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Der Präparator
Er hatte das Fleischmesser immer gepflegt, so wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Am Anfang seiner Karriere waren Marks Schnitte noch zu hart, nicht künstlerisch genug. Das sorgfältige Ausweiden ist wichtig, wenn man ein Tier ausstopfen möchte, hatte ihm sein Vater eingeschärft.
Seine Füße standen in den Eingeweiden, die platschend zu Boden gefallen waren und Schmatzgeräusche erzeugten, wenn er sich bewegte.
Er liebte diese Arbeit. Begeistert hängte er den ausgehöhlten Körper an den Füßen zusammengebunden an einen Haken. Das Gröbste war geschafft. Was jetzt noch fehlte war der Feinschliff. Zufrieden betrachtete der Präparator die Ergebnisse der letzten Wochen. Fünf Stücke hatte er hergestellt. Sie waren wunderschön und standen aufgereiht im Wohnzimmer. Der Anblick trieb ihn an. Sein Herz schlug bis zum Hals. In diesem Moment kreischte die Türklingel.
„Ich hab dir gesagt, dass ich ihn diese Woche brauche“, zischte der gut aussehende Mann, als er kurze Zeit später im Flur stand. „Hexen kann ich nicht, Benjamin“, entgegnete Mark und versperrte ihm den Weg. „Der Zwölfender sollte schon längst fertig sein, du bist ein fauler Nichtsnutz, wenn das nicht läuft, gehe ich zu einem anderen Präparator.“ „Ja“, mehr konnte er nicht hervor pressen. „Ich gebe dir noch drei Tage, du Penner“, bellte Benjamin und ließ krachend die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Vor Wut kochend lief Mark in der Wohnung auf und ab und zog hektisch an seiner Zigarette. Seit Jahren tat es dieser Schnösel in regelmäßigen Abständen, dachte er. Sein fettiges Haar klebte schweißnass an der Stirn. Wenn er eines hasste waren es Leute, die ihn unter Druck setzten oder Kritik an seiner Arbeit äußerten. Hastig schraubte er den Deckel der Wodkaflasche auf. Der Alkohol milderte seinen Jähzorn und das Zittern. Er brauchte jetzt ruhige Hände.
Die Sonne war gerade untergegangen, als Benjamin die Tür zu seiner Villa aufschloss. Im Dämmerlicht sahen die vielen Tiere, die in der Eingangshalle postiert waren besonders anmutig aus, fand er. „Ich bin zu Hause , Schatz“ trällerte Benjamin und legte seine Schlüssel auf die wertvolle Kommode, direkt neben das Bild von Svenja, seiner Frau. Verträumt hielt er inne und schaute sich verliebt ihr Lächeln an, ihre blonden Haare wehten im Wind. Es war eine wunderschöne Aufnahme. „Schaahaaatz“, rief er, „hast du den Champagner kaltgestellt“? Er wollte schon die Treppe hinauf gehen, um zu schauen, ob sie sich Oben aufhielt und ihn deshalb nicht hörte, als er sah, dass der Anrufbeantworter blinkte, blieb er stehen und tippte auf die Playtaste.
Nachdem der Präparator den Hörer aufgelegt hatte, ging er in die Küche, wo Benjamins Frau am Tisch saß. „Warum hast du denn gerade gesagt, dass der Zwölfender blonde Haare hat“, fragte ihn Svenja. „ich hab noch viel mehr gesagt“, antwortete er und griff nach dem Fleischmesser, welches blitzend auf der Anrichte lag.
Svenja schnappte sich den Bussard, der ausgestopft auf dem Küchentisch stand und ein Geschenk für ihren Mann sein sollte. Sie hasste diese Tiere, aber sie liebte ihn. „Bis bald“, sagte sie und war froh endlich diese stinkende Behausung verlassen zu können. „Mach`s gut“, murmelte Mark und schnitt lächelnd ein Stück Brot ab, wohlwissend einen langjährigen Kunden verloren zu haben.