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Der letzte Gang

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17.08.2016
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Der letzte Gang

Heute ließ er sich Zeit für die Rasur. Schenkte auch der Stelle unter der Nase mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich und war erst zufrieden, als jede noch so kurze Bartstoppel unter der scharfen Klinge des Rasiermessers verschwunden war. Wenigstens das konnte er noch tun: perfekt rasierte Miene zum bösen Spiel machen auf den Fotos für die Nachwelt. Bei dem Gedanken lachte er höhnisch auf. Dann blickte Claus Wagner lange in den Spiegel. Müde sah er aus. Dicke, fast graue Tränensäcke unter den Augen, tiefe Furchen auf der Stirn, die Haut unter dem Kinn schlaff. Kein Wunder, es waren unvorstellbar anstrengende Monate gewesen. Und was hatte es genützt? Nichts. Nach so vielen Jahren in verantwortungsvollen Positionen würde er ab heute kurz nach drei nur noch ein alter Mann sein. Ein alter Mann, der den wichtigsten Kampf seines Lebens verloren hatte. So würde man sich an ihn erinnern.
Wagner seufzte und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, strich sich durch das graue Haar. Seine Frau trat von hinten an ihn heran, legte ihre Arme um seinen nackten Oberkörper und schmiegte ihre Wange an seinen Rücken. Ihre Haut hatte noch die Wärme des Bettes.
„Gut geschlafen?“, fragte sie.
„So gut wie gar nicht.“
„Ja, ich auch nicht.“
Wagner löste sanft ihren Griff und drehte sich um. Irenes Haar war noch zerzaust von der Nacht, aber ihre Augen waren wach. Sie sah ihn fragend an.
„Mir geht es gut“, sagte Wagner und versuchte ein Lächeln.
„Lügner.“ Irene lächelte zärtlich und gab ihm einen Klaps auf die Brust.
„Vor dir kann man nichts geheim halten, was?“
„Zumindest nicht du.“
Er nickte langsam. „Ich habe versagt“, sagte er leise.
Sie schüttelte heftig den Kopf. „Unsinn. Das darfst du nicht denken. Du hast alles versucht, um es abzuwenden. Alles, hörst du?“
„Es hat nicht gereicht.“
„Aber das ist nicht deine Schuld. Es ist ... es war ... die Zeiten ändern sich.“
Wagner zuckte mit den Schultern, nahm ein Unterhemd vom Bügel und zog es sich umständlich über den Kopf.
„Man hätte es ahnen können. Wir hätten uns vorbereiten müssen.“
„Ach, Schatz.“ Seine Frau strich ihm zärtlich über die Wange. „Im Nachhinein lässt sich das immer sagen. Und du hast es doch auch weiß Gott versucht. Ich erinnere mich an so viele Gespräche. So viel Streit. Die vielen Nächte. Was haben sie dir nicht alles an den Kopf geworfen. Die Verbände, Gewerkschaften. Die vor allem. Aber du hast nicht aufgehört. Und schließlich sind sie dir doch gefolgt.“ Sie reichte ihm das weiße Hemd und die Krawatte.
„Nur, dass es da schon zu spät war. Wir hatten nichts mehr entgegenzusetzen. Waren zu schwach. Leichte Beute.“
Sie schwiegen kurz, dann gab Irene ihm einen Kuss. „Ich mache mich fertig. Wir sollten nicht zu spät kommen.“
Wagner nickte und ging dann in sein Arbeitszimmer.

Das Leder schnaufte, als er sich tief in den alten Drehstuhl setzte und den Blick durch den Raum schweifen ließ. Da drüben in der Sitzgruppe hatte er viele Abende, nicht selten sogar Nächte verbracht und diskutiert, gegessen und getrunken. Politiker – befreundete, ebenso wie die aus dem gegnerischen Lager –, Staatsmänner, Vertreter der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen: sie alle waren in seinem Haus zu Gast gewesen, hatten die ungezwungene Atmosphäre zu schätzen gewusst. Hatten sich an Irenes warmherziger Art erfreut, ihren klaren Analysen zu verschiedenen politischen Themen zunächst erstaunt, dann anerkennend Gehör geschenkt.
In letzter Zeit freilich war die Stimmung um den flachen, runden Tisch von Anspannung geprägt gewesen, zornig, teilweise gar hasserfüllt. Kopfschüttelnd erinnerte sich Wagner an einen Abend mit Peter Hoffmann, dem Vorsitzenden der größten Gewerkschaft. Wieder einmal war es um notwendige Anpassungen gegangen: die Anhebung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, Wegfall alter Privilegien, weniger Mitspracherechte und so weiter. Hoffmann, der alte Querkopf, war irgendwann so erbost aufgesprungen, dass Wagner fast damit rechnete, er würde ihm den exzellenten Barolo ins Gesicht schütten. Überhaupt Hoffmann. Wenn der sich nicht allem so rigoros verschlossen hätte ... In den letzten Wochen hatte sich dann zunehmend Resignation in den Ledersesseln breitgemacht. Niemand schien mehr an eine Lösung zu glauben, die nicht etwas mit einem wie auch immer gearteten Verkauf zu tun haben würde. Der eine oder andere hatte bestimmt auch schon für die Zeit danach geplant. Treischl mit Sicherheit, der war immer schon überaus anpassungsfähig. Und Frisch mit seinem Hang zu bedeutungslosem Luxus.
Wagner seufzte schwer, griff dann nach links und hob den Aktenkoffer auf die Tischplatte. Das dunkelbraune, fein gezeichnete Leder verströmte den Duft von Bienenwachs und ganz flüchtig noch das fruchtig-herbe Kokosaroma - die Lederpflege, die er am gestrigen Abend akribisch aufgetragen hatte. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen. Innen war der Koffer mit dunklem Samt ausgekleidet. Er legte sein Notizbuch und ein paar Unterlagen hinein. Aus der obersten Schublade des Schreibtisches entnahm er einen Füllfederhalter, der Griff war aus grünem Bakelit, die leicht verbogene Spitze gold-glänzend. Angeblich hatte Konrad Adenauer in seiner Funktion als Präsident des Parlamentarischen Rates mit diesem Stift die Beurkundungsseite der Verfassungsurkunde unterschrieben. So hatte ihm das sein guter Freund Trautheim damals erzählt, als er ihm den Stift zu seinem Amtsantritt schenkte. Höchstwahrscheinlich war an der Geschichte nichts dran, aber Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln damals den Stift bei jenem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte. Und natürlich würde Wagner ihn heute für seine Unterschrift benutzen. Er zog dunkelblaue Tinte aus einem eigens gekauften Fässchen auf, schraubte den Deckel auf den Stift und legte ihn in den Aktenkoffer. Dann schloss er den Koffer, schwang auf dem Stuhl herum und blickte hinaus auf den Teich in seinem Garten, bis Irene in der Tür erschien und ihn mit sanfter Stimme in die Wirklichkeit zurückholte: „Wollen wir?“

Es war gespenstisch. Keine Journalisten, keine neugierigen Zuschauer, keine Demonstranten. Sie hatten absolutes Stillschweigen über Ort und Zeit verlangt. Um den Prozess nicht zu gefährden, wie es von deren Seite hieß. Erstaunlicherweise schienen alle ihr Versprechen gehalten zu haben. Keiner der üblichen Ausreißer, die doch noch einem Reporter Details steckten. Ausnahmsweise hätte sich Wagner gewünscht, dass einer der Eingeweihten indiskret geworden wäre. Er hätte sich ein Heer von Journalisten gewünscht, von aufgebrachten Bürgern, standhaften Verteidigern dieser Republik. Aber da waren nur Wilms, Günther, Frisch, Schadeck und natürlich Hoffmann, die ihn und Irene am säulenflankierten Portal empfingen. Der Rest hatte es vermutlich vorgezogen, diesem Alptraum nicht beizuwohnen. Er konnte es ihnen nicht verübeln. So würde dieser in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Akt also von der Öffentlichkeit unbemerkt vollzogen werden.
Wagner entstieg dem Mercedes (was wohl aus dieser Marke werden würde?), öffnete Irene den Wagenschlag und bot ihr seine Hand. Sein Fahrer reichte ihm wortlos den Aktenkoffer. Wagner versuchte sich an einem aufmunterndem Lächeln.
„Danke, Robert. Keine Angst, wir haben alles für Sie arrangiert.“
„Vielen Dank, Herr Wagner. Das weiß ich sehr zu schätzen.“
Wagner nickte, dann ging er mit durchgedrücktem Rücken auf die Eingangspforte zu, Irene an seiner Seite.
„Die Herren“, grüßte er knapp in die Runde.
„Herr Bundeskanzler“, kam es zurück.
„Die Vertreter von Elysion sind schon hier?“
„Warten im Großen Saal.“
„Sonst keiner da?“, fragte Wagner.
„Nur noch der Arbeitgeberbund und der Industrieverband“, sagte Hoffmann verächtlich. „Sind schon drin. Die haben sicher großen Redebedarf heute.“ Er lachte trocken.
„Na gut, dann wollen wir mal.“
Claus und Irene Wagner gingen voran, der kleine Tross folgte ihnen zwei Meter dahinter.

Die Absätze der Schuhe knallten auf dem Steinboden, als sie schweigend durch den langen, holzgetäfelten Gang liefen. Ihre Schritte waren langsam, der Bedeutung dessen, was vor ihnen lag, angemessen. An den Wänden Portraits bedeutender Politiker der letzten Jahrzehnte, Fotografien von Monumenten, die Teil der deutschen Identität waren, oder Landschaften aus den verschiedenen Regionen.
„Eine Schande ist das alles“, hörte Wagner Peter Hoffmann hinter sich grummeln.
„Das aus deinem Mund.“ Das war Wilms, Wirtschaftsminister.
„Ach ja? Ausgerechnet du?“, blaffte Hoffmann zurück. „Dein Ministerium hat doch alles verschlafen. Immer schön die Bonzen mit den dicksten Taschen hätscheln.“
„Das muss ich mir nicht ...“
„Meine Herren!“ Wagner blieb stehen und drehte sich zu der Gruppe um. „Das ist jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt für eure kleingeistigen Zankereien. Das hatten wir lange genug. Wir sind alle schuld. Jeder von uns hier. Und letztendlich das gesamte Land.“
„Trotzdem“, versuchte es Hoffmann noch einmal.
„Peter, lass gut sein.“ Wagner legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir wissen doch alle, was wir hier im Begriff sind zu tun. Und keinem von uns gefällt der Gedanke. Aber wir müssen die Zukunft im Auge haben. Nicht für uns, aber für die Millionen Menschen da draußen. Wir hatten viele gute Jahre. Wirtschaftlich, sozial. Aber wir haben es versäumt weiterzudenken, waren selbstzufrieden, behäbig.“ Er blickte in die Runde. „Jeder von uns.“
Bedächtiges Nicken der Anwesenden und Wagner fuhr fort: „Und jetzt? Ihr wisst doch, wie es da draußen aussieht. Mittlerweile sind wir auf dem Niveau der Länder, die wir vor zwanzig Jahren als Dritte Welt bezeichnet haben. Nur, dass die schon längst an uns vorbeigezogen sind. Ich sehe also keine andere Möglichkeit, wenn wir den Bürgern dieses Landes eine Chance geben wollen.“
„Claus hat Recht“, sagte Wilms nach kurzem Schweigen. „Komm, Peter, lass es uns mit einem Rest Würde zu Ende bringen. Immerhin haben wir länger durchgehalten als der feine Monsieur Bernard.“ Wilms erlaubte sich ein kurzes, gehässiges Kichern.
Wagner drehte sich wieder um und sie setzen ihren Weg fort. Ein paar Meter vor der doppelmannshohen Tür zum Großen Saal kam ihnen ein junger Mann in perfekt sitzendem, teuer aussehendem Anzug entgegen. Er lächelte sie breit an. Neben ihm lief leicht gebückt ein älterer Herr, um dessen Hals zwei Fotokameras mit verschieden langen Objektiven hingen. Eine dritte Kamera hatte er in der Hand. In rascher Folge knipste er damit, das Blitzlicht blendete Wagner.
„Kann er das sein lassen, bitte?“, wandte er sich an den jungen Mann im Anzug.
„John. Stop.“
Der Fotograf senkte schulterzuckend die Kamera.
„Herr Bundeskanzler“, sagte der Anzugmann mit schwerem amerikanischen Akzent. „Malcom Ewing, Senior International Relations Manager, Elysion Incorporated. Sie erinnern sich sicher.“ Wieder das breite Lächeln, das seine makellosen Zähne zeigte. Er streckte Wagner die Hand hin, die dieser unwillig ergriff. Jetzt schon Senior Manager? Der Kerl konnte doch nach wie vor nicht älter als fünfundzwanzig sein, dachte er.
„Natürlich. Doktor Claus Wagner, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.“ Er deutete hinter sich. „Einige Minister meines Kabinetts, Herr Hoffmann von der Gewerkschaft, und das ist meine Frau. Irene.“
„Wonderful.“ Ewing schnalzte mit der Zunge und deutete auf die Holztür. „Wollen wir?“
Wagner atmete tief durch. „Sicher.“

Der Große Saal war in die Mitte des Gebäudes gebaut worden und fensterlos. Er war nicht ganz so üppig dimensioniert, wie der Name glauben machen konnte, aber immer noch groß genug, um die fünf Personen, die am hinteren Teil des langen Eichentisches Platz genommen hatten, etwas verloren wirken zu lassen. Hier hatte Claus Wagner unzählige Kabinettssitzungen hinter sich gebracht, Beratungen mit Wirtschaftsvertretern, Wissenschaftlern, Angehörigen der großen Religionsgemeinschaften. Und hier würde er heute seine Amtszeit beenden. Mit einem Mal schien ihm die Aktentasche in seiner Hand unerträglich schwer. Eine bleierne Müdigkeit wollte sich seiner bemächtigen, doch er schüttelte sie ab. Noch nicht, sagte er sich. Noch nicht.
Als er den Raum betrat, drehten ihm die Herren am Tisch ihre Gesichter zu. Sie waren in identische dunkelgraue Anzüge gekleidet, dazu azurblaue Krawatten. Sahen ihn aufmerksam an, wenn auch nicht besonders interessiert. Wagner hätte schwören können, dass diese kleine Bewegung vollkommen synchron verlief. Überhaupt, sie glichen sich erschreckenderweise so sehr, dass man sie für Zwillinge hätte halten können. Eineiige Fünflinge, falls so etwas möglich war. Er war sich da nicht sicher. Oder Klone. Vor ihnen auf dem Tisch lag jeweils ein flacher, schwarzer Koffer.
An die Stirnseite des Tisches war ein riesiger Bildschirm geschoben worden. Das Bild zeigte das Elysion-Logo: eine stilisierte Schlange, die sich um die Weltkugel windet.
An der rechten Wand sah Wagner jetzt Frederick Thiele und Andreas von Brautner, die wichtigsten Wirtschaftsvertreter der Republik. Sie nickten ihm knapp zu, dann fuhren sie fort mit der akribischen Betrachtung ihrer Schuhspitzen.
Aus dem Halbschatten neben der Videowand trat ein Mann hervor, der ebenfalls eine azurblaue Krawatte zum dunkelgrauen Anzug trug, aber älter war als die Elysion-Mitarbeiter am Tisch. Schwarze, penibel zu einer leichten Welle nach hinten frisierte Haare. Mit energischen Schritten und ausgestrecktem Arm durchquerte er den Raum.
„Herr Bundeskanzler. Ich freue mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Jackson M Brummels, Founder und CEO von Elysion.“ Sein Deutsch war nahezu akzentfrei, der Händedruck hatte genau den richtigen Festigkeitsgrad, das Lächeln war ebenso makellos wie zuvor bei seinem Senior Manager, die Augen dunkelbraun, fast schwarz. „Lassen Sie mich Ihnen ganz zu Anfang sagen, dass ich mir vorstellen kann, wie schwer Ihnen das fallen muss. Wirklich.“
Er löste sich von Wagner und schritt auf Irene zu, verbeugte sich leicht zu einem formvollendeten angedeuteten Handkuss. „Frau Wagner. Ich freue mich, dass Sie auch hier sind.“
„Herr Brummels“, erwiderte Irene knapp.
Claus Wagner wandte sich an seine Begleiter. „Ich schlage vor, dass ich das allein mache. Wir können ja nachher noch ein paar Fotos zusammen ...“
Der Widerstand war noch geringer, als er erwartet hatte. Niemandem schien es ein großes Bedürfnis zu sein, diesem Akt bis zum Ende beizuwohnen, und so leerte sich der Raum bis auf Wagner, Brummels und die fünf Elysion-Mitarbeiter am Tisch. Irene drückte sanft seinen Oberarm. „Falls du mich brauchst, ich bin im Gang“, flüsterte sie. Die Tür schloss sich hinter ihr.

„Bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Brummels wies auf einen freien Stuhl an der Stirnseite des Tisches.
Wagner setzte sich zögerlich, versuchte einen souveränen Ausdruck auf sein Gesicht zu legen, bezweifelte aber, dass ihm das gelang. Sein Puls hämmerte gegen die Schläfen. Er musste an seine Vereidigung vor fast zwölf Jahren denken. Damals hatte er sich auch so gefühlt. Schicksalsergeben. Mit dem Unterschied, dass es damals eine euphorische Schicksalsergebenheit war. Jetzt fühlte er sich mehr wie ein Hase im Käfig.
Brummels legte die Handflächen aneinander und sagte im der Skurrilität der Situation unangemessenen Plauderton: „Vielleicht starten wir mit unserem Imagefilm, bevor wir dann...“
Wagner winkte brüsk ab. „Lassen wir das. Kommen wir gleich zur Sache.“
Für einen kurzen Moment wirkte der Elysion-Chef verunsichert, dann legte sich wieder das professionelle Lächeln auf sein Gesicht. „Aber sicher. Muller, die Unterschriftenseite bitte.“
Einer der Mitarbeiter am Tisch öffnete den Koffer vor sich und entnahm ihm einen Stoß Papier. Er erhob sich und breitete die Seiten vor Claus Wagner aus. „In dreifacher Ausfertigung. Den eigentlichen Inhalt kennen Sie ja. Hier noch mal als zusammenfassende Klausel. Unterschrift bitte hier und hier.“ Damit nahm er wieder seinen Platz ein und schloss in langsamer Bewegung und nahezu lautlos den Kofferdeckel.
Wagner hatte bereits den Füllfederhalter in der Hand, das grüne Kunstharz war glatt und kalt.

Kraft der mir durch Verfassungsänderung vom 25. Februar 2031 übertragenen Befugnis bestätige ich mit meiner Unterschrift, dass mit dem Tage der Unterzeichnung alle Besitztümer der Bundesrepublik Deutschland, näher definiert in Anhang 1-3 zu diesem Vertrag, mit einer Übergangsfrist von sechs (6) Monaten in den rechtmäßigen Besitz der Elysion Incorporated, New York, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch Jackson M Brummels, übergehen. Es gelten ferner die vertraglich vereinbarten Bestimmungen zur Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung in Bund und Ländern.

Dr. rer. pol. Claus Wagner, Bundeskanzler.


Wieder und wieder las er die Zeilen, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen, zu einer neblig-grauen Fläche wurden. Der Stift in seiner Hand schien ihm tonnenschwer, er senkte den Arm auf die Tischplatte, atmete tief ein und wieder aus.
Brummels räusperte sich leise neben ihm. „Glauben Sie mir, Herr Bundeskanzler, Sie tun das Richtige. Für Ihr Land, Ihr Volk.“
Er ging mit bedächtigen Schritten um den Tisch, gestikulierte dozierend mit den Händen, wobei er Wagner mit seinem Blick fixierte.
„Ich muss Ihnen ja nicht erklären, in welchem Zustand sich die Bundesrepublik befindet. Die Infrastruktur, Straßen, Schienen, Flughäfen, Schulen, Universitäten, alles kaputt. Die Fabriken technologisch zwanzig, ach was, dreißig Jahre zurück. Seit Jahren keine nennenswerten Patentanmeldungen mehr. Auf der anderen Seite verschlingen die Sozialkosten nahezu die gesamten Steuereinnahmen. Der Haushalt war das letzte Mal vor acht Jahren positiv. Im Weltbank-Ranking befindet sich Ihr Land nur noch auf Platz hundertachtundzwanzig, sogar noch hinter Guinea. Ein Land, das sich im Übrigen unter unserer wohlwollend-konsequenten Patronage zur most valuable emerging economy der letzten zwei Jahre entwickelt hat.“ Brummels hatte den Tisch umrundet, blieb neben Wagner stehen.
„Glauben Sie mir, Elysion hat die Mittel und vor allem die notwendige, nun ja, Herangehensweise“, er lächelte süffisant, „um dieses wunderbare Land wieder zu vergangener wirtschaftlicher Stärke zu führen. Eine Einsicht, zu der Italien, Frankreich und sogar England klugerweise schon vor Jahren gekommen sind, wie Sie ja selbst wissen. Und wir haben bereits erste Resultate, die mich äußerst positiv stimmen.“
„Erkauft mit der Aufgabe sämtlicher staatlicher Souveränität“, gab Wagner zerknirscht zurück, den Blick wieder starr auf die Urkunde vor sich geheftet.
„Ach, ich bitte Sie. Staatliche Souveränität. Ist das nicht ein Ideal des letzten Jahrtausends? Warum aus einem durch die Vergangenheit verklärten, pseudo-heroischen Gefühl heraus daran festhalten? Wem nützt das heute noch? Fragen Sie mal die verarmte Masse. Die Eltern, die keine Zukunft für ihre Kinder sehen. Nein, was zählt, ist der Erfolg. Und der gibt uns Recht. Mit Dänemark und Schweden sind wir übrigens auch in ernsthaften Gesprächen.“
Wagner schwieg, nahm zögerlich den Stift, ärgerte sich darüber, dass seine Hand zitterte. Andererseits, wen kümmerte es jetzt noch?
Er setzte die Feder auf das dicke Papier und setzte mit unsicheren Bewegungen gedrungene, ängstlich wirkende Buchstaben über die Linie, unter der sein Name stand. Da war sie also, seine Unterschrift. Er lehnte sich in den Stuhl. Ein Tropfen Tinte war auf die rechte untere Ecke der Urkunde getropft, vergrößerte sich zu einem dunklen Fleck.
„Wenn Sie bitte die anderen Exemplare auch noch unterschreiben wollen“, sagte Brummels in geschäftsmäßigem Ton.
Wagner ergab sich und zeichnete die Papiere. Kaum hatte er den letzten Strich getan, kam ein Elysion-Mitarbeiter, ordnete beflissen die Unterlagen und verstaute zwei Exemplare in einer Ledermappe, auf der das Elysion-Logo prangte. Eine Ausfertigung lag noch vor Wagner auf dem Tisch.
„Für Ihre Unterlagen. Was immer Sie damit ...“ Brummels beendet den Satz nicht, zuckte stattdessen mit den Schultern. Es schien ihm nicht mehr von Bedeutung. Die Ledermappe verstaute er in einem stahlglänzenden Aktenkoffer, der von irgendwoher gebracht worden war. Geräuschvoll ließ er den Deckel zuschnappen. Das Geräusch der sich schließenden Verschlüsse erschien Claus Wagner wie der Schlussakkord der untergehenden Republik.
„Wir sind dann so weit durch.“ Brummels streckte ihm die Hand entgegen. Wagner erhob sich schwerfällig, blickte dem CEO lange in die Augen, dann ging er wortlos an ihm vorbei.
„Warten Sie doch, Herr Bundeskanzler, also Herr Bundeskanzler a. D. Sie verpassen ja den Film.“
„Kein Interesse“, sagte Wagner über die Schulter. Hinter sich hörte er fanfarenartige Klänge.

Auf dem riesigen Bildschirm wird eine Karte Europas eingeblendet. Italien färbt sich von schwarz nach azurblau, dann Spanien, Portugal, Frankreich, England und schließlich Deutschland. Eine euphorische Stimme erzählt dazu:
„Heute ist ein historischer Tag für Elysion, Europa und die ganze Welt. Ein weiteres Land begibt sich in den Schutz und die Fürsorge unseres großartigen Unternehmens. Heißen wir die Bundesrepublik Deutschland willkommen in unserer Familie. Möge das Land unter der schützenden Hand von Elysion prosperieren und zu altem Glanz zurückfinden.“

Wagner schloss die Tür hinter sich.

 

Hallo @Fraser,

alle fragen sich, warum du relativ wenig Rückmeldungen bekommst. Vielleicht kann ich diese Frage beantworten. ;)

Mir gefällt deine Geschichte nämlich nicht ganz so gut.

Bei dem Anfang und der Überschrift dachte ich: Hmm, hat der Fraser nicht schon letztes Jahr eine Geschichte über den Eintritt in den Ruhestand geschrieben? Warum denn schon wieder?
Da hatte ich erstmal keine Lust mehr => Ausstieg.

Dann habe ich einige Kommentare gelesen und dachte mir, ich muss der Geschichte noch eine Chance geben.

Höchstwahrscheinlich war an der Geschichte nichts dran, aber Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln, bereits dreiundsiebzigjährig, den Stift bei diesem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte.
Hier dachte ich übrigens auch kurz, dass Konrad Adenauer zu diesem Zeitpunkt 73 ist.

Wenn man etwas weiter liest, dann erkennt man, dass es hier nicht nur um einen Ruhestand geht. Ich vermute erst, es geht um den Verkauf einer Firma. Das ist von dir bewusst so angelegt, du willst den Leser durch kleine Häppchen bei der Stange halten, setzt auf den Überraschungseffekt.
Ich finde den Verkauf einer Firma nicht spannender als den Eintritt in den Ruhestand, von daher packt mich die Geschichte immer noch nicht (da ahne ich ja noch nicht worum es wirklich geht!).

Es war gespenstisch. Keine Journalisten, keine neugierigen Zuschauer, keine Demonstranten. Sie hatten absolutes Stillschweigen über Ort und Zeit verlangt.
Ab hier wurde ich dann doch neugierig. Was steckt dahinter, dass die Presse nicht anwesend sein darf? Steckt da doch mehr dahinter als ein normaler Firmenverkauf?

Und doch habe ich dann den Rest nur überflogen. Ich wollte wissen, um was es denn nun wirklich geht. Also das hast du schon gut gemacht. Aber mir ist der Text einfach viel zu langatmig. Für mich könnte das alles wesentlich knapper sein. Meiner Meinung nach müsstest du auch etwas für den Anfang finden, etwas das den Leser bei der Stange hält. Man müsste schon früher merken, dass da etwas merkwürdiges am Laufen ist.

Also gute Idee, die Umsetzung spricht mich leider nicht an.

Liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

Hallo @GoMusic,
Vielen Dank fürs Lesen und den Kommentar.

In meinem Notizbuch befinden schon länger Ideen über eine politisch angehauchte Geschichte/Dystopie. West-Deutschland hat sich der DDR angeschlossen und anderes ...
Ja, diese what if... Gedankenspiele haben ihren Reiz. In einem Roman, den ich kürzlich gelesen habe, ging es auch ganz am Rande darum. Z.B. was wäre passiert, wenn der Komet damals ein paar Stunden später auf der Erde eingeschlagen wäre und nicht in diese super staubige Landschaft am (jetzigen) Golf von Mexiko. Möglicherweise wären die Dinosaurier nie ausgestorben, oder nicht zu der Zeit. Gäbe es dann uns überhaupt? Oder, wenn die Möglichkeiten der Mikroskopie, die schon im 17. Jahrhundert vorhanden waren, konsequenter eingesetzt wären, um die Ursache von Krankheiten zu hinterfragen. Hätte man damit die Kindersterblichkeit nach der Geburt früher senken können? Welche Genies oder Wahnsinnige wären so nicht als Säuglinge gestorben? Usw. Bietet viel Stoff für spannende Geschichten.

Den Spiegel bringst du nur nebenbei, so dass der "Fehler" noch so eben umgangen wird, Charaktere mit dem / durch das Spiegelbild zu beschreiben. :-)
Wusste nicht, dass das ein Fehler ist, aber da bin ich vielleicht zu nachsichtig :).

Ich bekomme später nicht mit, ob er sich die Sachen auch anzieht.
Hm, stimmt. Aber würde man nicht davon ausgehen?

Hatten sich an Irenes warmherziger Art erfreut, ihren klaren Analysen zu verschiedenen politischen Themen zunächst erstaunt, dann anerkennend Gehör geschenkt.
Hatten sich an ihren Analysen erstaunt, steht da. Kann man das so sagen? Merkwürdiger Satzbau.
Bin mir jetzt nicht sicher, muss da vielleicht das Komma zwischen erstaunt und dann weg? Was ich ja sagen will, ist, dass die Besucher ihren klaren Analysen anerkennend Gehör geschenkt hatten, aber eben erst, nachdem sie erstaunt darüber waren. Wohl, weil sie nicht vermutet hätten, dass eine Frau usw. Alte Rollenmodelle in deren Köpfen.
Oder zwei Sätze draus machen? Hatten sich an.... Hatten ihren klaren Analysen...

Gefällt mir nicht so gut.
"Er macht dies. Der Koffer sieht so aus. Er macht jenes."
Ich würde das Aussehen des Koffers mit in den Satz verschmelzen lassen. Z.B.:
Er ließ die Verschlüsse aufschnappen und legte sein Notizbuch und ein paar Unterlagen in dem mit dunklem Samt ausgekleideten Koffer.
Schau ich mir genauer an.

Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln, bereits dreiundsiebzigjährig, den Stift bei diesem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte.
Hier dachte ich erst, Konny lebe noch, die Story spiele in der Vergangenheit.
Ok, das ist vielleicht etwas unklar geschrieben dann. In einem der Sätze davor schreibe ich ja, dass Adenauer den Stift angeblich beim Unterschreiben der Verfassung benutzt hat. Hm, hab jetzt mal das Alter von Adenauer rausgenommen und versuche noch, das sprachlich eindeutiger zu machen, dass viele Jahre dazwischen liegen.

Dein unteren Satz brauchst du gar nicht. Das oben sagt alles aus.
Einverstanden. Der Satz durfte gehen.

Aha, die Franzmänner haben es auch schon getan.
Tja, wenn man auf nichts anderes mehr Stolz sein kann, dann wenigstens noch darauf :)

Mal Klone, mal Anzugträger, mal E.-Mitarbeiter.
Hm, weiß nicht ...
Ja, hab jetzt versucht, es einheitlich zu machen in "Mitarbeiter".

Spannender Aufbau. Man bleibt dran, möchte unbedingt wissen, was da geschieht.
Hat mir sehr gut gefallen. Würde ich gerne noch mehr drüber lesen, bzw. ähnliche Stories.
Das freut mich. Ich auch. Mal sehen. Und hey, vielleicht schafft es ja eine deiner Ideen aus dem Notizbuch in dieses Forum. Würde ich lesen.

Danke nochmals für die Anregungen und beste Grüße,
Fraser

 

Hallo @Fraser ,

endlich wagt sich mal jemand an eine Satire und dann ist es auch obendrein sogar eine, denn glaube mir, von zehn hier bei den Wortkriegern reingestellten angeblichen Satiren sind oft nein keine. Das nur zur Erhöhung des Stolzes, den du haben kannst. Für meine Begriffe ist es eine Satire und ich lege da ziemlich hohe Maßstäbe an.
Deine Geschichte hat mir gefallen, sie ist sauber runtergeschrieben, eloquent durchformuliert, der Plot schlüssig, die Dialoge tadellos und ja, es ist obendrein eine Satire.

Das einzige, was mir etwas misshagt ist die gesamte Länge der Geschichte, du erzählst lange, bevor du dem Leser die Pointe gönnst und ich wäre da vermutlich etwas rasanter rangegangen, denn die wirklich gute satirische Idee, wird von dir ziemlich ausgewalzt, vielleicht hättest du hie und da noch was anderes Satirisches einflechten können.
Also nur so als Beispiel, dass er sich die Tinte, die so teuer wie Safran oder Gold ist, auf ganz verschlungenen Wegen besorgen muss, weil alles schon digitalisiert ist und es Tinte nur noch auf dem Schwarzmarkt gibt. Papier musste vielleicht extra angefertigt werden für diese Urkunde. Dafür hat man extra eine deutsche Eiche dran glauben lassen oder so...du verstehst sicherlich, was ich meine.
Also entweder hätte ich es mir etwas gestraffter gewünscht oder aber garniert mit kleinen Köstlichkeiten aus der satirischen Ecke.
Aber ich möchte betonen, dass ich bereits auf hohem Niveau Verbesserungsvorschläge unterbreite. Ich bin mir sicher, dass deine Geschichte, so wie sie ist, problemlos in eine Anthologie wandern würde, wenn es denn eine mit so einem Thema gäbe.
Deine Geschichte bleibt gut geschrieben für mich.

Textliches:

Wenigstens das konnte er noch tun: perfekt rasierte Miene zum bösen Spiel machen auf den Fotos für die Nachwelt.
Da dachte ich ja noch: oh ha, der geht gleich auf den elektrischen Stuhl, der letzte Gang, alles klar, ein Schwerverbrecher.

Und was hatte es genützt? Nichts.
Hier ziehe ich schon die Stirn kraus. Irgendwie passt meine Annahme mit dem elektrischen Stuhl nicht so richtig.
Er nickte langsam. „Ich habe versagt“, sagte er leise.
Ah, falsche Fährte nun verlassen. :D

Das Leder schnaufte, als er sich tief in den alten Drehstuhl setzte
Ist es nicht eigentlich das Polster, also der Schaumstoff oder das Material unter dem Leder, das schnauft, weil durch das Reinsetzen nun Luft rausgedrückt wird?
nicht selten sogar Nächte verbracht und gegessen, getrunken und diskutiert.
Ich würde es seriöser finden, wenn sie die Nächte zunächst diskutiert und dann den lustvollen Rest getan hätten. Also mir gefällt hier die Reihenfolge nicht so ganz.

Hatten sich an Irenes warmherziger Art erfreut, ihren klaren Analysen zu verschiedenen politischen Themen zunächst erstaunt, dann anerkennend Gehör geschenkt.
Wieso muss ich da an Loki Schmidt denken?

herbe Kokosaroma - die Lederpflege
Gibt es sowas? Also Kokosaroma als Lederpflege? Klingt so ein wenig, als wäre es ein Duftfetischist. Wie wäre es mit Sandelholz, etwas Harzigem?

Das Bild zeigte das Elysion-Logo: eine stilisierte Schlange, die sich um die Weltkugel windet.
Boah, das ist fies, aber Satire darf das Überzeichnete. Gar keine Frage.

„Vielleicht starten wir mit unserem Imagefilm, bevor wir dann...“
Feiner Einschub, der Brummels peilt schon gar nichts mehr...der ist die Werbung in persona.

Kraft der mir durch Verfassungsänderung vom 25. Februar 2031 übertragenen Befugnis bestätige ich mit meiner Unterschrift, dass mit dem Tage der Unterzeichnung alle Besitztümer der Bundesrepublik Deutschland, näher definiert in Anhang 1-3 zu diesem Vertrag, mit einer Übergangsfrist von sechs (6) Monaten in den rechtmäßigen Besitz der Elysion Incorporated, New York, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch Jackson M Brummels, übergehen. Es gelten ferner die vertraglich vereinbarten Bestimmungen zur Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung in Bund und Ländern.

Dr. rer. pol. Claus Wagner, Bundeskanzler


Alle Achtung! In derartig kurzer Form ein ganzes Land verkaufen. Respekt, du hast dir mit der Formulierung sehr viel Mühe gegeben. Da benötigt es für den Verkauf einer Waschmaschine deutlich mehr Text.
Ab hier bringt sie mir Spaß deine Satire.

„Ach, ich bitte Sie. Staatliche Souveränität. Ist das nicht ein Ideal des letzten Jahrtausends?
Genau. Wir sind doch eh Bananenrepublik, nur dass sie bei uns nicht wachsen. Wenn ich mir überlege, dass man eine Renate Künast mal so eben derbe beleidigen darf und straffrei bleibt und dass Minister Scheuer mal eben über 500 Mio im Gulli versenken darf, ohne dass ihm auch nur das Geringste passiert, da fehlen einem tatsächlich die Vokabeln.

Das Geräusch der sich schließenden Verschlüsse erschien Claus Wagner wie der Schlussakkord der untergehenden Republik.
Ja, es gehört zu deinem breit angelegten Erzählstil, aber hier finde ich es denn doch too much an Erklärung für den Leser. Würde es löschen.

Feine Satire! Gerne mehr aus deiner satirischen Feder!

Frohe Weihnachten!

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo @Fraser ,

da ist Dir ein gutes Stück gelungen.
Der Schreibstil ist geradezu professionell gut, die Dialoge, auch die inneren Gedankenläufe sind sehr authentisch aufgebaut. Die Idee der Geschichte ist okay, wenn auch nicht so ein Knaller. Du baust den Verkauf der BRD ja als große Ungeheuerlichkeit auf, aber ich frage mich als Leser unweigerlich, ob es für das Volk einen großen Unterschied macht, ob VW und BASF oder Elysium unsere Gesetze festlegen.
Und leider muss ich auch sagen, dass der hervorragende Schreibstil mich nur knapp über die relativ ereignislose Strecke trägt. Anfangs wird ein Raunen als Spannungsgeber gesetzt. Dann erfahre ich Schritt für Schritt, in welchen Kreisen sich die Geschichte bewegt, die Ahnung einer Katastrophe verstärkt sich, aber dann will ich es wissen. Spätestens die detaillierte Beschreibung der Örtlichkeit, des Füllfederhalters und des Kamzlers Gedanken zieht das Ende für mich einen Tick zu weit hinaus. Dadurch wirkt die letzte Pointe auch nicht mehr sehr überraschend.

Im Rahmen der Challenge; eine der besten Leistungen.

Schönen Gruß!
Kellerkind

 

Hallo @zigga,
Hoppla, hab ganz vergessen, auf deinen Kommentar zu antworten. Tut mir leid, war keine Absicht.
Also, ein großes Dankeschön fürs Lesen und Kommentieren auch dir.

Wegen des Tags "Satire". Ich war mir da nicht so sicher. Ich sehe den Text nicht als reine Satire, eher so was wie Satire mit Anklängen einer gesellschaftlichen Dystopie, falls das möglich ist? Letztendlich schien mir aber Satire noch ganz passend.

Ich dachte kurz, ob das rechtlich überhaupt gehen würde? Also, ob ein Bundeskanzler ein Land verkaufen könnte. Aber das hast du gut gelöst, indem du die Verfassungsänderung einwebst.
Gute Frage. Ich bin kein Verfassungsrechtler, aber im Prinzip denke ich, dass nichts von Dauer sein muss. Alles, was wir als so unverrütbar, als selbstverständlich nehmen, ist doch letztendlich nur ein Status Quo, der sich genauso ändern kann. Und da würde uns auch keine Verfassung der Welt schützen. Ist diese doch auch nur menschengemacht und Ergebnis ihrer Zeit.

Mich interessiert in diesem Szenario natürlich, wie es dazu gekommen ist, dass die Menschen den Glauben an die Demokratie (bzw. Staatliche Souveranität - ich denke, das meinst du damit, da der Souverän in diesem Land ja die Bürger sind) verloren haben.
Tja, da könnte man sicherlich hoch und runter diskutieren. Wenn man unter Souverän versteht, alle paar Jahre Kreuzchen zu machen, sicherlich. Aber was geschieht denn darüber hinaus jeden Tag, auf das wir Null Einfluss haben. Berateraffäre im BMVg, Mautdesaster, Zwangsabgabe für den öffentlichen Rundfunk. Ach, die Liste ist endlos.
Aber ja, die Vorgeschichte zu dieser Geschichte ist ohne Frage interessant, ebenso wie das, was danach kommt.

Aktuell wäre nach Art. 79 III GG (Ewigkeitsklausel) ein Verkauf nicht möglich und auch die Verfassungsänderung (ist auch die Frage: Ist unser Grundgesetz eine Verfassung? :D) nicht möglich, da sie unter die Ewigkeitsklausel fällt.
Habe es gerade nachgelesen. Ja, dieser Artikel ist schon sehr gewichtig. Und da stellt sich bei mir die spannende Frage, wer wäre denn hier der Wächter. Das Bundesverfassungsgericht? Die Parteien? Also, da darf ja gern stehen, dass es unzulässig ist, aber (siehe oben) wie soll das in letzter Konsequenz durchsetzungsfähig sein? Ich weiß es nicht.

Das Einzige, über das ich tatsächlich gestolpert bin, sind Teile deiner Dialoge:

„Das ist jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt für eure kleingeistigen Zankereien. Das hatten wir lange genug. Wir sind alle schuld. Jeder von uns hier. Und letztendlich das gesamte Land.“
[...]
Also die Herren laufen gerade zum Meeting, als sie sich kurz auf diese Art austauschen. Nee, das glaube ich nicht. Da steckt so viel Infodump drin, das ist doch für den Leser geschrieben.
Ich denke, ich verstehe, was du meinst. Hm, dann muss ich mich wohl dahingehend outen, dass ich in der Hinsicht nicht so streng bin mit Autoren. Im Gegenteil nehme ich es normalerweise dankbar an, wenn mir an der einen oder anderen Stelle Infos "untergemogelt" werden, wie du es nennst. Klar, es darf nicht immer so gemacht werden, sollte sich eher "organisch" ergeben, aber generell sehe ich das nicht so kritisch wie du.
Aber ja, wenn ich mir die Situation nach deinem Einwurf noch einmal vor Augen führe, könntest du Recht haben. Vielleicht würde sie eher schweigend durch den Gang marschieren.
Andererseits, Entscheidungsträger lassen sich ja selten das letzte Wort nehmen. Das scheint in deren DNA zu stecken, und da hat der Einwurf von Hoffmann noch mal alles aufgerissen. Aber ja, vielleicht war es einw enig zu viel des Guten bzw. Informativen ;-)

„Ich muss Ihnen ja nicht erklären, in welchem Zustand sich die Bundesrepublik befindet. Die Infrastruktur, Straßen, Schienen, Flughäfen, Schulen, Universitäten, alles kaputt. Die Fabriken technologisch zwanzig, ach was, dreißig Jahre zurück. Seit Jahren keine nennenswerten Patentanmeldungen mehr. Auf der anderen Seite verschlingen die Sozialkosten nahezu die gesamten Steuereinnahmen. Der Haushalt war das letzte Mal vor acht Jahren positiv. Im Weltbank-Ranking befindet sich Ihr Land nur noch auf Platz hundertachtundzwanzig, sogar noch hinter Guinea. Ein Land, das sich im Übrigen unter unserer wohlwollend-konsequenten Patronage zur „most valuable emerging economy“ der letzten zwei Jahre entwickelt hat.“
Auch hier: Ich bin kein Wirschaftsmann oder jemand, der berufsbedingt Zeit in Meetings verbringen würde, aber der Kanzler ist hier beim Meeting, das den Vertrag unterschreiben soll. Wieso diese nochmalige Überzeugungsarbeit des Vertreters? Das glaube ich einfach nicht. Ich spüre hier wieder den Autor, der mir als Leser Infos unterjubeln möchte. Das klingt sehr ungelenk in der jetzigen Form.
Hier wiederum würde ich das etwas anders sehen. Der Brummels ist halt dieser typische Corp.-Schwafler. So von sich und seiner Elysion eingenommen. Referiert gern die Kennzahlen. Klopft sich selbst auf die Schulter. Solcher Art Vortrag kann ich mir gut vorstellen, nicht zuletzt auch, um den Vertragspartner mehr oder weniger subtil eine reinzuwürgen.

Ja, gern gelesen. Ein Text, bei dem ich mir vorstellen kann, dass er von der Idee her auch sehr interessant ausgeschrieben auf 40, 50 Seiten gut funktionieren würde und sich auch noch mehr entfalten könnte, da in meinem Kopf jetzt viele Fragen aufgeworfen wurden, zu denen ich Lust hätte, sie beantwortet zu bekommen. Also hau mal rein, ich will wissen, was passiert ist, Fraser! :D
Dein Interesse ehrt mich. Muss ich mal drüber nachdenken.

Nochmals vielen Dank für deinen hilfreichen Kommentar. Dieser Sache mit dem Infodumping werde ich mich noch mal widmen für die Zukunft.

Beste Grüße und schöne Weihnachtstage,
Fraser

 

Hallo @Nichtgeburtstagskind,
Ich danke dir für deinen Kommentar, auch wenn dich die Geschichte offensichtlich nicht fangen konnte.

alle fragen sich, warum du relativ wenig Rückmeldungen bekommst.
Na ja, alle waren es nicht. Zwei, drei vielleicht?

Vielleicht kann ich diese Frage beantworten. ;)
Bin gespannt.

Mir gefällt deine Geschichte nämlich nicht ganz so gut.
Hm, okay. Aber verstehe ich dich richtig: deine persönliche Meinung erklärst du zur allgemeinen Ansichtsweise? Na gut, ich bin versucht den Smiley vorher als abschwächendes Symbol zu lesen.

Bei dem Anfang und der Überschrift dachte ich: Hmm, hat der Fraser nicht schon letztes Jahr eine Geschichte über den Eintritt in den Ruhestand geschrieben? Warum denn schon wieder?
Da hatte ich erstmal keine Lust mehr => Ausstieg.
Hast Recht, letztes Mal ging es um den Eintritt in den Ruhestand. Da bin ich dann auch gleich mal zurückgegangen. Du hast damals einen relativ ähnlichen Kommentar hinterlassen. Aber hat nicht jeder eine zweite Chance verdient? Selbst wenn es hier wieder um eine Pensionärsgeschichte gegangen wäre. Aber gut, du schreibst ehrlich deine Motivation, das muss ich so akzeptieren.

Dann habe ich einige Kommentare gelesen und dachte mir, ich muss der Geschichte noch eine Chance geben.
Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass die Wortkrieger-Kommentatoren geschafft haben, was eigentlich meine Aufgabe ist :).

Höchstwahrscheinlich war an der Geschichte nichts dran, aber Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln, bereits dreiundsiebzigjährig, den Stift bei diesem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte.
Hier dachte ich übrigens auch kurz, dass Konrad Adenauer zu diesem Zeitpunkt 73 ist.
Habe ich ein wenig umgeschrieben. Wird jetzt hoffentlich klarer?

Ich finde den Verkauf einer Firma nicht spannender als den Eintritt in den Ruhestand, von daher packt mich die Geschichte immer noch nicht (da ahne ich ja noch nicht worum es wirklich geht!).
Ich merke schon, du bist nicht leicht zu packen.

Es war gespenstisch. Keine Journalisten, keine neugierigen Zuschauer, keine Demonstranten. Sie hatten absolutes Stillschweigen über Ort und Zeit verlangt.
Ab hier wurde ich dann doch neugierig. Was steckt dahinter, dass die Presse nicht anwesend sein darf? Steckt da doch mehr dahinter als ein normaler Firmenverkauf?
Da dachte ich dann, na gut, nach Anfangsschwierigkeiten doch noch ein Erfolg, aber...

Und doch habe ich dann den Rest nur überflogen. Ich wollte wissen, um was es denn nun wirklich geht. Also das hast du schon gut gemacht. Aber mir ist der Text einfach viel zu langatmig.
Ich weiß jetzt nicht genau, was mit "nur überflogen" gemeint ist, aber ich entnehme deinem Kommentar, dass dir die gesamte Entwicklung der Geschichte zu lang ist. Ok, das nehme ich so an, und du bist ja nicht der einzige Leser, dem es so gegangen ist.

Meiner Meinung nach müsstest du auch etwas für den Anfang finden, etwas das den Leser bei der Stange hält. Man müsste schon früher merken, dass da etwas merkwürdiges am Laufen ist.
Ich finde es gut, dass du hier sagst "meiner Meinung nach" und den Hinweis nehme ich gern auf für zukünftige Geschichten. Ich hatte mich ernsthaft bemüht, nach der zugegebenermaßen recht langen Geschichte der letzten Challenge, schneller zur Sache zu kommen. Aber da besteht sicherlich noch Verbesserungspotential. Auf der anderen Seite: ich denke, das ist eben mein Stil, dieses etwas ausschweifendere Erzählen. Hm, vielleicht mache ich mal eine Übung und schreibe etwas extrem "Knappes".

Also gute Idee, die Umsetzung spricht mich leider nicht an.
Eine ehrliche Zusammenfassung. Ich danke dir dafür. Und ich werde mir die Anregungen durch den Kopf gehen lassen.

Schöne Weihnachtstage wünsche ich dir.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo @Fraser,

manchmal bin ich doch erstaunt, wie meine Kommentare gelesen werden.

Aber verstehe ich dich richtig: deine persönliche Meinung erklärst du zur allgemeinen Ansichtsweise? Na gut, ich bin versucht den Smiley vorher als abschwächendes Symbol zu lesen.
Das ist natürlich Blödsinn. Ich dachte nicht, dass ich es zu jedem Kommentar dazu schreiben muss. Das was ich schreibe, ist nur meine eigene Meinung, ein persönlicher Blick auf deine Geschichte. Ich habe vom Schreiben so wenig Ahnung, wie könnte ich mir da herausnehmen, allgemeingültige Ratschläge, die über die Rechtschreibung hinausgehen, zu erteilen?
Ich habe versucht, dir eine mögliche Erklärung zu geben, warum jemandem die Geschichte nicht gefallen könnte. Vielleicht trifft diese Sichtweise nur auf mich alleine zu. Dass diese Meinung nicht auf alle Leser zutrifft, sieht man ja schon an den vielen positiven Kommentaren.
Es ist nur oft so, dass sich gerade die, die Geschichte überhaupt nicht gut finden, eher mit Kritik zurückhalten. Ist ja auch doof, immer der Meckerfritze zu sein.Ich bemühe mich meine Kritik, dann so zu formulieren, dass der Autor davon etwas mitnehmen kann. Das gelingt mir bestimmt nicht immer. Und was du dann am Ende daraus machst, ist ja auch wieder eine andere Geschichte.

Habe ich ein wenig umgeschrieben. Wird jetzt hoffentlich klarer?
Ja, besser!

Ich weiß jetzt nicht genau, was mit "nur überflogen" gemeint ist, aber ich entnehme deinem Kommentar, dass dir die gesamte Entwicklung der Geschichte zu lang ist.
Mit überfliegen meine ich, dass ich den Text quergelesen hab, auf der Suche nach Stellen, die mich doch noch packen oder überraschen. Wenn ich diese finde, gehe ich wieder zurück und lese den Text noch mal aufmerksamer. Aber als dann klar wurde, was da läuft, passiert ja eigentlich nichts Überraschendes mehr – also ja, die Entwicklung ist mir zu lang.

Auf der anderen Seite: ich denke, das ist eben mein Stil, dieses etwas ausschweifendere Erzählen. Hm, vielleicht mache ich mal eine Übung und schreibe etwas extrem "Knappes".
Ach, man kann es nie allen recht machen, und es gibt ja auch genug, die deinen Stil mögen. Bei der Challenge wird viel gelesen und kommentiert, da ist man auch in Bereichen unterwegs, die man sonst umgeht, eben weil man damit wenig anfangen kann. Also nimm dir aus meinem Kommentar nur das, was dir weiterhilft, und mach ansonsten so weiter, wie du dich wohl fühlst.

Dir auch schöne Weihnachtstage und liebe Grüße,
NGK

 

Hallo @lakita,
Weihnachtliche Grüße und vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.

Deine Geschichte hat mir gefallen, sie ist sauber runtergeschrieben, eloquent durchformuliert, der Plot schlüssig, die Dialoge tadellos und ja, es ist obendrein eine Satire.
Es freut mich sehr, dass die Geschichte dich überzeugen konnte. Das ist sehr motivierend.

Das einzige, was mir etwas misshagt ist die gesamte Länge der Geschichte, du erzählst lange, bevor du dem Leser die Pointe gönnst
Ja, dieser Einwand zieht sich mittlerweile wie einer roter Faden durch viele Kommentare. Ich sehe zeitlich leider keine Möglichkeit mehr, daran etwas zu ändern, also was diese Geschichte betrifft, aber ich werde mir das als wichtigen Punkt in mein Hausaufgabenheft schreiben. Fürs nächste Mal.

vielleicht hättest du hie und da noch was anderes Satirisches einflechten können.
Das sind klasse Ideen, die den Text sicher noch mehr in die satarische Richtung lenken würden. Hätte einen gewissen Reiz. Vielleicht überarbeite ich die Geschichte ja doch noch mal...

Aber ich möchte betonen, dass ich bereits auf hohem Niveau Verbesserungsvorschläge unterbreite.
Was sie nicht weniger wichtig und wertvoll machen.

Wenigstens das konnte er noch tun: perfekt rasierte Miene zum bösen Spiel machen auf den Fotos für die Nachwelt.
Da dachte ich ja noch: oh ha, der geht gleich auf den elektrischen Stuhl, der letzte Gang, alles klar, ein Schwerverbrecher.
Jetzt, wo du es schreibst, stimmt, könnte auch in die Richtung gehen.

Er nickte langsam. „Ich habe versagt“, sagte er leise.
Ah, falsche Fährte nun verlassen. :D
Hatte es zwar anders im Kopf, aber Hauptsache, die Fährte war falsch ;)

Ist es nicht eigentlich das Polster, also der Schaumstoff oder das Material unter dem Leder, das schnauft, weil durch das Reinsetzen nun Luft rausgedrückt wird?
Hm, da könntest du Recht haben. Vielleicht allgemein als: der Stuhl schnaufte? Denn, "die Füllung schnaufte" klingt wenig attraktiv...

nicht selten sogar Nächte verbracht und gegessen, getrunken und diskutiert.
Ich würde es seriöser finden, wenn sie die Nächte zunächst diskutiert und dann den lustvollen Rest getan hätten. Also mir gefällt hier die Reihenfolge nicht so ganz.
Verstehe, zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ja, könnte so gewesen sein.

Hatten sich an Irenes warmherziger Art erfreut, ihren klaren Analysen zu verschiedenen politischen Themen zunächst erstaunt, dann anerkennend Gehör geschenkt.
Wieso muss ich da an Loki Schmidt denken?
Hinter jedem erfolgreichen Mann usw. Nicht ganz 2019 konform, ich weiß.

herbe Kokosaroma - die Lederpflege
Gibt es sowas? Also Kokosaroma als Lederpflege? Klingt so ein wenig, als wäre es ein Duftfetischist. Wie wäre es mit Sandelholz, etwas Harzigem?
Ok, vielleicht ist es da ein wenig mit mir durchgegangen. Aber Kokos in der Lederpflege gibt es tatsächlich. Frag meine Schuhe ;-)

„Vielleicht starten wir mit unserem Imagefilm, bevor wir dann...“
Feiner Einschub, der Brummels peilt schon gar nichts mehr...der ist die Werbung in persona.
Ganz genau, der ist durch und durch beseelt vom Corporate-Geist.

Alle Achtung! In derartig kurzer Form ein ganzes Land verkaufen. Respekt, du hast dir mit der Formulierung sehr viel Mühe gegeben. Da benötigt es für den Verkauf einer Waschmaschine deutlich mehr Text.
Ab hier bringt sie mir Spaß deine Satire.
Ein langer Anlauf, aber immerhin kommt er noch, der Spaß. ;)

Das Geräusch der sich schließenden Verschlüsse erschien Claus Wagner wie der Schlussakkord der untergehenden Republik.
Ja, es gehört zu deinem breit angelegten Erzählstil, aber hier finde ich es denn doch too much an Erklärung für den Leser. Würde es löschen.
Och nö, die Stelle mag ich doch so gern.

Feine Satire! Gerne mehr aus deiner satirischen Feder!
Halte ich nicht für ausgeschlossen.

Nochmals vielen Dank für deinen sehr hilfreichen Kommentar.

Beste Grüße aus Berlin,
Fraser

--------------------

Hallo @Kellerkind,
Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren meines Beitrags.
Ich hoffe, du hattest schöne Weihnachtstage.

da ist Dir ein gutes Stück gelungen.
Vielen Dank für diese Einschätzung.

Die Idee der Geschichte ist okay, wenn auch nicht so ein Knaller. Du baust den Verkauf der BRD ja als große Ungeheuerlichkeit auf, aber ich frage mich als Leser unweigerlich, ob es für das Volk einen großen Unterschied macht, ob VW und BASF oder Elysium unsere Gesetze festlegen.
Das ist in der Tat eine interessante Frage und ich habe in einem der vorhergehenden Kommentare auch schon in die Richtung argumentiert, als es hieß, dieses Szenario sei unrealistisch, weil Privatunternehmen kein Interesse daran hätten, Staaten zu kaufen. Unweigerlich fragt man sich ja auch (das hoffe ich zumindest, dass die Geschichte dazu anstößt), wie weit wir in der Richtung schon sind, wie von dir ja auch angemerkt.

Und leider muss ich auch sagen, dass der hervorragende Schreibstil mich nur knapp über die relativ ereignislose Strecke trägt.
Ich danke dir auch für diese Einschätzung.

die Ahnung einer Katastrophe verstärkt sich, aber dann will ich es wissen. Spätestens die detaillierte Beschreibung der Örtlichkeit, des Füllfederhalters und des Kamzlers Gedanken zieht das Ende für mich einen Tick zu weit hinaus. Dadurch wirkt die letzte Pointe auch nicht mehr sehr überraschend.
Wurde die Pointe, also der "Verkauf" der BRD denn durch die Länge und detaillierte Beschreibung ahnbarer, als wenn ich das kanpper aufgezogen hätte?

Beste Grüße,
Fraser

 

Guten Abend @Fraser,

wollte mir eigentlich etwas zu essen machen, aber bin dann doch schon wieder in deiner Geschichte versunken. Ich mag deine Erzählweise, das ist so ruhig und professionell. Schreibst du auch beruflich? Würde mich interessieren.

Die Geschichte ist ja etwas älter, aber ich möchte dir trotzdem meinen Leseeindruck dalassen:

Müde sah er aus. Dicke, fast graue Tränensäcke unter den Augen, tiefe Furchen auf der Stirn, die Haut unter dem Kinn schlaff. Kein Wunder, es waren unvorstellbar anstrengende Monate gewesen.
Ich bewundere diese Beschreibungen, das liest sich so selbstverständlich und es entsteht ein klares Bild vor meinem geistigen Auge.

Ein alter Mann, der den wichtigsten Kampf seines Lebens verloren hatte. So würde man sich an ihn erinnern.
Hier ist wieder ein Versprechen, wenn ich weiterlese, dann wirst du mir erzählen, was denn vorgefallen ist. Das macht deinen Text spannend und höchst interessant für mich.

Du hast alles versucht, um es abzuwenden. Alles, hörst du?“
„Es hat nicht gereicht.“
Verstärkt diesen Eindruck, dass da etwas wirklich Gravierendes passiert ist.

„Nur, dass es da schon zu spät war. Wir hatten nichts mehr entgegenzusetzen. Waren zu schwach. Leichte Beute.“
Er spricht von "leichter Beute", das sagt auch einiges über ihn und seinen Charakter aus. Er hat mit Macht zu tun, habe ich gedacht.

Kopfschüttelnd erinnerte sich Wagner an einen Abend mit Peter Hoffmann, dem Vorsitzenden der größten Gewerkschaft.
Finde toll, wie du diese Erfahrung und Erinnerung mit einbaust. Und ich glaube, dass es auch das ist, was ich mir von dir abschauen möchte.

Niemand schien mehr an eine Lösung zu glauben, die nicht etwas mit einem wie auch immer gearteten Verkauf zu tun haben würde.
Diese Betonung sorgt dafür, dass ich unbedingt wissen will, was denn da passiert ist.

Höchstwahrscheinlich war an der Geschichte nichts dran, aber Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln damals den Stift bei jenem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte.
Zeigt seinen Charakter und wohl auch sein Machtmotiv, funktioniert gut.

So würde dieser in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Akt also von der Öffentlichkeit unbemerkt vollzogen werden.
Oh Mann, was ist denn da passiert? Musste einfach weiterlesen, obwohl ich schon Hunger hatte. :D

Der Große Saal war in die Mitte des Gebäudes gebaut worden und fensterlos. Er war nicht ganz so üppig dimensioniert, wie der Name glauben machen konnte, aber immer noch groß genug, um die fünf Personen, die am hinteren Teil des langen Eichentisches Platz genommen hatten, etwas verloren wirken zu lassen.
Finde die Beschreibung des Ortes gelungen. Wieder entsteht ein schönes Bild und ich kann mich da rein denken. Schön.

Eine bleierne Müdigkeit wollte sich seiner bemächtigen, doch er schüttelte sie ab. Noch nicht, sagte er sich. Noch nicht.
Eine gelungene Charakterzeichnung. Ich finde, dass du einfach gut schreiben kannst.

Brummels legte die Handflächen aneinander und sagte im der Skurrilität der Situation unangemessenen Plauderton: „Vielleicht starten wir mit unserem Imagefilm, bevor wir dann...“
Wagner winkte brüsk ab. „Lassen wir das. Kommen wir gleich zur Sache.“
Diese Skurrilität kann ich mir gut vorstellen, meine sie fast zu hören.

„Erkauft mit der Aufgabe sämtlicher staatlicher Souveränität“, gab Wagner zerknirscht zurück, den Blick wieder starr auf die Urkunde vor sich geheftet.
„Ach, ich bitte Sie. Staatliche Souveränität. Ist das nicht ein Ideal des letzten Jahrtausends?
Finde ich interessant diesen Gedanken. Wie weit kann ein Unternehmen gehen? Was ist da in der Zukunft noch alles möglich?

Das Geräusch der sich schließenden Verschlüsse erschien Claus Wagner wie der Schlussakkord der untergehenden Republik.
Punkt.

Ich bin immer beeindruckter. Dein Stil gefällt mir und ich denke, dass ich mir deine anderen Texte in den nächsten Wochen auch noch genehmigen werde.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @MRG ,
Tut mir schrecklich leid, irgendwie ist mir dein Kommentar zu dieser, du sagst es ja selbst, "etwas älteren" Geschichte entgangen. Deswegen antworte ich erst jetzt. Peinlich ist mir das...

Schreibst du auch beruflich? Würde mich interessieren.
Hm, ja, im weitesten Sinne schreibe ich auch beruflich. Aber da geht es um wissenschaftliche Themen, die allerdings selten das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
Ich habe einen Roman im Selfpublishing veröffentlicht, den über friends&family hinaus aber wohl niemand kennt ;-)
Müde sah er aus. Dicke, fast graue Tränensäcke unter den Augen, tiefe Furchen auf der Stirn, die Haut unter dem Kinn schlaff. Kein Wunder, es waren unvorstellbar anstrengende Monate gewesen.
Ich bewundere diese Beschreibungen, das liest sich so selbstverständlich und es entsteht ein klares Bild vor meinem geistigen Auge.
Diese Spiegelszene wurde mir in einem Kommentar angekreidet als zu einfaches Stilmittel, um eine Person zu beschreiben. Seitdem musste ich da immer wieder dran denken, wenn ich versucht war, wieder in diese (Trick)kiste zu greifen. Andererseits freue ich mich, dass es bei dir funktioniert hat. Und ehrlich gesagt, die schlechteste Wahl ist es wohl nicht, wenn man mal eben einen Charakter beschreiben will?
Ein alter Mann, der den wichtigsten Kampf seines Lebens verloren hatte. So würde man sich an ihn erinnern.
Hier ist wieder ein Versprechen, wenn ich weiterlese, dann wirst du mir erzählen, was denn vorgefallen ist. Das macht deinen Text spannend und höchst interessant für mich.
Ja, ich glaube, das mache ich auch gern. Etwas im Ungefähren bleiben, Erwartungen wecken. Du nennst es ein "Versprechen", das gefällt mir. Persönlich mag ich solch eine Herangehensweise auch in Büchern, die ich lese (und habe es vielleicht unterbewußt ein wenig übernommen?).
„Nur, dass es da schon zu spät war. Wir hatten nichts mehr entgegenzusetzen. Waren zu schwach. Leichte Beute.“
Er spricht von "leichter Beute", das sagt auch einiges über ihn und seinen Charakter aus. Er hat mit Macht zu tun, habe ich gedacht.
Da warst du auf der richtigen Fährte.
Kopfschüttelnd erinnerte sich Wagner an einen Abend mit Peter Hoffmann, dem Vorsitzenden der größten Gewerkschaft.
Finde toll, wie du diese Erfahrung und Erinnerung mit einbaust. Und ich glaube, dass es auch das ist, was ich mir von dir abschauen möchte.
Auch zu dieser Stelle gab es kritische Stimmen. Aber wie immer, es ist Geschmackssache.

Niemand schien mehr an eine Lösung zu glauben, die nicht etwas mit einem wie auch immer gearteten Verkauf zu tun haben würde.
Diese Betonung sorgt dafür, dass ich unbedingt wissen will, was denn da passiert ist.
Schön, dass du dran bleibst (trotz der Länge).

Höchstwahrscheinlich war an der Geschichte nichts dran, aber Claus Wagner mochte den Gedanken, dass der alte Mann aus Köln damals den Stift bei jenem bedeutungsvollen Akt in der Hand gehalten hatte.
Zeigt seinen Charakter und wohl auch sein Machtmotiv, funktioniert gut.
Ja und den Schluss kennend auch irgendwie etwas Melancholisches.

So würde dieser in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Akt also von der Öffentlichkeit unbemerkt vollzogen werden.
Oh Mann, was ist denn da passiert? Musste einfach weiterlesen, obwohl ich schon Hunger hatte. :D
Oje, ich hoffe, es war zu ertragen ;-)

Eine bleierne Müdigkeit wollte sich seiner bemächtigen, doch er schüttelte sie ab. Noch nicht, sagte er sich. Noch nicht.
Eine gelungene Charakterzeichnung. Ich finde, dass du einfach gut schreiben kannst.
Ja, der Wagner hat eben Ehre und Anstand, auch in dieser krassen Situation. Wenn schon von Bord gehen, dann mit Würde.

„Erkauft mit der Aufgabe sämtlicher staatlicher Souveränität“, gab Wagner zerknirscht zurück, den Blick wieder starr auf die Urkunde vor sich geheftet.
„Ach, ich bitte Sie. Staatliche Souveränität. Ist das nicht ein Ideal des letzten Jahrtausends?
Finde ich interessant diesen Gedanken. Wie weit kann ein Unternehmen gehen? Was ist da in der Zukunft noch alles möglich?
Tja, wer weiß...

Das Geräusch der sich schließenden Verschlüsse erschien Claus Wagner wie der Schlussakkord der untergehenden Republik.
Punkt.
Genau.
Ich bin immer beeindruckter. Dein Stil gefällt mir und ich denke, dass ich mir deine anderen Texte in den nächsten Wochen auch noch genehmigen werde.
Vielen Dank und schön, dass ich dich überzeugen konnte.
Und entschuldige bitte nochmals die üble Verspätung, mit der ich auf deinen Kommentar geantwortet habe.

Bis bald,
Fraser

 

Guten Abend @Fraser,

ich mochte diese Geschichte richtig gerne und sie hat mich gut unterhalten, musst dich da aus meiner Sicht nicht entschuldigen.

Andererseits freue ich mich, dass es bei dir funktioniert hat. Und ehrlich gesagt, die schlechteste Wahl ist es wohl nicht, wenn man mal eben einen Charakter beschreiben will?
Ich mochte diese Technik und habe schon darüber nachgedacht, das selbst mal so auszuprobieren.

Ja, ich glaube, das mache ich auch gern. Etwas im Ungefähren bleiben, Erwartungen wecken.
Ich lese das richtig gerne. Wie heißt dein Roman, würde mich schon interessieren.

Oje, ich hoffe, es war zu ertragen ;-)
Man muss Prioritäten setzen. :D

Und entschuldige bitte nochmals die üble Verspätung, mit der ich auf deinen Kommentar geantwortet habe.
Kein Problem, danke für deine ausführliche Antwort.

Wünsche dir einen schönen Abend.


Beste Grüße
MRG

 

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