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Der kleine Bankraub
In einem Leben, das von Rezession, Krieg und Hunger geprägt wurde, saßen 3 finstere Gestalten in ihrem verbeulten La Salles Automobil und packten schwere Thompson-Maschinengewehre aus.
Karl war von Anfang an der Kopf der kleinen Bande. Sein herrisches Verhalten und die stechenden Augen machten ihn unverkennbar. Im Mundwinkel qualmte immer eine vergessene Zigarre. Lenny, der kleine, bullige Ire aus Brooklyn, den Karl noch aus kleinkriminellen Kindertagen kannte, biss sich beinahe auf die Zunge, während er in der fernen Außenwelt Ablenkung von der Enge suchte. Sein rotes Haar züngelte flammengleich unter den Rändern des Hutes hervor. Zusammen mit Hector, einem selbstverliebten Schläger, den sie von einer größeren „Organisation“ abgeworben hatten, planten sie insgeheim den wichtigsten Raub der letzten drei Monate.
Keine Stunde später stürmten sie in den länglichen Wartebereich der 3rd National Bank. Die schlichte Ausstattung schien dem gebotenen Rahmen nicht gerecht zu werden. Links schreckten Angestellte hinter einer durchgezogenen Schalterzeile hoch, vor denen sich raunende Schlangen stauten. Kinder klammerten sich an den Rockzaum der hell aufkreischenden Mütter. Dahinter wartete im Licht mannshoher Fenster geschätztere Kundschaft in vornehmen Sitzecken. Es roch nach einer Mischung aus Parfüm, Schweiß und frisch angerührtem Mörtel, denn neben der Glastüre verputzten 2 abgelenkte Maurergesellen die Einschusslöcher von der letzten Schießerei.
Wachmänner sprangen sofort von ihren schlichten Holzstühlen. Sie griffen an die Halfter, wo 1911er Colts auf den Einsatz brannten. Schüsse fielen. Panik brach zwischen den Kauernden aus. Im Geschrei und Pulverdampf sanken die ersten Menschen zu Boden. Die Angst trieb Herden aus Arbeitern, Hausfrauen und erschrockene Bankangestellten auseinander. Lenny und Karl blieben am Eingang stehen, während sich Hector einen verwirrten Brillenträger mit ausladendem Bierbauch schnappte, der unter seinen Geheimratsecken ängstlich dreinblickte.
Für einen Augenblick fror die Zeit ein. Erzwungene Stille beseelte den vormals so belebten Raum in dem sich nun auf braunen Marmorplatten Blut und Tränen ergossen. Lenny behielt die Straße durch die Fensterjalousie im Auge, während Karl Waffe um Waffe von den Toten einsammelte und dabei mit tiefer, grollender Stimme Drohungen unters Volk warf.
Ein kleiner, blonder Straßenjunge sah unter seiner karierten Schirmmütze neugierig hervor. In seinem schmutzigen, kantenlosen Gesicht spiegelte sich Gewalt, Hass, Leid, tägliche Attribute seines Lebens, wieder. Das graue Jackett, ein Andenken an den toten Bruder, der bei seiner Arbeit am Dock von Holzkisten erschlagen wurde, umfasste enge Schultern und dünne Arme. Seine wachsamen Augen blieben am Schalterschlag hängen, durch den der Geiselnehmer mit seinem Opfer verschwunden war. Furcht und Geheul prallten an dem erstaunten Kind ab.
„Beeil dich!“, verklang über seinem Kopf.
„Ja, ja ……“
„Kommt wer, Lenny?“
Der alles überragende Anführer kickte den letzten Colt zur Seite und musterte die Kunden.
Über seinem Kopf klimperte ein angeschossener Kristallkronleuchter. Karls wütendes Gesicht spiegelte sich darin tausendfach wieder und verstärkte seinen Groll auf die Männer, die sich ihnen in den Weg gestellt hatten.
Sein zuckender Zeigefinger wanderte über den Abzug.
„Nein, alles ruhig!“, flüsterte Lenny. Karl delegierte den Komplizen zum nächsten Fenster. Leises Schlurfen und herunter prasselnde Bleistifte fegten die trügerische Ruhe fort. Frauengewimmer und Kindsgeheul stimmten ein. In den roten Gesichtern wütete Todesangst. Einige der Mütter verdeckten ihren Kindern die Augen, damit diese ruhig blieben. Hector rutschte über eine Schalterbank, zog seine braune Ledermappe hinterher und rannte zum Anführer. Unbemerkt von den ahnungslosen Blicken fiel aus der halb verschlossenen Tasche ein Bündel 100 Dollar Scheine herunter. Kreischende Polizeisirenen und schrille Trillerpfeifen erklangen.
„Die Bullen!“, schrie Lenny erwartungsvoll.
„Dann schieß doch!“, befahl ihm Karl sauer, während er den Geldboten an sich vorbei schleuste. Glas klirrte in knappen Schüben.
Besonnen schlich sich der Junge an das schutzlose Bündel heran. Seine begehrlichen Blicke hafteten daran fest und er wusste, dass bei der nächsten Salve keiner auf ihn achten würde.
Er spürte weder Angst davor ertappt zu werden noch Widerstand von Seiten seines Gewissens. Sein Sinn für Gerechtigkeit war wie abgeschaltet. Nur das satte Grün unter der Papierschlaufe zählte.
Wie lange konnte seine Familie davon überleben?
Das Geld würde sein Beitrag zu den mageren Löhnen von Bruder und Vater sein. Es würde ihren kargen Tisch füllen, die leeren Räume heizen und die Löcher in ihren Kleidern stopfen. Vielleicht blieb sogar noch etwas übrig um Schulden löschen oder um mit der kleinen Theresa zum Arzt gehen zu können.
Plötzlich erschienen ihm die 2 Dollar 75, die sie für Hanks letzte Arbeitstage erhalten hatten, wie ein schlechter Witz, der den Erzähler zu ersticken drohte.
Und er verstand die Männer, die nach Abenteuer, Reichtum und Luxus lechzten, auch wenn die Zeche das Leben kostete. Anerkennung und Stolz krochen in ihm hoch.
„Es würde ihnen helfen.“, sprach er sich Mut zu.
Neben dem Bündel lag ein Wachmann. Belgier. Mit dem Gesicht nach unten und so leblos wie es sein Bruder war. Ein tiefer See aus Rot tränkte das blaue Hemd. Er sah sich die dreckigen Füße des unrasierten Mannes an, die ihn durch große Löcher in den dünnen Sohlen anstarrten. Vorhin noch strahlte der Belgier über beide Ohren, als er ein Kleinkind mit selbstgemachten Bonbons beschenken konnte. Aus dem Gespräch zwischen Mutter und Wachmann wusste er das der Tote selber Vater war und durch fadenscheinige Versprechen in die neue Welt gelockt wurde. Doch leider trügte der goldene Schein.
Deshalb hielt er seine kleine Familie zeitweise mit gefährlichen Jobs über Wasser.
Und nun war er tot.
Der Junge schlich mit stehendem Herzen am Toten vorbei und blickte in das starre, fassungslose Auge. Der Mund stand weit offen. Die Ganoven zogen sich lärmend zurück und gerieten vor der Glastüre in einen tödlichen Hagelschauer aus Blei. Ein leiser Aufschrei bewegte die Menschen zum wegschauen. Noch flackerte in ihm widerwillige Ehrlichkeit, dann bückte er sich hastig und das Geld verschwand unterm Hemd.
Der kleine Junge schlich vorsichtig im Schatten des Tresens voran, bis quietschende Reifen das Zischen und Fauchen der Kugeln ablösten. Seine wachsamen Augen überflogen das wellenschlagende Chaos, das seine Tat unter sich begrub. Unsicher wankte der Junge zwischen Stillstand und Spurt. Sein Herz schlug bis zum Hals. Das Bündel brannte ein kribbelndes Loch in die schweißnasse Haut.
Er freute sich.
Unbändig, einem Vulkan vor dem Ausbruch gleich. Hereinströmende Polizisten brachten Ruhe in die schnatternde Menge. Zwischen umgeworfenen Stühlen stützte sich eine alte Oma auf den nächsten Industriellen im feinen Frack. Beide ähnelten sich mit ihren kreidebleichen Gesichtern. Der Junge glaubte im süßlichen Blutgeruch seine bittere Furcht zu schmecken. Als er sich bewegen wollte, hielt in der Hauptkassierer auf.
„Warte mal Kleiner!“ Die strenge Stimme legte ihm unsichtbare Fesseln an. Langsam drehte er sich um, ohne dabei die tonnenschweren Beine zu rühren. Vor ihm stand ein strenger Bürokrat mit eckiger Brille, weißen Hemd und Schlips. Pickeln blühten auf den eingefallenen Backen. Wie ein hypnotisierter Hase vor der Schlange wirkte der Junge willenlos. Er setzte instinktiv sein unschuldigstes Lächeln auf und gab kleinlaut „Was wollen sie Mister?“ zurück. Dabei riss er sich die Mütze vom Kopf. Nervös begannen seine Finger über den Mützenrand zu tanzen.
Schuld kroch in ihm hoch. Auf einmal bereute er die Tat, weil man ihn gestellt hatte. Als der zerknirschte Junge gestehen wollte, reichte ihm der Mann seinen Einzahlungsbeleg hinunter. Mit großen Augen begaffte er das so fremd gewordene Papier, bevor er es hastig ergriff:
„Hast du verloren. Ist ja beinahe ein guter Wochenlohn.“
„Sicher, Mister!“ Er wollte noch etwas sagen, doch die Furcht überrannte seine letzten moralischen Stellungen. Der kleine Junge setzte ein dankbares aber irritiertes Lächeln auf, dann eilte er dem Ausgang entgegen. Er drückte mit der Rechten Geld und Herz, die gemeinsam aus der geflickten Kleidung springen wollten. Als er gerade die Türe passierte, schrie ihm der Kassierer etwas hinterher.
„Wasch dir die Schuhe! An ihnen klebt Blut.“
Der Junge blieb geschockt stehen. Das Leben gefror in seinen Adern zu einer zähflüssigen Schlacke. Er starrte hinter sich. Von dem Schreckensbild aus verschmorten Lampenschirmen, durchlöcherten Wänden, weinenden Frauen und leblosen Leibern führte eine rote Fährte zu ihm. Das Blut des netten Mannes verfolgte ihn. Sein Atem flackerte. Heiße Tränen liefen aus den wild tanzenden Augen. Dann warf der Junge das Geld in die Ecke und rannte davon.