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Der rasende Rudi

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26.02.2009
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Der rasende Rudi

Kriminaloberkommissar Nehrlinger springt aus seinem Dienstwagen und hastet die letzten Meter zum Notfallort.
Nicht zu unrecht wird er von seinen Kollegen rasender Rudi genannt, obwohl er Wolfgang heißt.
Im Laufen fällt ihm der Autoschlüssel aus der Hand. Verärgert schaut er dem Schlüssel hinterher, wie er unter einen geparkten Fiat schliddert. Da kann ihn auch der Aufkleber am Heck „Ich bin ein recycelter Testarossa“ nicht aufheitern.

Manchmal, wirklich nur manchmal, behindert ihn seine Hast mehr als sie einbringt. Fluchend tastet Rudi unter dem Wagen über den nassen Asphalt nach dem Schlüssel.
„Ach schaut mal, der Kollege Rudi hat Dienst!“, ruft Polizeiobermeister Katschek in die Runde, als Rudi hinter dem Wagen wieder auftaucht, „dann ist der Fall ja in zehn Minuten geklärt.“
„Fasel nicht, Jussuf, erzähl mir was“, erwidert Rudi und duckt sich unter der Absperrung durch.

Dass nur wenig Schaulustige vor Ort sind, liegt an der frühen Morgenstunde. Jussufs Leute haben die Situation im Griff.

„Ein Leichnam, weiblich. Laut Notarzt liegt eine unnatürliche Todesursache vor. Die Frau, Identifizierung haben wir noch nicht, war aus einem Fenster oder vom Flachdach gefallen. Vielleicht ist sie sogar gestoßen worden. Die Zeugensuche ist noch nicht … ah, da kommen die ersten zurück.“
„Dann werd ich mir die Tote mal anschauen. Nebenbei lass mir von der Zeugensuche berichten.“ Rudi streift Latexhandschuhe über und begrüßt den Notarzt, der sich als Dr. Müller vorstellt und neben der Leiche kniet.
„Da habt ihr aber Glück, dass es nach dem kurzen Regenguss passiert ist, daher konnten wir bereits den Zeitpunkt nach hinten hin gut abgrenzen.“
„Ja, und so sind auch alle Spuren unversehrt“, sagt Rudi, „und da sie auf eine trockene Stelle gestürzt ist, muss, als es regnete, dort ein Auto gestanden haben. Hmm … kann man da von Pech sprechen?“
„Nein, ein Autodach hätte den Aufprall zwar etwas abgefedert, aber bei der Fallhöhe ...“ Der Arzt deutet zum Dach hinauf.

Der fünfstöckige Bau besitzt keine Balkone, die blassgrüne Fassade hat dringend eine Renovierung nötig.

„Ist nicht gesagt, dass sie von ganz oben gefallen ist“, murmelt Rudi.
„Das ist euer Thema. Ich kann im Moment nur sicher sagen: Sie hat gelebt, als sie aufschlug. Die Fallhöhe betrug nicht unter sechs Meter. Meiner Meinung nach war sie sogar deutlich drüber.“

Rudi kniet sich neben die Tote, zupft vorsichtig an der Kleidung und deutet dann auf dunkle feuchte Flächen an Ärmel und Hosenbeine. „Regenwasser?“
„Schmutz und Wasser.“
„Die Aufschlagstelle ist trocken. Dann ist sie doch vom Dach runter. Wahrscheinlich ist sie über das nasse Dach gezerrt worden.“ Er dreht sich nach Jussuf um und ruft: „Ist das Dach gesichert? Ich will dort niemanden rumtrampeln sehn, der nicht zu uns gehört!“
„Ich hab einen Mann oben, der sich umschaut“, antwortet er prompt und schiebt eine junge Polizeimeisterin vor Rudis Füße. „Die neue Kollegin Sabine Dreifuß hat im oberen Stockwerk nach Zeugen gesucht.“ Er klopft ihr auf die Schulter. „Dann leg mal los, Sabine.“

„Herr Kriminaloberkommissar?“, fragt sie verschüchtert.
„Berichten Sie einfach, ich hör schon zu“, sagt er und schaut sich die Hände der Leiche genauer an.
„Oberes Stockwerk, linke Seite, fünf Wohnungen, Reihenfolge von hinten Richtung Fahrstuhl.
Eine Frau Eva Soblaski öffnet im Morgenmantel und sagt aus, im genannten Zeitraum nichts gesehen und gehört zu haben. Sie habe geschlafen. Frischer Kaffeeduft strömt aus der Wohnung.
Ein Herr Stefan Seeland öffnet erst nach mehrmaligem Läuten. Er ist mit Hemd, Jeans und Hausschuhen bekleidet. Er sei in der fraglichen Zeit unter der Dusche gewesen. Er habe weder etwas Außergewöhnliches gehört noch gesehen. Sein Haar sah trocken und frisch frisiert aus und er duftete nach Rasierwasser.
Nächste Tür: Herr Michael Schuhmacher öffnet auch erst nach mehrmaligem Läuten, ist nur mit Unterhose bekleidet und behauptet, die ganze Nacht über bis eben geschlafen zu haben. Ganz witzig übrigens, der Flur des Herrn Schuhmacher ist praktisch mit Formel-Eins Postern tapeziert.“

Rudi entdeckt an der rechten Hand der Toten einen tief eingetrieben rostigen Splitter und schaut zum Dach hoch. Es hat ein Geländer aus Metallrohren. Das Dach ist der Tatort, ganz klar, denkt er.

„Die vorletzte Tür öffnet ein …“ Reifenquietschen unterbricht Sabines hektischen Redefluss.
Rudi springt auf und schaut sich um. Sein Partner Kriminalmeister Jürgen Roland ist eingetroffen. Er sieht aus, als hätte er im Schlussverkauf mit einer Horde Hausfrauen gerungen. „Wo kommst du denn jetzt erst her?“, ruft er ihm entgegen. „Und wie siehst du überhaupt aus?“
Jürgen stopft sich das Hemd in die Hose. „Tschuldige, Rudi, aber auf der Autobahn … du weißt schon.“
Aha, daher der Aufzug und die Verspätung, hat wieder außerhäusig genächtigt. „Ruf die Staatsanwaltschaft an, wir haben hier ein Tötungsdelikt. Aber rauskommen brauchen die nicht. Die Tatortgruppe brauch ich hier und auf dem Dach, und zwar flink.“
„Geht klar, Rudi.“

„Mach weiter, Sabine.“
„Jawohl, Herr Kriminaloberkommissar Nehrlinger.
Also, die vorletzte Tür. Dort öffnet ein Herr Josef Kirchheim. Er habe zwar seit Stunden wach gelegen, aber nichts bemerkt. Er sei schwerhörig und trage nur tagsüber sein Hörgerät. Ach, ganz witzig: Er fragte, ob ich seinen Gehwagen gesehen hätte. Er ließe ihn immer vor der Wohnungstür, wenn die Räder zu schmutzig seien und Kinder versteckten ihn dann auf irgendeinem Flur. Nun, das Wägelchen hab ich unten gesehen, mit sauberen und trockenen Reifen.
Letzte Tür, neben dem Fahrstuhl, ein …“
„Mensch Sabine, was erzählst du da für Romane! Der Kollege muss nur wissen, ob jemand was mitgekriegt …“
„Trocken?“ Rudi war aufgesprungen, starrt nun Sabine an und danach auf den Boden, auf das trockene Rechteck, in dessen Mitte die Leiche liegt.
„Natürlich!“ Er schlägt sich an die Stirn. „Sabine, du bist eine hervorragende Kollegin! Und ich bin ab sofort für dich der Rudi!“
Er schaut sich suchend um, entdeckt seinen Partner, der gerade mit dem Telefonieren fertig geworden ist. „Jürgen!“, ruft er, stürmt in seine Richtung und zerrt ihn zum Hauseingang. „Ich glaub, ich hab die Sau, die das gemacht hat.“
„Ähm … gut. Aber vergiss nicht wieder, dass ein Beschuldigter mehr Rechte hat als eine Sau.“

Fragen:
Welchen der befragten Nachbarn will der rasende Rudi als Beschuldigten vernehmen?
Und wie ist er auf diese Person gekommen?

 

Hallo Asterix!

Nein, beim Tatortprozedere sehe ich nichts zu bemängeln, das klingt durchdacht. Und auch, wenn ich meist am rummäkeln bin, sehe ich das Ganze (Tatortprozedere, Ermittlerteam ...) sogar ein wenig lockerer als Katla und du, denke ich. Die Realität abzubilden (z.B. Mordkommissionen, die nur für den jeweiligen Fall zusammengestellt werden und oft mehrere Dutzend Personen umfassen), ginge oft zu sehr auf Kosten von Plot, Charakterisierungen ...
Krasse Fehler allerdings dürfen nicht sein, und so ist es nötig, sich (intensiv) mit der Realität zu befassen.

Zum Gehwagen, dem Tatablauf u.s.w.: Beim Ratekrimi dreht es sich ja immer nur um die Fragestellung. (Das macht es für mich so unbefriedigend). Ist die Frage beantwortet, ist alles andere egal. Da fällt dann eben der Dreck einfach so ab oder es taucht eine gute Fee auf. Egal, denn danach war ja nicht gefragt.

Okay, zum Schluss, kein Komm von mir ohne Provokation: Ich halte Ratekrimis nicht für Literatur, ebensowenig wie z.B. Witze. Ich habe zumindest noch nie einen literarischen Ratekrimi gelesen - vielleicht entwickelst du ja noch einen.

Grüße
Chris

 
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Hallo Chris!

Vielen Dank für Deine prompte und aufschlussreiche Antwort.

Okay, zum Schluss, kein Komm von mir ohne Provokation: Ich halte Ratekrimis nicht für Literatur, ebensowenig wie z.B. Witze. Ich habe zumindest noch nie einen literarischen Ratekrimi gelesen - vielleicht entwickelst du ja noch einen.
Einen Ratekrimi mit höherem literarischen Anspruch schreiben ist durchaus möglich. Ich sehe Nichts, was dagegen spräche.

Jeder darf sich zu diesem Versuch eingeladen fühlen.

Lieben Gruß

Asterix

 

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