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- Anmerkungen zum Text
Die Idee zum Text kam mir vor zwei Tagen beim Morgenkaffee.
Er ist mein erster Versuch, etwas humorvolles zu schreiben.
Beim Schreiben und Überarbeiten hatte ich dann doch starke Bedenken.
Ich glaube ich setzte der Deutschen Sprache doch ganz schön zu.
Der Geist und das Salamibrot
Sam fror. Es war Winter im Land. Sam mochte den Winter nicht. Auch, wenn kein Schnee lag. Und auch, wenn der Abendhimmel klar war. Sam konnte die Kälte nicht ausstehen. Da half auch das letzte bisschen Sonne nichts.
„Streich net, wenn's Winter ist.“ Das sagte sein Vater immer, als der noch lebte. Als sein Vater ein alter Mann war. Sam war jetzt selbst alt. Aber Vater? Nein, das war er nicht. Er war ja auch beschäftigt mit dem Streichen. Und er war beschäftigt mit seinen Problemen. Gerade war sein Problem, dass es kalt war. Und dass er streichen musste. Wie sollte er da eine Frau treffen, wenn es kalt war und er streichen musste?
Er kam am Wachhaus an und schaute durch die Scheibe. Ein Mann saß mit dem Rücken zu ihm an einem Tisch. Sam klopfte mit seiner freien Hand an die Scheibe. In der anderen Hand hatte er seinen Beutel. In seinem Beutel waren seine Pinsel und seine Spachtel und seine Brotbox und in der Box, da war sogar noch ein halbes Salamibrot. Das war heute Mittag übrig geblieben. Sam hatte keinen Appetit auf Salami gehabt.
Der Mann drehte sich auf seinem Stuhl um. Eine Wampe hing vor ihm. Wie ein schlaffer Beutel.
„Ja“, sagte der Dicke.
„Hallo. Ich soll hier streichen.“
„Firma?“
„Werner.“
„Haben sie eine Ansprechpartner?“
„Der Vorarbeiter mit dem Schnauzer.“
„Bitte was?“
„Der Horst sagte, der hat einen riesigen Schnauzer.“
„Und wer ist der Horst?“
„Na, mein Chef. Der war doch schon öfter hier.“
„Hören Sie, wir haben hier fünfhundert Mitarbeiter.“
Komisch, dachte sich Sam. Der Horst meinte immer, dass wären hier schlaue Leute. Aber die konnten sich ja nicht mal die Namen von ihren Anstreichern merken.
„Also haben Sie jetzt bei jemandem einen Termin, oder nicht?“
„Ja natürlich.“
„Aber Sie wissen nicht, wie derjenige heißt?“
„Ich habe einen Termin beim Thorsten.“
„Haben Sie keinen Nachnamen?“
„Den hat mir mein Chef nicht gesagt.“
„Moment.“
Der Dicke drehte sich mit seiner Wampe zum Tisch um. Er tippte ein bisschen auf seinem Telefon herum und hielt sich danach den Hörer an sein Ohr.
Wie viele Thorsten mit Schnauzer es hier wohl gibt? So viele konnten das nicht sein. Vor allem nicht so viele Vorarbeiter mit Schnauzer namens Thorsten. Die kennen nicht mal ihre eigenen Leute. Aber ihre Anstreicher kennen die ja auch nicht.
Der Dicke drehte sich erneut zu Sam um. Die Wampe war wieder da.
„Wie ist ihr Name?“
„Na, ich bin der Samuel Sprünglein.“
„Okay Herr Sprünglein, gehen sie bitte durch das Drehtor und warten Sie dann in der markierten Fläche. Herr Schmitt wird gleich da sein.“
Herr Schmitt war ein netter Kerl. Er redete viel. Aber nett war er trotzdem. Er hatte gesagt: „Guten Abend, Herr Sprünglein“. Hatte ihm sogar die Hand gegeben. Hatte gesagt, dass es gut war, dass er kommen konnte. Sagte was von Notfall. Dann hatte er ihn gefragt, wie es ihm ginge. Sam sagte, dass es ihm kalt war. Dass er den Winter nicht mochte. Und dass man im Winter eigentlich nicht streichen sollte.
Herr Schmitt nickte verständnisvoll und lief dann los und Sam lief neben ihm her.
„Wissen Sie, Herr Sprünglein, die Konzernleitung schaut hier morgen früh überraschend vorbei. Es wurde uns erst heute Mittag gesagt. Man sagt, die wären sehr penibel. Ich sage Ihnen, wir sind schon den ganzen Tag am aufräumen. Ich habe selbst noch viel zu tun. Natürlich können wir nicht innerhalb von einem Tag das komplette Werk auf Vordermann bringen. Aber zumindest das Konzernlogo sollte doch gut aussehen. Die Farbe haben wir besorgt und die Bühne steht bereit. Sie können direkt anfangen. Sie waren tatsächlich der einzige Betrieb, der das machen wollte. Naja, es ist ja auch schon Abend. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken. Sie können mich übrigens Thorsten nennen.“
Sam hörte nicht mehr zu. Er lief einfach nur neben Thorsten her und beobachtete seinen Schnauzer, wie er beim Reden auf und ab hüpfte. Irgendwie erinnerte der Schnauzer Sam an eine elektrische Zahnbürste.
Plötzlich rutschte der Thorsten auf einer gefrorenen Pfütze aus.
Aber der Sam reagierte schnell und fing ihn auf.
„Danke. Das wäre fast ein Fall für Murphy's Law geworden.“
„Wer ist Murphy Slaw“, fragte Sam.
„Das kennen Sie nicht? Dass alles schiefgehen kann?“
„Und warum ist das dem Murphy seine Schuld?“
„Nein, der sagt das nur voraus. Ach, wissen Sie, das ist auch nicht so wichtig.“
Und sie liefen wieder auf das Gebäude zu, das aussah wie ein großer, weißer, eckiger Schimmelkäse. Und der Thorsten redete immer noch. Sam ging das ganze Gerede auf die Nerven. Der dachte wohl, wenn der Sam nicht viel redet, dann müsste er viel reden. Wenn der wüsste wie viel ich reden kann. Ich kann das nämlich auch, was der kann.Und dann dreht sich der Spieß. Und dann gehe ich ihm auf die Nerven. Und dann habe ich meine Ruhe.
Und Sam fing an zu reden. Jetzt musste der Thorsten zuhören. Sam erzählte ihm, wie sein Chef den Anruf heute bekam. Kurz vor Feierabend. Und dass er dann jemanden brauchte, der zum Kraftwerk fuhr, um zu streichen. Sam meinte daraufhin, dass man im Winter nicht streichen sollte. Und der Chef sagte , es wäre egal, ob die Farbe trocknet. Und dass es dringend war. Sam meinte dann, er könne das machen, denn vom Musikantenstadl läuft heute Nacht nochmal eine Wiederholung. Und sein Chef wollte erst nicht. Der wollte den Peter schicken. Aber der Peter meinte, er muss seine Tochter zum Arzt fahren. Die hat nämlich die Grippe. Und der Chef konnte selbst auch nicht zum Kraftwerk. Denn der hat einen Termin beim Amt. Dann durfte Sam doch alleine hinfahren. Und sein Chef sagte ihm, er soll dort einfach machen, was ihm gesagt wird. Und dass er den Thorsten treffen soll und dass der einen riesigen Schnauzer hat.
Als die Beiden dann vor dem Schimmelkäse ankamen, da war der Vorarbeiter ganz still.
„Wo soll ich jetzt streichen, Thorsten?“
Der Vorarbeiter zeigte mit seinem Finger auf drei rote Buchstaben an der Wand. Die waren weit oben. Mindestens vier Meter. Und auf dem Boden vor der Wand, da stand eine Hebebühne. Und auf der Bühne standen ein paar Eimer. Und neben den Eimern, da stand ein Strahler.
„Also dann Herr Sprünglein. Sie kommen klar, habe ich recht?“
„Ja, natürlich.“
Die alte Farbe war an vielen Stellen abgeblättert und er kratze die losen Reste mit der Spachtel weg. Dann fing er an, die Stellen mit der frischen Farbe zu überstreichen. Dann musste er die Hebebühne verfahren und dann wieder kratzen und dann streichen und dann verfahren.
Die Sonne war schon untergegangen. Sam war kalt. Er mochte den Winter nicht. Und streichen sollte man auch nicht im Winter. Was für ein Schlamassel.
Er erinnerte sich daran, was der Thorsten über den Murphy Slaw gesagt hatte. Dass der voraussehen kann, wenn etwas schiefgeht. Sam kannte niemanden, der so was kann. Sein Vater hatte immer gesagt, dass irgendetwas schief gehen würde. Das hatte er gesagt, bei allen möglichen Sachen. Manchmal hatte der damit auch recht. Aber oft auch nicht. Und wenn man andauernd sagt, dass etwas schiefgeht, ja dann braucht man ja nicht mal Glück, um recht zu haben.
Aber der Murphy, der konnte ja sogar voraussagen, dass jemand auf einer Pfütze ausrutschte. Der Murphy musste ein Geist sein. Wahrscheinlich sorgt der auch selbst für die Schlamassel. Seine Oma hatte ihn immer vor Geistern gewarnt. Hatte gesagt, dass die viel Unheil anrichten. Aber er hatte damals nicht an die geglaubt, dachte die Oma sagt das, um ihm Angst zu machen .Aber wenn sogar ein Vorarbeiter an die glaubte, dann musste da ja was dran sein. Dann musste er gut aufpassen. So ein Geist kann viel Unheil anrichten.
Er kratzte weiter, und strich weiter und verfuhr weiter.
Nach einiger Zeit bekam er Hunger. Eine Pause konnte er sich ja leisten. Er hatte schon die Hälfte des Logos überstrichen. Er legte den Pinsel und die Spachtel beiseite. Dann holte er die Brotbox aus seinem Beutel und dann das Salamibrot aus der Box. Jetzt hatte er Appetit. Er nahm einen Bissen.
Sam drehte sich vom Logo weg, mit dem Brot in der Hand. Er blickte, zwischen den Schloten hindurch, auf die Lichter der Stadt. Dann schaute er nach unten auf die Straße. Da stand gerade ein Mann. Und neben dem Mann, da stand ein Hund. Und beide standen unter einer Laterne. Und beide schauten zu ihm herauf. Ein Wachmann war das wahrscheinlich. Sam winkte den beiden, aber die beiden winkten nicht zurück. Und er dachte, die wären hier nett. Aber er dachte ja auch, die wären hier schlau.
Er hörte eine Tür. Er sah zum Eingang des Schimmelkäses.
Aus der Tür unter ihm kam gerade, mit schnellem Schritt, eine Frau. Die hatte blondes Haar. Und die trug einen engen Rock. Hübsch war die, dachte er. Vielleicht trifft er heute ja doch eine Frau. Und das obwohl es kalt war und obwohl er streichen musste. Vielleicht mochte er den Winter ja doch. Vielleicht hatte sein Vater ja unrecht, wenn der immer sagte:„Streich net, wenn's Winter ist.“
Brummen. Ein Tanklaster bog in die Straße vor dem Schimmelkäse und beschleunigte. Er sah zur Frau. Sie war im Begriff auf die Straße zu laufen. Er rief:
„Hey, passen Sie auf. Der Murphy Slaw treibt heute sein Unwesen.“
„Was wollen Sie?“
Er beugte sich weiter nach vorne, über das Geländer und rief:
„Der Murphy. Der Geist. Der ist heute unterwegs.“
In diesem Moment rutschte ihm sein Salamibrot aus der Hand. Es fiel und landete auf der Straße. Der Hund rannte los. Auf die Straße. Zu seinem Brot. Der Tanklaster wich dem Hund aus. Quietschen. Der Laster schleuderte und brach durch einen Maschendrahtzaun. Und dann rammte er in einen großen Metallklotz. Da war ein gerissenes Kabel. Aus dem Laster floss etwas. Es roch nach Benzin.
Sam sah zu, wie der Fahrer aus dem Laster sprang.
Jemand rief:“Weg! Weg von dem Trafo!“
Sam erschrak. Er fragte sich, ob dieses Schlamassel jetzt noch mehr Überstunden für ihn bedeutete. Er hatte keine Lust mehr zu streichen.
Dann fing der Laster Feuer und ging zusammen mit dem Metallklotz in Flammen auf. Funken sprühten. Menschen rannten. Die Lichter der Stadt flackerten kurz. Und dann war die Stadt dunkel. Na toll, dachte er. Das war es dann auch mit dem Musikantenstadl … der Murphy gibt heute wirklich sein Bestes.