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Der Besuch
Langsam durchschritt ich den blank gewienerten Eingangsraum und durchquerte den ebenfalls gepflegten Flur. Alles in diesem Haus war äußerst reinlich und das weiß der Wände betonte diese Sauberkeit noch. Immer wieder sah man Leute an Tischen sitzen. Sie alle unterhielten sich, spielten Spiele oder vertrieben sich die Zeit mit Fernsehen. Sie alle mussten nichts mehr tun und konnten sich mit dem beschäftigen, was ihnen wichtig war. Arbeit hatten sie keine mehr, diese wurde ihnen vom Personal abgenommen, dennoch schienen nicht alle glücklich zu sein.
An der Türe am Ende des Flur angekommen, hielt ich einen Moment inne. Zwei Monate waren vergangen, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Es war an der Zeit diese Frau zu besuchen, die mir früher so nahe gewesen, mir soviel gutes getan hatte. Und besuchen wollte ich sie auch, auch wenn sie nicht mehr die selbe war, die ich einmal gekannt hatte. Diese Umgebung und die Zeit, hatten sie reichlich verändert.
Ich klopfte sacht, öffnete die Tür und trat ein. Sie war alleine im Zimmer und hatte wohl gerade aufgehört fern zu sehen. Sie saß noch im Sessel, das Gerät war aber aus. Ich begann meine Begrüß, noch in der Türe stehend. Nach einem fröhlichen Hallo ging ich sofort auf sie zu und nahm sie in den Arm. Früher hatten wir so etwas nicht oft getan, seit wir aber nicht mehr viel miteinander redeten, beschränkte sich fast unsere gesamte Verständigung auf solcherlei Zuneigungen.
Als ich sie so in den Armen hielt merkte ich, dass sie abgenommen hatte. Es waren schon ein paar Jahre vergangen, seit sie hier eingezogen war und ich bemerkte Veränderungen eben drastischer als zuvor, als ich sie noch jeden Tag um mich hatte. Ich wusste, dass ich mich daran gewöhnen musste. Dennoch viel es mir manchmal schwer.
Ich fragte sie, ob ihr ihr altes Zuhause nicht fehlen würden, sie meinte nur, dass sie hier doch alles hätte was sie brauchte. Außerdem sei hier doch auch jeden Abend eine Vorstellung und jeden Mittag ein Musiker da, den sie so gerne hörte. Ich nickte und gab ihr Recht. Ich hatte es aufgegeben ihr zu widersprechen. Auch wenn ich genau wusste, dass es hier kein Theater und keine Musiker gab, wollte ich sie doch nicht beleidigen. In ihrem Kopf waren die Eindrücke aus dem Fernsehen längst mit ihrer Realität verschmolzen. Ich wollte bei meinen Besuchen, ihre Nähe spüren und nichts durfte diese Harmonie stören. Deshalb überlegte ich mir jedes Wort genau, bevor ich es aussprach. Auch wenn sie es war, die manches verwechselte, sollte nichts ihr Innerstes aufwühlen.
Ich setzte mich, direkt gegenüber ihres Sessels, auf einen Stuhl. So konnten wir besser unsere wenigen Worte wechseln. Ich erzählte ihr von den Neuigkeiten aus der alten Heimat, in der ich immer noch lebte, und sie erzählte mir die wunderbarsten Dinge aus ihrem Leben. Manches konnte wohl stimmen, doch klang anderes wiederum komisch, gar verrückt, für mich. Dennoch hielt ich mich zurück, sie zu verbessern oder gar zu spotten.
Wir saßen eine Weile so und ich schaute mich ein wenig in ihrem Zimmer um. Dabei fiel mein Blick auf ein altes Foto an der Wand. Auf ihm erkannte man sie zusammen mit mir und einem stark gebauten, bärtigen Mann. Wir saßen alle auf der Veranda unseres alten Hauses, und der bärtige Mann war mein Vater. Alle drei schauten wir in die Ferne und schienen großes zu planen. Dass waren noch Zeiten gewesen, doch leider war alles anders gekommen.
Als sie mich das Bild betrachten sah, fragte sich mich, wie es meinem Vater gehe. Sie habe ihn auch schon so lange nicht mehr gesehen und würde ihn gerne mal zu sich einladen. Sie habe hier ja schließlich reichlich von allem und die Bediensteten würden sich ja auch noch um ihn kümmern können. Verlegen und zögernd suchte ich nun nach den richtigen Worten, den sie hatte die Frage gestellt, vor der ich mich jedes Mal fürchtete. Diesmal hatte ich jedoch keine Möglichkeit ihr auszuweichen. Ich war gezwungen ihr die ganze Geschichte wiedereinmal zu erzählen. Ich wusste schon genau, was passieren würde. Deshalb kamen mir die Worte auch kaum über die Lippen, als ich sagte, dass Vater schon vor drei Jahren gestorben war. Als sie dies hörte, traten Tränen in ihre Augen. Für sie war diese ein weiteres Mal absolut neu und unbegreiflich. Ein geliebter Mensch war für sie in gerade diesem Augenblick wieder aufs neue gestorben. Ihr Gefühle übermannten sie und sie schluchzte leise. Ich stürzte sofort auf sie zu und nahm sie fest in den Arm. Es tat mir Leid, dass ich ihr dies hatte sagen müssen Ich hatte der Harmonie auf diese Weise den Gnadenstoß gegeben. Ein schwacher Trost war es, dass sie es in wenigen Minuten wahrscheinlich schon wieder vergessen würde.
So stand ich da, hinabgebeugt auf den Sessel dieser Frau und hielt sie fest umschlugen. Einige Minuten blieb ich so, sprach kein Wort mehr. Ich wartete bis sie sich beruhigt hatte. Dann beschloss ich, dass es besser sei zu gehen.
Ich verabschiedete mich von ihr, gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und verließ den Raum. Wieder durchschritt ich den sauberen Flur und die glänzende Eingangshalle. Wieder ging es vorbei an den Menschen, die dort saßen. Als ich die Eingangstür hinter mir schloss, hatte ich Tränen in den Augen. Ich wusste, dass ich wieder eine Weile nicht in der Lage sein würde hierher zu kommen. Denn es war schrecklich für mich, diese geliebte Frau so sehen zu müssen.