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Der einsame Mann

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12.12.2006
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Der einsame Mann

Der einsame Mann

Der Bahnsteig hatte sich geleert, vorn wurde gepfiffen, der Zug ruckte an und glitt hinaus in die Nacht. Ein Mann, nicht mehr jung, blickte ihm nach, bis die roten Schlusslichter zu einem einzigen glühenden Punkt verschwammen.

Der Kiosk hatte noch geöffnet. Der Mann kaufte eine Schachtel Zigaretten und stand dann noch eine Weile auf dem Bahnhof herum. Er steckte sich eine Zigarette an und lief gemächlich zur großen Treppe, die in den unterirdischen Bahnhof mit seinen S-Bahnsteigen führte.

Es war ein unauffälliger Mann. Er hatte etwas von einem kleinen Angestellten an sich, der seinen Kindern die Eigentumswohnung schuldenfrei übergeben wollte und deshalb alle Demütigungen im Amt auf sich nahm. Jemand, der ihn von weitem sah, dachte: Ein grauer Mann. Alles war grau an ihm: der Mantel, das nicht mehr ganz volle Haar, die Blässe des Gesichts im Schein der Bahnhofsbeleuchtung.

Ein langer Tunnel führte zur Hauptstraße, schwach von Neonlicht erhellt. Die einsamen Schritte des Mannes hallten von den graffitibeschmierten Kachelwänden wider.

Dass er müde war, bemerkte er, als er die steile Treppe zur Straße hinaufstieg. Jeder Schritt ein Sieg über sich selbst. Die Straße, es war eine breite Straße mit vier Fahrbahnen und einem begrünten Mittelstreifen, empfing ihn wie einen, den sie nicht erwartet hatte, gleichgültig, mit sich selbst beschäftigt, im Halbschlaf.

Noch auf ein Bier, dachte der Mann. Prüfend warf er einen Blick in das kleine Imbisslokal an der Ecke, das erst seit kurzem geöffnet hatte. Es war fast leer. Zwei Fastbetrunkene verdeckten den Tresen, hinter dem der Mann einen Vietnamesen bemerkte, mit dem Spülen von Gläsern beschäftigt. Er war schon an der Tür, als er sich anders entschied.

Der Mann war auf dem Weg zu seiner Wohnung, einer leeren Wohnung, in einer der Seitenstraßen. Dass er auf das Bier verzichtet hatte, mochte Gründe haben, er dachte nicht darüber nach. An der menschenleeren Kreuzung musste er warten. Lächerlich, dachte der Mann, nachts an der Ampel warten. Aber er wartete, er hielt viel von Disziplin, auch wenn sie heute nacht niemandem auffallen mochte. Vielleicht saß irgendwo jemand vor einem Bildschirm mit der Kreuzung und war es zufrieden, dass die Ampel funktionierte. Er sollte nicht enttäuscht werden, nicht von ihm.

Es war eine Flucht. Er hasste es, sich verstecken zu müssen. Aber es war eine Flucht.
Heute nacht war er aus seiner Familie geflohen. Aus einer Familie, die er nicht mehr wollte und die er verabscheute. Das war nicht ganz richtig, er verabscheute nicht die gesamte Familie, nicht den Sohn und die Tochter, er verabscheute nur seine Frau. Er hatte sie auf die Bahn gesetzt, um Ruhe zu haben, vielleicht zwei Wochen lang, so lange würde sie sich bei ihren Eltern mit den Kindern aufhalten können, ohne dass sie Verdacht schöpften.

Er hatte die Scheidung eingereicht. Die Kinder, noch zu jung, um Mitleid mit ihm zu empfinden, aber schon zu alt, als dass sie nicht begriffen, gehörten zur Mutter. Er wusste nicht, ob er den Jungen liebte, sicher würde er zur Mutter halten. Anders die Tochter. Er sei ihr Lieblingspappi, sagte sie. Aber das war schon egal, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste er, dass er kein Vater war, nicht mehr ihr Vater, sondern nur noch der Schlafbursche, dem die Wäsche gewaschen und das Essen vorgesetzt wurde. So ähnlich hatte sich seine Frau ausgedrückt, als sie darüber sprachen. Auf keinen Fall, hatte sie gemeint, ihre Einwilligung in die Scheidung behalte sie sich vor, sie hänge von der Höhe des Unterhalts ab. Es war das längste Gespräch, das sie seit vier Jahren miteinander geführt hatten. Er hatte seine Einsamkeit und Verlassenheit in diesem lächerlichen Zustand, den sie noch immer ihre Ehe nannte, nicht erwähnt. Sie hätte ihn ausgelacht. Sie verstand nichts. Wenn ihre Ehe noch eines war, dann war sie absurd.

Der Mann hatte sein Haus erreicht, ein Berliner Mietshaus mit Vorder- und Seiteneingang, auf dem stand: Nur für Personal. Er nahm den Personaleingang und stieg die drei Treppen hinauf, bemüht, leise aufzutreten, damit die Nachbarn hinter den braungeschnitzten Türen nicht aufmerksam wurden. Die Treppe hatte einen roten Kokosläufer. Der Mann stolperte immer auf derselben Stufe. Wie jedesmal, fluchte er auch heute nacht. Dann fluchte er, weil er zu laut geflucht hatte.

Als er den Flur betrat, fühlte er sich endlich frei. Es war eine Freiheit, er wusste es, die nicht lange währen würde, er musste sie auskosten. In der Küche roch es nach Basilikum, das seine Frau auf dem Fensterbrett züchtete. Der Duft war ihm angenehm. Aber dann fiel ihm ein, dass auch dieses Kraut ein Teil seiner Frau war, und er nahm die beiden Töpfe und warf sie in den Mülleimer.

Im Wohnzimmer schaltete er den Fernseher ein und suchte lange nach einem Programm. Endlich fand er einen Sender, der ihm zusagte. Eine Frau, nur mit einem Pullover bekleidet, den sie über die Brüste gezogen hatte, saß breitbeinig in einem Sessel, und der Mann hoffte darauf, dass die Kamera länger auf der Frau weilen würde, aber sie schwenkte ab auf das Gesicht der Frau. Das Frauengesicht schien ihm zu raffiniert, zu ausgekocht, ihn interessierte nicht mehr, welche obszönen Verrenkungen die Frau auf dem Bildschirm noch anstellen würde. Er schaltete den Fernseher ab.

Die Zeitung lag an ihrem Platz neben dem Fernseher. Er suchte die Seite mit den kleingedruckten Anzeigen, fuhr mit dem Zeigefinger über sie hin, blieb dann an einer hängen.
Swetlana. Der Name gefiel ihm.

Es war nichts los. Die Nacht war halb vorbei. Morgen, nahm sich der Mann vor. Er würde sehr lange duschen und sehr lange frühstücken und dann ans Telefon gehen. Morgen, sicher erst mittags. Ja, er war einsam. Einsamer als er war niemand.

 

HI!

Die Idee einen Mann während oder kurz vor der Scheidung zu beschreiben ist ja nicht schlecht, aber die Umsetzung gefällt mir leider nicht so.
Du baust leider gar keine Spannung auf und verwendest auch keine interessanten Formulierungen, so liest man den text nur unbeeindruckt runter. Das entspricht vielleicht der Mentalität des Mannes, aber als Leserin wirkte das auf mich eher langweilig und langatmig.
Ich denke die KG ist definitiv verbesserungsfähig, wenn du ein bisschen mehr Atmpsphäre in den text bringst, irgendetwas, das einen mitreist.

MFG Steeerie

 

Hallo Estrel,

das erste, was ich nach dem Lesen empfand, lässt sich so umschreiben:
Glück gehabt! Die Frau hat Glück, dass sie ihn los ist!
Aus deiner Geschichte geht nicht hervor, was der Mann getan hat, damit er interessant und liebenswert für die Familie und besonders für die Ehefrau ist. Du schilderst ihn grau in grau und da frage ich mich, warum soll die Frau mit ihm zusammenbleiben, wenn das Leben bunt sein kann??
Sehr gut beschrieben fand ich die kleinen Details- den Tunnel, das Überqueren der Straße, als er das Haus betritt und auch die kleine Hassatacke auf den Basilikumtopf.
Seine Einsamkeit berührt mich nicht, weil ich die Ursachen dafür nicht erfahre. Nicht jeder, der im Büro arbeitet, ist einsam. Kleiner Angestellter, der eine Eigentumswohnung besitzt und Demütigungen im Büro -welche??- ertragen muss, hm, kann ich nicht so recht nachvollziehen.
Vielleicht wäre es günstig, wenn man etwas mehr über ihn, seinen Frust und die Ursachen seiner Einsamkeit erfahren würde.

Lieben Gruß und frohe RestWeihnacht,
jurewa

 

Liebe Jurewa, es freut mich, dass dir Details gefallen haben. Weniger natürlich freut es mich, dass dir die Geschichte so gar nichts gegeben hat. Die Geschichte heißt "Der einsame Mann", und das heißt, er hat keinen Kontakt mehr zur Umwelt, ich kann also nur zeigen, was er in seiner Einsamkeit tut. Es ist eine sehr stille Geschichte geworden, ohne Dialog, ich zeige nur, was der Mann mit diesem Hintergrund tut in seiner Einsamkeit. Ein Plot ist meiner Meinung nach durchaus vorhanden. Ich habe dieses Muster der Kurzgeschichte bei einem amerikanischen Autor gefunden, der aber in Deutschland nicht sehr bekannt ist, nicht weil er nicht gut genug ist, sondern aus anderen Gründen. Ich mag die stillen Geschichten, in denen nicht viel passiert, wo aber jede Geste und jeder Handschlag etwas über die Person aussagt. Man muss sich tatsächlich die Mühe machen, über anscheinend Nebensächliches nicht hinwegzulesen, denn es charakterisiert den Protagonisten und seine Situation. Ich habe auf inneren Monolog verzichtet, weil mir an der Mitarbeit des Lesers noch mehr liegt. Versteh mich richtig, ich will meine Geschichte nicht verteidigen, das ist sowieso aussichtslos. Gut, ich habe verstanden, hier werden die großen Gefühle und Taten eher gewünscht. Würde dir folgender Plot besser gefallen: Der Mann revoltiert gegen seine Einsamkeit, nachdem die Frau mit den Kindern weg ist, er geht in ein Bordell, dort trifft er auf finstere Gestalten, die ihm ans Leben wollen, er flüchtet, wird von der Polizei, die dort einen Toten gefunden hat, fälschlicherweise für den Täter gehalten, aber nun scheint wieder die Sonne: Seine in Scheidung lebende Frau hat ihm einen Staranwalt besorgt, der ihn am Ende herausholt. Ob die beiden sich darüber versöhnen, bleibt im unklaren, also ein offener Schluss. In dieser Geschichte würde sehr viel passieren, aber ich bin davon abgekommen, solche Revolverpistolen zu schreiben, weil mich das Innere des Menschen sehr viel mehr interessiert. Hab aber noch einmal vielen Dank für die Mühe, deine Gedanken dazu aufzuschreiben.

Viele liebe Grüße
Estrel

 

Hallo Estrel,

nein, so würde mir die Geschichte überhaupt nicht gefallen!
Seine Einsamkeit ist schon nachvollziehbar und die vielen inneren Monologe unterstreichen das. Ich hätte einfach gern gewusst, warum er so einsam ist, weshalb es weder seine Kinder noch die Frau geschafft haben, ihn aus seiner Einsamkeit zu befreien.
Ich kann aus den vielen 'Gesten und Handschlägen', die ich sehr gelungen finde, nicht auf die Ursachen der Einsamkeit schließen.
Muss ich natürlich auch nicht. Letztlich geht es darum, dass Du mit der Geschichte zufrieden bist. Man kann es nicht jedem Recht machen.

Liebe Grüße,
jurewa

 

Bei dieser Geschichte geht es überhaupt nicht um die Ursachen von Einsamkeit, sondern darum, dass. Die Ursachen, soviel traue ich ihm zu, kann sich der Leser selbst zusammenreimen, besonders dann, wenn er in ausgelatschter Ehe lebt. Man muss meiner Ansicht nach nicht alles ganz genau benennen, auch Nichtgenanntes kann, glaube ich jedenfalls, eine Menge Klarheit schaffen.
Aber meine stärkste Geschichte ist das nicht, einfach deshalb, weil ich kein Mann bin.

Viele liebe Grüße
Estrel

 

Und das ist genau so was, wie ich es verabscheue.

Und dann tat der Mann das und dann das. Er rauchte zuckend. Der Zug fuhr ab, und er war alleine. Dann ging er weg. Irgendwo bellte ein Hund. Bla

Wo ist da das Spiel mit der Geschichte?

Gut, jeder auf seine WEise. So schlecht ist es auch wirklich nicht erzählt. Du hast TAlent, würde ich sagen, wenn du 19 wärst.

Aber er wartete, er hielt viel von Disziplin, auch wenn sie heute nacht niemandem auffallen mochte.

Man schreibt die Eigenschaften eines Prots nicht einfach hin. Man muss sie in Bilder packen. Das hast du in dem Abschnitt schon geschafft, im GRunde. Den SAtz kannst du einfach streichen.

Und er war einsam, erfahren wir also am Ende. Hab ich mir bei dem Titel schon fast gedacht.

Das schlichte narrative ist mir einfach zu langweilig, tut mir leid.

Aber nichts für ungut.

 

Mir gefällt die Geschichte auch nicht ganz, hab schon bessere geschrieben. Aber das ist eben der Unterschied zwischen uns beiden: Deine gefällt dir.

Viele Grüße
Estrel

 

Hallo Estrel,

wir hatten noch nicht das Vergnügen. ;)

Estrel schrieb:
Mir gefällt die Geschichte auch nicht ganz, hab schon bessere geschrieben.

Öhhm, jetzt bin ich doch irritiert? Wieso postest Du eine Geschichte, die Dir nicht so ganz gefällt. Es kann ja Gründe geben, gut. Vielleicht willst Du hören, was man daraus noch machen kann? Ansonsten könnte ich keine Beweggründe verstehen. Denn eine Geschichte, die man selbst erzählt, muss man auch lieben, man muss voll und ganz hinter ihr stehen in dem Moment, in dem man sie anderen zeigt.

Mir geht es wie meinen Vorschreibern. Mag ja sein, dass wir stilistische Ähnlichkeiten mit amerikanischen Short Stories verkennen, aber bei mir kommt ebenfalls nur ein Erlebnisaufsatz an. Und dann tat er dies und dann tat er das. Und außerdem war er einsam.

Mit fehlt kein reißerischer Plot, mir fehlt die Gelegenheit, mitzufühlen. In die Einsamkeit mit einzutauchen und sie deinem Plot glauben zu können.

Ich bin auch einsam und alleine und keiner liebt mich. Kommt irgendein Gefühl bei Dir an, wenn ich das schreibe?

Liebe Grüße
melisane

 

Wenn du schreibst, du hättest schon bessere geschrieben, heißt das ja auch, dass dir einige deiner Geschichten gefallen.

Mir gefallen auch nicht alle meiner Geschichten. Die schmeiß ich dann in den Papierkorb. Aber ob ich sie dahin verschiebe oder nach kg.de, da machen hier manche eh keinen Unterschied. :D

Ich denke, man sollte schon von dem überzeugt sein, was man so schreibt, sonst hat es keinen Sinn. Über die Umsetzung, über Verbesserungen, schwachstellen und grammatische Sachen kann man immer reden.

LG

 

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