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Der Feenbaum
Der Feenbaum
Wann hat diese Geschichte begonnen? Ich glaube vor fast vierzig Jahren, als ich mit meinem Freund Mike das erste Mal in den 'Alten Wald' ging der sich über die Hügel hinter unserem Dorf hinzog. Wir waren damals sechs oder sieben.
Wir waren neugierig, wie alle Kinder in diesem Alter. Unser Dorf war abgelegen. Fremde verirrten sich nie hier her. Ein Wunder, dass es überhaupt Telefon gab. Aber ich schweife ab, und ich weis nicht, wie viel Zeit ich noch hab.
Der Alte Wald wird auch der Feenwald genannt, den hin und wieder flatterten ein paar Feen aus dem Wald in unser Dorf. Meistens verschwanden sie am nächsten Morgen wieder im Wald und es konnte Monate dauern, bis wieder welche auftauchten. Wir beide wollten damals herausfinden, woher sie kamen und wohin sie verschwanden.
Wir sind damals stundenlang durch den Wald gelaufen. Wie wir es in einem Märchen gelesen hatten, hatten wir unseren Weg mit bunten Steinchen markiert. Sonst hätten wir wohl auch ohne Hilfe nie wieder aus dem Wald hinausgefunden. Im Dorf wird von vielen Kindern, aber auch Erwachsenen erzählt, die in den Wald gingen und nie wieder gesehen wurden.
Irgendwann bemerkten wir in vielen Bäumen gleich ganze Bündel von etwas, das wie Schmetterlingskokons aussah. Als ich einen der Kokons vorsichtig berührte, öffnete er sich und eine Fee schlüpfte heraus. Sie flatterte über unsere Köpfe und wir beide versuchten lachend, sie zu fangen. Dann gab es einen Windstoß, dadurch öffneten sich auch die anderen Kokons und wir waren von einer ganzen Wolke von Feen umgeben.
Dann hörten wir das Knarren von Holz, ein seltsamer Duft stieg uns in die Nase. Wie auf einen Befehl flatterten die Feen alle in eine Richtung. Wir folgten ihnen.
Nach einer Weile kamen wir auf eine Lichtung auf einer Hügelkuppe. In der Mitte der Lichtung stand ein großer seltsamer Baum. In dem Baum war eine Höhle, die meisten Feen flogen direkt in diese Höhle. Es knarrte wieder. Die Höhle schloss sich vor unseren Augen. Eine Fee wurde vom Holz in zwei Hälften zerteilt. Die Beine und ein Stück der Flügel fielen zu Boden, der Rest war, wie Hunderte andere Feen im Baum verschwunden.
Wir rannten nach Hause. Ob wir dabei auf die Steine achteten oder einfach nur Glück hatten? Ich weis es nicht.
Mike und ich beschlossen stillschweigend, niemanden von unserer Beobachtung zu erzählen. Ein paar Tage später verließen wir das Dorf für eine Weile.
Seit Generationen lebten über die meiste Zeit des Jahren nur Alte und kleine Kinder, die noch nicht in der Schule waren, in unserem Dorf. Da es hier praktisch keine Arbeit gab, zogen die Erwachsenen weg. Doch der Urlaub wurde oft in der Heimat verbracht. Die Kinder lebten in den Ferien bei den Großeltern. Die meisten, die in Rente gingen, zogen wieder ins Dorf.
Man kannte sich und blieb unter sich. Über die Geheimnisse des Waldes wurde geschwiegen. Den Kindern wurde nur genug erzählt, das sie sich vom Wald fernhielten.
Über Jahre verbrachte auch ich meine Ferien in der Heimat. Manchmal sah ich die Feen wieder. Ein paar Mal, wen der Wind richtig stand, nahm ich auch den seltsamen Geruch wieder war. Bei dem Gedanken an das Schicksal der Feen lief mir oft ein Schauer über den Rücken.
Nach der Schule studierte ich. In der Firma, in der ich nach dem Studium eintrat, stieg ich schnell auf. Viele aus unserem Dorf waren sehr erfolgreich.
Vor ein paar Monaten traf ich Mike wieder, auch er verbrachte seinen Urlaub in der alten Heimat. Er hatte einen guten Posten in einer Firma die Werkzeuge zur Holzbearbeitung herstellte.
"Wir müssen die Feen retten," sagte er zu mir. "Alle aus dem Dorf freuen sich, wen sie sie sehen. Sie bringen uns Glück. Wenn mehr von ihnen da sind, wird es unserem Dorf bestimmt besser gehen."
"Was willst du machen?," fragte ich ihn.
"In einem halben Jahr hab ich wieder Urlaub. Dann bring ich mal ein paar 'Muster' aus meiner Firma mit. Damit kriegen wir den Baum bestimmt klein. Du hilfst mir doch dabei?"
Ich nickte nur.
So haben wir uns vor knapp zwei Wochen wiedergetroffen. Mike hatte auf seinem Kleintransporter tatsächlich Motorsägen in verschiedenen Größen mitgebracht. Aber auf dem schmalen Pfaden kamen wir mit dem Wagen nicht weit. Also luden wir uns jeder eine Säge auf die Schultern und machten uns zu Fuß auf den Weg zum Baum.
Der Wald hatte sich in den vierzig Jahren kaum verändert. Ich glaubte an einigen Stellen sogar unsere bunten Steine zu sehen.
Aber diesmal kam mir der Weg viel kürzer vor. Ob das an unseren längeren Beinen lag? Am Rand der Lichtung machten wir eine Pause. Die Motorsägen waren doch sehr schwer. Mike schien weniger erschöpft wie ich. Aber schließlich arbeitete ich in einem Büro und er arbeitete, trotz seiner guten Position, auch körperlich.
Nach der kurzen Rast starteten wir die Motorsägen und machten uns an die Arbeit. Hatte der Baum gezittert? Das war bestimmt nur ein Windstoß. Es ging leichter als erwartet, der Baum war zum größten Teil hohl und bot keinen großen Widerstand.
Stolz, die Feen gerettet zu haben, kehrten wir ins Dorf zurück. Schon zwei Tage später kam ein Schwarm Feen in unser Dorf. Alle freuten sich über den Anblick.
Doch jetzt weis ich, dass wir einen großen Fehler gemacht haben. Die Feen vermehrten sich sehr schnell. Schon nach einer Woche waren die Schwärme im Dorf nicht mehr zu zählen. Dann geschah es: Wir hörten das Schmerzgeheul eines Hundes. Wenig später fanden wir ihn, bis auf die Knochen abgenagt. Jeder fragte sich, wie das passieren konnte. Dann wurde einer der Alten von den Feen angegriffen. Sie bissen ihn, rissen ihn Stücke aus Haut und Fleisch, sie fraßen ihn bei lebendigem Leib auf, und das mitten auf der Straße. Andere, die helfen wollten, wurden ebenfalls angegriffen.
Jetzt haben sich alle in die Häuser geflüchtet. Die Luft vor den Häusern scheint nur noch aus den kleinen Monstern zu bestehen.
Sie werfen sich immer wieder gegen die Fenster. Wie lange wird das Glas dem Dauerfeuer noch standhalten?
Ich sitze hier und schreibe diese Zeilen, obwohl ich nicht weis, ob sie jemals gelesen werden.