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Der Alte und der Acker und der Todeswalzer

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24.08.2006
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Der Alte und der Acker und der Todeswalzer

Im Lichte eines blutroten Sonnenuntergangs längst vergessener Zeit sah ich am Horizont einen alten Mann. In seiner einen Hand hielt er eine Art Ast, mit dünnen schwarzen Spitzen, einem Gartenrechen gleich. Ich sah genauer über den Acker: der Alte humpelte, gerade noch erkennbar in der Ferne. Auf und ab schob sich sein Körper. Über und unter der schmalen glitzernden Linie des Horizontes zeichnete er sich ab: klein und gewichtig.
Schwere Wolken zogen zielsicher heran, verteilten sich tief und schwarz unter dem vorher feinen Sternenlicht. Industrieschwarze Figuren, musiknotengleich, tanzten still im Himmelsraum, tanzten unter dem schwarzen Drohenden.

Bilder unterschiedlicher Größe und Transparenz erschienen nun. Vorwärts drehten sie sich, vorwärts, seitwärts und rückwärts. Mir wurde schwindelig vom Hinschauen. Ich sah Bilder mir unbekannter Menschen, sah alte Zähne, welke Haut, erloschene Augen. Münder klappten leblos auf und zu. Licht flackerte über den schwarzen Wolken, gleich Kerzenschein finsterer Höhlen. Ich sah große graue Falten in wachsgelber Haut. Der verblühte Lebensglanz hinterlies einen bittersüßen Geschmack auf meiner Zunge. Wildrosen tauchten auf, stiegen himmelwärts.
Ein dunkler Vogel flog an mir vorbei, streifte mich. Ich spürte seine Federn kratzend an meinem Hals.

Da, ganz leise erst, dann lauter, rauschte ein Musikkarussell heran. Laut und lauter wurde die Musik. Sie durchwebte den Raum mit Mächtigkeit. Der Walzer berauschte mich, er entsetzte mich zugleich. Kreischend, quietschend, warm, so klang er.

Ich riss mich zusammen, sah wieder auf den Alten. Auch er hielt die Hand an ein Ohr und schaute in den Himmel. Er schüttelte seinen Kopf, als verstünde er nicht, was da passierte. Da geschah es. Ganz plötzlich spürte ich des Mannes tiefste Not, fühlte grenzenlose Furcht aus seinem Herzen über den Acker rollen und sich ausbreiten. Der kreischende Walzer hatte den Alten eingeholt. Eine Zeitlang stand er über ihm und umsauste nur seinen Kopf. Ein rauschendes Brausen erfüllte die Luft. Aus des Alten Schädel traten langsam seine Augen, klein, rund und weiß, wie große Perlen. Da wurde er dann ganz vom Walzer erfasst und hochgerissen. Ganz oben in der Luft war er nun und sauste wie ein Käfer in weiten, schwingenden Kreisen um eine unsichtbare Achse. Wie ein kleiner, krabbeliger Käfer, dachte ich. Er drehte und drehte immer weiter und schneller im Kreis. Sein Körper zog sich dabei bald in die Länge und sein Kopf schrumpfte. Mit offenem Mund sah ich, dass er sich langsam in eine Musiknote verwandelte. So schwarz und dünn . . . und ganz oben war nur noch ein kleines schwarzes Köpfchen.

 

Hallo Covellin,

Ich sah genauer übern Acker
"...über den Acker" wäre hier wohl günstiger, da das umgangssprachliche "übern" nicht zu deinem sonstigen Stil passt.

Ich sah große graue Falten in welker Haut.
Hier bringst du die "welke Haut" zum zweiten Mal, das ist ungünstig.

So wie ich deine Geschichte verstanden habe, handelt es sich bei dem Walzer um eine Erscheinungsform des Todes, der kommt um den Alten zu holen. Das ist zwar inhaltlich letztlich nichts völlig neues oder tolles, da dein Stil mir aber insgesamt ziemlich gut zusagt, hat mir auch der gesamte kurze Text gefallen. Vielleicht habe ich aber auch versteckte Andeutungen oder dergleichen überlesen, die dem Ganzen einen völlig anderen Sinn geben, denn einige Einzelheiten erschließen sich mir nicht ganz. Was hat es zum Beispiel mit dem Rechen auf sich?


Gruß,
Abdul

 
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Hallo AbdulAlhazred,

schönen Dank für deine Tipps erstmal. Das mit dem "übern Acker", da wollte ich dem Text eine etwas einfachere Note geben, aber es stimmt wohl, für den restlichen Text würde es nicht passend klingen.

Anstatt "welk" (hast auch hier recht, das passt nicht) würde ich jetzt lieber "wachsgelb" einsetzen, das würde zu den Bildern besser passen, denke ich, sprachlich und optisch.

Du lieber Himmel, der Rechen, ja! Der Text hat schon sehr viele Änderungen von mir hinter sich; er entstand aus einem Gedicht und das wurde aus einem Lied der Amelie-CD geboren.
Ursprünglich hatte der Alte nur einen Ast, eine Art Wanderstab, nun soll es ein Rechen eines Bauern sein. Beim Lesen kam mir aber auch die Assoziation zu einem Teufel. Es würde beides passen, denn der Bauer ist letztlich einer, der anderen mit Bauernschläue das Land nahm, auch wenn das jetzt nicht mehr herauskommt.

Dass es häufiger schon mal ein Todeskarussell gab, war mir nicht bewusst, manche Themen sind wohl sehr menschlich und deshalb häufiger. Ich hätte den Gegenstand aber trotzdem genutzt, denn das war nun mal die Inspiration.

Schön, dass dir die Schreibstimme gefallen hat, sie stand für mich schon mit im Vordergrund.

Schönen Gruß
covellin

 

Covellin schrieb:
Dass es häufiger schon mal ein Todeskarussell gab, war mir nicht bewusst,

Das will ich auch gar nicht gesagt haben, es ging mir mehr darum, dass die Gestalt des Todes im Vordergrund einer Geschichte steht. Das Karussell dürfte schon neu sein.

 

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