surreale, welches die Atmosphäre schaffte:

Von der Idylle in Richtung Industriegebiet.
Dieser Satz gibt es sehr schön wieder.

Das Ende? Wow, macht mich sprachlos. Und obwohl durchaus offen, habe ich nicht das Gefühl, etwas zu vermissen.

Ich glaube, in einem derart kurzen Text etwas beim Leser zu erzeugen, schaffen nur die ganz Großen.
So, bevor ich jetzt im Schleim ertrinke: Hat mir wirklich gut gefallen!:thumbsup:

Gruß! Salem

 

Ahoi Cerberus!

Nun, wirklich eine sehr kurze, naja, Geschichte würde ich nicht sagen. Momentaufnahme eher.
Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht genau, was damit anfangen. Das Ende zerbricht die Idylle, das is fein, aber sonst ...
Vage, sag ich mal.

Gruß,
One

 

Hallo zusammen.

Ja, ich gebs zu. Diese Geschichte ist eine Fingerübung, deren Idee mir plötzlich in den Sinn kam.
Ich wollte einen kurzen Text schreiben, der einzig und allein um das plötzliche Ende herum gestrickt ist. Normalerweise bin ich selbst kein Fan solcher Geschichten, aber die Idee gefiel mir halt, und alles, was länger gewesen wäre, wäre Phrasendrescherei gleichgekommen.

 

Hi Cerberus,

irgendwie gefällt mir die Geschichte. Eigentlich stehe ich derart kurzen Werken immer sehr skeptisch gegenüber, dein Text funktioniert aber mMn.

Eine völlig normale Alltagssituation wird plötzlich und unvermittelt von "Etwas" gestört, das in die Idylle eindringt und sie zerstört. Wo die Geschichte normalerweise erst richtig beginnt, hörst du auf und lässt die Leser im Dunkeln darüber, was hinter dem Prot her ist. Und genau das macht den Reiz deiner Story aus.

Ich denke, eine durchaus gelungene Fingerübung.

LG,

Tobias

 

Sälü Cerberus,

Vorne weg: Vielleicht bin ich ja einfach ein anspruchsloses Gemüt, oder aber deine Geschichte trifft bei mir auf eine kongeniale Weise genau den richtigen (Grusel) Punkt.
Was es nun war, dass mich am Ende "Oha" denken liess, kann ich nicht genau sagen.

Du baust eine Atmosphäre auf, die als Einführung zu einer längeren Geschichte dienen könnte, wäre da nicht die Gewissheit auf das nahe Ende.

Die Wegbeschreibung hinterliess allerdings etwas komische Eindrücke.
Bist du schon mal in der Morgendämmerung in einen Wald gelaufen? Finster, sag ich nur.
Deshalb würde ich den Himmel erst nach Verlassen oder vor Eintritt in den Waldes beschreiben.
Kannst du das Bauernhaus auf eine Lichtung stellen? (So wüsste ich, aha immer noch im Wald).;)

Sobald der Wald hinter Richard lag, benötigte er knappe zehn Minuten, bis er auch das Feld hinter sich gelassen hatte.
Nur so ein Bauchgefühl: Er hatte den Wald ja bereits verlassen. Doch hier hört es sich so an, als läge der Waldrand noch vor ihm.

Mein Blick war mit deinem Prot nach vorne gerichtet, ich erwartete einen Störfall im Betrieb, die Frau am Fenster: "Komm' ja nicht näher, bleib weg. Hier ist alles verseucht." So was in der Richtung.

Doch dann:"Um Gottes Willen, hinter dir! Dreh dich nicht um."
:thumbsup:

Abgesehen von den kleinen Verwirrungsstiftern,
mir hat's gefallen.

Gruss
dotslash

 

Hallo nochmal.

Ja, wegen dem Wald war ich auch etwas unsicher. Ich meine zwar eher einen kleinen Laubwald, aber trotzdem sollte ich da vielleicht noch was ändern.

Ansonsten war es natürlich genau meine Intention, den Leser denken zu lassen, dass in der Firma etwas nicht stimmt, damit der Schlusssatz auch so richtig überraschend kommt :D

 

hi cerberus

Ein kurzer Schauder lief schon über meinen Rücken. und dann hab ich gelacht und mich gefreut, dass du sowas schreibst. Kreativitätspunkte bekommst du von mir.
und gut, dass du keine ellenlange KG ausgearbeitet hast. ich denke, so ist es schon gut, da das Ende knapp kommt und keinen hintergrund hat, braucht das die Geschichte auch nicht.

schön!

gruß

 

hatte ich schon so verstanden, lukas. mir gefällt sie auch.

nur hab ich schon einige Geschichten gelesen, wo das Ende auch so schön knallt, der Leser zuvor aber gelangweilt wird. und vor allem: unnötig gelangweilt wird!
wenn hier ausgemalt werden sollte, sollte hintergrund rein, ansonsten wäre es mir mit diesem Ende zu enttäuschend.

 

so meinte ich das, lukas.

wenn Länge, dann mit Hintergrund, was hinter dem Mann sein könnte.
Mutmassungen. das wort hatte ich gesucht. und spannende, düstere, unbehagliche Atmosphäre.

wäre schon geil!

 

Also, für mich bestand der Knalleffekt darin, dass ich eben während der Geschichte nach vorne fokusiert wurde und dann war das Unheil plötzlich hinten.
Wie sollte das denn noch funktionieren, wenn Ihr hinten die Spannung langsam aufbauen würdet?

Nur so ausm Bauch rausgefragt.
Gruss dot

 

ähm tja LUKAS!

ich fand und finde es ja auch gut so und war deiner MEinung, dass mehr schrift hier nur hinderlich wären.
Aber wenn es gut gemacht ist ...

Er geht ja, ist also in Bewegung. so könnten Sachen in seinen Augenwinkeln geschehen. offene und aufgewühlte Gräber z.B. oder halt was Kreativeres.

Oder er erinnert sich eine Sage, die über diesen Friedhof existiert, macht sich vielleicht noch drüber lustig, was ich sehr interessant fände, und fidnet eventuel kleine Indizien.

eine KG fürs Copywritespiel!?

 

Hallo zusammen.

Grundsätzlich stimme ich mit lukas überein. Wenn ich allerdings zuvor bereits einige Andeutungen gemacht hätte, könnte der Leser auf die Idee kommen: Moment mal, da stimmt was nicht, und automatisch stellt sich das Gefühl ein, der Prot. könnte verfolgt werden.
So aber soll der Leser darauf fixiert werden, dass in dem Firmengebäude etwas nicht stimmt, und sich in dem Glauben befinden, dass Sandra um Hilfe ruft.

Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare.

 

Hallo Cerberus,

Um's vorweg zu nehmen: Hat mir kein bisschen gefallen.

Weder schaffst du es irgendwie durch die Beschreibungen der Umgebungen wie Friedhof, Fabrikgebäude Atmosphäre aufzubauen, noch ist das Ende auf irgendeine Art überraschend, gruselig oder innovativ.
Anders als Lukas finde ich nicht, dass dieses Ende es Wert wäre in eine längere Geschichte eingebaut zu werden. Hört sich jetzt vielleicht hart an, aber zu diesem Dreh-dich-nicht-um-jemand-ist-hinter-dir fällt mir nur das Wort Billig ein. Sowas kennt man aus einfallslosen Teenie-Horrorstreifen.
Gab mir nichts, aber auch wirklich gar nichts...

 

Hallo Kevin.

Der Witz bei der Pointe soll aber der sein, dass der Leser nicht auf die Idee kommt, dass da jemand hinter dem Prot. stehen könnte. Bei Teeniefilmen ist das anders.
Ansonsten vertrittst du hier deine Meinung, und die werde ich nicht ändern können. Wie das halt so ist, mit den Geschmäckern.

Jedenfalls danke fürs lesen und kommentieren.

 

Hm. Ich sag's offen: Deine "Schnellschüsse", wie du sie selber titulierst, sind eher Fehlschüsse. Nicht, dass dieser Text völlig vergurkt wäre! Durchaus nicht - aber er endet genau dort, wo er Spannung aufnehmen würde. Insofern: :confused: Was bezweckst du damit? Man erzählt ja auch nicht einen Witz und hört vor der Pointe auf.
Immerhin hast du einen guten Beginn für eine spannende Horror-Story! Mach was draus.

 

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