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Der letzte von Pechmann
Sie war hübsch, jung und exotisch. Die reinste Blutkur für die von Pechmanns. Clemens würde sie ansprechen und zwei Tage später heiraten. Er war 48 und immernoch kinderlos. Ein Egomane. Gleichzeitig altpreußisches Grafengeschlecht. Mit ihm würde eine ganze Adelslinie aussterben. Papa ging bereits auf die achtzig zu. Er durfte ihn nicht länger im Ungewissen lassen. Mit anderen Worten: Seine Kassiererinnen-Phase war vorbei. Dabei hatte Clemens so ein herzergreifendes Faible für das einfache Volk und seine leichten Mädchen. Es rührte ihn, in ihre geistigen Niederungen hinabzusteigen und sich auf Miniatur-Balkonen einen drei-Euro-Wein zu teilen, so als wäre er einer von ihnen, ein Geliebter der Magd, ein einfacher Soldat. Fußvolk. Bauernsalat. Von Pechmann wendete die Speisekarte. Kaum zu glauben, dass es in diesem angeblichen Literatencafé nichts anderes zu essen gab als fettige Crêpes. Der Kellner war hier wohl Koch in Personaluninon? Clemenes wollte es gar nicht so genau wissen.
“Ein stilles Wasser – keines aus der Leitung, wenn es geht. Am Besten Sie stellen mir die Flasche ungeöffnet auf den Tisch.“
„Ehm, okay. Mit oder ohne Glas?“
Sein trefflichst gesetzter Blick, der im „Beaujolais“, ein kleineres Erdbeben ausgelöste hätte, ließ den jungen Mann nur noch verwirrter aus seiner angeschmutzten Wäsche schauen, wodurch er sich genötigt sah, die leidliche Konversation fortzuführen.
„Mit Glas, wenn ich bitten darf.“
Die viel versprechende Erscheinung am Nebentisch, die ihn überhaupt erst veranlasst hatte, seinen Fuß in dieses Etablissement zu setzen, hob endlich ihr subkontinentales Köpfchen, das von einem kecken Pagenschnitt eingerahmt wurde. Schob sie ihr spitzes Kinn und ihre sinnlichen Lippen in seine Richtung? Wenn ihn seine weitsichtigen Augen nicht täuschten, staunte sie gerade. Womöglich hatte sie noch nie in ihrem Leben einen Gentleman gesehen. Er war in Abendgarderobe nach Köln gereist, um einem indischen Konzert in der Philharmonie beizuwohnen. Wenn er sich schon auf diesen Kulturkreis einließ, so doch mit allen Sinnen.
„Was schreiben Sie denn da, wenn ich fragen darf?“
„Ach, das ist nur eine kleine Fingerübung.“
„Ein Gedicht?“
Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Eine Kurzgeschichte?“
„Ja, wenn es gut läuft. Etwas Längeres traue ich mir noch nicht zu.“
„Auch Kurzgeschichten können ihren Reiz haben“, sagte Clemens mit einem wohl akzentuierten Lächeln, das seine Wirkung nicht verfehlte. Mit einem Satz war der Junggeselle auf den Beinen.
„Wenn ich mich vorstellen darf. Clemens von Pechmann, hoch erfreut!“
Ein formvollendeter Handkuss wurde es nicht. Dafür zögerte die indische Austauschstudentin zu lange. Clemens griff schließlich nach ihrer Hand, um das Ritual abzukürzen. Mit einem Knicks und einer schnellen Verbeugung kam er kurz vor dem angedeuteten Kuss ins Stocken. Etwas Spitzes steckte tief in seinem rechten Auge. Dadurch missriet auch der Knicks. Der letzte von Pechstein kippte seitlich nach vorne. So rammte er sich den Bleistift noch weiter hinter das Auge. Die frisch angespitzte Mine landete mit einem Ruck in der Zirbeldrüse.