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Der Abschied

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17.11.2003
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Der Abschied

Olaf hängte die Girlanden auf. Es machte ihm nichts, dass er heute erst gegen 9 Uhr abends zu Hause sein würde. Er, der sonst eher geschwiegen und im Stillen verharrt hatte, wollte wenigstens jetzt noch einmal anders sein. Der große Aula-Saal schimmerte im ranzig-gelben Schein der alten Zwanziger-Jahre-Leuchter, deren Lichtflecken man gegenüber am mittlerweile abgelaufenen Parkettboden zumindest noch zu erahnen glaubte. Die schlichte, mit den Jahren beigegelb gewordene Wand war zwischen ihren einigermaßen hohen und breiten, rechteckigen Fenstern mit Spruchbändern und Dekoration geschmückt. Olaf kniete auf der Bühne, deren Hintergrund jener alte, die ganze Wand bedeckende weinrote Vorhang bildete, am einen Ende des Saales, er hob ein Stück Glitzerband auf, das hinuntergefallen war. Alle anderen waren schon vor einer oder zwei Stunden gegangen - puh, jetzt war es glaub ich genug, auch für mich, dachte er sich. Er brachte seine Arbeit für heute zu einem Abschluss, schaltete das Licht aus und schloss die Tür.

Am nächsten Abend die Feier, endlich, fast alle aus der Jahrgangsstufe waren gekommen, ausgelassen und froh und erleichtert von den Strapazen der vergangenen Wochen und Monate. Olaf unterhielt sich mit Eric, auch Markus und Khalil waren anwesend, Max trug Gedichte auf der Bühne vor. Auch mit all den anderen sprachen sie, fröhlich, und man trank und lachte ausgiebig.
"Markus, wirst du hier studieren oder bleibst du auch in dieser Hinsicht deiner pfälzischen Heimat treu?" witzelte Eric. Haha, meinte Markus, dass ich nicht lache.
"Und du, Olaf, was machst du?"
Olaf schreckte für einen Moment leicht auf.
"Ich werde Mathematik studieren", gab er Eric und den anderen dann aber, nicht ohne einen gewissen Stolz, Preis.
"Mathe? Gutes Fach, mach ich auch! Oder vielleicht doch Informatik? Oder Bauingenieurwesen, du weißt, das Büro von meinem Vater..."
Olaf räusperte sich leise, und blickte mit den Augen auf die Seite.
"Kommt, lasst uns eine Rede halten an den Jahrgang", schlug Khalil euphorisch vor.
Nee, nicht wirklich oder?, regte sich Olaf im Stillen auf, doch er sagte diesmal nichts. Max hatte gerade sein letztes Gedicht beendet, ein wenig pathetisch, ein wenig zeitkritisch, wie immer eben. Unter dem noch nicht verhallten Applaus ihres Vorredners betraten die vier die Bühne. Beim Abgang sagte Max noch:
"Und hier seht, die vier süßesten Jungs unserer Schule erweisen uns die Ehre!".
Dass er mitgekommen war, bereute Olaf, spätestens als die Stimmen aller anderen drei verstummt waren und eine Stille den Raum erfüllte, die in Form von gespannten und neugierigen Augenpaaren aus allen Richtungen ihn zu zerdrücken versuchte. "OK eh, ich freue mich, durch meinen Einsatz euch heute diese Feier ermöglichen zu können, es war eine schöne Zeit mit euch allen, und deshalb habe ich mich auch so bemüht, und was ich noch sagen wollte, ihr wart alle eine große Unterstützung für mich, besonders dann auch Khalil und ... Markus, hehe, die mit ihrem Wissen aus fernen Ländern meinen Lebensalltag bereichert haben, dann auch Eric, mit dem ich immer so toll Games zocken konnte, und Max mit seinen tollen Aufsätzen, wo ich immer abschreiben durfte, hehe, jaja, wie wir immer auf dem Lichthof im zweiten Stock Karten gespielt haben, oder in der Elektro-AG, wo wir die Netzteile geschrottet haben, war schon geil so, ja." Der Saal brach (wie eigentlich bei allem, was heute auf der Bühne verabreicht wurde), in tosenden Applaus aus, Khalil flüsterte ihm über die Schulter lachend ins Ohr:"Hast du gut gemacht!", und Markus: "Ja, aber das mit den fernen Ländern verzeihe ich dir nicht, gell, haha!". Langsam löste sich auch die Spannung in Olafs Gesicht, seine sonst blassen Backen erröteten leicht, sogar ein bescheidenes Lächeln erschien.


Jahre vergingen, in denen Olaf ausgiebig in das Studien- und Berufsleben eintauchen durfte, oder, besser gesagt, musste. Zwar lebte er mittlerweile schon wieder in der Stadt, hatte aber nie Zeit gefunden, seine alte Schule oder seine Schulkameraden, welche nach dem Abschluss in alle Himmelsrichtungen verschwanden, zu besuchen. Erst als es darum ging, für seine Tochter ein passendes Gymnasium auszuwählen, machte er sich eines Abends auf den Weg zu jenem alten Schulhaus, das einst seins gewesen war. Die alte Aula war bereits vor mehreren Jahren aufgegeben worden, an ihrer Stelle hatte man neue Unterrichtsräume gebaut. Die neue Aula, in der die Informationsveranstaltung stattfinden sollte, war ein hochmoderner Akustiksaal in einem neuen Anbau der Schule, mit moderener Lichtanlage hell beleuchtet, schneeweiß gestrichen, blank gewachster Parkettboden und Wandvertäfelungen aus edelstem, aber avangardistischem Holz. In den Ecken prangten teure, hochleistungsfähige Lautsprecher, wie Olaf sofort erkannte, und aus dem Boden ragten futuristische Lüftungsanlagen aus silbernem Metall. Mitten in den Sitzreihen bemerkte Olaf plötzlich Max. Zugleich bemerkte dieser auch ihn und grinste ihn verschmitzt an.
Ja, ja, Olaf, du altes Haus! - "Hi Max".
Von ihm erfuhr Olaf, dass Khalil nun in Pakistan als Dolmetscher arbeitete und Markus bei einem großen Autokonzern in seiner pfälzischen Heimatstadt Anstellung gefunden hatte.
"Ja, und Eric?" - Eric, der ist in die Theologie gewechselt. Toll, nicht?
Was aus Max selbst geworden war, brauchte Olaf nicht zu Fragen. Erst kürzlich hat er in einem Schaufenster Max' neuesten Roman unter den Bestsellern entdeckt.

Und du, Olaf, was machst du?

"Ich, ich vermisse es."

 

Hallo PDCR!

Das Ende deiner Geschichte hat mich etwas überrascht. Olaf kommt mir die ganze Zeit zuvor eher wie ein Außenseiter vor, der abseits steht und gar nicht mitwirkt. Er scheint seine Klassenkameraden nur zu beobachten, kaum mitzumischen. Deshalb wundert mich das Ende.
Dein Stil gefällt mir ganz gut, denn du schreibst schön flüssig. Nur die ersten Sätze finde ich zu lang. Durch die vielen Kommata wird das Lesen irgendwie anstrengend und die Sprache wirkt nicht ganz so flüssig. Das hat sich nach dem ersten Abschnitt aber gelegt.

Viele liebe Grüße,
Sonja

 

Hallo Trixi,

vielen Dank für die Kritik!
Olaf ist zwar eine Art Außenseiter bzw. ein eher passiver Mensch, doch es sollte auch von Anfang an eine Wendung, ein Wille zur Veränderung angedeutet werden. Dementsprechend der Schluss.

Viele Grüße

PDCR

 

hallo pdcr,

das beste zuerst. der erzählsstil ist wirklich gut. du gehst gekonnt mit den sätzen um.

dazu aber meine fragen zum inhalt. was ist die handlung? verabschiedung und wiedersehen nach einigen jahren? das ist aber etwas dürftig. du schreibst eine kurze abfolge von der verabschiedung, schneidest einige erlebnisse an, lässt den olaf dazu keine besondere wertung abgeben (bis zum schluss natürlich)- und das wars dann. bei deinem guten erzählstil hast du es wirklich geschafft, dass ich mich langweile beim lesen. keine spannung, kein humor - nichts. es ist nicht einmal eine besondere momentaufnahmen, denn dafür wurde auch zu wenig erzählt.

es tut mir leid

barde

Der große Aula-Saal schimmerte im ranzig-gelben Schein der alten 20er-Jahre-Leuchter,

schreibe 20er ruhig aus

die ganze Wand bedeckende weinrote Vorhang bildete,

hinter "bedeckende" ein komma

puh, jetzt war es glaub ich genug, auch für mich, dachte er sich.

vor "glaub" und hinter "ich" jeweils ein komma

 

Lieber barde,
danke für deine ehrliche Kritik. Die formalen Punkte habe ich verbessert.
Ich denke, es ging nicht nur "einfach" um Verabschiedung und Wiedersehen nach einigen Jahren.
Im Folgenden möchte ich eine Gedanken äußern, die ich beim Schreiben hatte - oder gehabt haben könnte. Man kann den Text sicherlich auch anders lesen...
Ich wollte auch das Verhältnis Olafs zu einen Mitschülern andeuten, das irgendwie zwischen Oberflächlichkeit und Verbundenheit schwankt. Zumindest aber verhält er sich nach außen hin lange Zeit passiv, obwohl er innerlich die Zeit mit den anderen teilweise sehr intensiv miterlebt. Er hat auch Vorbehalte gegenüber den anderen, wie z. B. die "Angeberei" Erics, was ihn aber eher zu seiner Passivität anstatt zur Meinungsäußerung bewegte. Am Abend des Abschieds jedoch - und schon im Vorfeld - will er endlich etwas wagen. Ist aber diese "Befreiung" aus der Passivität an einem solchen wichtigen Zeitpunkt geglückt, oder hat man ihm doch nur so euphorisch zugeklascht, weil man das immer so macht? Und seine Freunde, hat sie seine Offenheit beeindruckt, oder war das freundliche Lob doch nur eher oberflächlich? Genau das aber kann Olaf nicht mehr herausfinden, denn es war eben der letzte gemeinsame Abend.
Der Abschied, dieser besondere Moment, hat ihn also einerseits zu seiner Öffnung bewegt, ja gedrängt, gleichzeitig aber ein Ergebnis dieser Öffnung, die "Früchte" seines Mutes, unmöglich gemacht. Oder doch nicht?
Olaf bleibt also die ganzen Jahre in Unsicherheit.
Am Schluss jedoch lässt er sich doch von seinem Gefühl mitreißen und äußert sich überraschend sehr spontan - ist das nun das lange verhinderte "Ergebnis" des Abschiedsabends, die Bestätigung seiner damaligen Wandlung? Ist es der krönende Rückblick auf besondere, in der Gemeinschaft intensiv erlebte Zeit, die ihn für sein Leben prägte? Oder werden Olaf und Max gleich darauf wieder zum banalen Gespräch übergehen, und diese Äußerung war (wieder?) nur ein unwichtiger Tropfen, der auf dem heißen Stein verpufft?

 

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