Der Koffer
Der Koffer
Als du gingst, nahmst du einen Koffer mit. Vielleicht hätte ich aufpassen sollen, als du ihn packtest. Ich hätte darauf achten sollen, ob du wirklich nur von deinem Stapel nimmst, aber du hast die Gunst der Stunde genutzt und einfach die losen Blätter meines Ichs gerafft und in den Koffer geschoben. Mein Gesicht habe ich verloren, als ich nach mir selbst suchte und nur einen Schlag in deinem Gesicht landen konnte, welches ich doch jeden Tag auf einem Foto auf meinem Schreibtisch gerne ansehe.
Ich weine, wenn ich an dich denke und an den Stolz, der irgendwo im Keller deiner neuen Wohnung liegt, unter Altpapier und angefangenen Strickpullovern. Wir waren mal zusammen, ein Paar, verliebt und doch verloren. Weil ich nun mal ein Ich habe, was mit deinem Ich kein Wir ergibt. Eine Ungleichung. Keine Lösungsmenge. Du bist fort. Du bist gegangen. Mit deinem Koffer, der nur schwerlich in den kleinen Kofferraum deines Lupos passte. Auch der letzte Kuss war in deinem Koffer, denn ich erinnere mich nicht daran, ich denke immer nur an den Schlag, der Kuss ist fort, liegt irgendwo unter der Bestätigung des neuen Telefonanschlusses, oder dem Werbeschreiben des Stromanbieters. Ich suche ihn so sehr, will die Bilder sehen, will zurückspulen und erneut sehen, wie sich unsere Blicke und Lippen treffen. Wie ich dich liebe und du deine Arme um meinen Körper legst. Die Rahmen sind leer, hier in meiner Wohnung. Du bist daraus geflohen, bist verblasst, nur noch ein vergilbtes Polaroid in meinem Kopf. Du bist gegangen.
In deinem Koffer war mein darüber hinweg kommen, was ich suche, jeden Tag unter meinen Laken, in meinen Schubladen, zwischen dem Besteck und den Socken. Du hast es, ich bin mir sicher, ich habe damals nicht richtig hingeschaut, ich habe dir ein letztes Mal vertraut und du hast nur eingepackt, was dir zwischen die Finger kam. Einfach in den Koffer gesteckt, zwischen Dessous und Abendkleid. Meine Hoffnung lag nämlich daneben und auch die fehlt mir, wie das Salz das ich vergessen habe zu kaufen. Hoffnung gibt es nicht bei Aldi. Ich hätte misstrauisch werden müssen, als du die Sitze zurückklappen musstest, da der Koffer nicht passte.
Jetzt sitze ich hier, kratze mich am Kopf und suche. Ich habe alles ausgeräumt und noch einmal gelesen, mein Herz zerrissen und in den Schnipseln nach mir selbst gesucht, aber immer nur die Buchstaben deines Namens gefunden. Habe meine Seele ausgeschüttet, tief Luft eingezogen und meinen Kopf darin versenkt, die Augen geöffnet und im Dunkel nach dem Sinn gesucht, der du warst und immer noch bist. Ich habe geschluckt und danach gekotzt. In meinem Erbrochenen schwamm die Trauer, wie Fett auf der Suppe und starrte mich an.
Die Wände habe ich neu gestrichen, damit man nicht mehr die hellen Flecken sieht, wo einst mal unsere Bilder hingen. Warum hast du denn nicht einfach meine Liebe mitgenommen? Dafür war dann wohl kein Platz mehr in deinem Scheißkoffer. Die hast du mir dagelassen und ständig singt sie ihre Lieder, heult unter der Dusche und vermisst dich in unserem Bett. Wo du doch so schön hineingepasst hast. Die Matratze hat noch deine Form. Im Finstern liege ich in deiner Kuhle und träume deine Haut herbei, doch küsse ich nur Kissen und Wolldecke. Das Radio spielt zu oft deine Musik und das Fernsehen zeigt deine Lieblingssendungen. Aber du bist da, wo der Koffer ist.
Ich war spazieren, gestern Abend, es war sonnig und noch etwas warm. Ich habe ein paar Sorgen mitgenommen und bin in den Park gegangen. Da roch es noch nach Grillfleisch und nassem Hund. Ich bin den Splittweg entlang marschiert, die Steinchen knirschten unter meinen Turnschuhen. Die Sorgenschreie klangen dumpf unter meiner Kapuzenjacke und ich hielt bei einer Baumgruppe an und sank auf die Knie. Der Boden war noch warm von der Sonne. Ich grub meine Finger in die Erde und hob ein Loch aus. Etwa sechzig Zentimeter tief und vergrub die Sorgen darin. Ich hörte sie noch einige Meter weiter rufen und klagen, ich hatte Angst, dass man sie hören konnte, aber ich ging festen Schrittes zurück in unsere Wohnung. Die Tür fiel ins Schloss. Kein Anruf. Wieder mal hattest du wohl erfolgreich dagegen angekämpft mich anzurufen und dir endlich einzugestehen, dass du damals ein bisschen zu viel in deinen Koffer eingepackt hattest.
Geschlafen habe ich nicht. Ich hörte das Flüstern aus dem Park. Das Schreien und das Klagen, das elendige Rufen nach dir. Ich zog los, mitten in der Nacht und nahm einen Stoffbeutel und eine Schaufel mit. Ich ging zu der Stelle im Park und grub die Sorgen aus. Packte sie in den Stoffbeutel und ging tiefer in den Stadtwald. Ich ging, bis ich nicht mehr wusste, wo ich eigentlich war und fing an zu graben. Ich grub ein Loch. Etwa drei Meter tief und legte den Stoffbeutel mit meinen Sorgen hinein. Sie drückten sich gegen den Stoff, ihre Schreie zerrten an meinen Nerven, ich vergrub sie wieder. Schüttete die Erde darauf und es wurde still. Ich bin nach Hause gegangen und legte mich erneut zu Bett. In deine Kuhle. Zu Decke und Kissen.
Schlief fast ein, als sie heraus fiel, aus dem Regal, über den Büchern. Ihr Aufschlag weckte mich, ließ mich aufrecht im Bett sitzen. Da lag sie, die Angst, rührte sich erst nicht, aber dann kam sie auf mich zu, kroch zu den Füßen unter die Decke, rutschte die Beine hoch, hinterließ einen glitschigen Film, wie eine Schnecke, ich spürte sie, konnte sie sehen, doch rühren konnte ich mich nicht. Sie erklomm mein Kinn und rutschte in meinen Mund, ich versuchte mich zu wehren, schwitzte, die Augen aufgerissen, bis ich nicht mehr konnte und sie schlucken musste. Wie ein Kloß drängte sie sich durch meine Speiseröhre. Sie quält mich. Sie hasst mich. Die Angst dich zu vergessen. Die Angst, dass du meine Hoffnung zum Sperrmüll gibst, wenn du sie findest. Die Angst, dass du deine Liebe an einen anderen verschenkst, die Angst, dass ich in deinem Kopf bleibe, wie ich mein Gesicht verloren habe. Die Angst, dass der Koffer für immer unter deinem Bett bleibt und nie wieder gepackt wird, um zu mir zurück zu kehren.