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Der Mann, der von früher träumte.
Der Junge steht an der Haltestelle, und eigentlich ist es noch nicht einmal eine richtige Haltestelle, an der er da steht.
Genau genommen hält hier nie auch nur ein einziger Bus. Selbst die kleinen Linien, die bloß zweimal am Tag verkehren, halten woanders in dem kleinen Ort.
Und sie fahren auch kaum hier vorbei, es sei denn, sie müssen an der Kreuzung einen Umweg nehmen, weil die Gemüsestände des Gemüseladens von Herrn Richard wieder einmal auf der Straße stehen, und weil die Fahrer diese Stände nicht weghupen können, wenn Herr Richard hinten in seinem Laden von früher träumt. Er hört sie dann nicht, die Huperei, und die Fahrer der Busse müssen den Umweg nehmen.
Nur dann kommen sie an dieser Haltestelle vorbei, an der der Junge steht, und die eigentlich keine ist.
Aber auch das passiert äußerst selten.
So ist es im Endeffekt doch lediglich auf gewisse Weise eine Haltestelle, weil der Junge hier steht. Er steht hier jeden Tag, immer dann, wenn die Mittagssonne am heißesten ist, und wartet.
In diesen Stunden ist es dann zumindest dem Anschein nach irgendein Punkt von Bedeutung.
Man muss da ernsthaft drüber nachdenken: Da steht jeden Tag dieser Junge, und wenn er es nicht täte, wäre da keine Haltestelle, weil keiner warten würde, und wenn er nun doch da steht und wartet, ist es trotzdem keine, weil kein Bus hier hält. Es fahren nur gelegentlich welche vorbei, weil sie an der Kreuzung einen Umweg nehmen müssen. Wegen Herrn Richard, der hinten in seinem Laden von früher träumt.
So ist das nunmal, denkt der Junge, und hebt etwas Sand, oder Staub vom Boden auf. So richtig lässt sich da kein Unterschied erkennen. Für ihn zumindest nicht. Mancher mag das natürlich anders sehen.
Er betrachtet Sand / Staub auf seiner Handfläche. Wenn doch (was wie gesagt nicht oft vorkommt) ein Bus hier vorbeifährt, dann tanzt das über die Straße, was da in seiner Hand liegt. Wie kleine Windhosen sieht es dann aus, die in Haaren und Kleidung vergehen. Es sind diese kurzen Augenblicke, bei denen er lächeln muss.
Der Junge lächelt nie, sonst. Aber die Windhosen findet er schon ganz lustig, wenn es auch nur Staub / Sand ist, der sich da in seinen langen Haaren verfängt.
Einmal kam ein Mädchen hier vorbei, das ihn fragte:
"Was machst du denn da?"
"Ich warte."
"Und worauf?"
"Nur so."
"Wie, nur so?"
"Na, ich warte halt."
"Wie lange machst du das schon?"
"Seit die Sonne am heißesten ist."
"Du stehst seit heute Mittag hier?"
"Ich stehe jeden Mittag hier."
"Und, passiert was?"
"Manchmal fährt ein Bus vorbei. Dann tanzt der trockene Boden. Das ist lustig."
"Hier fahren keine Busse."
"Doch, manchmal schon."
"Nein, tun sie nicht."
"Doch, tun sie wohl."
"Du bist komisch."
"Du auch."
"..."
"..."
"Kann ich eine Weile mit dir warten?"
"Klar!"
Sie blieb eine Zeit, aber dann musste sie nach Hause. Zu ihren Eltern, wie sie sagte.
Der Junge fand es schade, denn kaum war sie gegangen, fuhr ein Bus vorbei.
Er lächelte, als der Tanz begann.