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Der Alte und der Acker und der Todeswalzer
Im Lichte eines blutroten Sonnenuntergangs längst vergessener Zeit sah ich am Horizont einen alten Mann. In seiner einen Hand hielt er eine Art Ast, mit dünnen schwarzen Spitzen, einem Gartenrechen gleich. Ich sah genauer über den Acker: der Alte humpelte, gerade noch erkennbar in der Ferne. Auf und ab schob sich sein Körper. Über und unter der schmalen glitzernden Linie des Horizontes zeichnete er sich ab: klein und gewichtig.
Schwere Wolken zogen zielsicher heran, verteilten sich tief und schwarz unter dem vorher feinen Sternenlicht. Industrieschwarze Figuren, musiknotengleich, tanzten still im Himmelsraum, tanzten unter dem schwarzen Drohenden.
Bilder unterschiedlicher Größe und Transparenz erschienen nun. Vorwärts drehten sie sich, vorwärts, seitwärts und rückwärts. Mir wurde schwindelig vom Hinschauen. Ich sah Bilder mir unbekannter Menschen, sah alte Zähne, welke Haut, erloschene Augen. Münder klappten leblos auf und zu. Licht flackerte über den schwarzen Wolken, gleich Kerzenschein finsterer Höhlen. Ich sah große graue Falten in wachsgelber Haut. Der verblühte Lebensglanz hinterlies einen bittersüßen Geschmack auf meiner Zunge. Wildrosen tauchten auf, stiegen himmelwärts.
Ein dunkler Vogel flog an mir vorbei, streifte mich. Ich spürte seine Federn kratzend an meinem Hals.
Da, ganz leise erst, dann lauter, rauschte ein Musikkarussell heran. Laut und lauter wurde die Musik. Sie durchwebte den Raum mit Mächtigkeit. Der Walzer berauschte mich, er entsetzte mich zugleich. Kreischend, quietschend, warm, so klang er.
Ich riss mich zusammen, sah wieder auf den Alten. Auch er hielt die Hand an ein Ohr und schaute in den Himmel. Er schüttelte seinen Kopf, als verstünde er nicht, was da passierte. Da geschah es. Ganz plötzlich spürte ich des Mannes tiefste Not, fühlte grenzenlose Furcht aus seinem Herzen über den Acker rollen und sich ausbreiten. Der kreischende Walzer hatte den Alten eingeholt. Eine Zeitlang stand er über ihm und umsauste nur seinen Kopf. Ein rauschendes Brausen erfüllte die Luft. Aus des Alten Schädel traten langsam seine Augen, klein, rund und weiß, wie große Perlen. Da wurde er dann ganz vom Walzer erfasst und hochgerissen. Ganz oben in der Luft war er nun und sauste wie ein Käfer in weiten, schwingenden Kreisen um eine unsichtbare Achse. Wie ein kleiner, krabbeliger Käfer, dachte ich. Er drehte und drehte immer weiter und schneller im Kreis. Sein Körper zog sich dabei bald in die Länge und sein Kopf schrumpfte. Mit offenem Mund sah ich, dass er sich langsam in eine Musiknote verwandelte. So schwarz und dünn . . . und ganz oben war nur noch ein kleines schwarzes Köpfchen.