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Der kleine Augenblick im grellen Raum

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24.04.2003
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Der kleine Augenblick im grellen Raum

Der große Mann legte ihm sanft seinen Arm um die Schultern und führte ihn in einen kleinen, hell erleuchteten Raum. Eine beruhigende, aus unsichtbaren Lautsprechern dringende Musik brachte Andacht und Gefühl in ihm zum Vorschein.
"Hierhin setze dich Bitte", sagte der große, hagere Mann mit dem weißen Haar, das ihm etwas Weises verlieh. Er selbst blieb stehen.
"Wir haben dich lange beobachtet."
Er genoss die warmen Polster des Sessels, die Wirkung der klassischen Musik auf sein Gemüt, und nickte lächelnd.
"Immer habe ich gewusst, dass ihr da seid. Ich habe es gespürt."
Der große Mann seufzte, und erst jetzt merkte der auf dem Sessel, dass sein Gegenüber traurig war.
"Was meinst du, weshalb wir dich hierher gebracht haben", wollte der große Mann wissen.
Der auf dem Sessel schüttelte den Kopf.
"Das weiß ich nicht, wollt ihr mich einweihen?"
Wieder seufzte der große Mann.
"Also bist du ebenfalls ahnungslos. Die wenigsten von euch können wir in ihren Träumen besuchen, nur in seltenen Fällen gelingt es uns. Wie bei dir, da du die Gabe hast, ständig zu träumen. Auch im Wachsein."
"Aber es muss doch einen Grund geben."
Der große Mann ging in die Knie und fuhr sich mit einer Hand durch sein weißes Haar.
"Allmählich ... allmählich bin ich mir nicht mehr sicher. Weißt du, ich gehöre auch zu denen, die im wachen Zustand träumen können. Auch ich bin etwas Besonderes. Nur so konnte ich dich finden. Doch es führt zu nichts."
Er stand von dem Sessel auf.
"Was wird denn nun geschehen?"
"Wir werden aufwachen. So ist es immer. Träume platzen ganz einfach."

Jemand stieß ihn an.
"Tschuldigung", sagte die Frau, und stieg in den Bus.
Er saß da, beobachtete, wie das Leben um ihn herum erwachte.
Der große Mann mit den weißen Haaren war verschwunden. Ein Tagtraum, nicht mehr. Seine Phantasie schäumte über, und ...
Immer dasselbe.
Ein trostloser, grauer Tag.

Der nächste Bus kam bestimmt.

 

Hallo Cerberus81!

Mmmhhhhhhh. Kannst du einem unsensiblen Nicht-Träumer die philosophischen Hintergedanken deiner Geschichte etwas näher erläutern? Oder muss ich mich dazu erst in einen vollbesetzten Bus stellen?
So richtig will das Glühbirnchen in meinem sommerlich ausgedorrten Gehirn nicht leuchten.
Mir ist dieser Tagtraum etwas zu einfach gestrickt. Aber vielleicht war das ja deine Absicht. Aha! Jetzt kommen sie langsam, die tiefsinnigen Gedanken ... nein, nichts für ungut ... aber deine Geschichte hat mich nicht vom Hocker der Realität gerissen.

Gruß,
Theo

 

Hallo

Mir fällt es auch etwas schwer, die Aussage der Geschichte zu erkennen. Allerdings hat sie mich doch ziemlich zum Nachdenken gebracht, weil ich eine Grobe Idee habe um was es gehen könnte, aber sie noch nicht so fassen kann.

Meine Idee dazu:
Der weise Mann ist ein Teil seiner Persönlichkeit oder eine seiner Persönlichkeiten, die dem Prot näherbringen will, dass er nicht nur die Träume sondern auch das Leben als angenehm und schön empfinden soll. Der weise mann könnte auch so etwas wie die "guten" Gedanken sein.

Irgendwie finde ich spricht einiges dafür, aber es passt auch nicht so ganz. Und jetzt nach längerem überlegen habe ich es doch wieder verworfen.

Ein paar tipps würde mich freuen. Ich wil es einfach nicht schaffen, die ganzen Andeutungen zusammenzubringen.

Gruß
Einmensch

 

Ich sehe in dem Text eher das Höhlengleichnis: Der Mann und der Weise "wissen", dass ihr wirkliches Leben nur eine Projektion der "äußeren" Wirklichkeit sind. Da sie wachträumen können, ist es ihnen möglich, ein Stück weiter zu diesem Außen vorzudringen, beide erhoffen sich, "eingeweiht" zu werden, aber eigentlich wieß niemand so recht, was wirklich vorgeht.
Auf jede Episode einer Kommunikation, eines kurzen Blickes hinter die Kulissen folgt unweigerlich ein Aufwachen in der Realität (die ja nun als Schatten entlarvt ist).

Die Geschichte weist meiner Interpretation nach auf die Vermutung vieler Menschen hin, dass es so etwas wie ein verborgenes Geschehen hinter den Kulissen geben muss, gleichzeitig auf die Unmöglichkeit, dieses zu ergründen.

Möglicherweise ist diese Interpretation aber völlig falsch. :)

 

Möglicherweise ist diese Interpretation aber völlig falsch.

Sie ist vollkommen richtig.
Es ist manchmal richtig schön, wenn andere so schnell hinter die eigenen Gedankengänge kommen.
Das zeigt mir, dass ich noch nicht völlig abgehoben bin :D

 

mhh... daraus könnte man vielleicht eine ganze Serie machen: Adaptionen klassischer philosophischer Probleme in Form von kurzen Geschichten.

Als Vertreter hätten wir hier schon mal eine Variante für Platons Höhlengleichnis und außerdem Nauts Uhrengeschichte. Weitere mögliche Vorgaben fänden sich vielleicht in den bekannten Gottesbeweisen oder in Nietzsches "ewiger Wiederkehr des Gleichen" (fällt mir jetzt spontan dazu ein...)

 

Cerberus81 schrieb:
Es ist manchmal richtig schön, wenn andere so schnell hinter die eigenen Gedankengänge kommen.
Das zeigt mir, dass ich noch nicht völlig abgehoben bin :D
Fünfköpfiger Hund der Hölle, dieser falsche Schluss ging mir auch schon so manches Mal durch meinen einzelnen Kopf, aber er ist ein Irrtum. Die Tatsache, dass ich Deine Geschichte verstehe, demonstriert einzig, dass ich genauso durchgeknallt bin wie Du *lässt einen Kuckuck aus seiner Stirn springen* ;)

 

Zunächst: Die Perspektiven sind etwas wirr dargestellt. Man weiß nie so recht, wer nun was sagt, wer nun der alte Mann ist, wer der große Mann, wer die Hauptperson usw...
Zudem: Dass der alte Mann weise ist sollte man nicht schreiben, sondern zeigen. Gezeigt hast du es auch, indem der alte Mann der einzige in deiner Geschichte ist, der etwas weiß. (ähnlich: Themistokles in Märchenmond) Also würde ich das mit dem weise streichen.
Dann: Ich bin kein Fan von Fantasy. Aber das könnte der Einstieg in eine Fantasygeschichte sein. Träumer, Nachtträumer, wie auch Tagträumer können in ihrer Traumwelt miteinander Kontakt aufnehmen. Vielleicht in einer Art Nebendimmension. Vielleicht gibt es auch eine Alptraumwelt... wer weiß?
Stattdessen: Du machst alles kaputt, indem du ein jähes Ende bringst, das keinem weiterhilft. Es wirkt wie das Wort zum Sonntag, alles nur ein Tagtraum, alles nur ein Tag wie immer. Wie langweilig! Also, das alles muss noch einen greifbaren Sinn kriegen.
Bist du dir denn überhaupt klar darüber, was du aussagen willst?

 

erstmal hi cerberus,
ich hab deine geschichte ganz anders interpretiert als naut. für mich hat der große mann in wirklichkeit gar nicht existiert, sondern war auch nur ein bestandteil der traumwelt. nach dem erwachen folgte dann die erkenntnis, dass er doch alleine ist mit seiner fähigkeit des wachträumens. deshalb hat mich der sprung zurück in die realität ziemlich erschreckt.

was ich faszinierend fand, war die fast gleichgültige resignation, mit welcher der mann den "verlust" eines gefährten (immer noch in meiner eigenen auslegung) hinnimmt. als hätte er keine andere wahl als zu vergessen... weil die tagträume keinen einfluss auf die wirklichkeit haben.

nach deiner geschichte habe ich mich (wieder mal) gefragt, wie realität eigentlich definiert ist und wieso sie so viel wichtiger ist als unsere traumwelten... wer sagt uns eigentlich, dass wir nicht wirklich in einer matrix-welt leben?

in meiner auslegung hast du also ein eigentlich uraltes thema aufgegriffen, es aber - für mich sehr faszinierend durch den plötzlichen sprung zurück in die wirklichkeit - schön aktuell verarbeitet hast.

es war übrigens die überschrift, die mich gleich auf den ersten blick fasziniert hat.

zum schluss noch: ich gebe karlsson recht, dass der erste teil etwas verwirrend ist. ein simples "er" ist ein bisschen zu wenig...

viele grüße, yonaka

 

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