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Der reiche Bettler

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03.12.2002
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Der reiche Bettler

Der Frühling war an diesem späten Morgen überall sichtbar, denn die Menschen kamen aus ihren Häusern und genossen die ersten warmen Sonnenstrahlen. Arbeiter banden ihre Jacken um und jungen Frauen hatten ihre langen Hosen gegen einen kurzen Rock getauscht. Überhaupt entdeckte Stefan auf den meisten Gesichtern ein Lächeln. Das Jahr ging in eine neue Runde und brachte allen etwas Neues. Aber nicht nur die Jahre erneuerten die Dinge, sondern auch die Tage und Stunden. Das romantische und freiheitsliebende Leben auf der Straße, war oft nicht das, was die Menschen sich darunter vorstellten. Die Dinge, die dieses Leben wirklich bezeichneten geschahen Nachts, fernab von den Augen der Passanten. Vor zwei Tagen hatten Stefan einen guten Tag. Die Leute auf der Straße hatten ihm viel Geld zugesteckt, wahrscheinlich weil es die erste wirklich schöne Zeit des Jahres gewesen war. Sie lächelten ihn an, warfen eine Münze in den kleinen Hut, den er vor sich stehen hatten und eilten mit einem reinen Gewissen weiter. Stefan hatten sie schon nach einer einzigen Minute wieder vergessen. Er nahm dann schnell das Geld und ließ es in seiner alten, speckigen Kordhose verschwinden, damit niemand sehen konnte, dass er schon ein paar Euro besaß. Größeres Leid versprach auch größeres Mitleid. Ein Leitsatz, den Stefan ständig befolgte und so konnte er sich am gleichen Abend ein kleines Zimmer nehmen. Dies war ein Luxus, den er sich ein- oder zweimal im Jahr gönnte. Es war eine kleines Zimmer gewesen. Die Wände waren feucht und in den Ecken zeigten sich Spuren von Schimmelpilzen, aber das Wasser in der Dusche, die es draußen auf dem Flur gab, war wunderbar warm. Stefan hatte sich fast eine ganze Stunde unter das fließende Wasser gestellt und dabei zugesehen, wie der Schmutz auf seinem dürren Körper mit dem kostbaren Nass in der Tiefe des Abflusses verschwand. Seine Gedanken kreisten dabei um den letzten Winter. In dieser Zeit schienen die Geldbeutel der Menschen immer besonders leer und man konnte froh sein, wenn die Münzen am Ende eines Tages für etwas Essbares reichten. An eine warme Dusche und das damit einhergehende Glückgefühl war nicht zu denken. Man war schon glücklich, wenn man nach einer kalten Nacht am nächsten Morgen lebendig aufwachte. Nicht alle taten das. Stefan hatte erst einen Winter auf der Straße erlebt und bereits zwei Freunde an den Frost verloren. Nicht selten war daran jedoch der Alkohol schuld. Sie tranken alles was sie finden konnten, genossen die Wärme in ihrem Inneren und schliefen dann irgendwo ein. Meist auf einem ungeschützten Bürgersteig, dort wo der Winter seine kalte Hand ohne Probleme über sie legen konnte.

Die Menschen wandelten meist mit einer selbst verordneten Blindheit an Bettlern wie ihm vorbei. Sie taten so, als existierte Stefan nicht, oder sie stellten sich vor, er gehöre genauso zum Bild der Stadt, wie die Straßenlaternen oder Mülleimer.
Aber es gab auch jene, die auf ihn aufmerksam wurden. Sie schenkten ihm davon mehr, als er es sich wünschte. Wenn die Straßen leer wurden, waren meist nur noch Menschen wie er, oder einige Jugendliche unterwegs, die von ihren Partys auf dem Weg nach Hause waren.
In der Nacht nach der Dusche und dem warmen Bett hatte Stefan sich eine stille Ecke hinter einem kleinen Straßenstand gesucht, um zu schlafen. Schon von weitem hörte er die unartikulierten Stimmen der Halbstarken und als sie ihn entdeckten, hielten sie an. Erst waren es nur ein paar argwöhnige Blicke, doch es dauerte nicht lange und der erste von ihnen bezeichnete Stefan als einen dreckigen Penner. In ihrem Rausch kamen sie auf ihn zu und stießen ihn mit ihren Schuhen an. Einige lachte höhnisch, was sie noch mehr anspornte. Stefan hatte Glück. Unter ihnen waren auch ein paar junge Mädchen, die zwar mitlachten, die Jungs aber drängten weiterzugehen, weil sie sich wohl doch etwas unwohl dabei fühlten. Manchmal hatte man dieses Glück nicht. Dann traten sie auf einen ein, bis man sich vor ihren Füßen erbrach, womit dann auch die letzte Romantik des Straßenlebens verschwand.

Stefan saß an diesem Tag wie immer vor einem kleinen Schuhladen direkt gegenüber des VMN Gebäudes. Die Menschen, die dort hineingingen, waren die Interessantesten, denn ihre Gesichter zeugten meist von großem Schmerz. VMN versprach ihnen diesen Schmerz zu nehmen. Man ging hinein, nahm alles mit, was einem an schmerzlichen Erinnerungen geblieben war und die Herren und Damen dort sorgten dafür, dass man all das vergaß. Es war eine Prozedur von etwa einer Stunde. Ein paar Spritzen, ein paar elektronische Stöße und ein paar Ersatzerinnerungen aus dem Computer und all das böse, was einem passiert war, wurde vergessen. Manchmal erwischte sich Stefan dabei, wie er sehnsuchtsvoll die großen Buchstaben anstarrte. Das Vergessen versprach einem das Leid zu nehmen. Was Stefan damals getan hatte, was ihn auf die Straße gebracht hatte, war etwas, von dem man nicht gerne erzählte und an das man nicht gerne dachte. Aber wenn er sich wieder daran erinnerte und er den Schmerz in seinem Inneren fühlte, bekamen diese drei Buchstaben eine andere Bedeutung als ihre ursprüngliche. Vergiss mein nicht.

Stefan wurde ganz besonders auf einen Mann aufmerksam, der bereits zum dritten Mal an ihm vorbeischlenderte. Seine Gesicht spiegelte Unentschlossenheit wieder und jedes Mal warf er einen flüchtigen Blick durch die glänzenden Glastüren von VMN. Er zog sein linkes Bein ein wenig nach und wahrscheinlich war es das, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, denn sein Gang erinnerte ihn an John Wayne. Stefan musste automatisch grinsen, als er an den Duke dachte. Er drehte sich jedes Mal in seine Richtung, wenn er vorbeikam, wobei der große, blaue Fleck, der sich auf seiner Brust abzeichnete schmerzte. Dort hatten sie ihm am häufigsten getroffen, aber ohne ihm etwas zu brechen.
Als der Mann ein viertes Mal an Stefan vorbeikam, sprach er ihn an.
„Entschuldigen Sie bitte. Hätten Sie vielleicht ein paar Euro für mich?“
Der Mann hielt kurz inne und blickte Stefan verwirrt an, so als müsste er erst nachdenken, was genau diese Worte zu bedeuten hatten.
„Nein,“ stotterte er verlegen, „tut mir Leid“, wobei er vermied Stefan anzublicken.
„Ich hab heute aber noch nichts gegessen.“
Wieder blickte ihn der Fremde an, aber diesmal sah Stefan so etwas wie Mitleid in seinen Augen. Mehr Leid, mehr Mitleid.
Und schließlich verschwand seine Hand in der linken Jackentasche und förderte ein paar Münzen zum Vorschein. Er ging auf Stefan zu und drückte ihm genau drei Euro und fünfzig Cent in die geöffnete Hand.
„Danke, Mann,“ bedankte sich Stefan mit einem Blick auf die in der Sonne blinkenden Münzen. „Ich werd mir nen Berliner davon kaufen. Hab fast vergessen, wie son Ding schmeckt. Haben Sie auch schon mal was vergessen?“
Der Fremde warf wieder einen Blick durch die Türen von VMN, hinter denen jetzt zwei junge Frauen standen, die ihn anlächelten. Es war ein einladendes Lächeln, als würden sie ihn kennen und erwarten.
„Ich wünschte, ich würde es tun“, antwortete er.
„Vergessen? Wenn man vergisst, weiß man auch nicht mehr, was man mal hatte. Scheiße Mann, wenn ich nicht mehr wüsste, wie das Leben so sein kann....“ Die letzten Worte konnte der Mann nicht verstehen, denn Stefan richtete sie nur an sich selbst. Er senkte dabei seinen Kopf und nuschelte unverständlich in seinen langen Bart.
Fragende Blickte ruhten nun auf Stefan, aber der Fremde sprach trotzdem weiter: „Nein, nicht wirklich. Möchten Sie nicht gerne vergessen? Wie wäre es, wenn Sie nicht mehr wüssten, warum Sie auf der Straße gelandet sind. Ich mein, irgendetwas schlimmes muss ja passiert sein und wenn Sie nicht mehr daran denken würden, hätten Sie vielleicht die Kraft aufzustehen und ein neues Leben zu beginnen.“
„Will ich das denn? Dann würd ich doch die selben Fehler wieder machen, oder nicht? Ich währ doch total dumm und nichts würde besser.“
Nachdenklich blickte der Mann zu Boden, ohne zu antworten.
„Was haben Sie denn gemacht? Warum vergessen?“
„Hmm“, begann er, „vielleicht haben Sie recht. Wissen Sie; es geht um eine Frau, wie meistens. Ich war über ein Jahr mit ihr zusammen und habe versucht ihr alles zu geben. Ich mein, ich habe wirklich versucht das Beste in ihrem Leben zu sein und dann, von heute auf morgen, macht sie mit mir Schluss. Ich wäre nicht für sie da gewesen. Ich hätte ihr nicht geben können, was sie braucht. Und das alles schickt sie mir mit einer kalten e-mail. Es hat mein Herz zerrissen. Oh ja, es hat schwere Zeiten zwischen uns gegeben, aber die waren für mich nicht von Bedeutung, denn es gab auch viele schöne. Nun ja, auf jeden Fall will ich es, will ich sie, vergessen.“
Stefan drehte gedankenverloren die Euromünzen in seinen schmutzigen Händen.
„Und Sie waren der Unschuldsengel?“
„Nein. Sicherlich nicht. Ich hätte vieles anders machen können.“
„Das mein ich. Wenn Sie jetzt vergessen, machen Sie den selben Mist doch nur wieder?“
„Nein. Ich war dumm.“
„Aha.. Gibst da keine Eltern oder so, die da noch ein Wort mitzureden haben?“
Der Mann drehte sich von Stefan weg. „Nein, ich erinnere mich kaum an meine Eltern.“
Dann wandte sich der Fremde ganz ab und ging merkwürdigerweise entschlossen auf die Glastüren zu, die ihm von den jungen Frauen aufgehalten wurden. Die anderen Leute auf der Straße beachteten ihn gar nicht.
„Guten Tag, Herr Radermacher. Wie geht es Ihnen?“, schallten ihm die hellen Stimmen simultan entgegen. Das sie seinen Namen kannten, schien ihm gar nicht aufzufallen.
Dann schlossen sich die Türen für genau eine Stunde und der Mann kam wieder heraus. Seine Augen blickten ein wenig leer vor sich hin, als wäre er woanders.
„Haben Sie mal nen Euro für mich?“, rief ihm Stefan zu.
Herr Radermacher kam auf den Bettler zu und suchte in seiner Jackentasche.
„Nein, tut mir Leid. Ich habe leider kein Kleingeld.“
Stefan blieb hartnäckig. „Bitte, mein Guter. Wissen Sie? Meine Frau hat mit mir nach über einem Jahr einfach so in einem Brief Schluss gemacht. Dabei habe ich ihr alles versucht zu geben, aber ich konnte es nicht. Und nun weiß ich nicht mehr ein, noch aus. Sie hat alles von mir genommen.“
„Hmm, das klingt aber nicht sonderlich hart“, bemerkte der Mann trocken, „solche Dinge vergisst man schnell. Machen Sie sich da mal keine Sorgen und Geld kann Ihnen dabei auch nicht weiterhelfen. Außerdem kommen solche Sachen schnell wieder in Ordnung.“
„Verstehe“, murmelte Stefan vor sich hin und blickte ihm kopfschüttelnd nach. Das nächste Mal, hatte er sicherlich wieder ein paar Euros bei sich, wie jedes Mal.

 

Hallo morti,

Geschichten über die gütige Weisheit von Obdachlosen sind mittlerweile sicherlich ein fast genau so gängiges Klischee, wie welche über die Härte dieses Lebens. Erstere lesen wir natürlich lieber, denn sie beruhigen unser Gewissen und haben dbei noch den hehren Anspruch der Vorurteilsfreiheit. Trotzdem romantisieren sie natürlich immer auch. Von dieser Atmosphäre ist natürlich auch deine Geschichte nicht frei. Zum Glück gehst du in dem Pendant einen Schritt weiter und beschreibst die Verlockung und den Fluch des Vergessens. Dein anderer Prot entscheidet sich für das Löschen der Erinnerungen und kommmt seelsich veramrt wieder aus dem Gebäude zurück. Auch das wiederum ist ein Klischee.

Inhaltlich gibt deine Geschichte also nicht viel mehr her als eine knappe politisch äußerst korrekte Botschaft. Stilistisch ist sie schön erzählt. Ich habe sie gerne gelesen, auch wenn die Kritik das nicht vermuten lässt.

Details:

Jeden Tag saß er in der Fußgängerzone und bettelte um ein paar Euro, mit denen er etwas Essen oder Trinken kaufen konnte.
etwas Essen und Trinken klingt für mich merkwürdig. Vielleicht fällt dir da noch eine elegantre Lösung ein, eventuell auch eindach den Infinitiv mit zu.
Das nächste Mal, hatte er sicherlich wieder ein paar Euros bei sich, wie jedes Mal.
Wer hat die Cents in der Tasche? Doch sicher nicht Stefan, wie du es hier vermuten lässt.

Lieben Gruß, sim

 

hello morti,

eine wirklich schön zu lesende Geschichte, allerdings schließe ich mich sim an:
'Inhaltlich gibt deine Geschichte also nicht viel mehr her als eine knappe politisch äußerst korrekte Botschaft.'

Das ist mir aufgefallen:

'...die ersten warmen Sonnenstrahlen. Arbeiter hatten ihre Jacken umgebunden und die ersten jungen Frauen...'

'Aber an einem Tag wie diesem fielen Stefan besonders jene auf, denen die Sonne kein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern konnte. Jeden Tag saß er in der Fußgängerzone und bettelte um ein paar Euro, mit denen er etwas Essen oder Trinken kaufen konnte. An guten Tagen...'

Gerade der Anfang wirkt auf mich gestelzt, 'an einem Tag wie diesem' würde ich durch ein schlichtes 'Heute' ersetzen.

Viele Grüße vom gox

 

Hallo sim und gox,

Dank an euch beide fürs lesen und kommentieren. Die Fehler hab ich ausgebessert!
Freut mich, dass euch die Geschichte soweit gefallen hat. Was die politische Korrektheit angeht: Nun ja. Ich wollte eigentlich keinerlei Kritik üben, sondern mich einfach mit dem Thema Vergessen auseinandersetzen. Meine nächste kg bezieht sich auf das gleiche Thema, geht es aber völlig anders an. Ich wollte für mich einmal ausprobieren, wie man (ich) damit umgehen kann. Ich habe den Bettler nochmals durchgelesen und sehe nun selbst, dass es ihm an Tiefe mangelt, aber im Moment habe ich keine Idee, wie ich die nachträglich noch hineinbringen kann.

Einen lieben Gruß an euch beide...
morti

 

Hallo morti,

deine Geschichten hat unterschiedliche Gedanken zum Thema Betteln bei mir geweckt. Dass es heute das Betteln, wie du es beschreibst, immer weniger gibt, und stattdessen von organisierten Banden ausgenutzt wird. Deshalb ist das Betteln in der Innenstadt meiner Stadt seit vergangener Woche verboten. Meine Mutter kommt mir in den Kopf, die stets mit einer Tüte voller Brötchen durch die Innenstadt ging, um die wirklich hungrigen von den anderen zu trennen. "Haben Sie mal eine Mark?" "Nein, aber falls Sie Hunger haben..." Und irgendwie die Vorstellung, die aus meiner Arbeit in einem Straßenzeitungs-Projekt geblieben ist, dass auch ein armer Mensch was dafür tun sollte, um Unterstützung zu bekommen. Du siehst also - in dieser Hinsicht hat deine Geschichte funktioniert. ;)

Das Betteln, wie du es allerdings in deiner Geschichte beschreibst, scheint mir zu romantisch verklärt. Wenn dem Leid dieser Menschen kommt nicht wirklich viel rüber, es scheint nichts im Vergleich zum Leid des Vergessens zu sein. Es wirkt ein wenig, als ob du die Figur des Bettlers nur benutzt, um die Frage des Vergessens zu thematisieren. Das Gespräch der beiden Männer miteinander halte ich auch nicht für realistisch. Ein bettelnder Mann kann sich derart eloquent ausdrücken? Ein Mann erzählt einem Bettler von seinen Problemen? Wie sim auch fand ich deine Geschichte also ein wenig klischeehaft. Gut geschrieben ist sie auf jeden Fall, und ich hab sie gerne gelesen.

Eine Kleinigkeit:

Er ging auf Stefan zu und drückte ihm genau drei Euro und fünfzig cent in die geöffnete Hand.
Cent

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi und Janey,

danke für eure Gedanken, für Lesen und fürs Kommentieren.
Auch euch muss ich recht geben, aber ich habe nun versucht, die Geschichte ein wenig aufzupolieren. Einie Stellen hab ich komplett gestrichen, neue hineingenommen. Zudem hab ich den Dialog zwischen dem Bettler und dem Fremden umgeschrieben, damit er nicht mehr so philosophisch klingt.
Vor allem hab ich versucht die kritisierte Romantik herauszunehmen und der Geschichte ein wenig mehr an Leben/Tiefe zu geben.
Ich hoffe, dass mir das einigermaßen gelungen ist, wenn ja, dann ist das euer (und natürlich der, der Vorredner) verdienst ;)

Einen ganz lieben Gruß...
morti

 

Hallo morti,

auf eine Detailkritik der einzelnen Sätze verzichte ich mal. Sicherlich fiel mir die eine oder andere Formulierung auf, andererseits sehe ich das mittlerweile viel zu sehr als Frage des persönlichen Stils, um m ich da an einzlenen Formulierungen festzubeißen. Es gibt also nur ein Detail. ;)

Inhaltlich hast du es jetzt geschafft etwas mehr Tiefe in den Text zu bringen. Das Spiel mit der "Erinnerung" ist zwar nicht neu, in der Kombination allerdings interessant. Auch ist es ein schöner ironischer Bruch, dass Stefan die fehlende Erinnerung des Prot letztlich auch für ein paar zusätzliche Euro auszunutzen versucht.

Ganz aus der inhaltlichen Leere wirst du du den Plot sicherlich nicht zuehen können, dafür wird das Motiv des Bettelns zu häufig benutzt. Aber deine Änderungen haben der Geschichte auf alle Fälle gut getan.

Dann traten sie auf einen ein, bis man sich vor ihren Füßen erbrach, womit dann auch die letzte Romantik des Straßenlebens verschwand.
Erläuterung ist völlig überflüssig. Sie nimmt dir die Anteilnahme.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo morti!

Die Geschichte müßte ja eigentlich heißen: Der schlaue Bettler :D
Einen Reichtum beschreibst Du nämlich nicht wirklich, ein paar Euros und wenn man sich einmal ein Zimmer mit Dusche am Gang leisten kann, das ist noch kein Reichtum. Aber dumm ist er jedenfalls nicht. :D

Ich weiß nicht, wie weit die beschriebene Situation im ersten Teil realistisch ist (schließlich postest Du unter Gesellschaft) – ob es in anderen Städten tatsächlich noch Bettler gibt, die auf der Straße schlafen müssen. Bei uns müssen sie das nicht, wir haben genug Plätze in Obdachlosenheimen (ist ja auch kein großer Aufwand für eine Stadt, ein paar Betten und Duschen in ein Gebäude zu stellen) – die Obdachlosen müssen nur hingehen. Und theoretisch müßte das ja überall so sein, denn laut Artikel 25/1 der allgem. Menschenrechtserklärung und der Europäischen Sozialcharta, Artikel 31, ist »ein bedarfsgerechtes Angebot für obdachlose/wohnungslose Menschen sicherzustellen«. (Zitat von hier, Seite 20). Daß manche trotzdem auf Parkbänken schlafen, liegt wohl eher daran, daß sie es nicht bis hin schaffen, wenn sie zu betrunken sind, bzw. in volltrunkenem Zustand keinen Einlaß bekommen – wenn aber einer soweit ist, daß er sich ein Zimmer nimmt, müßte er das doch auch schaffen, oder?
Also wie gesagt, ich weiß nicht, ob das in anderen Städten noch nicht soweit ausgereift ist – ich habe ja manchmal auch den Verdacht, es geht den Unseren mehr darum, daß das Straßenbild nicht verschandelt wird, und man sie deshalb konsequent wegräumt und unter den Teppich kehrt – aber das ist ein anderes Kapitel. ;)
Falls es tatsächlich noch Städte gibt, wo das nicht funktioniert, ist mein Einwand natürlich unberechtigt, ansonsten finde ich die Geschichte aber für Gesellschaft eigentlich nicht sehr passend, überhaupt mit diesem Gebäude, in dem alles vergessen wird, würde sie meiner Meinung nach besser nach Seltsam passen. Jedenfalls ist die zweite Hälfte die Beschreibung, wie dieser Bettler eine sehr seltsame Situation zu seinen Gunsten ausnutzt.
Das mit den Fußtritten würde ich in dem Fall allerdings streichen. Du solltest Dich vielleicht entscheiden, ob Du eine gesellschaftskritische Geschichte haben willst, die den Umgang mit Obdachlosen beleuchtet, oder ob Du dieses seltsame Gebäude und den Mann, der immer alles vergessen geht, mehr ausreizt. Der Titel würde passen, wenn er ihm zum Beispiel auf diese Art sein ganzes Vermögen abluchst, er vergißt ja sowieso, daß er einmal etwas hatte…:D – dann aber erst recht nach »Seltsam«. ;)
Theoretisch könntest Du also daraus sogar zwei Geschichten machen…

So, aber jetzt noch ein bisschen Kleinarbeit:

»Arbeiter banden ihre Jacken um und jungen Frauen hatten ihre langen Hosen gegen einen kurzen Rock getauscht.«
– junge Frauen, und Mehrzahl: kurze Röcke

»Das Jahr ging in eine neue Runde und brachte allen etwas Neues. Aber nicht nur die Jahre erneuerten die Dinge,«
– dreimal »neu«

»Das romantische und freiheitsliebende Leben auf der Straße,«
– jemand kann »freiheitsliebend« sein, das Leben kann ein freies sein

»Die Dinge, die dieses Leben wirklich bezeichneten geschahen Nachts, … Vor zwei Tagen hatten Stefan einen guten Tag.«
nachts
– hatte Stefan

»warfen eine Münze in den kleinen Hut, den er vor sich stehen hatten«
– hatte

»Stefan hatten sie schon nach einer einzigen Minute wieder vergessen.«
– fände schöner »nach nur einer Minute«

»An eine warme Dusche und das damit einhergehende Glückgefühl war nicht zu denken. Man war schon glücklich, wenn man«
– Glücksgefühl
– zweimal »Glück« – würde schreiben: war schon froh, wenn man
– die »man«-Formulierungen finde ich nicht so toll, warum nicht »Er war schon …«?

»er gehöre genauso zum Bild der Stadt, wie die Straßenlaternen oder Mülleimer.«
– Staßenlaternen und Mülleimer fände ich besser

»Einige lachte höhnisch, was sie noch mehr anspornte.«
– lachten

»direkt gegenüber des VMN Gebäudes. Die Menschen, die dort hineingingen, waren die Interessantesten,«
– die interessantesten (bezieht sich ja auf die Menschen)
– später schreibst Du: »bekamen diese drei Buchstaben eine andere Bedeutung als ihre ursprüngliche. Vergiss mein nicht.« – die ursprüngliche Bedeutung unterschlägst Du uns aber, würde ich bei der ersten Nennung einbauen. ;)

»und all das böse, was einem passiert war, wurde vergessen.«
– all das Böse, hier wäre ein »das« schöner

»von dem man nicht gerne erzählte und an das man nicht gerne dachte.«
– wie gesagt: »man« ist nicht der schönste Stil

»Seine Gesicht spiegelte Unentschlossenheit wieder«
– Sein Gesicht

»wobei der große, blaue Fleck, der sich auf seiner Brust abzeichnete schmerzte. Dort hatten sie ihm am häufigsten getroffen,«
– abzeichnete, schmerzte. Dort hatten sie ihn

»„Nein,“ stotterte er verlegen, „tut mir Leid“, wobei er vermied Stefan anzublicken.«
– würde nach »Leid« einen Punkt machen und »wobei« streichen: …Leid.“ Er vermied, Stefan anzublicken.

»Und schließlich verschwand seine Hand in der linken Jackentasche und förderte ein paar Münzen zum Vorschein.«
– entweder: förderte … zutage, oder: brachte … zum Vorschein

»Ich mein, irgendetwas schlimmes muss ja passiert sein«
– irgendetwas Schlimmes
– würde dem »mein« ein e schenken: Ich meine, …

»Ich währ doch total dumm und nichts würde besser.“«
– ohne h: wär´

»„Hmm“, begann er, „vielleicht haben Sie recht.«
Recht

»ich habe wirklich versucht das Beste in ihrem Leben zu sein und dann,«
– versucht, das Beste … zu sein, un dann, …

»Und das alles schickt sie mir mit einer kalten e-mail.«
– eingedeutscht in Großschreibung: E-Mail

»Ich hätte vieles anders machen können.“«
Vieles

»„Aha.. Gibst da keine Eltern oder so,«
– Gibts

»Das sie seinen Namen kannten, schien ihm gar nicht aufzufallen.«
– Dass

»Dabei habe ich ihr alles versucht zu geben, aber ich konnte es nicht.«
– Dabei habe ich versucht, ihr alles zu geben, …

»Das nächste Mal, hatte er sicherlich wieder ein paar Euros bei sich, wie jedes Mal.«
– ohne Komma: Das nächste Mal hatte er sicherlich …


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo morti,

auch ich finde, dass deine Geschichte gewonnen hat. Allerdings muss ich Häferl Recht geben: Gerade weil du den Beginn und die Beschreibung des Bettlers ausgeweitet hast (glaube ich zumindest), um es nicht zu romantisch verklärt und klischeehaft wirken zu lassen und das Betteln dieses Gewicht in der Geschichte einnimmt, wirkt es wie zwei Geschichten in einer. Die Frage ist, was du willst - eine Geschichte über das Betteln oder eine Geschichte über das Vergessen? Ich würde den Schwerpunkt deutlicher legen.

Um auf Häferls Gedanken zum Thema Leben auf der Straße Bezug zu nehmen: es gibt Bettler, die auf der Straße leben, auch nachts. Nicht, weil es keine Übernachtungsheime gäbe, die gibt es zumindest hier bei uns - übrigens auch mit heißem Wasser zum Duschen. ;) Nein, der Punkt ist glaube ich eher, dass viele Menschen lieber auf der Straße schlafen, als in diesen Übernachtungsstellen, wo ihnen alles was sie noch haben geklaut wird, sie zusammen geschlagen werden und auf Matratzen liegen müssen, auf denen wer weiß wer schon lag. Da gibt es sogar die Hartgesottenen, die bei -20 Grad, wenn der Kältebus sie nachts aufsammeln will, lieber draussen bleiben. Und das was Häferl sagt stimmt: übermäßig betrunken wird man dort nicht aufgenommen. Lange Rede kurzer Sinn, morti - wenn du eine Erklärung dafür lieferst, warum Stefan draussen schläft, ist es plausibler. Und die gibt es wie gesagt zuhauf.

Eins noch:

Stefan saß an diesem Tag wie immer vor einem kleinen Schuhladen direkt gegenüber des VMN Gebäudes.
Hier ist für mich ein Bruch entstanden, weil es ja um den Frühlingstag geht und nicht um den Zeitpunkt, als er zusammengetreten wurde. Vielleicht einfach den Bezug deutlicher machen?

Liebe Grüße
Juschi

 

@sim
Dank dir für die Erfüllung meiner Bitte ;)
Nur leider sind durch die neuen Textstellen weitere Probleme aufgetaucht und da komm ich zu
@Häferl / Juschi
ich hab so das Gefühl, dass diese kg für mich eine einzige Baustelle bleibt. Momentan treibt mich der Gedanke, den kompletten Bettleraspekt aus der Geschichte herauszunehmen und erst bei VMN selbst anzusetzen. Nur irgendwie fällt es mir natürlich schwer meine kg zu kürzen.
Aber sagen wir einfach mal, der Zeitpunkt der Handlung liegt einige Jährchen zurück und da gab es sowas wie Heime noch nicht...

Danke für die Verbesserungsvorschläge und die Gedanken. Ich werde mal sehen, was sich noch umsetzen lässt.

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hi morti,

mir hat deine KG gut gefallen.
Ich kann zwar die Einwände meiner "Vorgänger" verstehen, sehe es aber nicht so zwingend.
Sicher könntest du zwei Geschichten daraus machen.
Du könntest aber auch einen Tagesablauf daraus machen.

Am Morgen denkt er an die Seltenheit der Dusche und des Bettes ...
Am späten Nachmittag geht er zu dem Haus des VMN. Denkt zwischendurch an seine unangenehmen Erlebnisse mit den Jugendlichen.
Vielleicht lässt du von vorneherein durchblicken, dass er jeden Tag zu diesem Haus geht, weil es etwas besonderes für ihn ist. Dadurch arbeitest du auf den Punkt hin und er wird zum Mittelpunkt deiner KG. Außerdem ist der Leser gespannt, was es denn wohl mit diesem Haus auf sich hat.

Du brauchst dann nicht viel an deiner KG ändern. Und die Intention deiner KG wäre trotzdem eine Überraschung.
Weißt du was ich meine? :hmm:
Ich finde den Titel, den du gewählt hast, nicht schlecht. Denn am Ende zeigst du den "Reichtum" deines Bettlers.
Im übrigen, muß ein Bettler nicht zwingend ungebildet sein und sich nicht ausdrücken können. Wer weiß, vielleicht ist deiner ein "gefallener" Akademiker :shy:

lieben Gruß, coleratio

 

hi coleratio,
:shy: *freu*
na, ersteinmal, bedankst für die lieben worte.
was deine idee angeht: ja, ich verstehe was du meinst und ich werd mal sehen, was sich da machen lässt. muss mich erstmal selbst wieder reinlesen. vielleicht sieht die sache dann ja auch schon ganz anders aus. oft erhält man nach einiger zeit einen völlig neuen blickwinkel auf seine eigenen kg´s.
schön mal wieder was von dir gehört zu haben...war hoffentlich nicht das letzte mal ;)
einen ganz lieben gruß...
michael

 

Hallo morti,

anfangs dachte ich: Oh je, schon wieder eine Geschichte über Bettler.

Zuerst las sie sich auch so, wie viele andere Geschichten, die ich über diese Thematik schon gelesen habe. Das hat mich ein wenig gelangweilt. Es ist nicht so, dass mich das Thema nicht interessiert - vielmehr ist es so, dass wir uns wahrscheinlich alle gar nicht vorstellen können, wie so ein Leben auf der Straße ist und mir deswegen diese Geschichten immer sehr klischeehaft vorkommt.
Mir gefiel es erst besser, als du auf das Vergessen zu sprechen kommst. Das gibt der Geschichte einen ganz neuen, interessanten Aspekt. Die Ausführungen des Bettlers und auch die Argumente des Mannes fand ich gut.

Ich finde jedoch, dass du in deiner Geschichte durch den Bettler ein sehr kritisches gesellschaftliches Thema aufgreifst und damit von dem Thema "Vergessen", was ja wohl deine Hauptintention war, ablenkst. Sprich: Ich denke, du könntest das "Vergessen" besser herausarbeiten, wenn du nicht ausgerechnet diesen sozialen Hintergrund gewählt hättest.

Noch ein paar Detailanmerkungen:

Arbeiter banden ihre Jacken um und jungen Frauen hatten ihre langen Hosen gegen einen kurzen Rock getauscht.

Das sind mir hier zu viele Adjektive. Liest sich für mich etwas unschön.

Das Jahr ging in eine neue Runde und brachte allen etwas Neues.[/QUOTE]

Wortwiederholung

Sie lächelten ihn an, warfen eine Münze in den kleinen Hut, den er vor sich stehen hatten und eilten mit einem reinen Gewissen weiter.

hatte

Größeres Leid versprach auch größeres Mitleid. Ein Leitsatz, den Stefan ständig befolgte und so konnte er sich am gleichen Abend ein kleines Zimmer nehmen. Dies war ein Luxus, den er sich ein- oder zweimal im Jahr gönnte. Es war eine kleines Zimmer gewesen.

Das hast du weiter oben schon erwähnt, also dass das Zimmer klein ist.

Seine Gedanken kreisten dabei um den letzten Winter.

Also gerüchteweise dachte ich im Winter würden die Menschen eher mehr geben, wegen Weihnachten und so.

An eine warme Dusche und das damit einhergehende Glückgefühl war nicht zu denken. Man war schon glücklich, wenn man nach einer kalten Nacht am nächsten Morgen lebendig aufwachte.

Wortwiederholung

Meist auf einem ungeschützten Bürgersteig, dort wo der Winter seine kalte Hand ohne Probleme über sie legen konnte.


Einige lachte höhnisch, was sie noch mehr anspornte.

lachten

Stefan hatte Glück. Unter ihnen waren auch ein paar junge Mädchen, die zwar mitlachten, die Jungs aber drängten weiterzugehen, weil sie sich wohl doch etwas unwohl dabei fühlten. Manchmal hatte man dieses Glück nicht. Dann traten sie auf einen ein, bis man sich vor ihren Füßen erbrach, womit dann auch die letzte Romantik des Straßenlebens verschwand.

Ein paar Spritzen, ein paar elektronische Stöße und ein paar Ersatzerinnerungen aus dem Computer und all das böse, was einem passiert war, wurde vergessen.

Böse (groß)

Ich währ doch total dumm und nichts würde besser.“

wär

LG
Bella

 

Hallo Bella,
oft verusche ich mehr als zwei geschichten in einer einzigen unterzubringen....das war auch hier der fall...und es ist nicht ganz aufgegangen, wobei die vorige version noch weniger schwerpunkte setzte als diese hier.
die von dir angegebenen fehler werden von mir noch ausgemerzt.
ein dank hiermit an dich. freut mich, dass die kg dir teilweise doch gefallen hat.

Einen lieben Gruß...
morti

 

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