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Der obszöne Anruf
Das Telefon klingelt. Ich melde mich mit freundlichster Stimme.
Am anderen Ende Stille. Lange Stille. Bevor ich hektisch "Hallo? Hallo? Wer ist denn da" ins Telefon rufen kann, höre ich tiefes Atmen. Ahhhh, das ist er. Mein erster obszöner Anruf!
Gleich wird mir der Herr am anderen Ende der Leitung etwas vorstöhnen. Wie klasse! Ich werde angewidert den Hörer aufknallen können, natürlich nicht ohne vorher "Sie mieses Schwein, Sie" ins Telefon gebrüllt zu haben.
Für den Rest meines Lebens werde ich diese Geschichte erzählen können. Die Geschichte, die beginnt mit "Also als bei mir damals dieser eklige Typ angerufen hat ....". Ich werde mir sogar ein Trauma daraus basteln können "Ja weißt Du, mir ist da mal was ganz fürchterliches passiert. Ich bin nichts ahnend ans Telefon gegangen und ... Seitdem fühle ich mich gar nicht mehr richtig wohl. Geschweige denn sicher". Ha, das Mitleid wird auf meiner Seite sein, ich werde den Beschützerinstinkt eines jedes Mannes wecken können.
Aber zurück. Ich also immer noch voller Spannung am Telefon, der Anrufer atmet tief und flüstert mit heiserer Stimme ins Telefon "Ich ..." Dann gibt es eine Pause. Ich, was???? Ich komme? Jetzt schon? Hallo, Du hast vorher doch noch gar nicht anständig gestöhnt. Aber vielleicht ist ja dieses "Ich" nur die Einleitung dafür, was er gerade macht. An sich macht. Oder was er mit mir machen will? Jetzt wird er gleich die richtig ekligen Sachen sagen. Und ich werde sie nachher allen Bekannten erzählen können. "Weißt Du, was der Kerl dann zu mir gesagt hat? Es war so widerlich, er sagte ... ich ... ach, es ist so schlimm, ich kann das gar nicht wiederholen!" Damit werde ich die Spannung auf die Spitze treiben können. Alle werden an meinen Lippen hängen. "Komm schon, was hat er gesagt? Bitte, erzähle es mir, bitte". Ich werde meinen Blick zu Boden richten und sagen "Nein, es tut mir leid. Ich habe vorher noch nie so etwas gehört und solche Worte kommen mir einfach nicht über die Lippen" Ich werde meine Zuhörer noch ein bißchen auf die Folter spannen, ein bißchen betteln lassen, so lange, bis sie fast die Lust verlieren nachzufragen und dann werde ich rausrücken mit der Sprache. Mein Gesicht wird den Ausdruck von Scham tragen mit einem leichten Anflug von Angst. Meine Stimme wird zittern, ich werde Luft holen und anfangen "Er hat gesagt das ..." und dann die klassische rhetorische Pause. Ich werde erneut Luft holen und erneut anfangen mit "Er hat gesagt das ..." und dann werde ich alles erzählen. Alle schmutzigen kleinen Details. Wahrscheinlich werde ich noch nicht mal etwas dazu erfinden müssen, so schmutzig werden seine Worte sein, die ich wiedergebe.
Aber wieder zurück. Der Anrufer setzt erneut an. "Ich ...". Er räuspert sich. Plötzlich klingt seine Stimme gar nicht mehr heiser. Eigentlich klingt sie jetzt ganz normal. "Ich habe mich verwählt. Das tut mir sehr leid. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören."
Klicken in der Leitung. Er hat aufgelegt.