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Der kleine Mönch
Der kleine Mönch
Der kleine Mönch saß schon seit einigen Tagen da. Er saß auf einen flachen Stein, der von der Natur unter einer riesigen Birke plaziert worden war. Es war Herbst und der Wind raschelte in den wenigen braun gefärbten Blättern der Birke.
Der Wind hätte bestimmt auch das Haar des kleinen Mönchs zerzaust, aber der hatte ja keines. Nur seine ärmliche Kleidung, eine schlichte Jacke und eine weite Hose wurden von der steten Brise aufgewühlt.
Die Reisenden, die die Straße befuhren und bewanderten, die vor dem Stein des kleinen Mönchs verlief, bemerkten diesen fast nie oder zeigten es zumindest nicht.
Er verbrachte Tag und Nacht auf seinen Stein und verließ ihn nur um sich Essen und Trinken zu holen. Oftmals erbat er von Reisenden eine milde Gabe mit mehr oder minderen Erfolg.
Eines Tages holperte eine prächtig geschmückte Kutsche heran, aus deren offenen Fenster ein stark geschminkter Mann blickte. Die Perücke auf seinen Kopf war von der Fahrt auf der steinigen Straße leicht verrutscht, was ihn äußerst merkwürdig aussehen ließ.
Der kleine Mönch, der von dem Lärm der sich nähernden Kutsche gestört worden war, unterbrach seine erst gerade begonnene Meditation. Als er den mit Gold, Seide und Edelsteinen geschmückten Mann mit der schief sitzenden Perücke erblickt, verzogen sich seine ausdruckslosen Gesichtszüge zu einem belustigten Lächeln.
Der Mann in der Kutsche bemerkte dies.
„Halt!“, schrie er erbost dem Kutscher zu.
Die Kutsche kam langsam zum stehen und die Pferde warfen die Köpfe unruhig von einer Seite zur anderen. Ein Page sprang vom hinteren Teil der Kutsche und warf hastig einen rote Teppich auf den staubigen Untergrund, bevor er dem Mann mit der schief sitzenden Perücke die Tür öffnete.
Jener stieg mit hochmütig erhobenen Haupt aus und stützte sich auf einen reich verzierten Gehstock, der am oberen Ende mit einen faustgroßen Edelstein geschmückt war. Kaum hatte der Mann den roten Teppich soweit beschritten, dass er vor dem kleinen Mönch stand, schon brachte ihm der Page einen Stuhl, der ebenso wie alles andere mehr als reichlich geschmückt war. Der Mann setzte sich und ließ sich viel Zeit eine bequeme Haltung zu finden.
Der kleine Mönch lächelte noch immer.
„Sagt mir Bettelmönch, was belustigt euch so?“
„Ich bin nicht belustigt, Herr!“, antwortete der kleine Mönch auf die ihm gestellte Frage „Ich lächle nur aus Freude euch zu sehen.“, er verbeugte sich leicht.
Der Mann kniff die Augen mißtrauisch zusammen.
„Ihr freut euch mich zu sehen, Bettelmönch?“, er hob nachdenklich eine Augenbraue „AH, ich verstehe. Macht euch keine Hoffnungen, von mir werdet ihr keine Spende erhalten!“
„Ich wollt euch nur mein Lächeln schenken!“
Die Augen des kleinen Mönchs hatten einen unsagbar freundlichen Ausdruck angenommen. „Ihr seht bestimmt nicht oft ein ehrlich gemeintes Lächeln, Herr.“
Das vorher noch erboste Gesicht des Mannes bekam einen traurigen Ausdruck.
„Das ist wohl war! Kaum ein Lächeln wird mir geschenkt ohne Hintergedanken!“, er senkte mißmutig seinen Kopf. „Aber warum schenkt ihr mir eins und was macht ihr hier eigentlich?“
Der kleine Mönch schob vorsichtig ein Bein nach vorne über den Rand des Steines und stützte sich mit seinen Ellenbogen auf das andere.
„Ich sah eure Armut! Denn wißt ihr nicht, dass ihr arm seid? Geld mögt ihr ja vieles haben, aber wie viele ehrlich gemeinte Lächeln bekommt ihr geschenkt? Es sind wenige! Und ich der reich bin an jenem wollte euch ein freundliches Lächeln geben, um eure Armut zu mildern!“
„Also doch!“, der Mann schrak auf. „Ihr wollt mich zur Spende bewegen!“
„Nein, Herr!“, erwiderte der Mönch ruhig. „Ich begehre eure weltlichen Güter nicht, denn das weltliche ist vergänglich. Ich wollte nur eurer Seele, ja eurem Geist ein Geschenk machen! Ich habe heute bereits gegessen und getrunken. Mehr begehre ich auch nicht, denn der größte Reichtum ist, für mich, meine von dem Gesetz der Natur geregelte Armut.", er machte eine Pause und blickte sich um. „Seht ihr den Apfelbaum? Von ihm erhalte ich meine Speisen. Seht ihr dort hinten den kleinen Bach? Er gibt mir Wasser zum Trinken. Mehr benötige ich nicht, um über das Wesen aller Ding nachdenken zu können.“
Der Mann nickte, anscheinend zu frieden gestellt.
„Ihr habt also nur meine Armut lindern wollen?“
„Das war mein Begehren.“ Der kleine Mönch lächelte noch immer. „Ich wollte meinen Reichtum mit euch teilen! Am Tage kommen hier viele Leute vorbei und nicht wenige schenken mir ein Lächeln!“
„Euer Reichtum ist also größer denn meiner?“
„In dieser Hinsicht kann ich eure Frage nur bejahen, Herr.“, der kleine Mönch neigte den Kopf entschuldigend.
Der Mann vollführte im Aufspringen eine schnelle Bewegung und plötzlich zeigte in seiner rechten eine Blut verschmierte Klinge gen Himmel, der gerade von der untergehenden Sonne tief rot gefärbt wurde.
Der Kopf des Mönchs lag sauber abgetrennt von der aus dem Gehstock gezogenen Klinge neben dem Stein am Fuße der Birke. Der Stein war von dem Blut des kleine Mönchs, das aus seinem leblosen Körper floß, bereits tief rot verfärbt.
„Niemand soll in irgend einer Weise reicher sein als ich!“, stieß der Mann hervor und wischte seine Klinge an den Kleidern des kleinen Mönchs ab. Dann stieg er wieder in die Kutsche. Der Page holte Stuhl und Teppich und verstaute beides sicher. Dann sprang er auf, kurz bevor der Mann dem Kutscher befahl abzufahren. Die Kutsche holperte davon und die leblosen Augen des kleinen Mönchs blickten ihr nach, während das Blut aus dem abgetrennten Kopf die Wurzeln der uralten Birke befeuchtete.