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Der Herr der fliegenden Nilpferde
Der Herr der fliegenden Nilpferde
Der Pöbel hatte ihn in die Enge gedrängt.
„Hexenmeister! ... Verbrennt ihn! ... Macht ihn alle! ... Passt auf, sonst verzaubert er eure Kinder! ... Ich hab’ Hunger! ... Wie viel Uhr!“
Das und mehr konnte man die wütende Menge rufen hören.
Der als Hexenmeister titulierte stand mit dem Rücken zur Wand in einer Sackgasse und sah nun die Dorfbewohner mit Mistgabeln und Fackeln bewaffnet auf sich zuschreiten – ja, schreiten, sie genossen es, ihrem Opfer seine Ausweglosigkeit noch mal vor Augen zu führen.
Sie bildeten einen Halbkreis um ihn, etwa zwei Meter von ihm entfernt.
Der Mann sah sie von links nach rechts an.
„Willst du noch was sagen, bevor wir dich zerfetzen werden?“, lachte der obligatorische Schwätzer, der jeden Pöbel mit Worten anführt und aufhetzt.
„Das will ich in der Tat...“, der Mann holte tief Luft und rief: „WUV WOO!“
Der Pöbel sah sich verstört um. Was soll das?! War er nun vollends verrückt geworden? Nun hefteten sich alle Blicke auf den Rädelsführer.
Dieser merkte, dass von ihm erwartet wurde, dass er etwas sagte.
Er räusperte sich.
„Wuv Woo ... interessant ... und wovon träumst du nachts?“, fragte er mit Beifall heischendem Blick zu seinen Leuten. Die erhoffte Reaktion – dass sie lachten – blieb aus. Er räusperte sich noch mal, drehte sich wieder nach vorne und tat so, als ob jemand anderer etwas gesagt hatte und machte einen total unbeteiligten Gesichtsausdruck, als ob er hier nur seine Brötchen holen wollte.
Füße wurden verlegen gescharrt. Keiner wusste, wie er sich verhalten sollte.
Bevor es sich irgendjemand noch überlegen und etwas tun konnte, hörten sie ein Geräusch, das sich anhörte wie ein –
„Drache! Er hat einen Drachen beschworen!“, schrie einer.
„Drache“, sagte der Mann verächtlich und spuckte aus. „Schwachsinn! Wieso sind die Menschen so dumm? Heißt es „Der Herr der fliegenden Nilpferde“, weil ich Drachen beschwöre?“
„Hm, da ist was dran“, antwortete derjenige, der geschrien hatte. „Aber sehen Sie es mal von meinem Standpunkt aus: Ich habe noch nie ein fliegendes Nilpferd gesehen oder gehört. Also assoziierte ich das Geräusch mit einem Drachen.“
„Nun, mein Herr, Ihre Erläuterungen sind in sich nicht schlüssig: Sie haben noch nie ein fliegendes Nilpferd gesehen oder gehört?“
„Ja.“
„Haben Sie schon mal einen Drachen gesehen oder gehört?“
„Ähm, äh, ... ach, auf diese Wortwiederholung antworte ich doch gar nicht!“, stammelte der Dorfbewohner und entfernte sich dann anschließend so unauffällig wie möglich vom Pöbel.
Als er seine Haustür fast erreicht hatte, sah er einen Drachen. Wenigstens hatte er einen schnellen Tod. Das Schicksal ist grausam.
Zurück zu unserem Pöbel.
Es war tatsächlich ein fliegendes Nilpferd eingetroffen. Zwei gigantische Flügel, ein komischer kleiner schwarzer Hut und ein roter Schal charakterisierten es.
Bevor sich die Leute darüber wundern konnten, fing es schon an, rote Lavabrocken auf sie zu spucken; sie verbrannten alle, alle außer dem Mann, der dieses gar wundersame Tier beschworen hatte.
„Nun“, sagte er, „da, wo du herkommst, gibt es noch mehr von dir. ... WUV WOO, WUV WOO, WUV WOO ...“
Und eine Horde von geflügelten Nilpferden kam herangebraust.
„Tragt mich! Tragt mich, meine Kreaturen! Bringt mich fort von hier!“
Eines der Nilpferde schwebte in elegant anmutender Grazie herab und wartete, bis der Mann aufgestiegen war.
Dann erhob es sich wieder und gemeinsam mit den anderen Nilpferden flogen sie dem Sonnenuntergang entgegen.