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Der Mann, der von früher träumte.

Seniors
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24.04.2003
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Der Mann, der von früher träumte.

Der Junge steht an der Haltestelle, und eigentlich ist es noch nicht einmal eine richtige Haltestelle, an der er da steht.
Genau genommen hält hier nie auch nur ein einziger Bus. Selbst die kleinen Linien, die bloß zweimal am Tag verkehren, halten woanders in dem kleinen Ort.
Und sie fahren auch kaum hier vorbei, es sei denn, sie müssen an der Kreuzung einen Umweg nehmen, weil die Gemüsestände des Gemüseladens von Herrn Richard wieder einmal auf der Straße stehen, und weil die Fahrer diese Stände nicht weghupen können, wenn Herr Richard hinten in seinem Laden von früher träumt. Er hört sie dann nicht, die Huperei, und die Fahrer der Busse müssen den Umweg nehmen.
Nur dann kommen sie an dieser Haltestelle vorbei, an der der Junge steht, und die eigentlich keine ist.
Aber auch das passiert äußerst selten.
So ist es im Endeffekt doch lediglich auf gewisse Weise eine Haltestelle, weil der Junge hier steht. Er steht hier jeden Tag, immer dann, wenn die Mittagssonne am heißesten ist, und wartet.
In diesen Stunden ist es dann zumindest dem Anschein nach irgendein Punkt von Bedeutung.
Man muss da ernsthaft drüber nachdenken: Da steht jeden Tag dieser Junge, und wenn er es nicht täte, wäre da keine Haltestelle, weil keiner warten würde, und wenn er nun doch da steht und wartet, ist es trotzdem keine, weil kein Bus hier hält. Es fahren nur gelegentlich welche vorbei, weil sie an der Kreuzung einen Umweg nehmen müssen. Wegen Herrn Richard, der hinten in seinem Laden von früher träumt.

So ist das nunmal, denkt der Junge, und hebt etwas Sand, oder Staub vom Boden auf. So richtig lässt sich da kein Unterschied erkennen. Für ihn zumindest nicht. Mancher mag das natürlich anders sehen.
Er betrachtet Sand / Staub auf seiner Handfläche. Wenn doch (was wie gesagt nicht oft vorkommt) ein Bus hier vorbeifährt, dann tanzt das über die Straße, was da in seiner Hand liegt. Wie kleine Windhosen sieht es dann aus, die in Haaren und Kleidung vergehen. Es sind diese kurzen Augenblicke, bei denen er lächeln muss.
Der Junge lächelt nie, sonst. Aber die Windhosen findet er schon ganz lustig, wenn es auch nur Staub / Sand ist, der sich da in seinen langen Haaren verfängt.

Einmal kam ein Mädchen hier vorbei, das ihn fragte:

"Was machst du denn da?"
"Ich warte."
"Und worauf?"
"Nur so."
"Wie, nur so?"
"Na, ich warte halt."
"Wie lange machst du das schon?"
"Seit die Sonne am heißesten ist."
"Du stehst seit heute Mittag hier?"
"Ich stehe jeden Mittag hier."
"Und, passiert was?"
"Manchmal fährt ein Bus vorbei. Dann tanzt der trockene Boden. Das ist lustig."
"Hier fahren keine Busse."
"Doch, manchmal schon."
"Nein, tun sie nicht."
"Doch, tun sie wohl."
"Du bist komisch."
"Du auch."
"..."
"..."
"Kann ich eine Weile mit dir warten?"
"Klar!"

Sie blieb eine Zeit, aber dann musste sie nach Hause. Zu ihren Eltern, wie sie sagte.
Der Junge fand es schade, denn kaum war sie gegangen, fuhr ein Bus vorbei.

Er lächelte, als der Tanz begann.

 

Hallo Aki.


Erstmal kurz vorweg: Ich habe mich bei dieser Geschichte vom Stil Alessandro Barricos beeinflussen lassen, von dem ich gerade einen Roman lese. Der Autor war mir anderweitig empfohlen worden.


Diese Stelle ist göttlich. Ich finde das sehr niedlich, dass du einfach den Namen Herr Richard in den Raum wirfst, als wäre es überhaupt nichts Ungewöhnliches, dass das geschieht, und das finde ich gut!

Das ist so ein(e) Stilmittel / Eigenschaft von Barrico, von dem / der ich ebenfalls sehr begeistert bin.

Ich denke, durch den Satz mit Herrn Richards Träumerei beschreibst du das schon verständlich genug und musst das nicht noch einmal extra zusammenfassen.

Stimmt schon. Ich hatte auch schon befürchtet, dass dieser Nachschub kritisiert werden würde. Trotzdem würde ich ihn gerne im Text lassen. Mir gefällt er irgendwie.

Es hätte mich gefreut, noch mehr über diesen Herrn Richard zu erfahren und wovon er eigentlich träumt (der Titel ließ mich da ein bisschen hoffen), und war dann ein wenig enttäuscht, dass der Fokus schließlich doch eher bei dem Jungen und seinen Sandwirbeln lag.

Ich hatte darüber nachgedacht, aber dann wäre der Text um einiges länger geworden, da ansonsten die eigentliche Handlung hintenangestanden hätte. Da es sich wie gesagt um ein Stilexperiment handelt, wollte ich ihn nicht zu lange werden lassen.

Dir vielen Dank fürs lesen und kommentieren!

 

Hallo Cerberus,

mich hat deine kleine Geschichte irgendwie berührt.
Obwohl du den Jungen kaum beschreibst, hatte ich ein klares Bild von ihm vor Augen, wie er da an der Bushaltestelle steht, die eigentlich keine ist und auf den Bus wartet, der dort eigentlich nicht fährt.
Ich sehe das als ein Gleichnis für die besonderen Momente im Leben, die sich nunmal nicht nach Programm steuern lassen. Dieser besondere Moment ist meist gar nichts besonderes, von außen betrachtet, doch für den "Sehenden" entfaltet sich eine eigentümliche Schönheit.
Ich musste da ein bisschen an die Stelle in American Beauty denken, wo der Junge der Freundin seine Filmaufnahme von der im Wind tanzenden Tüte vorspielt.

Der Stil ... Ich würde sagen bei dieser Länge des Textes funktioniert er sehr gut. Bei mehr Text würden diese Wiederholungen aber wahrscheinlich etwas lästig werden. Inhaltlich will es in meinen Augen jedoch sehr gu passen, wird dadurch irgendwie die Bedeutung der Nbensächlichkeit unterstrichen.
Klingt jetzt etwas verworren, aber vielleicht kannst du ja was damit anfangen.
Ich habe die Geschichte auf jeden Fall gern gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Cerberus,

mir gefällt das Experiment. Es entstehen Bilder im Kopf, wenn man es liest. Schöne Bilder. Gerade diese Wiederholungen machen den Text so liebreizend.


Schöne Grüße,

yours

 

Hallo yours truly.

Vielen Dank für dein Lob!

Das mit den Wiederholungen ist wohl so eine Sache. Manche mögen sie, manche nicht.

 

Hallo Cerberus,

es klingt, als würde jemand nachdenken. Das mit den Wiederholungen. Als würde er seine Gedanken so aufschreiben, wie sie ihm kommen. Bei mir ist das auch oft so. Also das mit den Gedanken. Die, die sich wiederholen. Verstehst du, was ich meine?

Und das wirkt dann einfach sympathisch. Das mit den Wiederholungen. Von den Gedanken.

:)

yours

 

Hallo nochmal.

Sorry @Weltenläufer

Ich hatte deinen Kommentar vorhin übersehen.

So, wie du die Geschichte siehst, kommt sie meiner Intention schon sehr nahe.
Es sind halt die für Außenstehende unwichtigen Dinge, die für manch einen, der sonst nicht viel zu lachen hat, ungemein wichtig sind.

@yours truly

Ja, so war das von mir auch gedacht; quasi wie ein Gedankenfluss.

Euch beiden nochmals ein Dankeschön für eure Gedanken zu der Geschichte.

 

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