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Der kleine Fluss an der großen Stadt
Da war einmal ein kleiner Fluss, der war drüben, direkt hinter der Stadt, gerade so weit weg, dass man ihn nicht sehen konnte, aber gerade noch so nah, dass man bei einem schönen Sommertag hinlaufen konnte.
Im Sommer spielten dort normalerweise viele Kinder, aber jetzt, jetzt waren dort keine Kinder.
Dabei war doch eigentlich Sommer!
Der Grund war nicht, dass es schlechtes Wetter war, denn die Sonne strahlte am Himmel, dass man einfach lachen musste wenn man die weißen flauschigen Wolken vorbeifliegen sah, und die Vögel in der Luft ihre lustigen Lieder zwitschern hörte.
Aber trotzdem waren da garkeine Kinder!
Auch die Enten, die sonst immer so schön quakend in dem Fluss schwammen, waren nicht da.
Der kleine Fluss war traurig, denn er war allein. Sonst war er so voller Leben, aber jetzt war er ganz, ganz einsam, die Stadt war so groß, und da waren so viele Menschen, so viele Autos, soviel Lärm und soviele interessante und spannende Dinge, aber doch fühlte er sich ganz alleine.
Die einzigen, die ihn dann und wann besuchten, waren Männer von der großen, neuen Fabrik, deren große, dicke Rohre direkt in sein Wasser führten.
Die Fabrik stank ganz fürchterlich, und er mochte sie, aber er wusste, dass sie wichtig war, denn sie stellte Dinge her, die für die Menschen große Bedeutung hatten.
Da kam eine alte Frau mit ihrem Hund vorbei, und er sah sie eine Weile nachdenklich und neugierig an. Vielleicht wusste sie, warum die Kinder nicht mehr kamen.
"Hallo liebe gute Frau, wieso kommen die kleinen Kinder nicht mehr und spielen an meinem Ufer?", fragte er sie.
Die Frau sah ihn traurig an. "Weil du giftig bist."
Der Fluss sah sie ganz verwundert an, und fragte: "Aber wieso denn giftig? Ich bin doch nur ein Fluss! Ich bestehe doch nur aus Wasser, wie kann denn ich giftig sein?"
"Weil in dir Dinge schwimmen, die nicht gut sind.", antwortete die Frau, und ließ ihren Hund von der Leine, damit er etwas herumtollen und spielen konnte.
"Was für Dinge?"
Die Frau zeigte auf die große Fabrik, die da drüben am anderen Ufer, weiter oben am Flusslauf stand, und so schrecklich stank. "Die Abwässer von dieser Fabrik, das, was sie nicht mehr brauchen werfen sie einfach in dich hinein, und das schwimmt dann in dir, und macht kleine Schaumkrönchen, und die sind giftig und gefährlich. Und wenn eines der Kinder an deinem Wasser spielt, dann kann es krank werden."
Der Fluss sah sie sehr, sehr unglücklich an.
"Aber wieso machen die das dann, die diese Fabrik gebaut haben?"
Die Frau zuckte mit ihren Schultern. "Das weiß ich leider nicht."
Da begann der Fluss ein bisschen zu weinen. "Ich fühle mich so einsam, warum sind keine Kinder bei mir, ich will ihnen doch garnichts tun!"
Da bekam die Frau Mitleid.
"Na gut, ich habe zwei kleine Enkel, die kommen am Wochenende immer zu mir zu Besuch, wenn du willst, gehe ich dann mit ihnen hier spazieren. Nur von deinem Wasser müssen sie ein bisschen fern bleiben."
Da freute sich der Fluss.
"Das wäre schön. Sie dürfen auch mit Steinen werfen, und mit Stöcken. Hauptsache, ich habe ein paar liebe Menschen um mich herum."
Und so kam die alte Frau mit ihrem Hund und ihren beiden kleinen Enkeln jedes Wochenende zu dem kleinen Fluss, und die beiden kleinen Enkel spielten dort mit den Stöcken und Steinen, nur ans Wasser durften sie nicht direkt herangehen, aber der Fluss freute sich trotzdem.
Nur die stinkende, hässliche Fabrik, die war immernoch da. Aber der Fluss vertraute darauf, dass die Menschen, denen die Fabrik gehörte bald einen anderen Weg finden würden, ihren ungesunden Abfall zu entsorgen, der sein Wasser nicht vergiftete.
Aber in der Zwischenzeit erfreute er sich an den beiden kleinen Enkeln der alten Frau, und für diesen Sommer war er glücklich und zufrieden.