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Der Künstler
Der flackernde Schein einer Kerze wirft den zuckenden Schatten eines Mannes an die Wand.
Wie in Trance zieht er Linien, manche senkrecht, manche quer, bis die Zeichenfläche fast vollständig mit ihnen bedeckt ist.
Es ist schon traurig, denkt er sich, dass es keinen Markt für diese Kunst gibt.
Seine Gedanken schweigen, während weitere Striche auf seinem neuesten Werk erscheinen. Bald beginnt er wieder, in Gedanken zu schwelgen:
Es gäbe aber sicherlich auch keinen Kritiker, der sich an ein solches Werk wagen würde, schließlich kann man doch nur kritisieren, was man versteht – und das, was er hier schafft, hat keinen tieferen Sinn, den man verstehen könnte.
Eine weitere Linie.
Kunst ist mehr, als nur ein paar schnurgerade Linien zu ziehen. Man braucht Motive, braucht Farbe, Inspiration und nicht zuletzt Ästhetik.
Motive. Er müsste wohl lachen, wenn ihm nicht so nach Heulen zumute wäre. Sein Werk enthält nicht ein identifizierbares Motiv, nicht ein einziges.
Auch farblich ist sein Werk nicht eines Künstlers würdig. Trotzig zieht er eine weitere Linie in leuchtendem Rot, wobei er es mit der Farbe zu sehr übertreibt, sodass einige Linien auf der Zeichenfläche verwischen.
An Inspiration mangelt es ihm jedoch nicht. Je mehr Linien er zieht, desto mehr Erinnerungen drängen sich in sein Bewusstsein, Erinnerungen, die stark genug sind, als Inspiration zu dienen.
Wenn es aber um Ästhetik geht, wird ihm schier schlecht.
Sein Werk ist so übel und abstoßend, dass er es am liebsten zerreißen und zerknüllen, es in den Papierkorb werfen oder verbrennen würde, wenn er denn wenigstens die Möglichkeit hätte, dies zu tun.
Traurig und zugleich wütend über seine unglaubliche Torheit legt er sein scharfes Malwerkzeug zur Seite und betrachtet sein abscheuliches Werk mit Ekel.
Urfassung schrieb:Musik strömt aus den Lautsprechern und verteilt sich im ganzen Raum, doch ER nimmt nur noch wenig von ihr wahr. Wie in Trance zeichnet er mehr und mehr Linien, bis die Zeichenfläche fast vollständig mit ihnen bedeckt ist.
Kein Kunstkritiker würde etwas an seinem Werk aussetzen können, denn sie würden es einfach nicht schaffen, es auseinander zu nehmen, um jedes Element einzeln zu betrachten. Wie denn auch? Es gibt ja schließlich keine Elemente, die man analysieren könnte.Er zieht eine weitere Linie.
Seine Gedanken schweigen eine Weile. Weitere Striche erscheinen auf dem Werk.Zudem würde sich kein Kritiker, der noch bei klarem Verstand ist, seiner Kunst annehmen. Das wäre doch reinste Zeitverschwendung.
Erneut eine Linie.
Die Lautsprecher tönen inzwischen ein anderes Lied. Den Wechsel bemerkt er nicht.
Wieder legt sein Hirn eine kurze Pause ein.Kunst ist schon etwas mehr, als einfach nur ein paar gerade Striche zu zeichnen. Man braucht Motive, braucht Farbe, Inspiration und schließlich Ästhetik.
Motive.
Mit Erstaunen entdeckt er eine Linie weit ab von den anderen. Kann man das ein Motiv nennen?
Weitere Linien verbinden sie bald mit dem Rest des Werkes.Farbe.
Ein weiterer, besonders kräftiger Strich wird auf die Zeichenfläche gesetzt.Inspiration.
Er hält inne und lauscht der Musik. Eine langsame, düstere Melodie erfüllt den Raum. Inspiration genug.Ästhetik aber kann sein Werk nicht bieten. Eine wahre Schande. Zwar hatte er sowieso nicht vor, es jemandem zu präsentieren, aber dennoch...
Es sieht einfach schrecklich aus. Am liebsten würde er es zerreißen, zerknüllen und in den Papierkorb werfen - wenn man es denn zerreißen, zerknüllen und wegwerfen könnte.
Traurig legt er seinen scharfen Metallpinsel zur Seite und betrachtet sein Werk mit Ekel.