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Der Krieger im Nebel
Erschöpft wischte sich Valfar das Blut und den Schweiss vom Gesicht. Nebel schlich vom Flussufer zu ihm herüber, tastete sich langsam voran und umschlang die leblosen Körper, die auf dem morastigen Feld lagen. Das Weiss verschluckte das Murmeln des Wasserlaufs und die Gefallenen wurden zu undeutlichen Umrissen, der letzten Identität beraubt.
Valfar hatte nicht einmal mehr genug Kraft zu weinen. Sigvids Hand war noch warm, aber Valfar wusste, dass sein Kampfesgefährte bald sterben würde. Doch viel schlimmer war, dass es durch seine Hand geschah. Er dachte an das Packpferd, welches sie töten mussten, als es sich bei einem Sturz auf einem Bergpfad zwei Beine gebrochen hatte. Jetzt war es jedoch kein alter Gaul, sondern Sigvid. Er zog das Schwert aus dem Leib seines Freundes, der sonst nur länger und unnötig gelitten hätte. Sigvid röchelte und verdrehte die Augen, sodass nur noch weiss zu sehen war, als er zu atmen aufhörte. Valfar legte sanft die Hand auf seine Stirn, verweilte eine Weile dort und schloss schliesslich Sigvids Augen.
Wo kurz zuvor noch die Schreie der Sterbenden in der Luft gehangen und Waffen geklirrt hatten, war nun Stille. Leise senkten sich Raben auf die Toten und begannen ihren Festschmaus. Valfar erhob sich mühselig und wollte die Aasvögel mit seinem blutverschmierten, schartigen Schwert verscheuchen, aber es war nutzlos, denn sie würden ihr Mahl woanders fortsetzen und später wieder kommen. Erst jetzt wurde Valfar bewusst, dass er der einzige Überlebende der Schlacht sein musste, denn um ihn herum lagen nur starre und kalte Körper, einst stolze und tapfere Krieger, die sich gegenseitig umgebracht hatten, eines Flussabschnittes wegen. Valfar blickte zur Furt hinüber, doch er konnte sie im Nebel nicht erkennen. Was hatte alles genützt? Niemand hatte einen Sieg errungen. Im Krieg gab es nur Verlierer, auch er war einer davon, selbst wenn er noch lebte. Dennoch hatte er gekämpft, für sein Volk, für die Menschen, die er liebte.
Er keuchte und musste husten. Die Verletzung, welche die rechte Seite seines Waffenhemds dunkel färbte, beachtete er nicht, denn er spürte den Schmerz nicht mehr, als habe er sich bereits an diesen Zustand gewöhnt. Vielmehr beschäftigte ihn der Gedanke, wohin er gehen sollte. Er wusste es nicht. Seine Heimat war ihm durch das stete Herumziehen mit dem Heer fremd geworden. Er wollte nicht zurückkehren, nicht einmal die zurückgebliebenen Frauen und Kinder beschützen, für die er zuvor sein Leben riskiert hatte. Valfar sah keinen Sinn darin, als einzelner Mann zu fallen und doch nichts bewirkt zu haben als nur weiteres Töten von Menschen, ob unschuldig oder nicht. Vielleicht war er auch einfach zu müde. Sein Blick fiel noch einmal auf Sigvid, seinen geliebten Freund. Valfar empfand in diesem Moment nichts, er konnte es nicht, genauso wenig wie er den Schmerz in seiner Seite spürte. Merkwürdig und entfremdet erschien ihm nun alles, was er wahrnahm, als hätten sich seine Sinne verändert, und seine Gedanken drangen in Tiefen vor, die er zuvor nicht gekannt hatte.
Etwas regte sich. Valfar sah die Bewegung im Augenwinkel und fuhr herum. Er war nicht allein, noch ein weiterer Krieger hatte überlebt. Valfar spähte in die Richtung, in der er die Bewegung gesehen hatte. Er sah, wie sich im Nebel die Konturen einer grossen Gestalt bildeten. Es musste einer der anderen sein, das konnte er erkennen, denn er trug einen seltsamen Helm, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Der Helm schien zu schwer zu sein, passte auf eigenartige Weise aber zur fremden Gestalt. Instinktiv griff Valfar zu seinem Köcher, der jedoch schon längst leer war. Sollte er angreifen oder verharren und auf den Angriff des anderen warten? Schon lange war er sich nicht mehr so unsicher gewesen. Immer hatte sein Unterbewusstsein gehandelt, doch jetzt wog er die Situation ab, ohne sich entscheiden zu können. Der andere blieb unkenntlich im Nebel und rührte sich nicht, er stand aufrecht da und wartete.
Erneut wurde Valfar von einem Hustenanfall geschüttelt, der ihn auf die Knie zwang. Er stöhnte. Die Wunde machte ihm nun doch zu schaffen. Aber Valfar wollte nicht sterben, bevor er den letzten Kampf nicht gewonnen hatte, sein Kriegerstolz konnte dies nicht zulassen. Krampfhaft versuchte er aufzustehen, kam hoch, wankte und fiel erneut, diesmal mit dem Gesicht in den Schlamm. Mühsam drehte er den Kopf zur Seite und schnappte nach Luft, schluckte dabei jedoch Dreck und würgte darauf einen weiteren dunkelroten Schwall heraus. Lautlos näherte sich ihm der fremde Krieger, der in der einen Hand ein mächtiges, ebenso fremdartiges Schwert trug, aber immer noch keine Anstalten machte ihn anzugreifen. Valfar glaubte zu wissen, was ihn erwartete. Er selber hatte einige Male so gehandelt. Eigentlich war es unehrenhaft, doch in einer bitteren Schlacht konnte er es oft nicht verhindern, im Blutrausch auch am Boden liegende, wehrlose Krieger abzustechen. Ja, er musste sich gestehen, dass er dabei eine seltsame Befriedigung und ein unbeschreibliches Machtgefühl empfand. Nun war er derjenige, der im Morast lag und sich nicht mehr aufrichten konnte. Valfar beschloss, sich bewusstlos zu stellen und auf den Augenblick zu warten, in dem sein Gegner nahe genug war, dass er ihn von unten mit einem Schwertstreich erreichen konnte.
Als der andere Krieger nur ganz wenig entfernt vor ihm stand, konnte Valfar ihn immer noch nur schattenhaft erkennen, als wäre dieser ein Teil des Nebels. Die reglose Silhouette schien auf etwas zu warten. Jetzt endlich sah Valfar die andere Hand, die ihm der Krieger freundschaftlich entgegenhielt, und begriff. Diesen Kampf konnte er nie gewinnen, doch war es keine Schande, ihn zu verlieren. Er nahm die Hand an, die der Fremde ihn anbot, und richtete sich auf. Valfar verliess das Schlachtfeld und folgte dem grossen, schweigenden Krieger in den Nebel, während sein Körper im blutgetränkten Schlamm liegen blieb.