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Der alten Kameraden freie Republik
Bin mir nicht ganz sicher, ob ich in dieser Rubrik richtig bin...urteilt selbst...
Der alten Kameraden freie Republik
Im Palast des Präsidenten der Republik San Cristobal gab es ein Atrium mit einem Rosengarten, in dessen Zentrum eine ovale Fläche aus schlichtem, hellem Verbundstein angelegt war.
Auf dieser Fläche stand ein runder Tisch aus dunklem Ebenholz, von sieben Hockern umringt.
Dies war der Tagungsort des Rates der Sieben, der eigentlichen cristobalischen Regierung.
Pepe Criado deckte in seit fast dreißig Jahren geübter Sorgfalt den Arbeitstisch.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er seinen Herrn, der im Eingang zum Atrium stand und nachdenklich eine Münze mit dem eigenen Konterfei betrachtete.
Don Donaldo glich nicht mehr vollkommen den Standbildern, die man in der ganzen Republik finden konnte.
Der Ansatz des einst vollen, blonden Haares war merklich gen Kopfmitte gewandert. Das charismatische Leuchten der blauen Augen des Präsidenten war noch dasselbe wie vor dreißig Jahren, als er den blutigen Bürgerkrieg beendet hatte.
Das Gesicht aber war von tiefen Falten durchfurcht.
Don Donaldo sammelte sich und trat in das Atrium.
Im Vorübergehen klopfte er Criado auf die Schulter, dann nahm er Platz und begann, die ausgebreiteten Unterlagen zu studieren.
Im Eingang erschien eine riesige, aber gebeugte Gestalt mit einem wilden grauen Haarschopf.
Zwei junge Studenten stützten Professor Erudito.
Ächzend ließ sich der Gelehrte nieder und griff nach einem Glas, das der alte Diener wie immer mit frischer Ziegenmilch gefüllt hatte.
Die beiden jungen Helfer zogen sich respektvoll zurück.
„Donaldo“, brummte Pius und prostete Donaldo zu, der stumm nickte.
Eine andere Stimm klang vom Eingang her.
„Sei gegrüßt, Vater des Vaterlandes!“
Der drahtige, weißhaarige Mann in der schwarzen Uniform, der nun das Atrium betrat, zelebrierte solche Phrasen, weil es schlicht seiner Natur entsprach.
„Vito, alter Freund, setz dich einfach“, sprach Donaldo mit einem Kopfschütteln. Innenminister Vito gehorchte wortlos.
Ein Stimmengewirr erklang aus dem Haus. Criado wusste, dass nun Julio Piscator nahte, der Vorsitzende des Senats, dessen sonore Rednerstimme alles übertönte.
Umringt von einem Pulk hektischer Sekretäre erreichte der kleine, magere Senator mit dem ergrauten Lockenkopf das Atrium, schleuderte Anweisungen in alle Richtungen, um die umher schwirrenden Assistenten schließlich zu entlassen.
Piscator eilte mit ausgebreiteten Armen zum Tisch.
„Donaldo, mein Freund!“ Ein Schulterklopfen hier, ein anderes dort… „Liebe Freunde! Alte Kameraden!“
Criado wusste, dass damit die Runde für den heutigen Tag vervollständigt war.
General Paulo befehligte die Präsidialgarde im Dschungelkampf gegen die marxistischen Rebellen, und Außenminister Simplio bettelte zurzeit in Washington um Unterstützung. Beide waren unabkömmlich.
Der siebte Sitz hingegen war seit acht Jahren vakant, seit jenem unheilvollen Tage, da der beste Freund des Präsidenten, der Indio Pablo Verenez, bei einem Terroranschlag ein grausames Ende gefunden hatte.
Die rechte Terrorgruppe der Ultras hatte bestialisch unter den Ureinwohnern gewütet.
Der alte Diener näherte sich der Runde, um Getränke nachzuschenken.
Der Präsident saß aufrecht, die Hände auf dem Schoß gefaltet und lauschte dem auf ihn einredenden Senator.
„Der Senat ist ungehalten, Donaldo. Man unterdrücke die Indios, heißt es. Es sei Unrecht! Ja, so reden sie.“
„So wählt doch einen neuen Vertreter der Indios“, wandte Vito ein und nippte an seinem Wasser. „Schwatzt nicht, handelt!“
Der Professor lachte und verschluckte sich an seiner Milch.
„Blödsinn“, krächzte er hustend. „Analphabeten und Halbwüchsige. Wen soll man da wählen?“
„Es ist zum Verzweifeln“, lamentierte der Senator. „Die Menschen sind nicht reif für …“
Donaldo pochte kurz auf den Tisch, und das Gespräch verstummte.
„Das Problem ist ein anderes“, sagte er mit leiser, aber durchdringender Stimme. „Wir alle haben zusammen in der Freiheitsbewegung gekämpft. Diesen Platz aber…“ Er deutete auf den seit Jahren leeren Sitz am gegenüberliegenden Ende des Tisches. „…wird jemand einnehmen, der die alten Zeiten nicht erlebt hat, der einer anderen Generation angehört.
Unsere Furcht davor hält den Sitz vakant. Schluss damit!
Ich lasse das Wahlmännergremium zusammenrufen, um neue Senatoren zu wählen, und wenn es halbe Kinder sein werden. Sie haben sich das Recht dazu mit dem Blut ihrer Väter erkauft!“
Der Professor schnaubte. „Das ist sehr gut…“
„Genau“, bekräftigte der Senator. „Schön, dass du es selbst ansprichst.“
Der Präsident schaute erstaunt von einem der alten Gefährten zum anderen.
Piscator wedelte aufgeregt mit den Händen. „Donaldo, es ist Zeit an die nächste Generation zu denken. Und schau, du bist jetzt bald 60 Jahre alt und noch immer ledig… Ja, ich weiß, du bist mit dem Amt verheiratet und willst keiner Volksgruppe durch eine Ehe Vorteile verschaffen, aber…“
„Wenn es an der Zeit ist, wird das Volk meinen Nachfolger wählen“, donnerte der Präsident sichtlich ungehalten.
„Es wird keine Wahl geben“, klang Vitos monotone Stimme auf.
Der Präsident fuhr wütend herum. „Du fällst mir in den Rücken? Und damit der Verfassung? Warum wohl habe ich dich damals eingesetzt als Innenminister, als Oberbefehlshaber der Polizei? Zum Schutze unserer Freiheit!“
Der Minister zog ein Schriftstück aus seinem Anzug und breitete es vor dem Präsidenten aus.
„Im Einvernehmen mit dem Befehlshaber der Streitkräfte, dem Senat und den Staatsministern überreiche ich Euch eine von allen Anwesenden unterzeichnete Forderung zur künftigen Regelung Eurer Nachfolge.“
Der alte Diener Criado verschüttete vor Schreck zum ersten Male seit Jahren Wein, doch niemand beachtete ihn und den sich auf den Unterlagen ausbreitenden roten Rebensaft.
Der Präsident erbleichte und rang nach Worten, was Criado auch noch erlebt hatte.
„Donaldo“, sagte der Senator hastig.„Wir möchten dir nur vorschlagen, schon jetzt Nachfolger aufzubauen, damit es im Falle des Falles… keine Unruhen gibt.“
„Ohne erwartete Perspektive werden sich die Volksgruppen wieder die Schädel einschlagen“, bekräftigte Vito.
„Das ist Diktatur“, stöhnte Donaldo.
Der Professor stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Donaldo, mein Junge! Denk nach. Die Söhne deines Bruders! Sie sind von deinem Blute. Und das Volk wird eine Wahl haben… Einer von zweien… Es ist nur gut für die Menschen.“
Don Donaldo erhob sich, schritt von einem Rosenstock zum nächsten, betrachtete die Blüten und dachte nach.
Schließlich seufzte der Präsident, fasste seinen überraschten alten Diener bei den Schultern und blickte ihm tief in die Augen. „Alter Junge, gibt es eine Wahl?“
Criado hielt dem stahlblauen Blick stand. Er schluckte.
„Herr, die Leute haben Angst vor dem Neuen. Aber die Jungs tragen den Namen Donaldo…“
Der Präsident wandte sich dem wartenden Rat zu. „Ihr habt es gehört, Freunde, so soll es sein… Zum Schutze der Freiheit.“
Hinter einem mannshohen Strauch safrangelber Rosen drängten sich zwei kleine Gestalten.
Die eine war schlank, beinahe dürr. Blaue Augen lugten durch ein tief in die Stirn fallendes Gewirr ungekämmter dunkler Haare. „Wenn die weg sind, probier ich das aus. Ich wette Ebenholz ist nicht härter als anderes.“ In der Hand des Knaben blitzte ein Schnitzmesser.
Der zweite Junge war etwas kleiner, aber kräftiger. „Lass uns was essen. Das ist langweilig. Die reden, reden, reden. Ich will lieber Süßigkeiten.“