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Der Angler

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15.10.2005
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Der Angler

Es war ein sonniger Tag, als Thomas in seinem kleinen Ruderboot sitzend die Angelrute auswarf. Mit einem dumpfen Plätschern fiel der Köder ins Wasser, kleine Wellen zogen sich kreisförmig um die Aufschlagstelle. Thomas lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er lauschte dem ruhigen Wind, der durch die Bäume des am See nahegelegenen Waldes schlich, den singenden Eisvögeln auf den Ästen und dem Fließen des kleinen Baches, dessen Wasser sich in den riesigen See ergoss. Er war mit der Welt im Reinen. Die Erinnerungen an die letzten Monate waren tief in den Schubladen seiner Gedanken verschollen, als wäre all das nie passiert. Du bist ein Meister im Verdrängen, Thomas, hatte Elisabeth einmal zornig zu ihm gesagt, doch im Moment war er sehr froh über diese Gabe. Während der Angler tief in seine Gedanken versank und dabei längst vergessenen Schubladen öffnete, setzte sich das kleine Boot von einer seltsamen, unsichtbaren Strömung geführt in Bewegung.

Thomas war nicht nur ein Meister im Verdrängen, sondern auch in seinem Beruf. Leider ist solch ein Meistertitel heute kaum noch etwas wert, wie er schmerzlich feststellen musste. Erst hatte er als Folge der Finanzkrise, die das Unternehmen, das ihn beschäftigte, langsam verschlang, immer weniger verdient, und am Ende wurde er, der sein halbes Leben dort gearbeitet hatte, vor die Tür gesetzt. Von Maschinen ersetzt, die mit ihrem Lärm einen Menschen bis in den Wahnsinn treiben konnten. Hier aber herrschte kein Lärm, der See war ruhig, beruhigend. Thomas, die Angel fest in der Hand haltend, schlief langsam ein. Ein Plumpsen im Wasser rüttelte ihn wieder wach. Thomas öffnete die Augen, schlaftrunken versuchte er die Ursache des Geräusches ausfindig zu machen. Er drückte seine Hand an den Griff, doch seine Finger gingen durch ihn hindurch. Er blickte verwirrt umher, bis er die Rute schließlich nicht weit von ihm im Wasser treibend fand. Sie hat sich befreit und ist auf und davon, dachte der Angler, dessen Angel sich immer weiter von ihm entfernte. Auf und davon, genau wie Elisabeth, kam es ihm plötzlich in den Sinn, doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder.

Seine Frau hatte es nicht mehr ausgehalten, anfangs stritten sie nur, meist weil Thomas spät und betrunken heim gekommen war, aber als er ihr beichtete, dass sie es finanziell nicht mehr schaffen würden, und Privatinsolvenz anmelden müssten, packte sie ihre Sachen und verschwand mitsamt ihrem kleinen Sohn. Während Thomas noch seinem Auto, seinem Haus und seiner Familie hinterher trauerte, hatte sie bereits einen anderen, einen, der Geld, ein Haus und ein viel teureres Auto hatte, als sich Thomas jemals hätte leisten können. Und jetzt bleibt mir nicht mal mehr meine alte Angel, dachte der Mann, der alles verloren hatte, nur weil er sein Leben lang blind gewesen war. Das kleine Ruderboot war mittlerweile von der Strömung an die tiefste Stelle des Sees geführt worden, dessen Grund bisher noch kein Mensch gesehen hatte. Zumindest keiner, der später davon erzählen konnte.

Thomas bemerkte endlich, wie weit er von seinem eigentlichen Angelplatz abgetrieben war. Seine Angel konnte er nirgendwo mehr sehen. Verdammter Mist, brummte er. Es pochte in seinem Schädel, und der Gesang der blauen Vögel auf den Ästen und das Rascheln des Windes zwischen den Blättern der nahegelegenen Bäume brachten ihm Kopfschmerzen. Während vom Grund der unendlichen Tiefe etwas - schleichend wie die Finanzkrise, bevor die Blase schlussendlich platze - nach oben schwamm, brüllte Thomas all seine Wut auf sich, seine Frau, seine Freunde, die ihn alle im Stich gelassen hatten, seinen Chef, der ihn gefeuert hatte, und auf die ganze Welt hinaus. Vom Lärm verschreckt flatterten die Vögel von den Ästen, der Wind wurde von dem Echo des Schreis übertönt, aus der Tiefe kam ein dunkler Schatten näher und näher, schneller und schneller. Plötzlich war es ruhig. Kein Laut mehr, keine Kopfschmerzen. Thomas lächelte. Sein Leben lang hatte er alles für andere getan, sich immer angepasst, schwer gearbeitet, um seine Familie durchzuschlagen, und jetzt war ihm nichts mehr geblieben, außer ihm selbst. Er lächelte. Er lächelte immer noch, als ihn etwas von unten mitsamt dem Boot in die Tiefe riss. Jetzt war er wirklich mit sich im Reinen.

Der Junge saß am Rand eines Sees, über den sich hier in der Gegend schaurige Geschichten erzählt wurden, von Leuten, die mit ihrem Boot über den See fuhren und nie wieder zurückkehrten. Gedankenverloren Löcher in die Luft starrend bemerkte er im Augenwinkel etwas näherkommen. Eine Angel trieb auf dem ruhigen Seewasser. Der Junge wartete, bis die alte Angel nahe genug war, dass er sie herausfischen konnte. Sie war alt und morsch, nicht mehr wert als der Müll von achtlosen Touristen, der ab und an ans Ufer geschwemmt wird. Die Achsel zuckend warf der Junge die Angelrute zurück in den See. Soll sie doch weiterschwimmen, bis sie jemand fand, dem sie gefiel. Der Junge kümmerte es nicht weiter, und als er an jenem Abend nach Hause kam, hatte er die Angel längst vergessen.

 

Hallo Mr. Arthur Health.

des am See nahegelegenen Waldes

Er war mit der Welt im Reinen.
Der Satz ist toll, der drückt das Gefühl gut aus.

Finanzkriese

all seinen Wut

Anfangs dachte ich: Angeln. Omg, was für ein Thema für eine kg ...

Aber zum Glück wurde es dann gleich spannender.

Dann der vorletzte Absatz hat mich ziemlich ergriffen, fand ich traurig, was der Mann alles durchstehen musste ...

Allerdings hat mir das Ende nicht besonders gefallen. Das Seeungeheuer oder was auch immer bleibt im Dunkeln, na gut. Aber es kommt keine wirkliche Wende, die hätte sicher gut gepasst. Außerdem wirfst du dem Leser diesen Brocken mit diesem Patrick hin, der mit der Geschichte nichts zu tun hat, und mit "Thomas L. Hall" kann der Leser auch nichts anfangen und wird dumm zurück gelassen. :(

Aber um es nicht schlecht ausklingen zu lassen: Die vielen Rückblicke haben der Geschichte gut getan und die Angelabschnitte interessant gemacht, die ohne dem nicht ... öhm, also ist gut, dass sie da sind. *g*

Grüße von Jellyfish

 

Moin, Mr. Arthur Heath!

Deiner Geschichte liegt ein leider viel zu gängiges, fast abgegriffenes Motiv zu Grunde, aber durch das Unheimliche des Sees verlagerst du die Aufmerksamkeit, lenkst ab. Dies würde ich noch stärker hervorheben.

Noch ein paar Anmerkungen:

Es war ein sonniger Tag, als Thomas auf seinem kleinen Ruderboot sitzend die Angelrute auswarf.

in

Mit einem dumpfen Plätschern fiel der Köder ins Wasser, kleine Wellen zogen sich kreisförmigen um die Aufschlagstelle.

kreisförmig

und dem Fließen des kleinen Bachs,

alternativ: Baches (liest sich weicher)

Die Erinnerungen an die letzten Monate waren tief in den Schubladen seiner Gedanken verschollen, als wäre all das nie passiert. Du bist ein Meister im Verdrängen, Thomas, hatte Elisabeth einmal zornig zu ihm gesagt, doch im Moment war er sehr froh über diese Gabe. Während der Angler tief in seine Gedanken versank, setzte sich das kleine Boot von einer seltsamen, unsichtbaren Strömung geführt in Bewegung.

Wenn er seine Gedanken der letzten Monate so tief verdrängt hat, worüber denkt er denn so intensiv nach, dass er mit dem Leben abgeschlossen hat?

Thomas war nicht nur ein Meister im Verdrängen, sondern auch in seinem Beruf. Leider ist solch ein Meistertitel heute kaum noch etwas Wert, wie er schmerzlich feststellen musste.

wert
(klappt nicht immer mit der Eselsbrücke ETWAS ;))

Erst hatte er als Folge der Finanzkriese, derer das Unternehmen, das ihn beschäftigte, völlig ausgesetzt war, immer weniger verdient, und am Ende wurde er, der sein halbes Leben dort gearbeitet hatte, vor die Tür gesetzt.

Finanzkrise

völlig ausgesetzt war ... klingt nicht gut.
Insgesamt klingt der Absatz etwas hölzern und schwach im Ausdruck.

Thomas, die Angel fest in der Hand haltend, schlief langsam ein. Ein Plumpsen im Wasser rüttelte ihn wieder wach. Thomas öffnete die Augen, schlaftrunken versuchte er die Ursache des Geräusches ausfindig zu machen. Er drückte seine Hand an die Angel, doch seine Finger gingen durch sie hindurch. Er blickte verwirrt umher, bis er seine Angel schließlich nicht weit von ihm im Wasser treibend fand. Sie hat sich befreit und ist auf und davon, dachte der Angler, dessen Angel sich immer weiter von ihm entfernte. Auf und davon, genau wie Elisabeth, kam es ihm plötzlich in den Sinn, doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder.

Sehr viele "Angeln" in diesem Absatz. Eine Alternative wäre "Rute".

Seine Frau hatte es nicht mehr ausgehalten, anfangs stritten sie nur, aber als er ihr beichtete, dass sie es finanziell nicht mehr schaffen würden, und Privatinsolvenz anmelden müssten, packte sie ihre Sachen und verschwand mitsamt ihrem kleinen Sohn. Während Thomas noch seinem Auto, seinem Haus und seiner Familie hinterher trauerte, vögelte sie bereits einen anderen, einen, der Geld hatte, ein Haus hatte, und ein viel teureres Auto hatte, als sich Thomas jemals hätte leisten können.

Das ist für meinen Geschmack ein bisschen zu viel des bösen Weibes ... da hast du wirklich jedes Klischee mitgenommen. Der arme, arme Mann ... da fragt sich der Leser, warum der Autor so wütend ist ...

Und jetzt bleibt mir nicht mal mehr meine alte Angel, dachte der Mann, der alles verloren hatte, nur weil ihm in der Schule niemand beibrachte, im wirklichen Leben klarzukommen.

Klar. Immer sind die anderen schuld ... :hmm:

Wie wäre es mit selbstbestimmten, eigenverantwortlichem Handeln? Zumindest vom Ansatz her eine Erkenntnis in dieser Richtung? Er muss es ja nicht schaffen, aber alleine der Versuch weckt Sympathie im Leser.

Das kleine Ruderboot war mittlerweile von der Strömung an die tiefste Stelle des Sees geführt worden, dessen Grund bisher noch kein Mensch gesehen hatte.

Doch. All diejenigen, die in die Tiefe gezogen wurden ....

Thomas bemerkte endlich, wie weit er von seinem eigentlichen Angelplatz weggekommen war.

schwaches Verb. Vielleicht "abgetrieben"?

Es pochte in seinem Schädel, und der Gesang der blauen Vögel auf den Ästen, und das Rascheln des Windes zwischen den Blättern der nahegelegenen Bäume brachten ihm Kopfschmerzen.

Kein Komma

Während vom Grund der unendlichen Tiefe etwas langsam nach oben schwamm, brüllte Thomas plötzlich all seinen Wut auf sich, seine Frau, seine Freunde, die ihn alle im Stich gelassen hatten, seinen Chef, der ihn gefeuert hatte, und auf die ganze Welt hinaus.

Auch ein schwaches Verb. Ein Vergleich wäre schön.

Das Wort "plötzlich" steht mir persönlich zu oft im Text.

Patrick saß am Rand eines Sees, über dem sich hier in der Gegend schaurige Geschichten erzählt wurden,

den

doch ihm fiel niemand ein, zudem die Buchstaben passen könnten.

zu dem

Dieser Patrick lenkt mir zu sehr von Thomas ab. Ich würde ihn als namenlosen Beobachter mit weniger Hintergrund am Seeufer sitzend die Rute finden lassen. Einfach nur rausfischen, sie als "Müll" oder "nichts wert" betiteln lassen und in den See zurückwerfen. Als Assoziation auf Thomas, dessen Leben auch nur noch "Müll" und "nichts mehr wert" war. Oder so ähnlich.

Ich hoffe, du kannst etwas mit meinem Feedback anfangen.

Liebe Grüße
Tyra

 

Hi Jellyfish, hallo Tyra Kaminski,
vielen Dank für euer Feedback, hat mich sehr gefreut.
Danke auch für die Fehlerkorrektur, hab mir etliche Male an den Kopf geschlagen weil es mich so geärgert hat, was für Fehler ich gemacht hatte. :D

Allerdings hat mir das Ende nicht besonders gefallen. Das Seeungeheuer oder was auch immer bleibt im Dunkeln, na gut. Aber es kommt keine wirkliche Wende, die hätte sicher gut gepasst.
Was meinst du damit genau, Jellyfish? Mir kommt leider keine Idee, wie solch eine Wende aussehn könnte.

Dieser Patrick lenkt mir zu sehr von Thomas ab. Ich würde ihn als namenlosen Beobachter mit weniger Hintergrund am Seeufer sitzend die Rute finden lassen. Einfach nur rausfischen, sie als "Müll" oder "nichts wert" betiteln lassen und in den See zurückwerfen. Als Assoziation auf Thomas, dessen Leben auch nur noch "Müll" und "nichts mehr wert" war. Oder so ähnlich.
Find ich eine sehr gute Idee, habs auch gleich versucht in die Geschichte einzubauen. Thanks^^

Gruß
Arthur

 

Hallo Arthur Heath.

Allerdings hat mir das Ende nicht besonders gefallen. Das Seeungeheuer oder was auch immer bleibt im Dunkeln, na gut. Aber es kommt keine wirkliche Wende, die hätte sicher gut gepasst.

Was meinst du damit genau, Jellyfish? Mir kommt leider keine Idee, wie solch eine Wende aussehn könnte.
Also ich hatte irgendwas Überraschendes erwartet (lol, was Überraschendes erwartet *g*). Eine Enthüllung z.B., was dieser Patrick mit der Sache zu tun hat, hatte auch erwartet, dass er mit den Initialien was anfangen kann und die Sache noch mit ein paar Erinnerungen erhellt ... Weiß nicht mehr genau, was ich gestern dabei dachte. Aber jetzt hast du den Namen und die Initialien weggenommen, dann hat sich das vermutlich erledigt. :D

War vielleicht nur seltsam, diese Namen zu verwenden, ohne dass sie etwas zu sagen hatten.

Grüße von Jellyfish

 

Hi, Arthur!

Hast du alles schön umgesetzt! :thumbsup:

Auch das Ende gefällt mir jetzt gut. Patrick läuft Thomas nicht mehr den Rang ab.

Ach, ich meine "Rute" statt "Angel". "Angelrute" geht aber auch. ;)

Nur eine Sache fiel mir beim Lesen eben noch auf:

Während Thomas noch seinem Auto, seinem Haus und seiner Familie hinterher trauerte, hatte sie bereits einen anderen, einen, der Geld hatte, ein Haus hatte, und ein viel teureres Auto hatte, als sich Thomas jemals hätte leisten können. Und jetzt bleibt mir nicht mal mehr meine alte Angel, dachte der Mann, der alles verloren hatte, nur weil er sein Leben lang blind gewesen war.

Du merkst, worauf ich hinaus will?

LG
Tyra

 

Hey,
nochmals vielen Dank euch beiden. Hab grade noch ein paar "hatte" weggestrichen :D
Das Ende gefällt mir jetzt auch besser ;)

gruß
Arthur

 

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