- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Der Graf
Ich glaube an drei Dinge. Erstens: Jeder erkennt den Unterschied zwischen schlechtem und gutem Senf. Zweitens: Menschen, die salziges Popcorn mögen, sind Idioten. Und drittens: Der Teufel ist ein Kater und er hasst mich.
Die Frau, von der ich später erfuhr, sie heiße Nina, saß in einer Sportbar und fertigte Männer wie am Fließband ab. Sie am Tresen und aß Nüsschen: Das rote Sommerkleid eröffnete einen verführerischen Blick auf ihre Waden, die sich am Holz des Thekenhockers rieben.
Rechts von ihr ein Berg gescheiterter Männer. Links eine Warteschlange. Ich hinten, in Sicherheit. Schaute mir die Curling-Weltmeisterschaft der Frauen an. Kein schlechter Sport.
Das dachte wohl auch der Kandidat, der gerade bei Nina sein Glück versuchte. Mit einem Blick auf den Curling-Fernseher sagte er: „Mondschein, bei mir wirst du nie putzen müssen.“
Lächelte dazu sein bestes „Atze Schröder wäre gern Tom Cruise“-Lächeln.
Doch Nina mit einem Wink ihrer Hand nur, den Daumen über die rechte Schulter gestreckt: Schon wuchs der Berg.
Der nächste, so ein Hobbypoet. Mit Barett. Also ehrlich: Er trug ein Barett! In einer Sportbar! „Ich muss schlafwandeln, wie sonst wäre es erklärlich, ich begegnete der Frau meiner Träume.“
Der nächste, so ein Men’s-Health-Adonis, ganz lässig, vorher noch die Schultern gekreist, lümmelte sich mit einem Ellenbogen vor sie hin, warf den Kopf in den Nacken und nuschelte: „Hey.“
Nina nuschelte: „Bye.“
Es war jedem klar in der Bar: Nina verstieß gegen die Regeln. Frauen dieser Güteklasse gingen nicht in eine Sportbar. Wenn doch, dann waren sie verzweifelt. Hatten genug Ballast mit sich herumschleppen, dass sie in einem Flugzeug eine ganze Reihe brauchten. Vom Fenster bis zum Gang nur Gepäck. Waren waidwundes Freiwild, man musste sich nur etwas Salz auf den Handrücken streuen und sie schleckten es begierig ab. Waren bereit Kuchen zu backen und Socken zu waschen, nur damit das Ticken der Uhr in ihren kleinen Eierstöcken endlich etwas leiser würde. Das blubbernde Tick-Tack der biologischen Uhr.
So waren die Regeln. Nina verstieß gegen jede einzelne.
War nur, so dachte ich damals, in der Bar, um ihren Marktwert zu checken. Sich eine Politur fürs Ego zu gönnen. Aber andere sahen das nicht.
Und so ließ sich einer nach dem anderen von ihr kastrieren. Lief in die vorbereitete Falle. Schnüffelte kurz am Käse – und bei Gott, an einem prächtigen Stück Käse – nur um dann von der Mechanik einer enttäuschten Frau erschlagen zu werden. Ins Genick. Brutal und gnadenlos.
Ich hatte das nicht nötig, war in der Bar nur um unter meinesgleichen zu sein. Ein Mann unter Männern und weil es dort den besten Senf der Stadt gab. Richtig körnigen scharfen Senf, bei dem es völlig egal war, worauf man ihn schmierte, ob auf Weißbrot oder auf Vollkornbrot, man schmeckte ohnehin nur diesen Senf. Gott, ich liebe Senf.
„Herr Ober, bringen Sie mir doch noch etwas Senf“, sagte ich bestimmt, „und vielleicht ein bisschen Styropor als Trägersubstanz oder Baguette, je nachdem, was Sie vorrätig haben. Hauptsache, es geht schnell.“
Doch Nina beachtete mich nicht, obwohl es in der Bar überhaupt keinen Ober gab und ich so laut und wohltönend bestellt hatte, dass sie es hätte hören müssen.
Mit der Zeit verhält es sich wie mit Zigaretten. Egal wie viele man von ihnen hat, irgendwann sind sie weg.
So leerte sich auch an jenem Abend die Bar und ich stapelte ausgequetschte Senf-Tütchen aufeinander und versuchte in meinem brennenden Mund die Zunge auszumachen. Schließlich hatte ich genug und wollte gehen, als ich ihre Stimme hörte: „Wo denkst du denn, dass du hingehst?“
„Hm“, murmelte ich, da ich meine Zunge noch immer nicht gefunden hatte, drehte mich jedoch zu ihr herum, und da stand sie nun. Das rote Sommerkleid etwas grau geworden von Zigarettengerauch und geplatzten Seifenblasen. Und die goldenen Härchen an ihrem bronzenen Unterarm: Die sahen auch nicht mehr so glitzernd und weich und wollig aus.
„Ja?“, fragte sie und stemmte ihre Fäustchen in die Hüfte.
Und ich sagte: „T’t mi’ lei’, i’h ’abe wo’l z’viel Sen’ ge’g’’’sen!“
„Willst’n Bier?“, fragte sie.
Ich nickte.
Und sie meinte: „Ich auch.“ Setzte sich dann an den Tisch, tippelte mit den Fingern nervtötend gegen die Tischplatte und trieb mich unter wiederholtem Kopfnicken gen Theke.
Der Weg war ein Triumphmarsch. Ich spürte die Blicke der Gefallenen. Und gab mir Mühe, so zu laufen wie jemand, der das gewisse Etwas hat. Das je ne sais quoi. Das irgendwie französisch Virile des wahren Mannes. Ein Mann, der nicht nur Curling schaut, sondern für den Curling gespielt wird. Leider vergaß ich darüber, mir irgendetwas auszudenken und als ich wieder vor Nina stand, ein Krombacher in der Rechten und ein Desperado in der Linken, fiel mir nichts Besseres ein als gar nichts zu sagen und das tat ich dann. Ziemlich gut, glaube ich.
Nina griff sich das Krombacher und ließ mich mit dem Mädchenbier zurück. Ich hielt es missmutig in die Höhe, kniff ein Auge zu und sagte: „Ganz schön hell. Man kann ja richtig durchschauen.“
Nina sagte: „Prost.“
Ich sagte: „Du willst bestimmt wissen, was ich so tue.“
Nina trank.
Ich sagte: „Kennst du den Film mit Johnny Depp, in dem er-“
Nina sagte: „Ja.“
Und für einen Moment dachte ich: Das ist Magie. Wir kennen uns erst seit wenigen Minuten und verstehen uns schon blind. Non-verbale Kommunikation, wie bei den Neanderthalern. Bis mir einfiel, dass Johnny Depp Johnny Depp ist.
„Er knallt da in einer Bar den besten Chilli-Koch Mexikos ab, um das Gleichgewicht zu wahren.“
Nina lächelte durchaus verzückt in meine Richtung, ihr kleiner Finger spielte mit dem Flaschenrand des Krombachers und zog dort Kreise.
„Genau das tue ich auch“, sagte ich, „ich wahre das Gleichgewicht.“
Ich setzte neu an: „Ist das nicht furchtbar, dass unsere Generation keine Klassiker hat. Und dann denken wir einfach, alles, was nur acht Mal im Jahre im Fernsehen läuft, ist ein Klassiker. Ich meine, wir fangen an und sagen: Hey, der 13. Krieger ist doch ein Riesenfilm, oder? Ist ja ein moderner Klassiker.“
„Stehst auf Antonio Banderas?“, fragte sie.
„Nee, auf dich“, sagte ich.
Und tatsächlich: Sie kicherte ein wenig schulmädchenhaft.
Als wir in den Punto stiegen, sagte ich: „Tut mir leid, mein Hummer ist in der Werkstatt. Das hier ist das Auto meiner Schwester.“
„Du hast doch vorhin gesagt, deine Schwester lebt in Peru.“
Ich startete den Wagen und murmelte: „Eine andere Schwester, über die wir nicht so reden.“
Nina fummelte am Handschuhfach herum, bekam es schließlich auf und einige Senf-Tüten fielen ihr auf den Schoß.
„Ist ganz verrückt nach Senf“, sagte ich, während Nina mir einen Kuss auf die rechte Wange hauchte.
„Also das Wichtigste bei meinem Beruf ist es, dass man den Kinotypen nicht zu viel salziges Popcorn liefert.“
„Das Gleichgewicht?“, fragte Nina.
„Das Gleichgewicht“, sagte ich.
„Los, du Spinner. Fahr mich nach Hause.“
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung, im Treppenhaus, konnte ich die Finger schon kaum von ihrem Hintern lassen und ihrem Sommerkleid. Ich nestelte an kleinen Schleifchen und Schlaufen herum und weil sie im dritten Stock wohnte, presste ich sie am Treppenabsatz des zweiten gegen die Wand und küsste sie, bis wir beide außer Atem waren.
„Ich muss dir etwas sagen“, hauchte sie, zwischen ein paar Küssen.
„Ich auch“, sagte ich. „Ich hab gar keinen Hummer. Und ich steh wirklich auf Antonio Banderas.“
Weil sie eine kleine Pause machte, fügte ich noch hinzu: „Vielleicht hab ich auch ein kleines Senf-Problem.“
„Ich lebe nicht alleine. Ich habe eine Katze. Ich hoffe das stört dich nicht.“
Ich presste sie noch härter gegen die Wand und spürte ihren weichen Schenkel an meinem Bein.
„Ein haariges Felltier, das sich für den Größten hält, überall hinpinkelt und hunderte von Euro im Jahr kostet“, ich nuschelte die Worte mehr gegen ihren Hals. „Find ich riesig.“
„Gut“, sagte sie mit einem Blick an die Decke. „Ich hoffe, du störst ihn auch nicht.“
„Hm?“, machte ich und schaute auf.
Nina richtete ihr Kleid und ging die Treppe nach oben: „Komm schon.“
Das Katzenviech starrte uns von einem Bücherregal aus an, es hatte sich wie eine Statue vor ein paar Romane platziert und glotzte stur auf die Tür.
„Das ist der Graf von Maunz“, sagte Nina und bat mich herein.
Ich nickte dem Viech knapp zu und sah mir die Wohnung an. Ein wenig wie ein Puppenhaus, eine Wohnung zum Üben. Fernseher, Sofa, Regale. Hinten bestimmt irgendwo Küche, Bad und Schlafzimmer. Man hatte das Gefühl, es wächst noch alles. Und diese Katze starrte mich die ganze Zeit an.
„Ich lass euch zwei mal alleine, dann könnt ihr euch ja beschnuppern“, sagte Nina und schloss die Tür.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und pustete herein, um meinen Atem zu checken. Ich strich mit der Hand über die Oberfläche der Couch, Stoff, meine ist aus Leder. Stöberte in den Regalen herum. Zwei Staffeln Lost, die erste und die dritte, und ein Haufen Hardcover-Bücher mit Namen, die ich nicht kannte. Und die Katze.
Ein schwarz-graues, drahtiges Ding. Fu-Manchu-bärtig, eine irgendwie asiatische Panzerknackerkatze. Sofort unsympathisch.
Ich griff mit der Hand in Richtung ihres Kopfes, wirklich nur um sie zu streicheln. Sie fauchte mich an, bleckte nadelscharfe Reißzähne und ihre Augen waren blutunterlaufene Todesfallen. Ich zog meine Hand flugs zurück. „Dreckskatze“, sagte ich vielleicht. Ein Fehler.
Ninas Stimme dann, aus der Küche: „Möchtest du etwas essen?“
„Hast du Senf?“
„Ja.“
„Guten Senf?“
„Von Kühne.
„Tube oder Glas?“
„Tube. Mittelscharf.“
„Das ist ein Klasse Senf.“
„Möchtest du etwas dazu?“
„Hast du so Party-Cracker?“
“Die kleinen?”
“Perfekt.”
Die Katze ließ mich nicht aus den Augen.
Nina brachte ein Tablett mit Crackern, kleine Senfpyramiden darauf, sie setzte uns auf die Couch, ließ aber – sehr zu meinem Verwundern – etwas Abstand zwischen uns. Abstand, der sofort vom Grafen gefüllt wurde. Wie ein Bergpuma sprang er vom Bücherregal, kaum dass wir uns gesetzt hatten, zwischen uns und verharrte dort reglos.
Mit spitzen Fingern nahm ich mir den ersten Senf-Cracker.
„Ich kann dir auch etwas Fleisch aufschneiden“, sagte Nina.
„Oh, ich mag kein Fleisch.“
„Vegetarier?“
„Hm? Nein, zuviel Eigengeschmack“, sagte ich und schob mir den Cracker in den Mund.
„Der Graf mag Fleisch.“ Und da, als hätte er seinen Namen gehört, hob er den Kopf und nickte wie zur Bestätigung dreimal, gähnte dann, ein Zeichen der Warnung, und ruhte weiter. Zwischen uns. Regungslos, nur die Barthaare summten wie die Saite einer Garotte.
Nach zwei, drei Crackern gähnte ich herzhaft und legte dabei einen Arm um Ninas Schultern.
Der Graf kratzte mir in den Oberschenkel.
„Oh, Tschuldigung“, sagte Nina in meinen Aufschrei hinein. „Er hat noch gar nichts gegessen, da ist er immer launisch.“
Etwas genant zog ich meinen Arm zurück und strich mir über die Hose.
„Ich mach ihm fix was warm“, sagte sie, stand auf und ging. Von der Türe hauchte sie noch einmal: „Bleib so.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute – wie ich zugeben muss – vielleicht etwas verächtlich auf die Katze. Aber, und darüber kann es keine zwei Meinungen geben: Der Graf hat angefangen. Nicht ich.
Die Mikrowelle piepste; Nina kam mit einem weißen Kaffeeteller zurück, auf dem eine braune Masse lag und ein Stück Petersilie: „Seit er das in der Sheva-Werbung gesehen hat, will er das auch“, sagte sie und stellte den Teller auf den Boden, setzte sich neben mich und starrte vollends fasziniert auf den Teller.
Der Graf in all seiner Erhabenheit schlich um den Teller, inspizierte und schnupperte an ihm, drehte uns dabei den rückwärtigen Teil zu, wackelte einige Male mit dem haarigen Gesäß, ließ sich dann auf die Hinterbeine herab und kaute und schlang lautstark.
„Willst du nicht noch etwas Musik anmachen dazu, vielleicht ein Streicherquartett?“, fragte ich Nina.
Doch sie nur: „Psst, pass auf. Gleich kommt der schönste Teil.“
Und der Graf, um zu zeigen, was er konnte, hoppste, noch während er aß, nur mit den Hinterbeinen um den Teller herum und zeigte uns, wie er zu speisen pflegte: Mit dem Maul riss er ein Stück von dem Sheva-Zeug aus der Masse, warf den Kopf in den Nacken und würgte es in drei Bissen herunter.
Nina klatschte verzückt, ich rollte die Augen und nahm mir einen Senf-Cracker.
Und der Graf dann in einer aristokratischen Geste, beendete sein Mahl mit dem Kopf und ging dazu über, mit der rechten Pfote kleine Teilchen aus dem Essen zu fuchteln, bildete mit der Pfote dann eine Art Löffel und schaufelte sich das Zeug in die Schnute.
„Wow“, sagte ich.
„Toll, oder?“, meinte Nina.
„Ganz klasse“, sagte ich, nahm einen Cracker vom Tablett, hielt ihn am ausgestreckten Arm und warf ihn mir die sechzig, siebzig Zentimeter in den Mund. Jedenfalls war das der Plan. In der Realität segelte der Senf-Cracker an mir vorbei und klatschte gegen die Wand hinter uns.
Nina bemerkte es nicht, sah noch immer auf den Grafen, doch der Graf starrte mich mit wissenden Augen an.
Ich räusperte mich und bat um ein Glas Wasser, um dann, während Nina verschwunden war, panisch meinen Daumen in den Mund zu stecken, ihn zu befeuchten und zu versuchen, den gelben Senf-Fleck von der hellblauen Tapete zu wischen.
„Du hast oft Durst, oder?“, fragte Nina, als sie neben mir saß, jetzt wirklich neben mir, denn der Graf speiste noch.
„Das liegt am vielen Senf“, sagte ich und streichelte ihr zärtlich übers Knie.
„Das ist eine gute Stelle“, flüsterte sie und legte ihren Kopf in meine Schulterbeuge und eine Hand auf meine Hand an ihrem Knie. Mit den Fingerspitzen streichelte sie mich da, und fuhr über die kleinen Härchen an meinem Unterarm.
„Erzähl das noch mal mit dem salzigen Popcorn, das ist echt süß“, flüsterte sie.
Da sprang der Graf wie ein Derwisch zwischen uns, Nina erschrak und zog die Hand zurück, auch ich starrte die Katze an. Der Graf saß auf der Lehne der Couch genau neben dem feuchten Senf-Fleck und zeigte mit der Nasenspitze auf ihn.
Ich tat so, als hätte ich mich an einem Senf-Cracker verschluckt und begann zu husten, tastete nach dem Glas mit Wasser und nahm einen großen Schluck.
„Harter Stoff“, sagte ich und fragte: „Wo waren wir denn stehen geblieben?“
„Ich räum mal ab“, sagte sie, tätschelte mir kumpelhaft die Schulter und Nina und des Grafen Gedeck verschwanden.
Ich drehte mich zum Grafen um, unsere Augen auf gleicher Höhe.
„Hör mal zu“, sagte ich in scharfem Ton. „Diese Wohnung ist zu klein für uns beide.“
Und der Graf, ich schwöre es, führte eine Pfote zu seinen Hals, ließ eine funkelnde Kralle herausschnellen und fuhr sich von links nach rechts über die Kehle.
Mit einem diabolischen Grinsen nahm ich das Glas Wasser vom Tisch, schüttete es mir über meine Hose, sprang auf und schrie: „Oh Gott! Er hat mich vollgepinkelt!“
„Böser Graf“, fauchte Nina, rieb mir über Schritt und Oberschenkel, lächelte mich etwas schamhaft von unten an und sagte: „Es tut mir so leid.“
Wendete wieder den Kopf: „Böse Katze“, dann reiben und „Tut mir leid“ hauchen.
„Das macht er sonst nie“, sagte sie, während ich mich zurücklehnte, ihre Hände genoss und den Grafen angrinste, der sich zurück auf sein Bücherregal getrollt hatte, um dort seine Niederlage einzusehen. Wie ich glaubte.
Nur einmal schaute der Graf noch auf, als Nina murmelte: „Komisch, es riecht ja gar nicht“, aber da hatte ich schon die Stelle an ihrem Nacken gefunden, gleich oberhalb der Wirbelsäule, und es war ihr ziemlich gleichgültig.
Nina war schwerer, als sie aussah. Das merkte ich, nachdem ich sie mir gegriffen und hochgestemmt hatte. Sie lachte dabei und drückte sich an mich, ich hielt sie in der traditionellen „Braut über Schwelle“-Position.
Als wir an dem Bücherregal vorbeikamen, leckte sich der Graf unschuldig den After und tat so, als könne er kein Barthärchen krümmen. Nina streckte sich dem Grafen entgegen und drückte ihm einen zarten Kuss auf den Pelz. Der Graf erhob müde das Haupt, das soeben noch in südlichen Regionen war und spitzte die Lippen ebenfalls zum Kuss, doch da fuhr ich entschieden dazwischen, indem ich Nina schleunigst von dannen trug.
„Gute Nacht, mein Graf“, hauchte sie noch.
Und ich murmelte: „Du elender Prinz von Neu-England.“
„Was hast du gesagt?“, fragte Nina und versuchte sich an meinem Hals festzuklammern.
„Nichts“, sagte ich, und trug sie an der Küche vorbei ins Schlafzimmer. Beim Versuch, die Tür mit meinem Fuß aufzuschieben, blieb ich fast in der Katzenklappe hängen. Und als Nina sie endlich leicht akrobatisch geöffnet, und ich sie quer ins Zimmer getragen und aufs Bett vorgeworfen hatte, sah ich des Grafens Schrein. In der hinteren Ecke des sonst nur mit Bett, Schrank und Nachttisch spartanisch eingerichteten Schlafzimmers war ein Katzenpalast. Ein mannshoher Katzen-Kratzbaum. Ein – offensichtlich selten genutzter – silberner Essnapf. Dazu Tennisbälle in allen Farben und Größen, sowie eine Kollektion Stoffmäuse, wohl mit Katzenminze eingerieben.
In Gedanken sah ich den Grafen vom Bücherregal springen, in einem schnellen Katzengalopp die Distanz zum Schlafzimmer überwinden, nur um dann, wenn wir gerade bei der Sache wären, durch die Klappe ins Bett zu huschen, und alles zu verderben.
Nina kicherte und lockte mich mit ausgestrecktem Zeigefinger.
Ich zog mir betont ungeschickt die mittlerweile wieder trockene Hose aus und knüllte sie – mit einigen Fußtritten – genau vor die Klappe. Dorthin gesellten sich sämtliche meiner Kleidungsstücke – das Viech würde toben – und ich warf mich zu Nina ins Bett.
Ninas Haut war weich und ihre Haare rieben an meiner Nase. Ihre Brüste waren sanft und kühl und ihre Lippen warm und feucht. Sie bewegte sich träge, aber zielgerichtet, dirigierte und genoss, wühlte sich in meine Haare und war ganz still. Kicherte ab und zu, wenn ich sie neckte. Und als es schließlich so weit war und sie ihre Schenkel weit geöffnet hatte, um mich einzulassen, verwandelte sich ihr im Dämmerlicht schemenhaftes Gesicht in die Fratze einer widerwärtig-asiatischen Katze. Die Schnurrhaare kratzten über mein Gesicht, ihre Fersen, mit denen sie soeben noch über meinen Rücken gestrichen hatte, ritzten nun wie Krallen in meine Haut.
„Was ist mit dir?“, schnurrte sie.
Und ich, schon schwer atmend, sah ihn sitzen. In meinem Gehirn war er, der verdammte Graf. Vergewaltigte mich!
„Nichts“, sagte ich und drang in sie ein. „Es ist so schön, so schön.“
„Du weinst doch nicht etwa?“, miaute sie.
Ich biss die Zähne aufeinander, die Krallen in meinem Rücken stachen, ich spürte das Blut förmlich fließen, und sagte nur: „Nein, wo denkst du nur hin, es ist so schön.“
Dann stieß ich zu, und sie miaute nicht mehr, sondern stöhnte, und ihr Fell stach nicht mehr, ihre Haut war weich. Und die Katze war besiegt. Endlich.
Später, viel später, wenn ich das mal sagen darf, als sie in meinen Armen einschlief, war das Letzte, was ich noch sah, bevor ich mich in Morpheus Welt zu ihr gesellte, die Katzenklappe, die sich ein wenig bewegte.
Am nächsten Morgen wurde ich von den Bangles geweckt, Walk like a Egyptian. Der Radiowecker neben mir zeigte in roten Digitalzahlen eine bedeutungslose Zeit an, wurde aber immer lauter.
Verwaschen konnte ich mich daran erinnern, dass sich Nina vorhin von mir verabschiedet hatte, sie wolle Brötchen holen und einkaufen. Ich solle ja nicht verschwinden, das meine sie ernst.
Ich drückte, nichtsahnend, auf den Stumm-Schalter des Radioweckers, als eine Todesfalle zuschnappte.
Über mir surrten Seile und wurden straff gezogen, metallenes Scheppern ersetzte das Heulen der Bangles und aus dem Augenwinkel sah ich nur silbernes Glitzern auf mich herabschießen, ich rollte mich panthergleich zur Seite und neben mir schlugen silberne Messer und Gabeln ein, dort wo eben noch meine Männlichkeit geruht hatte.
„So soll es sein“, flüsterte ich, während ich die tückische Maschinerie bestaunte, die nur ein malevolentes Genie ersinnen konnte. Durch den Druck auf den Stummschalter war eine Kettenreaktion in Gang gesetzt worden, die mit meiner Kastration hätte enden sollen.
Nina hatte – in gutem Glauben sicherlich – meine Klamotten von der Tür entfernt und auf die Bettkante gehängt.
Die Unterhose zog ich mir schnell an, für mehr blieb keine Zeit. Ich war auf der Jagd.
„Komm, Kitty, Kitty, koomm“, lockte ich, während ich mit einem Kissen bewaffnet durch das Wohnzimmer schlich. „Die Telepathie-Nummer war echt fies. Kannst du mir zeigen, wie das geht?“
Niemand antwortete. Ich versteckte das Kissen hinter meinem Rücken.
„Hey, wir können doch Freunde sein. Ich mein, ich werd nicht so oft da sein, und ab und zu kann ich dir vielleicht was mitbringen. So ne kleine Perserkatze aus dem Tierheim? Was meinst du?“
Noch immer kein Geräusch. Das Bücherregal war leer, auch auf dem Sofa versteckte sich niemand und dann fiel mir ein, dass in den Antonio Banderas-Filmen die Killer immer oben lauerten, und ich sah nach oben.
Das war ein Fehler, denn der Graf hatte an der Decke gelauert, ließ sich nun kamikazegleich nach unten fallen und hackte mit seinen messerscharfen Krallen nach meinem Gesicht. Meinen Kopf konnte ich gerade noch zur Seite nehmen, doch der Graf krallte sich in meine rechte Schulter, ließ sich dann unter Miauen und Gejaule an meinem Brustkorb herunter, und verkrallte sich in meiner Unterhose. Ich blutete aus zahlreichen Wunden, konnte den Grafen aber noch mit letzter Kraft gegen das Bücherregal schleudern. Fellklumpen stoben auf.
Ich fuhr mir mit einer Hand über die Brust, danach war sie blutverschmiert. Und der Graf kam nun torkelnd auf seine Hinterbeine, ging in die Kranichstellung, ein Bein zum Tritt erhoben, und winkte mich mit einer Pfote heran.
Ich wischte mir mit der blutverschmierten Hand über die Nase, griff dann das Kissen, das auf dem Boden lag, und warf es auf den Grafen. Der Graf tänzelte nach rechts, doch damit hatte ich gerechnet! Ich schnellte auf ihn zu und erwischte ihn hinten am Genick, so dass er gelähmt war und nun mit seinem dürren Körper ganz und gar meinem Wohl und Wehen ausgeliefert war. In die Küche zerrte ich das paralysierte Viech, öffnete die Tür der Mikrowelle und schob ihn hinein, stellte auf fünf Minuten und beobachtete, wie die Katze langsam begann sich in der Mikrowelle zu drehen.
„Hast kein Scheiß weißes Fähnchen mit, hm?“, murmelte ich triumphierend, während ich die Küchenfliesen voll blutete.
„Das wird dir eine Lehre sein“, dozierte ich mit erhobenem Zeigefinger vor der Mikrowellentür. „Wenn du vielleicht ein Affe wärst oder ein Hund, dann hättest du eine Chance gehabt, aber so! Ha! Sag ich da nur! Ha!“
Während ich im Siegestaumel überlegte, wo hier wohl der Senf versteckt war, griff Nina an mir vorbei und riss die Mikrowellentür auf. Eine Tüte mit Brötchen fiel auf den Boden.
Der Graf zitterte am ganzen Körper und sein Fell roch warm, aufgeheizt und angenehm. Nina nahm ihn auf den Arm und streichelte seinen Kopf.
„Er hat angefangen!“, schrie ich. „Ich kann alles erklären! Guck doch mal, wie ich blute!“ Doch Nina jagte mich aus der Wohnung. Die Klamotten warf sie mir noch nach, unter Schreien und Toben. Von Polizei war die Rede, und dass ich ein ganz mieser Liebhaber sei, schlaff und einfallslos, dieser Senf-Tick, schrie sie, sei auch total pervers, dann warf sie die Tür ins Schloss, hatte dabei immer noch den Grafen auf dem Arm und, Gott ist mein Zeuge, er hat die ganze Zeit über gelächelt!