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Thema des Monats Der direkte Weg

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17.05.2003
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Der direkte Weg

“Simon, das ist großartig! Kam gerade rein, Scharfelt von Abteilung 2 meldet aus Dortmund fast 93 Prozent positive Reaktionen auf die neue Version!”
“Woah. Nicht übel. Wie groß ist die Testmenge?”
“Er sagt, 1500 Personen, alle Bevölkerungskreise.”
“Genug. Oh Karl, sag das mit den 93 Prozent nochmal, deine Stimme hat plötzlich so einen honigwarmen Klang...”
“Nicht poetisch werden; die Zahlen heißen ja nicht, dass wir jetzt fertig sind, sondern dass der anstrengende Teil anfängt! Aber, du, wenn der Chef was springen lässt, äh... Meine Frau hat mir erzählt, die neue Parzifal–Inszenierung soll gut sein, wie wärs, wenn wir vier heute Abend einmal richtig genießen?”
Simon lächelte verträumt. “Erstmal Mittagspause.”
“Ja.”
Die beiden Workstations begannen, die kurze Präsentation für das Nachmittagsmeeting zu erstellen, während Karl und Simon, in Gedanken von Fanfaren und Wagnertuben begleitet, in die Cafeteria stolzierten.

--- Ok, ab. Wir zoomen jetzt zu einem Profi, der ebenfalls an diesem Projekt beteiligt ist. ---

F&E ist Feinarbeit. Sorensen wusste, dass er hier war, weil er einer der besten war, und er wusste, das er mit dem, was er gerade tat, den Ansprüchen, die man an ihn stellte, gerecht wurde. Der letzte Artikel, den die Fachleute von den Anderen zu diesem Thema veröffentlicht hatten, machte klar: die waren einige Monate hinter der Technik, die Sorensen verwendete. Das, was man bei denen gerade neu in der Versuchsphase hatte, war für Sorensen schon lange Routine.
“So müsste es stimmen”, murmelte er, als der Frequenzgang auf seinem Schirm mit einigen einfachen Algorithmen in die Idealposition modulierte. “Ich glaube, das funktioniert optimal- und das Schönste ist, dass es sogar recht einfach auszuführen sein sollte.”
Während Sorensen das Testsample ein paar mal ablaufen ließ, konnte er sich ein dünnes Lächeln nicht verkneifen. “Oh heilige Mutter Gottes, Sorensen. Du bist so gut”, dachte er.

--- Sorensen ist Däne oder Schwede oder so. Da Karl und Simon noch bei der Erdbeercreme sind, schauen wird kurz bei einer seriösen Dame in weiß vorbei. Sie ist Simon und Karl schon oft durch geschmackvolle Designs aufgefallen und ist wie Sorensen gerade in das Projekt vertieft. ---

Bis die Daten von den Paras kamen, konnte es natürlich nicht fertig werden, aber trotzdem war Doktor Witt unzufrieden mit ihrem Arbeitstempo. Sie legte den feinen Laserschneider beiseite. “Nummer 7B, bitte. Das muss etwas heller werden.”
Eigentlich, dachte sie, eigentlich verarscht man ja auch sich selbst - nicht nur die unwissenden Massen, die am anderen Ende sitzen, keine Vorstellung, was in diesem Raum vor sich geht - denn irgendwann ist man immer selbst dort, ist man selbst Teil der Masse. Natürlich, dieses Produkt ist etwas anderes, ist neu, ist... anders. Aber die anderen? Die Konkurrenz? Man hat inzwischen schon fünf oder sechs Generationen auf den Markt gestoßen- von mindestens drei verschiedenen Parteien, vielleicht mehr, so wichtig, wie dieses Feld inzwischen geworden ist. Und selbst ein Fachmann wie ich hat ab der vierten Generation nicht mehr neutral daneben stehen und analysieren, das fertige Produkt erkennen und seine Funktionsweise bei Endkunden betrachten können.
“Tupfer bitte.”
Aber so war der Markt, und irgendwie würde wohl alles gut werden.
Und ihre Arbeit kam auch voran: langsam, aber sicher näherte sie sich dem perfekten 7B – hell.

--- Frau Doktor Witt hat recht, wenn sie vermutet, dass noch mehr als die drei bekannten Parteien auf diesem Feld agieren. Was sie nicht weiß, ist, dass beim letzten Mal ihre Wahl auf das Konkurrenzprodukt der ihr unbekannten vierten Gruppe gefallen war. Seitdem den Firmen vor über einer Dekade klar geworden war, dass man statt des langsamen, selbstregulierenden Weges auch den direkten, effizienteren wählen kann, sind beachtliche - und in manchen Augen erschreckende – Fortschritte gemacht worden.
Oh. Bei all dieser Exposition haben wir ganz verpasst, das Simon und Karl, inzwischen vereint mit ihrem dritten Mitarbeiter Hedrich, der von einem Geschäft im Ausland zurückgekommen ist, schon im angekündigten Meeting stehen. Ihre Präsentation war ein voller Erfolg, und der Vorsitzende der Firma, ein junger, dynamischer und begeisterungsfähiger Herr mit halblangen dunkeln Haaren, hält eine Laudatio. ---

“...muss ich sagen, ich bin beeindruckt. Und ich muss nocheinmal etwas betonen. Doktor Witt und ihr Team von den Plastikern, Sorensen von den Paraverbalen, die Jungs bei Psycho 1 und 2, die Kultis, die Feldforscher, alle, alle haben wichtige Teilschritte gemacht. Aber dieses Projekt, meine Herren, ist und bleibt ihr Projekt und ich bin stolz auf sie.
Ihr großes Projekt, meine Herren. Ihre ganz große Nummer. Die neue Version; die Version 5.2, Projektname “Goldener Kaiser”, die nicht nur, wie ihre innovativen Vorgängerversionen, marktbeherrschend werden wird; die nicht nur unsere Position auf der nationalen und internationalen Bühne weiter verbessern wird; die nicht nur wieder unsere Dividende zu beneidenswerten Höhen steigen lassen wird; nein, dieses Ding, meine Herren, hat eine ganz neue, eine größere, eine, äh...” Der Vorsitzende rückte seinen Schlips zurück und nippte an seinem Wasserglas. “Eine neue, eine ethische Dimension! Der 5-zwoer wird das Leben der Menschen verbessern. Er wird das Leben in unserem Land angenehmer machen. Simon, Karl, Hedrich- ich darf doch?; Meine Herren, der 5-zwoer ist ein großartiges Werk. Die Firma wird sich erkenntlich zeigen."
Noch ein Schluck Wasser.
"Die Marketingjungs haben übrigens gemeldet, dass sie schon ein paar tolle Ideen für die Kampagne haben. Aber jetzt genug Geschäftliches. Kommen wir zurück zu dem ´erkenntlich zeigen´, meine Herren."

--- Abblende, dramatische Musik. Simon und Karl präsentieren stolzgeschwellte Hühnerbrüste. Wir spulen jetzt vor zum ersten öffentlichen Auftritt des 5-zwoer. Die Pointe, sage ich mal. Wieder in Monologform. ---

“Danke. Danke. Ich möchte mich bei ihnen allen für das eindeutige Ergebnis bedanken. Ich weiß nicht, wer die beiden waren, die gegen mich gestimmt haben, aber meine Männer sind schon unterwegs, um sie still und leise um die Ecke zu bringen, ha ha, ha ha...”
Version 5.2 hat ein herzliches, silbernes Lachen mit nur einer ganz leichten, feinen und geschmackvollen Ironie, und es klingt natürlich und voll. Es ist ein optimales Lachen, auf das Sorensen stolz ist. Der Saal fällt in dieses Lachen mit ein.
“Wie sie mich heute in meinem Amt als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat bestätigt haben, soll nur der Vorgeschmack dafür sein, wie wir die ganze Republik erobern werden. Ich sage erobern, und ich müsste mich eigentlich dafür entschuldigen, so einen kriegerischen Term zu verwenden, denn wir wollen die Macht- aber wir wollen sie zum Frieden. Sie alle, und sie wissen, wie weit mich diese Tatsache in Sorge versetzt, sie alle sehen die platten Parolen und die dumpfen Forderungen der anderen. Es sind Rufe nach Krieg. Wir wissen, dass die Rüstungsindustrie hinter meinem Gegenkandidaten steht. Es ist eine bekannte und eine beunruhigende Tatsache.”
Auf dem Videoschirm hinter Version 5.2, der mit bürgerlichem Namen seit andernthalb Jahren Ernst Jung heißt und sich kaum an die Zeit, in der er Detlef Schmitt war, erinnern kann, sehen die Leute in diesem Saal, wie der Kandidat der anderen durch eine Fabrik geht, die olivgrüne Platten zusammenmontiert. Ein Kanonenrohr schwebt über seinem Haupt wie die Parodie eines Heiligensscheins. Der Gegenkandidat, Markus Apfel, hieß vor drei Jahren noch Sergej Betzrukew und vor zwei Jahren “Projekt Morgenstern”, Version F8c.
Ernst Jung blickt sanft über die Reihen der Parteifunktionäre, und sein Blick ist wunderbar. Hell. 7B – hell. “Aber wir wollen uns nicht nur negativ definieren. Wir haben eine Vision für dieses Land, und es ist eine wundervolle Vision. Und das Volk, unser geliebtes Volk, scheint den neusten Umfragen zufolge unsere Vision herbeizusehnen. Meine Damen und Herren, ich möchte...”

--- Abblende. Irgendwie wird alles gut werden. ---

 

Danke, Uwe. Ich geh nochmal rüber, glaube aber nicht, dass mir so schnell einfällt, wie man die Dinge, die ja die eigentlichen Vorraussetzungen, die eigentliche ausgelösten Veränderungen dieser Technologie sind, einbauen könnte. Und, tja, und ich weiß nicht, was sie wären.
Danke, Megabjörne. Glaube, wir kommen hier auf keinen grünen Zwei mehr. Sage deshalb garnix.

 

Hast du eine Idee, was denn die "sozio-kulturellen Hintergründe" so einer Entwicklung sein könnten?
Schwer zu sagen, aber da ich nicht weiss, wie die Gesellschaft beschaffen ist, faellt mir die Wertung des Geschehens schwer (habe ich zu bedauern, soll ich entruestet sein?)

"sprachlich sehr schwach" prallt an meinem an Megabjörne aufgerichteten Arroganzschirm jetzt sowas von total ab.
Kann ja sein, aber die Zwischentexte sind in summa eben schwach (muss ich das wirklich erlaeutern?).
Ich habe erst gedacht, dass waere Stilmittel, aber da Du es verneinst... (tja, Pech gehabt).
Auch würde ich mit dem Begriff "Ironie" vorsichtig sein, der hat nämlich eine "Bedeutung".
Hei, die Grosskotzrolle habe ich hier!
Willst doch nicht von mir eine Vorlesung ueber Ironie riskieren (Achtung! Diese Aussage war IRONISCH (*g*)).
Wie, meinst du, könnte ich eher echtes Interesse wecken?
Wenn ich das wuesste, waeren meine Storys (brilliante Ideen, aber scheiss Umsetzung) allesamt auf der Empfehlungsliste...
Danke Dir im vorraus für einsichtsvolle Kommentare.
Du erwartest Einsicht? Wie geht das denn (*g*)?
Proxi
PS: Megabjoernie zu kritisieren ist nicht fair. Das kannst Du bei SEINEN Storys ja machen, aber als Autor solltest Du Dich ein wenig zurueckhalten (fuehle Dich jetzt aber nicht gleich angepisst...) Denn nach dem Sender-Empfaenger-Modell (Autor=Sender Leser=Empfaenger) ist bekanntlich fuer JEDES Missverstaendnis immer der Sender verantwortlich...

 

Danke, Proxi. So richtig Ideen, wie ich meine Geschichte verbessern könnte- hättest du da vielleicht noch ein paar von? Das wäre cool.
Ich würde gerne wissen, was du eigentlich an der Form der Zwischenschübe ausszusetzen hast; wie diese Gesellschaft beschaffen sein könnte und wie man das beschreiben könnte.

 

Hallo Jona,

mir hat die Geschichte gut gefallen. Warum nicht sehr gut? Schwer zu sagen.
Du hast ein bekanntes Thema gewählt, mir fällt z.B. P.K. Dicks "Nach Yancys Vorbild" ein. Die Umsetzung ist formal interessant, die Zwischenkommentare ziehen durch den Text, machen auch neugierig. Die etwas distanzierte, ironische Darbietung ist eine engagierte Form, die mich an Texte aus den 70er Jahren erinnert, politische SF, die sich bewusst vom Eskapismus abgrenzen wollte.
Es ist vielleicht die Unsicherheit, wer hier kommentiert, die mich ein wenig störte.

Insgesamt eine gute (fast sehr gute) Geschichte in einer außergewöhnlichen Form. :thumbsup:

Details:

“Woah. Nicht übel.
Keanu Reeves? ;)
Parzifal–Inszenierung
Das ist ein Kompositum, da kommen keine Leerzeichen hinein.
Kafeteria
Schreibt man die so?
die waren mindestens ein paar Monate hinter der Technik
beachtliche[space]- und in manchen Augen

Grüße,
Naut

 

Hallo all-apologies,

schöne Geschichte.

Die euphorische PR-Hochglanzatmosphäre wird gut getroffen.
Auch durch die Kommentare aus dem Off beim Umschalten zwischen den Szenen.

Eigentlich finde ich politische Satiren und Parodien nicht so interessant, besonders wenn sie speziell auf bestimmte Parteien oder Personen eingehen.
Aber hier bleibt das sehr allgemein. Um so besser. :)

Noch ein paar Kleinigkeiten.

Was bedeutet eigentlich F&E?
Face and Ears?
Keine Ahnung.

„als der Frequenzgang auf seinem Schirm mit einigen einfachen Algorithmen in die Idealposition modulierte“
Finde ich etwas seltsam und schräg formuliert.
Heißt das, dass Sorensen den Frequenzgang durch Anwendung besagter Algorithmen in die Idealposition moduliert?
Dann sollte Sorensen in dem Zitat auch vorkommen, zB als Pronomen.
Wenn du wirklich willst, dass der Frequenzgang moduliert, finde ich das eine komische Wahl für das Verb. Besonders in Verbindung mit den Algorithmen.
Mindestens die muss doch Sorensen anwenden.

„Ein Kanonenrohr schwebt über seinem Haupt wie die Parodie eines Heiligenscheins“
Dieses Bild finde ich nicht ganz glücklich.
Ganz spontan fiel mir dabei der Begriff Damoklesschwert ein.
Hmmm, ist das in der Geschichte brauchbar?
Und hmmm, man *könnte* die Öffnung des Kanonenrohrs als Heiligenschein auffassen.
Das ist aber nur ein kleiner Teil des ansonsten recht wuchtigen Kanonenrohrs.
Da finde ich das Bild dann etwas unproportioniert.
Mich überzeugt‘s jedenfalls nicht so ganz.
Liegt vielleicht aber auch an mir.

viele Grüße
jflipp

 

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