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Der Affenbrotbaum
Für Ismael
Die Kalaschnikow auf seinem Rücken war schwer, aber die eigentliche Last, die er trug war jene auf seinem Herzen. Weit weg von seiner Frau und seinem sechsjährigen Sohn, hatte man ihn zum Einsatz als UN – Soldat in den Kongo geschickt, wo es nun galt den Frieden zu erhalten. Er hatte sich gemeldet, um im Namen der Menschlichkeit eine Idee zu verteidigen, die ihm immer fremder wurde. Welcher Stamm welchen bekämpfte, war ihm auch nach drei Monaten Aufenthalt noch nicht klar geworden und so hatte er die Mühe aufgegeben zu verstehen, wofür er sich einsetzen sollte. Ideen blieben Ideen, abstrakt und nicht nachvollziehbar. Es waren Ideen, um die gekämpft wurde, Ideen, die ihn zu der Entscheidung gebracht hatten, in den Krieg zu ziehen.
Jetzt verabscheute er Ideen. Ideale. Gedanken. Alles, was sich in seinem Kopf abspielte.
Das Leben war mühsam, aber bisher war es noch nicht zu einem militärischen Eingriff gekommen. Das hieß für ihn, dass er recht viel Zeit hatte, sich Gedanken zu machen und Ideen zu bilden. Das machte die Sache noch mühsamer.
Mit seinen Truppenkameraden verbrachte er die Tage mit Kartenspielen, geredet wurde nur das Nötigste, ein Austausch von Information, aber dabei blieb es meist. Allenfalls teilte er mit ihnen das Schicksal dieser Mission, was höchstens ein Grund für oberflächliche Kameradschaftlichkeit war. Es war schwül und stickig, die Fliegen setzten sich an seine Augenränder, um die salzige Flüssigkeit zu trinken, denn für sie gab es ansonsten nicht viel Nahrhaftes. Allenfalls das Klima, das so unterschiedlich zu der Kühle in seiner Heimat war, hielt ihn vom zu viel denken ab.
Plötzlich waren Schüsse aus der Richtung des Wachposten zu hören – Milizen griffen das Camp an. Der Moment war gekommen, es durfte keine Zeit verloren werden. Maschinengewehre wurden aufgeschultert, die blauen Helme mit dem friedensverheißenden Symbol der Weltkugel, die von einem Lorbeerzweig geschmückt war, aufgesetzt.
Mit Geschick und Geschwindigkeit robbte er neben seinen Kameraden durch das hohe Elefantengras, um sich dem Angreifer zu nähern – so hatten sie es alle in der Ausbildung gelernt.
Jetzt wurde ihm immer klarer, was er sonst erfolgreich mit anderen Ideen überdecken konnte: Er war ein lebendiger Puffer der herauszögern sollte, was nur durch gegenseitiges Töten heraus zu zögern war. Angst ergriff ihn, wie er sie vorher nicht gekannt hatte. Sie würgte ihn, ließ ihn am ganzen Leib zittern. Bilder von erschossenen Kindern durchstachen seine Gedanken. Er versuchte sich zu konzentrieren, aber sein Körper hielt ihn davon ab, so zu handeln, wie er es gelernt hatte.
Als er einen ausgehöhlten, riesigen Affenbrotbaum ganz in seiner Nähe sah, zögerte er nicht lange, rannte geduckt auf diesen Zufluchtsort zu, den die Natur in ihrer Freigiebigkeit für ihn dort bereitgestellt hatte und kroch in sein Inneres. Er war gerettet! Hier fühlte er sich so geborgen, wie schon lange nicht mehr. Es war als umhüllte der Baum mit seiner dicken Rinde nicht nur seinen Körper sondern gab ihm durch und durch das Gefühl von Geborgenheit, als befände er sich in einem Mutterleib. Er lauschte noch eine Weile, ob die Schüsse näher kämen und schlief dann ein. Als er erwachte, war es Nacht, aber die Stille in der afrikanische Steppe war ihm behaglicher, als das unruhige Schnarchen seiner Gefährten in dem Bettenlager. Er verharrte noch bis zum frühen Abend des nächsten Tages in seinem Zufluchtsort. Dann trieb ihn die Sorge, man könnte ihn tot melden, dazu, aus seinem Versteck zu kriechen.
Er bedankte sich bei dem Baum – es erschien ihm selbst lächerlich, denn früher hätte er dies nie getan. Doch andererseits fühlte er sich sehr wohl dabei und es war fast selbstverständlich für ihn, seinen Lebensretter in Gedanken in die Arme zu nehmen.
Er trennte sich von dem Baum und ging in Richtung des Lagers. Je näher er kam, desto stolzer war er, dass er sich nicht dem Kampf gestellt hatte. Er wollte nicht mehr kämpfen und er wußte, der Baum hatte ihm gelehrt, dass ihn niemand zu etwas zwingen konnte. Als anständiger Soldat hätte er sich schämen sollen. Ein anständiger Soldat sammelt Medaillen.
Mußte er seinen Kameraden wegen zur Verteidigung ein Gewehr in die Hand nehmen? Nein, denn auch sie waren eigentlich zum Erhalt des Friedens gekommen. Er merkte, wenn den Milizen mit den gleichen Mitteln geantwortet wird, verstärkte man nur ihre Idee von gut und böse.
Friede musste neutral sein.
Oder hatte ihn der Affenbrotbaum etwa nach seiner Herkunft gefragt?