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Der kleine Augenblick im grellen Raum
Der große Mann legte ihm sanft seinen Arm um die Schultern und führte ihn in einen kleinen, hell erleuchteten Raum. Eine beruhigende, aus unsichtbaren Lautsprechern dringende Musik brachte Andacht und Gefühl in ihm zum Vorschein.
"Hierhin setze dich Bitte", sagte der große, hagere Mann mit dem weißen Haar, das ihm etwas Weises verlieh. Er selbst blieb stehen.
"Wir haben dich lange beobachtet."
Er genoss die warmen Polster des Sessels, die Wirkung der klassischen Musik auf sein Gemüt, und nickte lächelnd.
"Immer habe ich gewusst, dass ihr da seid. Ich habe es gespürt."
Der große Mann seufzte, und erst jetzt merkte der auf dem Sessel, dass sein Gegenüber traurig war.
"Was meinst du, weshalb wir dich hierher gebracht haben", wollte der große Mann wissen.
Der auf dem Sessel schüttelte den Kopf.
"Das weiß ich nicht, wollt ihr mich einweihen?"
Wieder seufzte der große Mann.
"Also bist du ebenfalls ahnungslos. Die wenigsten von euch können wir in ihren Träumen besuchen, nur in seltenen Fällen gelingt es uns. Wie bei dir, da du die Gabe hast, ständig zu träumen. Auch im Wachsein."
"Aber es muss doch einen Grund geben."
Der große Mann ging in die Knie und fuhr sich mit einer Hand durch sein weißes Haar.
"Allmählich ... allmählich bin ich mir nicht mehr sicher. Weißt du, ich gehöre auch zu denen, die im wachen Zustand träumen können. Auch ich bin etwas Besonderes. Nur so konnte ich dich finden. Doch es führt zu nichts."
Er stand von dem Sessel auf.
"Was wird denn nun geschehen?"
"Wir werden aufwachen. So ist es immer. Träume platzen ganz einfach."
Jemand stieß ihn an.
"Tschuldigung", sagte die Frau, und stieg in den Bus.
Er saß da, beobachtete, wie das Leben um ihn herum erwachte.
Der große Mann mit den weißen Haaren war verschwunden. Ein Tagtraum, nicht mehr. Seine Phantasie schäumte über, und ...
Immer dasselbe.
Ein trostloser, grauer Tag.
Der nächste Bus kam bestimmt.