- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Der letzte Flug
Der letzte Flug
Es war ein Donnerstag Abend. Alan und Petra entfernten sich, mit der Dauer der Beziehung, immer mehr voneinander. Während Alan der war, der die Last des Schuftenden am Fließband in einer Fabrik trug, flüchtete Petra jeden Tag in die Sucht des Spielens und Alkohols, und war lediglich in den späten Abendstunden zu Hause zu finden, um zu schlafen.
An jenem Donnerstag war allerdings alles anders. Diesmal wollte Alan sich ganz anders verhalten, als die Tage, Monate, Jahre zuvor. Diesmal wollte er nicht wieder wie ein räudiger Hund behandelt werden, dem es nicht gestattet ist, eine gewisse Freiheit zu genießen und sein Leben selbst zu bestimmen. Dieses Mal wollte er sie vernünftig stimmen, mit aller Macht, was er zuvor der Liebe wegen nie versucht hatte.
22:00 Uhr. Petra kam wie immer sturzbetrunken, mit einer Flasche Alkohol in der Hand, nach Hause. Schon während sie in den dritten Stock ging, brüllte sie nach Alan, der ihr auf den Weg ins Schlafzimmer helfen sollte. Dieses Mal unterlies er diese Hilfeleistung.
Bald schon stand Petra am Wohnungseingang und schlug und schrie auf ihn ein, „du Stück Scheiße, für was hab ich dich, damit du meine Scheiße fressen kannst, du dummer Lurchkopf!“
Nun stellte sich Alan angsterfüllt auf, und begann sich zu wehren:
„Lass mich in Ruhe! Du behandelst mich wie deinen Untertanen und hast überhaupt keinen Respekt vor mir. Ich will und kann nicht mehr so leben.“
„Du hässlicher, alter Sack, lass mich durch, und verschon mich mit deinem verfickten Gesülze“, sagte Petra und drängte Alan zur Seite, um zum Schlafraum zu gelangen.
Alan war mit den Nerven am Ende. Während Petra in den Schlaf fiel, lag er kauernd, nach Luft schnappend, auf den Fließen des Flures und sah keinen Ausweg mehr. Das Einzige, was ihm Mut gab war der Gedanke, kein Leid mehr zu spüren, der Gedanke daran, ein neues Dasein ohne Petra zu führen. Es überkam ihn ein Gefühl, vom Leben abzulassen, ganz nach oben auf das Dach zu steigen, und von dort seinen Lebensgeist zu überwinden.
Mit dem Willen, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, setzte Alan einen Fuß vor den anderen, um den letzten, siebten Stock zu erreichen. Währenddessen gingen ihm die prägnantesten positiven Erlebnisse seines Lebens wie ein Film durch den Kopf, wenngleich das vielleicht die einzigen waren:
Sein erster Schultag, wo seine Schultüte als einzige voll mit Zuckerwatte gespickt gewesen war, weshalb ihn die anderen Kinder beneidet hatten und er glücklich in die Arme der Heimpflegerin gefallen war. Sein Geschenk von einem Mann, der Alans Blick auf ein Spielzeugfeuerwehrauto richtig gedeutet und ihm dieses gekauft hatte. Einen 20-Mark-Schein, den er auf der Straße gefunden hatte, von dem sich Alan riesige Mengen seiner Lieblingsschokolade erworben hatte. Einen Apfelstrudel zu Weihnachten im Heim, über den sich alle Kinder gefreut hatten. Seine Freude über sein erstes, selbstverdientes Geld bei seinem jetzigen Arbeitgeber.
Das erste Treffen mit Petra, als sie lieb und süß ihm zugelacht hatte.
Die Tür auf dem Dach aufgemacht, marschierte Alan gedankenverloren auf den Abgrund zu, bis er stehen blieb und sich fragte, wie es soweit gekommen war. Er setzte sich auf den kalten Betonboden, unweit des Abgrunds und grübelte. Er überlegte, ob er irgendetwas falsch gemacht hatte und beschuldigte sich, ihr Herz erkaltet zu haben.
Die Schuld immer noch bei sich suchend, kroch er zum Rand des Daches, bis seine Augen die Straße unten erblicken konnten, und brach weinend zusammen. Obwohl er entschlossen war, sich das Leben zu nehmen, brachte er es nicht übers Herz. Er war einfach nicht in der Lage, so schlicht vom Leben abzutreten und blieb mehrere Stunden angsterfüllt, weinend dort liegen.
Die ganze Zeit blickte er nach unten, auf die von Straßenlampen beleuchtete Straße, auf der nur die Schatten der wenigen vorbeifahrenden Autos das einheitliche Bild der Straße hin und wieder veränderten.
Alan blieb bis zum nächsten Morgen regungslos liegen, bis er Petra über die Straße flanieren sah, die sich lautstark über ihn beschwerte: „Alan! Wo bist du? Du gottverdammtes Arschloch!“
Alan zuckte nach diesem Geschrei zusammen und blickte zunächst auf seine linke Hand, die von einer Schürfwunde gezeichnet war und Alan an das Leben mit Petra erinnerte, das diese Schmerzen zu Hauff barg.
Danach widmete er sich wieder Petra, die einsam um die Ecke des gegenüberliegenden Hauses schlenderte, und dann nicht mehr zu sehen war. Auf einmal vernahm Alan einen Schrei von Petra. Einen für Petra völlig unüblichen Schrei. Ein Schrei, wie ihn Alan zuvor noch nie gehört hatte. Petras Angstschrei.
Ohne lange nachzudenken, schrie er laut ihren Namen. Doch niemand antwortete. Alans Gedanken spielten vor allem mit der schlimmsten aller Möglichkeiten.
So stand er blitzschnell auf und rannte ans andere Ende des Daches, um hinter die Ecke zu spähen.
So wie es das Schicksal wollte, übersah er dabei einen Ölfleck vor dem Randbau des Daches. Der unausweichliche Ausrutscher hatte zu Folge, dass er den Abgrund hinunterstürzte.
Dort angekommen, sah Alan, wie sich Petra mit dem Satan plagte, während er glücklich in Gottes Gesicht lachen konnte.