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Thema des Monats Der perfekte Sex

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15.04.2002
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Der perfekte Sex

Nachdem er seinen Job als Vertreter für Gamer-Versicherungen an einen Drei-Megabyte-Avatar verloren hatte, verbrachte Petar den Nachmittag mit Frustkäufen auf dem Flohmarkt.
Der bucklige Händler trug einen grünen Hut mit umlaufenden Werbespots. »Mista! Kaufen Megaratte. Niedlich, kuck!« Er hielt Petar ein geflügeltes Nagetier vor die Nase. »Frisst Müll, billig is! Sooo sweeeet!« Die Ratte fing an, den Popsong »I mag di« zu flöten.
Petar zückte die Kreditkarte. »Packen Sie sie ein.«
»Gudigudi, Präsentchen, hehe«, kicherte der Händler.
Petar trug das zuckende und pfeifende Geschenk heim.
Seine Halbfreundin Grita fasste das Päckchen nicht einmal an. »Nie denkst du an mich.« Sie verzog das Gesicht wie eine Dreijährige, die schon wieder kein Eis gekriegt hat. »Du weißt genau, dass ich mir schon lange eine dritte Brust wünsche. Aber ...« Grita schluchzte. Als Petar nicht reagierte, hörte sie damit auf, schrie »Rattenfreak«, stürmte aus dem Apartment und warf die Tür so heftig zu, dass der Schallabsorber den Knall kaum dämpfen konnte. Sofort klingelte das Telefon mit Dringlichkeit A und nahm das Gespräch von selbst an. Durch den Raum hallte die automatische Beschwerde, programmiert von Petars Nachbarin Frau Cordy Huff. Petar hielt sich die Ohren zu.
Als Ruhe eingekehrt war, packte er die Ratte aus. Sie flatterte sofort durch das kleine Zimmer und landete auf der funzeligen Stehlampe neben dem schmalen Bett. Petar beobachtete sie vom Schreibtischstuhl aus und schaltete einen Werbemusiksender an. Er grinste. »Ich werde dich Cordy nennen«, sagte er zu der Megaratte.
Dann wartete er darauf, dass Grita zurück kam. Zwischendurch masturbierte er und ließ Cordy dabei zuschauen.

Drei Stunden später war Grita immer noch nicht wieder da.
Petar spürte, wie die bionegative Aura seiner zerbrechenden Halbbeziehung ihm subspirituelle Lebensessenz entzog und nahm eine Engelspille. Sofort fühlte er sich wesentlich besser und rief seinen Freund Steffo an. Er erzählte ihm von seiner Entlassung.
»Wer will schon arbeiten«, sagte Steffo.
»Und du?«
»Zocken.« Steffo ließ eine wirkungsvolle Pause folgen, bevor er den Titel seines neuen Lieblingsspiels nannte: »Pathlantis.« Ein Wort mit dem Klang einer Nationalhymne.
»Im Neverland-Auktionshaus ist nichts los«, nahm Petar das Thema auf, »keiner kauft meine Zauberschwerter.«
»Neverland«, spuckte Steffo ins Mikrofon, »ist ja auch zwei Jahre alt.«
Petar suchte nach einer Entgegnung, aber ihm fiel keine ein.
»Hab mir ne Halbratte geholt«, versuchte Petar abzulenken. Es gelang nicht.
»Weißte, was in Pathlantis geht?«, fragte Steffo.
»Sklavenhandel?«
»Kleine Mädchen hinter Büschen vögeln«, schlabberte Steffo.
Während Petar noch eine entrüstete Entgegnung formulierte, ergänzte Steffo: »Das ist ja kein Missbrauch, denn die Mädchen werden natürlich alle von erwachsenen Männern gespielt.«
»Du bist trotzdem pervers«, sagte Petar und beendete das Gespräch.
Er setzte sich an die Spielkonsole und betrat Neverland. Kaum hatte er seinen Avatar ins Auktionshaus gelenkt, wanderte ein feuchtwarmer Finger sein Mark hinauf – Neugier und Trotz, mutiert aus Langeweile und Alleinsein.
Das Auktionshaus war leer bis auf den edel gewandeten Auktionator, der gar nicht wahrzunehmen schien, dass alle Stühle verwaist waren. Er pries die angebotenen Gegenstände – magische Artefakte, wetterfeste Kleidung, heilende Tränke – in prächtigen Worten an. Offenbar hatten die Programmierer den Fall fehlender Besucher nicht vorhergesehen.
Petar lenkte seinen Avatar zum Auktionator. Die Gelegenheit war günstig. Mit zittrigen Fingern gab er einen Geheimcode ein. Sofort änderte der Edelmann seinen Gesichtsausdruck. Mitten im Satz unterbrach er die Beschreibung eines silbernen Giftdolches. Aus einem Lichtblitz erschien eine Amazone neben dem Mann. »Hier ist eine ganz besondere Gelegenheit, eine nackte Schönheit aus dem Dschungel von Ätherion, wild und heiß, ab 19 Taler.«
Grinsend setzte Petar seinen Avatar in die erste Reihe. Er ersteigerte die Amazone, eine weitere, schwarze Sexsklavin sowie einen schwulen Elfen zum Mindestgebot von je 19 Taler. Alle drei Leibeigenen zog er an Ketten hinter sich her bis zum Marktplatz. Direkt vor dem Brunnen vögelte er der Reihe nach die drei Spielfiguren. Aber erst bei dem Elfen bekam er eine leichte Erektion. Kein Passant blieb stehen.
Eilig fummelte Petar eine Engelspille aus der bunten Packung und spülte sie mit ZischZitro+X runter.

Petar rief Grita an, aber sie ging nicht ran. Er zahlte den Aufschlag für Dringlichkeit A, führte einen Monolog mit ihrem Telefon, verstummte atemlos. Sie antwortete nicht. Im Hintergrund Kichern. Petar hielt die Luft an und horchte. Eine Männerstimme. Er legte hastig auf. Lief in seinem engen Apartment auf und ab, ließ sich schließlich aufs Bett fallen. Die kann mich mal, redete er sich ein.
Petar stand wieder auf, zündete ein MagicTransformation-Räucherstäbchen an und legte sich wieder hin. Er stellte sich vor, dass Grita sich in ihrem Blümchenschlafanzug an ihn kuscheln würde.
Cordy spielte mit der Sprachsteuerung des Fernsehers. Aus irgendeinem Grund schaltete der zwischen zwei Werbesendern hin und her, immer wenn die Ratte mit den Flügeln schlug und eine bestimmte Folge von Krächzlauten produzierte.
Ein Spot von eGuy veranlasste Petar dazu, ein Kissen nach der Ratte zu werfen, damit sie das Maul hielt. Die eGuys sind nur für Sie da. Echte Kunstmenschen, ein Jahr Garantie. 1024facher Mega-intelliCore. Petar überlegte nicht lange. Schaltete auf den Bestellmodus. Er musste Daten wie Körpergröße und Alter eingeben und ein 3D-Foto schicken, außerdem seine Kontonummer nennen.

Am nächsten Morgen wurde das Kunstwesen ohne viel Aufhebens geliefert. Es klingelte einfach an der Tür. Petar hatte den Eindruck, in einen Spiegel zu schauen, bloß verkehrt herum. Er grinste und ließ seine Kopie eintreten. Beide setzten sich aufs Bett.
»Wir beginnen jetzt die Prägephase«, sagte die Kopie.
»Wie geht das?«
»Ich stelle dir ein paar Fragen, und abhängig von den Antworten ...«
»Ich will, dass du bist wie ich.« Mit leuchtenden Augen sah Petar dem eGuy ins Gesicht.
Die Kopie schien zu überlegen. »Gut, das vereinfacht die Prägephase. Statt zu fragen: Möchtest du, dass ich Vegetarier bin? frage ich einfach: Bist du Vegetarier? Einverstanden?«
Petar nickte begeistert.
Nach ein paar Stunden Prägen meldete sich Petars Magen. »Magst du auch Pizza? Ach, was frage ich ... komm mit!« In Hochstimmung verließ Petar mit seinem eGuy die Wohnung. Auf dem Weg dorthin drehten sich Leute nach dem Paar um. Petar grinste, und seine Kopie tat es ihm gleich.
In der Automatenpizzeria trafen sie Petars Freund Marius.
»Der sieht ja aus wie du«, sagte Marius, als er sich mit einer Funghi Excelsior zu ihnen setzte. Petar und seine Kopie nickten.
»Aber er hat keine Bartstoppeln«, meinte Marius, »daran kann man euch auseinanderhalten.«
»Ich hatte keine Lust, mich zu rasieren«, entgegnete Petar und schob sich ein Stück Pizza zwischen die Zähne.
»Ich«, lehnte Marius sich zurück, »habe mir letzte Woche einen Goldengel kommen lassen.«
Petar konnte wegen der Pizza in seinen Backentaschen nicht antworten.
»Und?«, sprang sein eGuy für ihn ein.
»Zum Beispiel«, erzählte Marius, »haben wir letzte Nacht komplett durchgevögelt. Sie ist ...« Er lehnte sich vor und zischte: »geiler als jede echte Frau.«
»Nicht mal eine Riesenschmeißfliege würde dir den Rüssel abschlecken«, sagte die Kopie fröhlich.
Petar stieß ihr den Ellenbogen in die Seite und kicherte.
Marius konzentrierte sich verdrossen auf seine Pizza.
»Wie wär's mit einem gemütlichen Abend zuhause?«, fragte Petar seine Kopie. Die Antwort war ein begeistertes Nicken, und die beiden standen auf.
Plötzlich hatte Marius es eilig, zu erklären, was er zuhause mit seinem Engel durchzuziehen beabsichtigte, aber Petar hörte nicht hin. Sein eGuy und er spazierten flachsend nach Hause.
Auf 43Zak! lief eine Komödie mit Jeff D. Bringer und seinem sprechenden Hund. Petar und seine Kopie grölten um die Wette.
Der Fernsehabend auf dem schmalen Bett endete spät, und Petar und seine Kopie machten sich fertig für die Nacht. Cordy saß schon mit dem Köpfchen unter einem Flügel auf ihrer Lieblingslampe.
Die beiden Männer putzten sich im engen Bad die Zähne und zogen sich gemeinsam aus. Als Petar seine Kopie nackt sah, bekam er eine Erektion. Er grinste, als er bei seiner Kopie dasselbe beobachtete.
Er dachte kurz drüber nach, ob er eigentlich ein Kondom benutzen musste, verwarf den Gedanken aber schnell wieder.
»Komm«, sagte er.
Es war der perfekte Sex.

Am nächsten Morgen besorgte die Kopie Frühstücksbrötchen. Petar nahm währenddessen ein paar Engelspillen. Wozu noch Freunde? fragte er sich. Wozu noch andere Menschen? Ich habe ja mich. Alle anderen werden nicht mehr gebraucht.
Er grinste und setzte sich an die Konsole.
Er rief die Bestellseite von eGuy auf und bestellte vorerst ... er überlegte ... 999 weitere Kopien von sich. Lächelnd lehnte er sich zurück.
Einer von uns kann pro Tag zwei Kopien prägen, und die dann vier. Später werden wir nach und nach die anderen Leute umbringen und immer mehr Kopien von mir herstellen. Bald gibt es nur noch mich im Universum.
Petar schloß verträumt die Augen.
Eine perfekte Welt.
Gordy streckte ihre Flügel, dann fing sie an zu singen, und Petar stimmte lauthals ein. »I mag di, i mag mi, de Liebe is so piep. Piep. Piep. Piiiep!«

--
Für alle, die sich manchmal verdammt einsam fühlen. Also quasi für fast alle.

 

Aalso, das erste Zitat ist definitiv "tell", aber es dient als Einführung, das finde ich legitim. Zitat zwei ist meiner Meinung nach kein "tell" (obwohl man die automatische Beschwerde ausschreiben könnte). Selbiges gibt für Zitat 3.

 

Wie lautet denn deine Definition von "Tell"? Würde mich mal interessieren. Wir sind ja alle keine Literaturwissenschaftler, ne.

 
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Also, erstmal sehe ich das nicht so dogmatisch, d.h. ich sage "show don't tell" dann, wenn eine Geschichte so sehr aus "tell" besteht, dass es ihr an Atmosphäre und Intensität mangelt, denn die entsteht durch "show".

Stichwort: "Nacherzählung-Stil"
Der Held machte dies, die Regierung der Erde beschloss das, die Außerirdischen griffen an und vernichteten alles Leben.

Ich frage mich bei jedem Satz, ob es notwendig ist, ihn konkreter zu formulieren. Beispiel:

"Petar spürte, wie die bionegative Aura seiner zerbrechenden Halbbeziehung ihm subspirituelle Lebensessenz entzog und nahm eine Engelspille."

Da muss ich nun wirklich nicht "zeigen", wie er eine Pille aus einer Packung knibbelt, zum Wasserhahn geht, ein Glas füllt und dann die Pille runterspült. Der Satz hat genug Intensität durch die kreativen Sprachgebilde.

"Sofort fühlte er sich wesentlich besser und rief seinen Freund Steffo an."

Da es sich um ein subjektives Gefühl handelt, das genau so vom Prot wahrgenommen wird (wir sind hier außerdem mitten in seiner Charakterisierung als Tablettensüchtiger), muss das nicht anders illustriert werden. Das Anrufen ist ein ganz alltäglicher Vorgang, und das konkrete Benutzen des Telefons würde der Geschichte nichts zusätzliches geben.

"Er erzählte ihm von seiner Entlassung."

Hier gebe ich gerne zu, dass man an dieser Stelle wörtliche Rede verwenden könnte. Allerdings käme das einer Wiederholung des Anfangssatzes gleich, in der ja die Entlassung bereits erklärt wird. Deshalb habe ich diese kurze Einführung in den Dialog gewählt, der im übrigen sofort hiernach detailliert geschildert wird.

Fazit: Wenn es einer Geschichte an Farbe und Kraft fehlt, dann kann das am Mangel konkreten "show"s liegen. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass jeder "tell"-Satz, d.h. kurze Zusammenfassungen von Handlungselementen durch Ausführlicheres ersetzt werden muss, wenn das der Geschichte nichts bringt.

 

Schon klar. Ich meine ja auch nicht, dass man das Tell um jeden Preis minimieren muss ( tu ich ja auch nicht ). Der Eingangssatz zu meinem ersten Kommentar war auch nicht umsonst mit dem Grinsesmilie verziert.

 

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