Der letzte Tote
Der alte Mann nahm seinen Revolver aus dem Schrank. Er hatte ihn schon lange nicht mehr benutzt. "Es wird wieder Zeit", dachte er sich und füllte langsam die Trommel mit einer einzigen Kugel. Nur eine Kugel, wie die beiden Male zuvor. Er drehte das Magazin und hielt die Waffe testweise vor seine Stirn.
Vor 2 Jahren an Weihnachten war seine Frau gestorben, ermordet durch einen klapprigen, idiotischen Waffenscheinbesitzer. Das war das erste Jahr gewesen, in dem er seinen Revolver lud.
Der Schuldige wurde eine Woche später aus dem Hinterhalt von einem Unbekannten ermordet. "Recht geschah's ihm" dachte der alte Mann.
Im letzten Jahr war es seine Schwester. "Altersschwäche", meinte dieser Quacksalber, der sie in Behandlung hatte.
In jenem Jahr lud er die Waffe schon zum zweiten Mal.
"Bislang habe ich immer Glück gehabt", dachte er und hob die Waffe langsam an seinen Kopf.
Der Arzt hatte keines gehabt. Er hatte Neujahr nicht mehr erlebt. Erschossen. Von einem Unbekannten. Die Polizei nannte diesen Verbrecher schon den "Sylvester-Mörder". Der Alte ließ die Waffer sinken.
"Warum musste dieser besoffene Autofahrer auch vor einer Woche meine Enkelin mit dem Auto anfahren? Sie wird nie mehr laufen können. Mein armes Engelchen!" schoß es ihm noch durch den Kopf. Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, bevor der langsam den Hahn der Waffe spannte und erneut an seinen Kopf hob.
"Klappt es diesmal?"
Er spannte seinen Finger und zog ganz langsam durch.
Zwei Tage später. Eine verlassene Parkbank. Der Wind blätterte in einer vergessen Zeitung. Die Todesanzeigen liegen offen.
Der Name des alten Mannes ist dort zu finden, umrahmt von einem dicken schwarzen Strich. Darunter der Text
"Wir werden es nie verstehen
Er wollte trotz seines hohen Alters
selbst den Zeitpunkt seines Heimgangs bestimmen.
Du fehlst uns,
Deine Tochter und deine Enkelin"
Der Wind öffnete die Seite der Lokalnachrichten. Dort war zu lesen: