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Der Kittinzheimer Antinazi
Georg M., 89 Jahre alt, ging der Straße der schönen Familienhäusern von Kittinzheim entlang. Irgendwo in Saarland, Hessen, Sachsen oder Bayern. Er hinkte ein wenig. Wegen dem Holzbein, für welches er bei der Gastarbeit in Sibirien oder Kamtschatka sein echtes gab. Aus Fleisch und Knochen und eingefrorenem Blut. Kittinzheim war nicht seine Heimat. Er stammte nicht aus Kittinzheim, sondern aus irgend einer Gegend wie Lothringen oder Sudetenland. Irgendwoher, wo er nicht mehr willkommen war. Er war niemals Kommunist oder Sozialist gewesen, hasste aber die Nazis jeder Art über alles. In der Kneipe fuhr er seinen Mitbürgern oftmals wegen inkorrekter Wortwahl oder inkorrekten Witzes gegen den Mund, oder gegen die Nase, oder gegen das Auge. Obwohl er keine Körperkraft mehr besaß, tat es weh. Seine Rage füllte den Altersmalus. Und sein Holzbein auch. Dann tat es ganz besonders weh. Keiner hatte ihn aber jemals in dieser einbeinigen Lage umzustoßen versucht, denn jeder wusste: Man wird für eine gerechte Sache geprügelt. Wenn man sich da noch verteidigen würde, zeigte man sich erstens als kein guter Gentleman, zweitens als Nazi. Das wollte keiner in Kittinzheim.
Doch ging man trotzdem NPD und REP wählen. Ein Prozent. Nicht mehr. Obwohl dies meistens in den Wahnsinn getriebene Lehrer waren, versetze dieses ein Prozent Georg M.(89) noch tiefer in rechtschaffene Furiösität. Er kämpfte dagegen, wie er nur konnte. Auch heute ging er durch die Straßen Kittinzheims, um die lästigen abscheulichen Plakate oder Graffiti auszuradieren. An jeder Laterne, an jedem Zaun, in jeder öffentlichen Toilette. Der Tag war bald vorüber, und nach einer erfolgreichen Symbolikjagd ging Georg M.(89) nicht vollständig befriedigt heim. Zu hause wartete seine Gemahlin Renate M.(83) und auf ihn. Sie betreute seinen Enkel Tom M. oder Max M. An sie dachte er. Und noch daran, dass er Milch und schwarze Filzstifte kaufen muss.
Genau diese Gedanken wurden von einem verzweifelten Hilfeschrei unterbrochen. Er hätte die Polizei alarmiert, hätter er in diesem Geschrei nicht seinen guten Bekannten Zygyzmund Z.(34) nicht erkannt. Hier musste er selber eingreifen. Mit sich konnte er nichts machen. Es war ein Reflex. Und wie in einem Albtraum sah er vor seiner eigenen Haustür drei glatzköpfige Jugendliche Zygzyzmund Z.(34) treten. Sie beschimpften und erniedrigten ihn, wie es nur eingefleischte Nationalisten taten, damals. Nazis. In Kittinzheim. Vor Georgs Haustür. Seine idealtreue Ehefrau schimpfte von dem Balkon auf dem 2. Stock seiner halbfertigen Familienwohnung mit einem Telefonhörer in der Hand. Georgs Gesicht lief wie gewohnt rot an. Doch war sein Entsetzen anders als sonst. Epischer. Titanischer. Brüllend stürzte er sich mit dem Gehstock in der Faust auf die im Durchschnitt anderthalb Meter großen, anscheinend kopflausbefallenen Kinder. Ehe sie Georg M.(89) bemerkt hatten, floß ihr Blut.
Nicht in Flüssen. In einer Menge jedoch, die den jüngsten von den drei Skins wie das Rotkäppchen aussehen ließ. Dieser setzte sich auf den Rasen und begann zu winseln. Die beiden anderen hielten an und Zygzymund Z.(34), zur Unkenntlichkeit geschlagen, bedankte sich lautlos für die Zivilcourage bei Georg M., welcher sich gerade dazu breit machte, der Jugend Moral beizubringen. Zwei Drittel dieser betrachteten ihn mit Respekt, ein Drittel winselte. Dies überraschte Georg M.(89), sowie auch Renate M.(83), welche sogleich das Reden einstellte. "Sieg Heil!", riefen die zwei Skinheads, fast im Chor. Georg M.s Herz kam bei diesen Worten fast zum Stillstand. Ihm blieb die Rede, welche lokomotivartig aus ihn herausrasen sollte, im Halse stecken.
"Wir wissen was Sie für die Heimat getan haben, Herr M.", sagte der etwas längere.
"Bei der SS", fügte der etwas kürzere hinzu. "Und wir respektieren Sie, Herr M."
"Den Polen haben Sie übrigens verfehlt.*seufz*", sprach der Kleinste.
Anstatt weiter zu berserkern, wie Renate M. es von ihm erwartet hätte, setzte er sich auf das Gras.
"Wo-Woher?" hauchte der alte Herr "Woher wissen Sie, dass ich-".
"Ach", wurde er unterbrochen "Das weiss doch jeder. Und jeder respektiert Sie dafür, Herr M.".
Doch Herr M.(89) antwortete nicht. Vor seinen Augen schwammen Bilder von jungen Menschen, die er erschossen hatte. Von überfüllten Kirchen, die er angezündet hatte, von den rauchenden Menschenresten, von Frauen, die er vergewaltigt und dann erschossen hatte. Von ihren Kindern, die dabei zusehen mussten. Von den Kindern, denen er aus Barmherzigkeit nur die Ohren abgeschnitten hatte. Das Schrecklichste war aber, dass er sich an seine Träume erinnerte. An einen Traum, der ihn damals inspirierte. Inspirierte, Hitler zu wählen, in die SS gehen und freudig Menschen zu töten. Der Traum, in welchem er in einem Hammock liegend, mit einem kalten Cocktail in der Hand, Untermenschen betrachtete, wie sie ihm, in endlosen Weiten des Ostens, eine Villa bauen. Der Traum, an dem er zweifelte, als man ihm zwischen der Tanne und der Birke das Bein absägte. Das alles brachte ihn in einen tranceähnlichen Zustand. Man sagte ihm etwas, was ihm keinesfalls gesagt werden sollte. Runtime Error, in Computersprache ausgedrückt.
Als er dann zu sich kam, waren die Jugendlichen nicht mehr zu sehen. Renate M. redete mit einem Polizeibeamten. Und er saß im Gras. "Sind Sie in Ordnung?", fragte ein junges Fräulein im weißen Kittel.
"Ja", entgegnete Georg M.(89) selbstsicher.
"Sind Sie sicher?"
"Ja!", sagte er. "Was sich die Nazis heute erlauben. Sieht zu, dass unser Land so bleibt wie es ist, Mädchen"
"Uhu", sagte die Sanitäterin unbesorgt, "Wir gehen dann". Renate M. (83) half Georg M. auf die Beine und schleppte ihn bis an den weißen Chaiselongue zwischen zwei Gartenzwergen.
"Zygyzmund!"
"Ja?", sagte Zygyzmund Z.(34) mit Gips an der linken Hand und weißen Bändern am Kopf.
"Bist du in Ordnung?"
"Ja, Kherr M. Ich mach mich an Arbeit"
Er ging zu der Grube, die später eine Garage für Georg M.s Porsche werden sollte.
"Wann Igor und Ismail gekommen. Sie Zement bringen"
"Guuut", hauchte Georg M.(89) zufrieden, während sein Enkel Tom M. ihm kalte Limonade brachte.