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Der perfekte Moment

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21.05.2003
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Der perfekte Moment

Der perfekte Moment

Wieder ein Freitag, an dem ich wie elektrisiert, ja, geradezu aufgeladen, in der kleinen Bar warte. Diese Spannung, die mich fast zum Zerreißen bringt, breitet sich von den Haarwurzeln bis in meine Fußspitzen aus. Vor allem in den Fußspitzen! Denn diese wippen verräterisch auf und ab, während der Rest meines Körpers, zumindest äußerlich gelassen, auf dem braunen Ledersofa sitzt. Die Beine locker übereinander geschlagen, das Gesicht hinter den Seiten eines anspruchsvollen Romans versteckt. Mit tiefen Atemzügen versuche ich meinen Puls zu kontrollieren.
Als mich die stark geschminkte Kellnerin anspricht, zucke ich jedoch zusammen. Ich starre ihr in die schwarzen Augen, die mich, von langen, falschen Wimpern umrandet, anklimpern.
„Kann ich dir noch etwas bringen?“, fragt sie mit ihrer rauchiger Stimme. Sicher arbeitet sie jede Nacht in dieser Zigaretten verseuchten Atmosphäre.
„Einen Espresso, bitte“, sage ich abwesend.
„Und am besten noch einen Prosecco dazu!“
Den werde ich brauchen, um meine Feigheit zu überwinden.
Ich zucke erneut zusammen, als sich die schwere, hölzerne Eingangstür öffnet. Diese Anspannung wird mich noch umbringen, denke ich. Doch schon werde ich entlohnt. Mit einem kühlen Luftzug, der eine Gänsehaut über meine bloßen Arme jagt, kommt er herein. Endlich!
Wie jeden Freitag, kurz nach zehn, taucht er in dieser Bar auf, in Begleitung von Freunden oder Kollegen. Was weiß ich. Die anderen interessieren mich nicht.
Ich habe nur Augen für ihn. Für seine kurzen, strubbeligen Haare, die etwas dunkler sind als letzte Woche, für seine Lippen, seine feurigen, braunen Augen, seinen gut gebauten Körper und den Dreitagebart, der ihm eine gewisse verwegene Note verleiht.
Wie es sich wohl anfühlt, wenn er damit die zarte Haut zwischen meinen Beinen streift?
Der explosive Cocktail aus Verlagen und Scheu tönt meine Wagen in ein sanftes Rot, das ich hinter den Seiten meines Buches verstecken muss.
Doch meine Augen können nicht von ihm lassen. Sie treffen seine, für eine viel zu kurze Sekunde, als sein Blick den Raum nach bekannten Gesichtern absucht. Dann wandert er weiter. Er kennt mich nicht.
Ein Klirren reißt mich aus meinen Gedanken. Mein Prosecco schwappt über den Rand, als die Kellnerin mein Glas unsanft auf den Tisch stellt.
„Sorry, ich bring dir ein neues“, krächzt sie und gibt sich mit der kleinen Espressotasse mehr Mühe.
Ich winke ab, greife nach dem Glas und nehme einen großen Schluck, während sie mit einem Tuch hektisch über die Platte wischt.
„Schon gut“, sage ich.
Es gibt Wichtigeres! Seine Hände zum Beispiel. Sie wirken groß, seine Finger geschickt. Ich erkenne es an der Art, wie er seine karierte Jacke über die Stuhllehne hängt, seinen Schlüssel in der engen Hosentasche verschwinden lässt und sich anschließend flüchtig durchs Haar fährt.
Es reizt mich, diese Geschicklichkeit zu testen und seine fordernden Finger auf meinem Körper zu spüren. Möglichst bald.
Langsam erwärmt sich das kalte Leder unter meiner heißen Haut, denn mein schwarzes Kleid ist viel zu kurz.
Während ich darüber nachdenke, wie er schmecken könnte, streiche ich mir meine langen, braunen Haare aus dem Gesicht. Doch sie lassen sich nicht zähmen. Unbändig springen die wilden Locken über mein Gesicht, meine Schultern, die dünnen Träger meines Kleides. Sie wollen sich nicht mehr zurück nehmen, denn jedes einzelne wartet auf eine Berührung von ihm. Schon viel zu lange.
Doch, verdammt nochmal, ich kann mich mal wieder nicht bewegen! Meine Beine zittern, sind unfähig, zu laufen! Ich kann nicht aufstehen, nicht zu ihm gehen, nicht sagen, was ich zu sagen habe, nicht tun, was ich zu tun habe.
Der Moment ist einfach noch nicht perfekt, beschließe ich.
Während ich die Seiten meines Buches durchblättere, kreisen meine Gedanken nur um diesen einen Augenblick:


Wenn der Raum sich gelichtet hat und die meisten Leute verschwunden sind, wird er alleine an der Bar lehnen, um ein letztes Glas Beaujolais zu genießen. Dann ist es soweit.
Ich werde mein Buch in die Tasche gleiten lassen und zu ihm herüber gehen. Mit entschlossenen Schritten und dem Proseccoglas in der Hand werde ich mich neben ihn stellen und ihm tief in die dunklen Augen blicken.
Vor Aufregung bebe ich, aber er wird es nicht bemerken, denn meine Hand wird seine Schulter nur ganz zart berühren.
„Ich kann wunderbare Gute-Nacht-Geschichten erzählen“, flüstere ich ihm ins Ohr.
Wahrscheinlich werden seine braunen Augen verwundert schauen, für einen Augenblick, dann wird er lächeln und fragen, wer ich bin.
„Kein Engel“, antworte ich, „Trotzdem kann ich dir den Himmel zeigen.“
Ich werde sein Weinglas auf den blank polierten Tresen stellen und seine Hand ergreifen. Er hat keine Wahl.
„Wohin gehen wir?“, fragt er mich.
„Dorthin, wo man fliegen lernen kann“, verrate ich ihm leise.
Auf dem Weg nach draußen werden meine Lippen seine berühren, erst ganz sanft, wie ein Hauch, und ihm zeigen, was es bedeutet, dem Himmel etwas näher zu kommen.
Dann nehme ich ihn mit. Vor die Tür. Vielleicht in der Hauseingang gegenüber. Dort öffne ich sein Hemd und fahre mit meinen Fingern seinen Körper entlang. Jeden Muskel, jede Faser. Aber das wird mir nicht genügen. Meine Hände halten nicht still, ziehen seinen Ledergürtel auf, öffnen die Jeans und gleiten hinein.
Er atmet schwer, stöhnt leise, während er mein Kleid hoch schiebt. Ich spüre den kalten Putz an meinen nackten Schultern und seinen heißen Körper zwischen meinen Beinen.
„Bist du bereit für einen Höhenflug?“, ist das letzte, was ich sagen kann...

Abwesend durchblättere ich immer noch die Seiten meines Buches. Mein Atem geht etwas schneller.
Als ich wieder aufschaue, hat sich der Raum gelichtet. Die Zeit muss schneller vergangen sein, als ich bemerkt habe. Mittlerweile übertönen E-Guitarrenklänge das leiser werdende Stimmengewirr. Die stark geschminkte Kellnerin ist über seinen Tisch gebeugt und sammelt die Weingläser auf ihrem runden Tablett ein. Sie sind genauso leer wie die Stühle an seinem Tisch und die Plätze an der Bar.
Er ist weg! Ich habe ihn verpasst. Schon wieder!
„Das muss ein sehr spannendes Buch sein“, reißt mich plötzlich eine sanfte Stimme aus meinen Gedanken.
Ich blicke in zwei wunderbar warme, dunkle Augen.
„Jeden Freitag sitzt du hier alleine und liest darin“, sagt er lächelnd.
Ich lächele zurück und plötzlich wird mir klar, dass der perfekte Moment manchmal ganz anders aussieht, als man denkt.
Mein Herz schlägt schnell, doch meine Beine zittern nicht mehr. Sie wissen, was sie wollen. Ganz genau.
„Es handelt von wunderbaren Gute-Nacht-Geschichten. Soll ich dir davon erzählen?“, frage ich und berühre seine Hand ganz sanft.

 

Guten Tag Frau Biene,

da ich mich gerade in dieser Rubrik herumtreibe, las ich deine Geschichte und stutzte nach den ersten Sätzen.

Ich möchte kurz nur die formale Kritik einschieben:

Es zerreist mich, dass du immer noch so weit entfernt von mir stehst.
Sehr interessanter Fehler, wie ich finde. Pauschal- oder Individual-?.

Ich finde zudem die Zerfaserung deines Textes unschön. Ich denke mir, dass du damit die Gedanken besser trennen wolltest, rhytmisieren. Das klappt natürlich auch, aber die Punkte (statt Kommata) reichten wohl schon dafür aus.

Nun zum Inhalt:

Ich spüre das kalte Ledersofa auf meiner heißen Haut. Mein schwarzes Kleid ist zu kurz. Viel zu kurz. Es ist perfekt.
Ein komischer Mann ist das, dachte ich mir. Denn die Perspektive des Jägers mit Sicht auf seine Beute ist ja traditionell die eines Mannes.

Du lachst und unterhältst dich mit anderen.
(Männer lachen bekanntlich nie) ;)

Mit Langweilern in grauen Anzügen und Krawatten, die dir sicher nicht das geben können, was du brauchst.
Was jemand vermeintlicht braucht, weiß auch oft genug das starke Geschlecht festzustellen und meint damit nicht mehr, als was es selbst gerne geben/sich zu gerne nehmen würde.

Insoweit spielst du anfangs geschickt mit den Erwartungen eines Lesers. Und ich hatte das Gefühl, dass am Ende auch noch einmal eine Pointe folgt, eine plötzliche Wende der Sichtweise, doch nach den „Verkehrssequenz“ folgt anscheinend die Ausführung, ohne ein erkennbares Hindernis.

Ich hatte eher vermutet, dass sich hier Traum und Realität vermengen, verursacht durch einen allzu spannenden, erregenden Text. So deutete ich

Ich sitze auf dem Ledersofa und warte, in ein Buch vertieft. Ich erkenne die Buchstaben, die Worte, doch nicht ihren Sinn. Ich nehme sie nicht wahr, denn ich bin bei dir.
eher als ein Halb-Lesen, welches in einen Tagtraum übergeht.

Drum war mein Gedanke, in etwa, dass die Frau am Ende eher wieder in der Wirklichkeit ankommt, das Buch einsteckt (da sie es fertig gelesen hat, nicht weil sie den Moment gekommen sieht zu handeln) und einfach geht, weil sie bekommen hat, was sie wollte: Ein erotisches Abenteuer, wenn auch nur in ihrer Vorstellung.

Solange sie dieses Buch hätte, könnte sie sich jeden Abend einen neuen Mann zum One-Night-Stand erlesen. (Gar nicht auszudenken, wie ein Mann diese Methode in der Öffentlichkeit praktizieren würde.) :D

 

Hallo Sumsebiene,

ehrlich gesagt hat mir deine Geschichte nicht so sonderlich gut gefallen. Hauptsächlich liegt das daran, dass du in deiner Geschichte jemanden mit "Du" anredest. Ich als unbeteiligter Dritter, als Leser, habe da das Gefühl, dass das mich alles gar nichts angeht.
Warum hast du diese Form gewählt?
Ich kann mir vorstellen, dass du damit eine höhere Identifikation des Lesers mit der Protagonistin erreichen wolltest.
Zumindest bei mir hat das nicht funktioniert. Dieser oder diese "Du" bleibt Gesichtslos. Es kann jeder sein. Mich interessiert das Schicksal von "Du" nicht besonders. An diesem Moment, an deinen Protagonisten ist einfach nichts Spezielles. So wie die Geschichte momentan dasteht, ist sie nur eine unter hunderten gleichen bzw. sehr ähnlichen Geschichten.

Viele Grüße, Bella

 

Vielen Dank für die schnelle Antwort.
Deine Anregungen finde ich interessant. Sie würden allerdings der Geschichte eine ganz andere Note gebe. Was nicht unbedingt schlechter wäre. Vielleicht probiere ich es einfach mal als Variante aus und schaue, was ich persönlich spannender finde.
Mein Grundgedanke war jedoch anders.
Das Mädel wartet schon ziemlich lange auf die Gelegenheit, diesen einen bestimmten Mann mitzunehmen.
Jedesmal, wenn sie ihn beobachtet, denkt sie daran. Heute nutzt sie endlich die Chance.
Meine "Pointe" ist eben, dass aus dem Gedanken endlich Realität wird.
Da freut sich doch auch der Leser, oder? Quasi ein Happy End...:)

 

Hallo sumsebiene,

Leider machst du gleich zu Anfang einen Riesenfehler:

Ich sitze auf dem Ledersofa und warte, in ein Buch vertieft. Ich erkenne die Buchstaben, die Worte, doch nicht ihren Sinn. Ich nehme sie nicht wahr, denn ich bin bei dir.
In den ersten drei Sätzen drei gleiche Anfänge ... oje, denkt da der geübte Kritiker.

In meiner Tasche liegt eine Flasche Champanger. Wie immer, wenn ich hier bin und warte. Auf den perfekten Moment.
Champagner muss eiskalt sein. Dann wartet sie stundenlang und bietet das lauwarme Gesöff dem Traummann an - wie peinlich ;).

Worin besteht denn eigentlich der perfekte Moment? Dass er endlich alleine ist? Das ist ja eine sehr konstruierte Sache:

Perfekt wäre, wenn sie eben mit dem eiskalten Champus vor seiner Tür steht und eingelassen wird - der perfekte Moment wird von einem zu schüchternen Mädchen zu dem gemacht, obwohl er es alles andere als ist.

So wirkt das ganze sehr aufgesetzt, da unlogisch.

Liebe Grüße
bernadette

 

Vielen Dank für eure Anregungen.
Ich denke, dass ich mir zu der Geschichte noch mehr Gedanken machen muss.

Die "Du"-Form habe ich gewählt, weil ich es viel persönlicher und intensiver fand, als von "Sie" und "Er" zu sprechen.
Aber eigentlich wollte ich nicht zuviel drum herum schreiben. Wer er ist, warum sie dort sitzt...Aber genau das scheint den Leser ja zu interessieren...

Die Sache mit dem warmen Champagner ist natürlich blöd, das sehe ich ein. Ich habe ihn auch nur als "Werkzeug" gebraucht, damit sie ihm verdeutlichen kann, was sie vorhat.

Und nun zum perfekten Moment: Ich glaube nicht, dass sie schüchtern ist. Aus irgendeinem Grund hat sie ein Augen auf den Mann geworfen, möchte ihn verführen, aber bisher war eben noch nicht der perfekte Moment. Vielleicht ist er vorher immer in ein Gespäch vertieft gewesen und dann mit Kollegen wieder gegangen, oder war plötzlich verschwunden, als sie von der Toilette wieder kam oder...
Es war nicht passend, nicht perfekt, nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. In ihrem Traum steht er eben alleine an der Bar, trinkt Wein und sie kommt zu ihm herüber.

Ich merke jedoch, dass die Idee, die ich hatte, nicht genügend ausgereift ist. Sie erreicht den Leser überhaupt nicht.
Da werde ich mir mal ernsthaft Gedanken machen müssen und es komplett abändern.

Vielen Dank jedoch für das Feedback.
Grüsse
Sabine

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich habe die Geschichte komplett überarbeitet.
Mit dem Ende bin ich mir jedoch noch nicht sicher.

Grüsse

Sabine

 

Hallo sumsebiene,

nachdem Du schon lange auf Rückmeldung zur überarbeiteten Version wartest, hier mein comment:

Ich habe verschiedene Versionen der Geschichte gelesen, und ehrlich gesagt gefiel mir das Ende besser, als der Mann sie ansprach. Einfach, weil die Frau stunden-, tage-, wochenlang, in diese Bar geht und sich ausmalt, wie sie ihre Beute erlegen wird, und er unverhofft den Spieß umdreht - aus der Maus wird die Katze. An dem Punkt dürfte es meiner Meinung nach ruhig weitergehen, die Frau könnte versuchen, in dem Verführungsspiel wieder Oberwasser zu bekommen, was ihr gelingt oder auch nicht - eher nicht, sie kommt sehr schüchtern rüber - etc.

So, wie die Story jetzt dasteht, ist sie nur eine Variante der altbekannten "war halt alles nur ein Traum"- Geschichten. Allerdings eine flüssig geschriebene, angenehm zu lesen.

Noch ein bisschen Knittelkram:

Ihr schwarzer Lidstrich ist Finger breit
fingerbreit, I think
in dieser Zigaretten verseuchten Atmosphäre.
zigarettenverseuchten

LG, Pardus

 

Hallo, Pardus,

jetzt bringst du mich aber durcheinander. Ich dachte, nach der neuen Rechtschreibreform schreibt man das alles auseinander?

Am Ende sitze ich gerade noch mit meinen Überarbeitungen.

Grüsse

Sabine

 

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