Der Flur
Der Flur
Am Ende des Ganges wartete wie immer ihr Bruder. In seinem Rücken das Licht, vor ihm schwarz-weiß bemalte Wände. Lachend fing sie immer an im entgegen zu rennen, sobald er seine Arme ausbreitete und „Los!“ rief. Sanft umarmten sie sich und dachten nicht länger an das unheimliche Gefühl, dass immer von ihnen Besitz ergriff, wenn sie in diesem Flur waren.
Die Wände, die Decke, selbst der Boden waren in einem verwirrenden Schachbrettmuster eigenhändig von ihrem Vater gestrichen worden. Er begann mit seiner Arbeit, als die Zwillinge drei Jahre alt waren. Davor war er zärtlich und liebevoll zu ihnen gewesen. Niemand empfand mehr für die beiden Kinder, als ihr Vater. Er liebte ihre blonden Haare, ihre großen unschuldigen Augen und die kleinen Hände, welche die seinen mit kindlicher Zuneigung umfassten. Mit stets sonnigem Lächeln erfreute er jeden, der ihn sah. In ihm lebte das Glück.
Allerdings starb zwei Jahre nach der Geburt der Kinder seine Mutter. Auch wenn seine Frau es nie verstehen konnte, zerbrach etwas in ihm. Er zog sich zurück und sprach nicht mehr. Die Zwillinge wussten natürlich nicht was vor sich ging.
Dann fing er eines Tages an, den Flur ihrer kleinen Wohnung auszuräumen. Auf die Fragen seiner Frau antwortete er nur etwas von „hässlich aussehen“. Nachts wie tags malte er vorsichtig die Quadrate, aß sehr wenig und schlief nicht. So sehr seine Frau sich auch sorgte und so vorwurfsvoll die Blicke seiner Kinder auch waren, die oft am Ende des Flures standen um ihm zuzusehen, er war besessen.
Es dauerte sehr lange, denn auf keinen Fall wollte er Fliesen benutzen. Als er nach einem Jahr fast fertig war, brach er es plötzlich ab, keiner verstand wieso. Seine Frau versuchte mit allen Mitteln ihn wider zurück zu holen, doch vergebens. Mit einst leuchtenden Augen starrte er in die Leere. Einzig um seine Kinder wollte er sich kümmern, doch die beiden wandten sich ab. Sie hatten solche Angst gehabt, wenn ihr Vater mit starrem Blick, einen Pinsel in der Hand im Mondlicht saß und malte.
Dass ihm sein eigen Fleisch und Blut nicht länger vertraute, war wie der Stoß über eine Klippe. Er nahm sich ein Küchenmesser, als seine Frau nicht zu Hause war und setzte sich auf den unvollendeten Boden des Flures. Er hatte keine Lust mehr gehabt, deshalb brach er seine Arbeit ab. Er hatte eingesehen, wie sinnlos alles ist.
Während er das Messer an seinen Hals führte, sah er ein letztes Mal sein altes Leben, in dem Bruder und Schwester sich fest an den Händen hielten und voller Verständnis lächelten.
Alle waren schockiert. Der Flur wurde auf innigen Wunsch der Kinder vollendet. Er war nicht schön, eher düster, aber der Bogen Licht an seinem Ende erinnerte an das sonnige Lächeln eines liebenden Mannes.