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Der Schänder

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17.04.2007
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Der Schänder

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"Verfluchter Hurensohn!", zischte die Frau ihm hasserfüllt zu und spuckte ihm ins Gesicht, bevor sie schnellen Schrittes davonging. Der Mann, der an einer Bushaltestelle saß, wo er die vorige Nacht verbracht hatte, wischte sich mit einer Hand die Spucke aus dem Gesicht und trocknete sie dann an seinem schwarzen Mantel ab. Er hatte sich daran gewöhnt und nahm es gelassen und gedemütigt hin. Dabei war er genau genommen schon genug bestraft. Der Mantel war so ziemlich das einzige, was er noch besaß. Auch wenn dieses Kleidungsstück sehr warm war, so war eine Nacht draußen im Schutze einer Bushaltestelle trotzdem nicht angenehm.
"Ihnen auch einen schönen Tag!", rief der Mann der Passantin hinterher und erntete dafür einen Stinkefinger. Mittlerweile war ihm alles egal. Die Gesellschaft hatte ihn bereits verstoßen, da konnte er freundlich oder unhöflich sein, wie er wollte.
Auf einmal sah er in einiger Entfernung ein Mädchen stehen, fünf oder sechs Jahre alt. Es trug eine rosa Hose und darüber eine weiße Jacke. Seine blonden Haare wurden von einem roten Haarreifen gebändigt.
"Hast du was?", fragte er leicht gereizt, denn er mochte es nicht, angestarrt zu werden.
"Mama hat gesagt, ich darf nicht mit dir reden, weil du böse bist."
Es hatte keine Angst vor ihm. Hatte seine Mutter es nicht aufgeklärt, oder glaubte das Mädchen diese Geschichte nicht?
"Da hat sie Recht", rief der Mann dem Mädchen zu. "Du solltest auf sie hören." Er erwartete, dass das Mädchen nun gehen würde. Doch stattdessen kam die Kleine auf ihn zu. Was sollen nur die Leute denken, wenn sie das sahen!
Einen Meter vor ihm blieb sie stehen.
"Mama hat gesagt, du bist böse, aber sie hat nicht gesagt, was du gemacht hast. Bist du wirklich ein Kinderschänder?"
Süß war die Kleine ja, jung und naiv. So zart und unschuldig. Und ein Tabu, wie der Mann sich fest vorgenommen hatte. Außerdem begann sie, ihm auf die Nerven zu gehen.
"Mädchen, kennst du die Geschichten nicht?", fragte er in einem unfreundlichen Ton. "Du solltest Angst vor mir haben und immer einen großen Bogen um mich machen."
Bei diesem Tonfall hätte jeder halbwegs vernünftige Mensch kehrt gemacht. Jeder Erwachsene. Doch zur großen Überraschung des Mannes an der Bushaltestelle, kam das Mädchen noch näher und setzte sich neben ihn, als wären sie Schulfreunde. Wenigstens wurde sie da von den Fußgängern schlechter bemerkt.
"In einer Folge 'Southpark' haben sie erzählt, dass Kinderschänder unsterblich werden, wenn sie mit Kindern vö... vögeln. Stimmt das?"
Jetzt musste der Mann doch lächeln. Zuckersüß war die Kleine. Doch ebenso gut konnte sie ihm noch großen Ärger bereiten.
"Das ist Unsinn", antwortete er und meinte es auch so. Es stimmte zwar, dass die Kinder ihn nicht mehr vergaßen, nicht mehr vergessen konnten, aber das war noch lange kein Grund zu sagen... Wenn er genauer darüber nachdachte, war er sich da nicht mehr so sicher. "Und eigentlich solltest du in deinem Alter noch kein 'Southpark' gucken. Das ist nichts für dich."
"Mein Bruder sagte, das sei in Ordnung", widersprach sie. "Und du bist auch ganz in Ordnung", fügte sie leiser hinzu. "Wie heißt du denn?"
Kinder interessieren sich sehr für Namen, und sie haben kein Problem, danach zu fragen. Die Namen waren die Personen für sie. Kinder brauchten Namen, damit die Person dahinter existierte. Kinder machten Wortspiele mit Namen und zogen sich gegenseitig mit Reimen darauf auf. Erwachsenen hingegen waren Namen mehr oder weniger unwichtig.
"Tom ist mein Name."
Namen sind nur Schall und Rauch. Dieser Satz konnte nur von einem Erwachsenen stammen. Das war das Schöne an Kindern. Für sie waren unwichtige Dinge noch wichtig.
"Tom." Die Kleine dachte über den Namen nach, prägte ihn sich ein. Bloß nicht vergessen, denn Namen sind Personen. Ist der Name vergessen, ist die Perso auch aus dem Sinn.
"Ich heiße Lisa", stellte sie sich vor. "Wollen wir Freunde sein, Tom?"
Er sah sich kurz um, ob jemand zu ihnen herübersah.
"Das solltest du mich nicht fragen."
Die Kleine sprang auf.
"Lass uns Freunde sein, Tom. Und ab heute komme ich dich jeden Tag besuchen, okay? Bis denne!"
Weg war sie und Tom seufzte. Das konnten noch ein paar 'tolle' Tage werden. Hoffentlich vergaß sie ihren Vorsatz. So wie es Kinder für gewöhnlich tun.

Am Abend, als Tom quälenden Hunger verspürte, erhob er sich nach Stunden von seinem Schlafplatz und suchte sich einen Laden. Auf dem Weg dahin wurde er angestarrt. Die Menschen machten einen Bogen um ihn, als hätte er etwas Ansteckendes. Einige blieben stehen, tuschelten oder zeigten mit dem Finger auf ihn. Er ignorierte sie. In einem Lebensmittelgeschäft drängelten sich einige Leute herum. Eine ältere Frau hatte ihre schweren Einkaufstaschen auf den Boden gestellt und begutachtete einige Waren.
"Entschuldigen Sie", sprach Tom sie möglichst freundlich an. "Aber haben Sie einen Euro für mich? Für etwas zu Essen?"
Die Frau sah ihn mit Abscheu an und trug wortlos ihre Taschen davon. Das Ganze hatte etwas von einer Flucht.
"Der will sich bestimmt ein Magazin kaufen", hörte Tom jemanden flüstern, und drehte sich zu zwei jungen Frauen um, die verstohlen herüberblickten. Tom war zu hungrig, um sich über diese Vermutung zu wundern. Schließlich waren in diesen Heften nur erwachsene Frauen zu sehen.
Gerade betrat ein Mann das Geschäft.
"Haben Sie einen Euro für mich?", versuchte Tom sein Glück. "Ich habe wirklich Hunger."
"Verschwinde, du Penner, oder ich rufe die Polizei!", brüllte der Mann, sodass sich alle Leute im Laden nach ihnen umdrehten. Gerade sah Tom, wie die Verkäuferin ihn musterte und dann einen Telefonhörer aufnahm.
"Schon gut. Bin ja schon weg", wehrte Tom hastig ab und verließ den Laden. Nebenbei fragte er sich, womit er eine solche Strafe verdient hatte.
Auf der Straße wurde es allmählich dunkel. Die Menschen wichen ihm nicht mehr aus, da sie ihn nicht mehr erkannten. Und trotzdem mochte er die Dunkelheit nicht, da sie eine weitere Nacht in der Bushaltestelle bedeutete. Eine kalte und unbequeme Nacht mit wenig Schlaf. Die Bank war hart und Tom hatte sich noch nicht an den Lärm der Autos gewöhnt.
"Tom, altes Haus, warte!"
Er drehte sich um und sah einen alten Bekannten auf sich zulaufen, den zu treffen Tom nicht freute.
"Hallo, Willie."
Der andere blieb stehen und kicherte, wie es seine Art war.
"Hallo Tom. Hat man dich endlich erwischt? Ich hätte mich nie so blöd angestellt."
Genau genommen war Willie von einer schlimmeren Sorte als Tom. Nur konnten Willies Opfer nicht mehr plaudern.
"Ich habe mich nicht erwischen lassen, aber eines der Kinder hat es seinen Eltern erzählt. Bist du nicht damals auch im Gerichtssaal gewesen? Dann weißt du doch, was passiert ist."
"Und es war köstlich, köstlich", beteuerte der andere kichernd. "Aber schade, dass du deine Spielchen nicht auf Band aufgenommen hast. Damit könntest du jetzt ein hübsches Sümmchen verdienen und müsstest nicht um Essen betteln."
"Wo wir schon dabei sind." Tom kam gleich auf das Thema zu sprechen. "Du hast nicht zufällig..."
Wieder kicherte Willie amüsiert.
"Selbstverständlich. Geh schon mal zu deiner Bushaltestelle. Ich komme zu dir, wenn ich fertig mit Einkaufen bin."
Sie verabschiedeten sich kurz und Tom ging seiner Wege. Schon vor Jahren hatte Willie Toms Geheimnis gekannt, und umgekehrt. Tom hatte seinen Bekannten eines nachts bei dessen Tun entdeckt, doch da sie keine Konkurrenten waren, hatte er geschwiegen. Irgendwann hatte auch Willie sein Geheimnis erfahren. Es war ganz nett, mit jemandem offen reden zu können, auch wenn sie sich meistens gegenseitig aufzogen.
Viel Zeit war nicht verstrichen, da kehrte Willie mit vollen Einkaufstaschen zurück und ließ sich kichernd neben Tom nieder. Schweigend begannen sie zu essen, wenn man von Willies gelegentlichen Hicksern absah.
"Du hast heute so gute Laune", stellte Tom fest. "Planst du etwa wieder was?"
"Du kennst mich ja", antwortete Willie geheimnisvoll. "Oder willst du mir erzählen, dass du auf deine alten Tage wieder prüde geworden bist?"
Tom sagte nichts dazu, sondern sah weg. Dabei musste er an das kleine Mädchen vom Nachmittag denken. Wenn sie tatsächlich wiederkam, dann sollte er es besser werden. Sonst hatte er mehr als nur ein Problem. Aber: konnte es denn noch schlimmer werden?
"Nebenbei: Hast du das von Bolto gehört? Er wurde auch vor einigen Tagen entlassen. Kurz nach dir."
Beinahe hätte Tom sich an seinem trockenen Brot verschluckt und musste mit etwas Wein von Willie nachspülen. "Ich hatte gedacht, er sitzt noch einige Jahre."
"Falsch gedacht." Willie lachte. "Ein paar seiner Kunden haben ein gutes Wort für ihn eingelegt. Habe ich gehört. Weil sie seine Videos so toll finden. Vielleicht hat er sich auch nur anständig benommen. Zur Abwechslung."
Bolto war der Schlimmste, schlimmer als Willie. Tom hatte ihn ihm Gefängnis kennen gelernt. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hatte Bolto mit seinen Taten geprahlt und Kontaktadressen weitergegeben, wo seine Videos zu haben waren. Dieser Typ war ein Psycho, vollkommen verrückt. So etwas wie er sollte nicht frei rumlaufen dürfen. Allerdings wurde von Tom dasselbe behauptet.
"Das reicht jetzt", bestimmte Willie und zog Tom die Brottüte weg. "Ich brauch noch etwas fürs Frühstück. Wenn du noch mehr Hunger hast, dann geh doch anschaffen."
Er kicherte über seinen Witz. "Machs gut, altes Haus. Wir sehen uns."
Als sein Bekannter in der Dunkelheit verschwunden war, legte Tom sich nieder. Bereit für eine weitere, unbequeme Nacht an der Bushaltestelle.

Am nächsten Vormittag stand das kleine Mädchen tatsächlich wieder vor Tom. Nach einer kurzen Begrüßung setzte sie sich neben ihn.
"Woher kennst du eigentlich 'Southpark'", fragte sie. "Guckst du das auch?"
Sie blickte interessiert zu ihm hinauf, als er nicht antwortete. Er wusste nicht recht, ob er die Frage beantworten sollte.
"Ich habe es die Kinder zur Belohnung gucken lassen", antwortete er mit gedämpfter Stimme. "In meiner Wohnung. Als wir fertig waren."
Die Wohnung besaß er nicht mehr. Sein Mietvertrag war gekündigt worden, als er im Gefängnis saß. Was eigentlich gut so war, denn er könnte die Wohnung jetzt sowieso nicht mehr bezahlen. Und er hätte sich unnötig verschuldet.
"Mit was fertig?", fragte das Mädchen. "Was hast du denn eigentlich mit ihnen gemacht?"
Tom seufzte. "Ach Lisa. Das sollte ich dir nicht sagen. Wenn deine Mama das erfährt, schimpft sie mit mir."
Lisa beugte sich zu ihm.
"Ach, bitte. Ich sag´s auch nicht weiter", flüsterte sie in sein Ohr, doch Tom schüttelte den Kopf. "Das ist keine gute Idee."
Doch das Mädchen gab noch nicht auf. "Och bitte, bitte, bitte, bitte..."
Das Wort wiederholte sie so lange, bis Tom lachend nachgab. Es fiel ihm immer schwer, einem Kind eine Bitte abzuschlagen. Nun musste er sich überlegen, wie er es ihr möglichst dezent erklärte.
"Zuerst habe ich Spiele mit ihnen gespielt."
"Was für Spiele?"
"Zum Beispiel war ich der Arzt und habe sie untersucht. Und dann... durften sie den Arzt spielen und mich untersuchen."
Plötzlich wurde Lisa heftig am Arm fortgerissen.
"Das reicht jetzt, Sie Perverser. Was fällt Ihnen ein, meiner Tochter von Ihren Verbrechen zu erzählen?", schimpfte die Frau.
"Aber Mama!", protestierte Lisa. "Er hat doch gar nichts gemacht!"
Sie wurde ignoriert.
Die Frau fuchtelte mit ihrem Zeigefinger vor Toms Gesicht herum, als wollte sie ihn erstechen.
"Halten Sie sich ja von meiner Tochter fern. Sonst mache ich Ihnen die Hölle heiß. Verrückte, wie Sie einer sind, sollte man einsperren und den Schlüssel wegwerfen."
Lisa rannen die Tränen übers Gesicht, als ihre zornige Mutter sie fortzog. Tom sah ihnen traurig hinterher, bis er Lisas Schreie nicht mehr hörte und er fragte sich, wer Kinder schlechter behandelte. Niemals hatte er ein Kind zum Weinen gebracht. Er hatte sich mit ihnen angefreundet und sie irgendwann zu sich nach Hause eingeladen. Sie bekamen ihr Lieblingsessen und durften fernsehen.
Ja, er hatte sie so gut behandelt, dass sie gerne, wiedergekommen sind. Die kleinen Spielchen zwischendurch waren ihr Geheimnis gewesen, etwas, das nur Erwachsene taten und die Eltern nicht wissen durften. Deswegen hatten die meisten Kinder geschwiegen. Und als Tom eines Tages vor Gericht stand, hatten sie ausgesagt, ohne zu verstehen, was schlimm daran gewesen war, und sie hatten geweint, als der Richter das Urteil verkündete. Doch das war mittlerweile viele Jahre her. Die Kinder waren erwachsen geworden und hatten es verstanden. Und sie hatten angefangen, ihn dafür zu hassen. Er fragte sich, ob es ihnen wohl gut ging.
"Hallo, Kumpel."
Tom wurde aus seinen Erinnerungen zurückgeholt und sah Willie vor sich. Er war bester Laune. Seine Kleidung war voller erdiger Flecken, die trocken aussahen. Vermutlich waren sie letzte Nacht noch feucht gewesen.
"Hallo", grüßte Tom zurück. "Wie ich sehe warst du erfolgreich."
Willie kicherte vergnügt. "War ganz frisch, das Grab, ganz weich, der Körper. Hatte meinen Spaß und hab das Loch wieder zugemacht. Sieht wieder aus wie gestern."
Willie hatte sich, objektiv gesehen, einen praktischeren Fetisch ausgewählt. Seine Opfer erzählten es nie jemandem, und solange niemand etwas ahnte, fand man keine Spuren.
"Bleib doch nächstes Mal gleich da", stichelte Tom. "Dann schläfst du nie wieder alleine."
Willie gluckste kurz und verengte die Augen. "Wenigstens bleibt mein Laken immer sauber. Bei dir war das sicher eine Sauerei."
Jetzt musste Tom lachen. "Ich habe gar kein Laken mehr. Ich habe nicht mal ein Bett."
Sein Bekannter machte ein beleidigtes Gesicht. "Das ist nicht witzig. Aber wenn du über deine tote Hose noch lachen kannst, bist du echt bemitleidenswert."
Er wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um. "Ach übrigens: Bolto treibt sich in der Gegend rum. Hab gehört, er plant ein dickes Ding, wenn du verstehst. Muss jetzt los, saubere Klamotten anziehen. Puh, wie ich stinke!" Er schnupperte theatralisch an seiner Jacke und verzog das Gesicht. Dann ging er davon.
Die Nachricht von Bolto, die er gebracht hatte, war alles andere als gut gewesen. Tom musste unwillkürlich an die kleine Lisa denken, doch nach dem Vorfall vorhin würde ihre Mutter besondern gut auf sie aufpassen. Es bestand sicher klein Grund zur Sorge. Und war Bolto wirklich so dumm, dass er kurz nach seiner Entlassung wieder eine Straftat begehen würde?

"Achtzehn Prinzen ..."
Tom sah ein großes Schloss, mit vielen weißen Statuen auf den Zinnen. Sie stellten allesamt Kinder dar, Jungen und Mädchen, hauptsächlich unbekleidet. Teilweise zeigten ihre Körper noch so etwas wie Babyspeck, der ihnen in Wulsten von Hüften und Schenkel fiel.
"Achtzehn Prinzen tanzen mit der Jungfrau-Braut."
Aus den weiten Gängen ertönten Kinderlieder aus hellen Kehlen, doch zu sehen war niemand.
"Pust, Wind, pust, Wind, pust so kräftig du kannst."
Es waren echte Kinderlieder. Nicht die Lieder, die von Erwachsenen für Kinder geschrieben wurden, sondern die, die in den kleinen Köpfen selbst entstanden. Kinder sangen sie beim Spielen vor sich hin oder auch vor ihren Eltern oder anderen Personen, die ihnen nahe standen, wenn sie wollten. Tom hatte auch ein paar gehört.
"Schmetterling, du kleines Ding. Such dir eine Tänzerin."
Hm, war das eigentlich ein echtes oder ein künstliches Kinderlied? Tom hatte es nicht von einem Kind, sondern irgendwo anders gehört.
Langsame Schritte.
Eine Mädchenstimme sang das Lied noch einmal. Das zugehörige Kind trat hinter einer Ecke hervor. Es trug ein weißes Nachthemd mit kleinen, blauen Punkten darauf. Zwischen langen Strähnen braunen Haares blickte es Tom finster an. Der sich vage erinnerte, wo er das Lied gehört hatte. Es war ein Zwischenspiel auf einer CD. Das Kinderlied und andere Geräusche beschworen Bilder im Geist herauf. Nach dem zweiten Mal singen hörte man einen Mann in Panik davonlaufen, das Lied verfolgte ihn, kam mal von links, mal von rechts. Die Mädchenstimme lachte hämisch, sang weiter, kam näher. Man stellte sich vor, wie das Kind plötzlich vor dem Mann auftauchte und ein Messer hinter dem Rücken hervorzog.
Doch Tom hätte lieber nicht daran denken sollen. Er sah das Gesicht des Mädchens zu einer hässlichen Fratze verzerrt und lief davon.

"Hey, wach auf, du Penner!" Jemand lachte.
Tom wälzte sich herum. Seine Rückenschmerzen taten das Übrige, um ihn aufzuwecken. Gequält richtete er sich auf und sah gerade noch eine Gruppe Halbstarker davongehen, die lachten und sich ab und zu zu ihm umdrehten. Es gab wohl nicht genügend pädophile Obdachlose in der Stadt, über die man sich lustig machen konnte.
"Ich bin ja schon wach!", rief Tom ihnen hinterher, worauf die Gruppe in erneutes Gelächter verfiel. Und wenn schon. Sie waren nicht die ersten. Aber vielleicht waren sie die letzten, wenn Tom nicht bald eine beständige Nahrungsquelle fand.
Mit Mühe stemmte er sich hoch und streckte sich. Wegen dem vielen regungslosen Sitzen fühlte er sich unbeweglich. Das war bestimmt nicht gut.
Gemächlich und mit Rückenschmerzen von der harten Bank machte Tom sich auf den Weg.
"Es war einmal ein Männlein, ein kleines Mä-hänn-lein", summte er in Anlehnung an seinen Traum vor sich hin. Leise, damit ihn niemand hörte. "Das heilte alle Tiere, heilte sie geschwind."
Erwachsene interessierten sich selten für die einfachen, echten Kinderlieder. Sie mochten nur ihre eigenen, die sie für Kinder geschrieben hatten und verdrängten die anderen aus ihrem Bewusstsein. Als wären sie ihnen peinlich.
Vor einem Schaufenster sah Tom einen kleinen Jungen stehen, der auf dem Zeigefinger lutschte. Der Mann wollte schnell weitergehen, doch da drehte sich der Junge zu ihm um und nahm den Finger aus dem Mund.
"Bist du der, der gerne nackte Kinder anguckt?", fragte er gerade heraus. Kinder hatten noch nicht gelernt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Tom hatte früher - als er noch einen Fernseher besaß - Gerichtssendungen gesehen, wo die Kinder auf diese Weise zur Aufklärung beitrugen. Manchmal aber war ihre Gesprächigkeit auch lästig.
"Stimmt genau. Also behalt lieber deine Klamotten an."
Der Junge wusste nicht, was er daraufhin antworten sollte. Diesen Moment nutzte Tom und machte sich aus dem Staub. Wenigstens hatte kein Passant sein Geständnis gehört und hielt ihn jetzt mit Beschimpfungen auf. Viele Leute waren noch noch nicht auf der Straße.
Einige Meter weiter drehte Tom sich noch einmal um und sah eine Frau den Laden verlassen, vor dessen Schaufenster der Junge stand. Sie trug eine Papiertüte in der einen und nahm den Jungen an der anderen Hand. Beide machten sich in der entgegengesetzten Richtung auf den Weg. Tom erwartete, dass sich der Junge noch einmal umdrehte und beschleunigte seine Schritte.
Sein Ziel lag einige Straßen weiter. Im Fernsehen hatten sie einmal in einer Reportage gezeigt, wie ein Bäcker abends übrige Ware vom Tag weggeworfen hatte, denn das alte Zeug konnte er nicht mehr verkaufen und er buk sowieso jeden Morgen neu.
Doch bei diesem Bäcker hatte Tom kein Glück. Von dem Geruch dessen, was er in den Containern fand, wurde ihm schlecht. So groß war sein Hunger nun auch wieder nicht. Aber in einer Woche konnte das schon anders aussehen.
Als er sich umdrehte sah Tom, wie einige Leute neugierig stehen geblieben waren, um zu sehen, was er da trieb. Die Gesichtsausdrücke zeigten ein Spektrum von Schadenfreude bis Empörung, jedoch nur einen Augenblick lang.
"Was guckt ihr so?", rief Tom zu ihnen herüber, worauf sie sich schnell verstreuten. Eine Antwort erhielt er nicht, dafür entdeckte er etwas anderes. Oder besser gesagt, jemand anderen. "Zwei Perverse finden wohl immer zueinander, wie?"
Willie grinste. Heute waren seine Sachen wieder sauber.
"Ich habe den Menschenauflauf gesehen und mir schon gedacht, dass du dich hier herumtreibst." Er kicherte. "Hast wohl gerade gefrühstückt?"
Tom zog die Augenbrauen hoch.
"Das Essen da drüben lebte bereits wieder und passt damit besser zu dir. Du bist ja solche Gesellschaft gewohnt."
Für einige Momente vergaß Willie zu kichern.
"Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dein Humor deutlich zu wünschen übrig lässt? Würd' mich nicht wundern, wenn sie dich deswegen und nicht wegen Kinderschändung eingebuchtet hätten."
"Jetzt hör mal zu!" Tom hob warnend den Zeigefinger. "Ich sage es dir zum letzten Mal: Ich bin kein Kinderschänder! Ich bin pädophil, man hat Videoaufnahmen bei mir gefunden und meine Fotogallery beschlagnahmt. Ich habe mich mit Kindern angefreundet und sie bei mir baden lassen, aber ich habe sie niemals angerührt!"
"Ist ja gut." Willie hatte seine Fassung wiedergewonnen und kicherte wieder. "Wenn es dich beruhigt: Du bist nicht der einzige Perverse in der Stadt."
Er setzte sich in Bewegung, was Tom als Aufforderung verstand, ihm zu folgen.
"Ach", sagte der Pädophile mit einem geringschätzigen Blick auf den anderen. Mindestens einen Perversen gab es noch.
Willie ignorierte die Äußerung.
In der Nähe des Lebensmittelladens, den Tom gestern unfreiwillig verlassen musste, hielten sie an.
"Siehst du die da?", fragte Willie und zeigte auf das Schaufenster. Dahinter konnte Tom die Verkäuferin sehen, die tags zuvor nach dem Hörer gegriffen hatte. Jetzt war sie gerade damit beschäftigt, auf ihrer Kasse herumzutippen und Wechselgeld herauszugeben.
"Die lässt sich gerne fesseln." Willie kicherte. "Hab sie neulich auf einem 'Ausflug' gesehen. Sie hatte vergessen, ihre Gardinen zu schließen. Und der da." Willie fuhr plötzlich herum und wies auf einen jungen Mann, der an der Straßenecke rauchte.
"Der kann nur beim Fernsehen. Das weiß ich, da die Wände seiner Wohnung so dünn sind."
Der Nekrophile grinste und hatte Mühe, sich wieder einzukriegen.
"Der kleine Junge dort drüben wird später ein Homo - nichts Besonderes. Auf seinen Bildern malt er seinen Vater ohne Genitalien."
Es fiel Tom schwer, dazu etwas zu sagen. Nicht zu fassen, was er da hörte.
"Und das machst du alles an solchen Kleinigkeiten fest? Bist du damit nicht etwas voreilig?", fragte er.
Willie wurde wieder ernster, behielt aber seinen Gesichtsausdruck bei.
Wenn er noch leicht grinste, war er ernst, nur wenn sich seine Mundwinkel nach unten bogen, war er sauer.
"Überhaupt nicht. Ich kenn' mich da aus. Vertrau mir..."
Was für ein Unsinn. Als hätte jemand wie Willie, der nekrophil war und ständig kicherte Ahnung davon.
Da stellte sich die Frage, was so einer beruflich machte. Mitarbeiter in einem Bestattungsunternehmen passte.
Willie fuhr fort.
"Siehst du das Paar da drüben? Der Junge ist frische zwanzig und steht auf Ältere. Seine Freundin geht auf die sechzig zu, bei ihr ist es umgekehrt. Wenn die beiden durch die Stadt gehen, hält man sie aber für Mutter und Sohn."
Oder er arbeitete in der Autopsie, überlegte Tom weiter und ihm wurde schlecht bei dem Gedanken. Widerlich! Oder er war lediglich Patient in einer offenen Anstalt und hatte oft Ausgang. Irgendwie klang dies alles zu klischeehaft, also war es wohl doch was ganz anderes.
"Der Mann da vorne hat für seine einsamen Stunden einen Esel zu Hause. Und die Frau auf der anderen Straßenseite ist koprophil."
Dieses Wort war Tom gänzlich unbekannt und er verzichtete darauf sich vorzustellen, was das Ekelhaftes sein könnte.
"Ist ja gut, Willie", unterbrach Tom. "Was willst du mir eigentlich damit sagen? Dass alle Menschen in Wahrheit pervers sind?"
Der andere grinste wieder und setzte zu einer Antwort an. Er kam nicht mehr dazu, da ein anderer Mann ihr Gespräch unterbrach.
"Hey, sind Sie der Kinderschänder, von dem die ganze Stadt spricht?"
Er war der erste, der das fragte, da wirklich jeder von der Sache wusste. Die Frage war rein rhetorischer Natur, und der Mann war zornig. Möglicherweise war er ein Familienvater und sah auf einmal sein Glück bedroht.
"Also eigentlich", antwortete Tom vorsichtig, "bin ich nur pädophil und kein ..."
Im nächsten Augenblick sah sich Tom am Kragen gepackt und mit dem Rücken gegen die nächste Hauswand gedrückt.
"Pass mal auf, du Perversling! Du lässt deine widerlichen Finger von meiner Tochter, klar?"
Ein Spuckeregen besprühte Toms Gesicht. Da er das gewohnt war, fiel es ihm leicht, sich nicht provozieren zu lassen.
"Belästige sie noch einmal und ich brech' dir alle Knochen!"
Der Mann ließ ihn los und ging, nicht ohne einen angewiderten Blick zurückzuwerfen. Bevor sich Tom wundern konnte, sah er den Vater auf eine Frau zugehen, mit der er sich entfernte. Diese war die Mutter von Lisa. Nun wurde dem Pädophilen einiges klar.
Willie, der sich taktvoll im Hintergrund gehalten hatte, kam nun wieder näher. Er lächelte nicht.
"Willst du wissen, was sein Fetisch ist? Ich habe keine Ahnung, also muss es etwas so Schlimmes sein, dass er es geheim hält."
Sein Grinsen kehrte zurück und seine Augen funkelten schelmisch. Tom wollte dazu nichts sagen, denn er hatte nur noch Hunger.

Die Verschwendung in einer Überflussgesellschaft war wirklich eine Schande. Zwar gab es noch Familien, die trotzdem ihre Reste verwerteten, doch die meisten warfen weg, was von den Mahlzeiten übrig blieb. Fleisch, Kartoffeln und Soße landeten in ländlichen Gebieten auf dem Komposthaufen oder in Städten in der Biotonne. Ein wenig konnte Tom verstehen, dass die Leute die zusammengematschte Pampe, die vom Essen übrig blieb, nicht verwendeten. Warum aber war es nötig, wenn man Äpfel schälte, gleich einen Zentimeter Fruchtfleich unter der Schale mitzuentfernen?
Schlecht für das ohnehin schon angeschlagene Weltbild von Tom, gut für seinen Magen. Jedoch hatte er von dem Vorfall hinter der Bäckerei gelernt und wartete geduldig an seiner Bushaltestelle, bis es dunkel wurde. Dann suchte er einen der braunen Container auf, die er auf seinen Stadtrundgängen schon entdeckt hatte.
Gierig schlang er ein Festmahl in sich hinein, und schalt sich dabei einen Narren, weil er nicht schon früher auf die Idee gekommen war. Nur Getränke warfen die Leute nicht weg. Wenn überhaupt, dann gossen sie sie in den Abfluss.
Nach dem Essen wollte Tom den Fluss aufsuchen, der durch die Stadt floss. Zwar war das Wasser oft so verschmutzt, dass man nach einer Handbreit den Grund nicht mehr sehen konnte, aber der durstige Pädophile wollte auch keine Fische beobachten.
Vielleicht würde er das Wasser nicht vertragen, doch das würde irgendwann vorbeigehen. Man konnte sich an alles gewöhnen.
Er machte sich auf den Weg. Es war schon dunkel, die Zeit, in der die wenigen Menschen auf den Straßen Tom nicht erkannten. Allerdings schlief und wachte er mit der Sonne, seitdem er keinen Wecker mehr besaß. Es konnte nicht besonders spät sein, doch ihm brannten schon die Augen vor Müdigkeit. Er wollte schnell machen, dass er zum Fluss kam und trank, damit er so bald wie möglich seine Bushaltestelle aufsuchen konnte.
Wer aber waren die fünf Gestalten, die Tom plötzlich durch den Schein einer Straßenlaterne gehen sah?
Er blieb stehen, als er eines der Gesichter wiedererkannte. Boltos war es und er drehte sich mit einem Grinsen um, um den anderen etwas zu erzählen, das Tom auf die Entfernung nicht verstehen konnte. Willie hatte erzählt, er plane ein 'dickes Ding', was immer das hieß. Bei Bolto auf jeden Fall nichts Gutes.
Da der Pädophile gerade seinen schwarzen Mantel trug und die fünf Männer ihn noch nicht gesehen hatten, folgte er ihnen unauffällig. Nebenbei versuchte er zu hören, was sie sagten, doch das meiste war zu undeutlich.
"Videos", glaubte er mehrfach herauszuhören, doch Tom war sich nicht sicher. Es könnte aber passen, denn den Gerüchten nach hatte Bolto viel Geld mit einer bestimmten Sorte Film verdient. Solche, die man im eigenen Haus oder im Garten drehen konnte und dann heimlich verkaufte. Da ging man dann in einen Tattooladen, fragte nach 'einem bestimmten Ersatzteil für die Fernbedienung' oder 'wo kann man hier mit Haifischzähnen handeln' und konnte sich ein solches Video besorgen.
Im Gefängnis hatte Bolto alle, die interessiert waren, informiert, doch außer ihm verstand kaum jemand, worum es überhaupt ging. Und wenn doch jemand glaubte etwas zu verstehen, dann konnte er nichts beweisen. Welcher Wärter glaubte schon, dass 'Stuhlbezugflicken' etwas Illegales wären?
So lief es eben ab: Wer offensichtlich etwas Schlimmes getan hatte - so wie Tom - wurde beschimpft und verstoßen, doch die wahren Verbrecher blieben unerkannt.
Ob er jetzt etwas aufdecken konnte?
Doch schon nach einigen Straßen verschwanden die Gestalten in einer Tür und Toms Hoffnungen zerstreuten sich. Es wäre auch zu schön gewesen. Kurzerhand machte er kehrt und schlug den Weg zum Fluss ein.

"Ah!"
Er wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen, als er einen Schlag ins Gesicht bekam. Sofort schrak er zusammen und hob schützend die Hände. Das geschah rein intuitiv.
Dann aber erkannte Tom die Gruppe Halbstarker und senkte die Arme wieder. Solche Leute waren nur in der Gruppe mutig, aber in Wahrheit nur Angsthasen.
Tom verfinsterte seinen Blick und schaute dem Typen tief in die Augen, als wollte er sagen: "Ich bin ein mieser Kinderschänder. So etwas wie dich verspeise ich zum Frühstück."
Es wirkte. Die vier blieben auf Abstand. In einem letzten, kläglichen Versuch schleuderte der eine Tom die Zeitung entgegen, bevor er - Desinteresse vortäuschend - vorschlug, zu verschwinden. Für alle Fälle hielt Tom den Blick aufreht, bis sie weit genug entfernt waren. Er verabscheute Gewalt, aber es gab zum Glück noch genügend andere Wege, seinen Willen durchzusetzen.
Dann warf er einen Blick auf die Zeitung und erschrak. Das konnte nicht sein!
Seine Augen flogen von einer Zeile zur anderen, als er den Artikel neben dem Bild las. Doch in Wahrheit änderte er nichts.
Enttäuscht von der Welt und allem knüllte Tom die Zeitung zusammen und warf sie in den nahen Papierkorb. Nun ergab der Angriff eben noch mehr Sinn als alle anderen zuvor. Niemals hatte Tom ein Kind verschleppt, doch das kümmerte niemanden. Als stadtbekannter Kinderschänder bekam er automatisch für alles die Schuld und ständig wurden ihm irgendwelche Greueltaten nachgesagt. Wenn er nach Geld fragte, meinten die Leute, er wolle ins Bordell. Wenn er grüßte, plante er eine unsittliche Annäherung. Selbst wenn er einfach nur verträumt irgendwo hinblickte, dann - so hieß es - hing er versauten Gedanken nach. Nun war ein Kind verschwunden und automatisch war es der böse Pädophile gewesen. Das Leben war einfach nur ungerecht.
Doch schon im nächsten Moment holte Tom die Zeitung wieder, strich sie wieder etwas glatt und verließ die Bushaltestelle.

Fordernd klopfte er an die Tür, die so gewöhnlich aussah, dass es fast schon auffiel. Sie war eine rechteckige Holztür mit zwei kleineren, rechteckigen Erhebungen darauf. So ähnlich sahen viele Türen aus. Selbst an den Farben von Holz und Schloss war nichts Besonderes.
Ein Mann öffnete einen Spaltbreit, gerade genug, um nach draußen zu schauen.
"Was gibt's?", fragte er scheinbar desinteressiert, musterte aber Tom von oben bis unten.
"Ich muss mit Bolto reden", antwortete dieser.
"Ist nicht da!" Der Mann wollte die Tür wieder zuschlagen, doch der Pädophile hatte schon seinen Fuß im Spalt und verschaffte sich selbst Zutritt.
"Ich muss mit ihm reden", erklärte er wieder und hielt dem anderen die Zeitung vor die Nase. Der andere Mann gab seinen Widerstand auf.
"Ist ja gut. Hier entlang."
Tom hatte nun Gelegenheit, den anderen genauer zu betrachten, der auch so merkwürdig normal aussah. Ein Stein auf dem Acker könnte nicht weniger auffällig sein. Jeans und Turnschuhe wurden von vielen Leuten getragen, doch vielleicht war das nur ein Klischee, das sich bildete, weil eigentlich niemand auf so was achtete. Jedenfalls tat Tom das nicht.
"Durch die Tür da", wies der andere Mann und ließ Tom alleine eintreten. Dort saß Bolto in einem schwarzen Drehstuhl und sah durch einen Spalt zwischen den Gardinen aus dem Fenster, man erkannte ihn aber erst, als er sich herumdrehte. Wie das Klischee eines Bandenbosses. Dies war das Haus der Klischees.
Mit einem scheinheiligen Lächeln erhob er sich und stützte sich dabei auf den Schreibtisch auf und lehnte sich nach vorne.
"Tom, mein alter Freund. Hast du dich endlich entschlossen, für mich zu arbeiten?"
Der Angesprochene knallte nur wortlos die Zeitung auf den Tisch. Bolto warf einen kurzen Blick darauf.
"Darf ich das als 'nein' auffassen?"
Der Typ hatte seine Angewohnheit, bestimmte Dinge nicht auszusprechen oder durch unverbindliche Formulierungen zu ersetzen, nicht abgelegt. Nie wusste Tom, ob er alle Zweideutigkeiten bei Bolto ausmachen konnte oder nicht. Er durfte sich nicht beirren lassen.
"Du hast Lisa entführt. Lass sie wieder frei."
Dies versuchte er, so neutral wie möglich klingen zu lassen. Weder sollte es wie eine Bitte, noch wie ein Befehl klingen, auch sollte man nicht hören können, dass das Mädchen ihm etwas bedeutete.
Bolto lachte leise.
"Ich habe sie nicht entführt."
Er betonte jedes Wort für sich, sodass man eine tiefere Bedeutung nicht heraushören konnte. Bei 'ich' hätten es seine Männer gewesen sein können, bei 'sie' wäre es eine andere gewesen und bei 'entführt' hätte es bedeutet, dass sie schon tot war. So aber konnte es alles mögliche heißen.
"Hey!", rief Bolto laut zur Tür. "Schafft mir den Kinderschänder hier heraus!"
"Nein, warte!"
Tom wollte noch nicht aufgeben, auch nicht, als zwei weitere Klischees eintraten und ihn an den Schultern packten.
"Lass sie frei, bite, Bolto. Ich werde auch für dich arbeiten, ich werde..."
"Raus!", brüllte Bolto und schnitt ihm damit das Wort ab. Tom wurde hinausbefördert.
Vorher hörte er Bolto noch rufen: "Freundschaftsangebote lehnt man nicht ab!"

Seit dem Ereignis hatte Tom die Hoffnung aufgegeben, Lisa jemals lebend wiederzusehen. Was die Gesellschaft betraf hatte sich in Tom eine Gleichgültigkeit breitgemacht. Er war auch so nicht gerne gesehen, und sollten die Angriffe jetzt wieder zunehmen, dann würde es irgendwann auch ruhiger werden. So war das. 'Über die Sache wuchs Gras drüber', sagten Erwachsene dazu.
Es war Nacht. Gerade hatte Tom seine Tagesration eingenommen und war auf dem Weg zum Fluss, um zu trinken. Ein wenig war es merkwürdig, aber seitdem er nur nachts essen ging, hatte er sich allmählich an eine Mahlzeit pro Tag gewöhnt. Automatisch hatte er keinen Hunger, solange es hell war.
Als er neben einer Brücke zum staubigen Ufer hinabstieg, wunderte er sich, da er nahe dem Wasser etwas Helles liegen sah.
Plötzlich stürzte er darauf zu, als er Lisa erkannte. Sie war bewustlos, bewusstlos und nackt.
Schnell zog er seinen Mantel aus und wickelte sie darin ein. Damit sie nicht erfror, und damit er sie nicht so sehen musste. Aber er war nicht schnell genug gewesen, sodass er die dunkleren Flecken auf ihren Oberschenkeln gesehen hatte. Flecken, die er nicht sehen wollte.
Sanft rüttelte er das Mädchen und versuchte, es zu wecken.
"Lisa. Lisa, hörst du mich? Wer hat dir das angetan?"
Ihre Augenlider flatterten, als sie wieder ein wenig Bewusstsein erlangte.
"Weiß nicht."
Natürlich, der oder die Täter hatten sich nicht gezeigt. Schade.
"Ich bringe dich nach Hause", versprach er und hob sie hoch. Vielleicht konnte sie ihm sagen, wo sie wohnte, sobald es ihr ein wenig besser ging.
"Mein Papa", flüsterte das kleine Bündel auf einmal und Tom erschrak.
Willie meinte, er würde den Fetisch des Vaters nicht kennen, weil es so schrecklich war, dass er es geheim halten müsste. Konnte dies die Lösung sein?
"Keine Sorge. Ich kümmere mich darum", versuchte er sie zu beruhigen, doch sie hatte schon wieder die Augen geschlossen.
Man würde ihr nicht glauben. Ihm schon eher, auch wenn das nicht viel wahrscheinlicher war.
Er setzte sich in Bewegung. Solange es dunkel war, machte es nichts, wenn er Lisa durch die Straßen trug. Doch sobald es hell wurde, wurde es kritisch. Eile war geboten.
Zuerst ging er zurück zu seiner Bushaltestelle und folgte dem Weg, durch den er einst Lisa und ihre Mutter hatte verschwinden sehen. Dort musste er Lisa wieder wecken und sie fragen, wo sie wohnte. Leider war sie noch so benommen, dass sie ihm ständig die falsche Richtung wies und er öfters die gleiche Strecke wieder zurückkehren musste. Es dämmerte bereits und Tom bekam es mit der Angst zu tun, da er ihr Haus immer noch nicht gefunden hatte.
Doch als bereist die ersten Leute auf den Straßen unterwegs waren, meldete Lisa, dass sie angekommen waren.
Tom klingelte an der Tür des Einfamilienhauses und hoffte, dass nicht der Vater des Mädchens öffnen würde. Glücklicherweise war es die Mutter.
"Lisa!", rief sie aus, entriss ihm das Bündel und drückte es an sich.
"Du sollst doch nicht weglaufen."
Weggelaufen? Hatte das ihr Vater behauptet? Das musste Tom klarstellen.
"Wissen Sie, ich habe Grund zur Annahme, dass Ihr Mann sie missbraucht hat..."
"Was erlauben Sie sich, Sie Perverser!" Die Frau war kurz davor, aus der Haut zu fahren. "Was wissen Sie denn davon? Sie haben ja nicht mal Kinder."
"Aber..." Oh, hätte er nur die Klappe gehalten! Nun war es zu spät. "Sie hat es mir gesagt."
Hoffentlich hatte er das auch richtig verstanden.
"Dann lügt sie!", behauptete die Mutter.
Einen letzten Versuch wagte Tom noch.
"Lisa hat blaue Flecken auf den Oberschenkeln."
Die aufgerissenen Augen der Frau loderten und sie bleckte die Zähne wie ein knurrender Hund.
"Sie ist vom Klettergerüst gefallen, Sie widerlicher Drecksack!"
Mit einem Knall flog die Tür zu.
"Mein Mantel", rief Tom halbherzig, worauf sich die Tür wieder öffnete und er seinen fleckigen Mantel mit Wucht ins Gesicht geschleudert bekam. Seufzend zog er sich ihn wieder an. Als er sich umdrehte, stand dort Willie, der mitleidig den Kopf schüttelte.
"Das hätte ich an deiner Stelle nicht getan", meinte er. Tom erwiderte nichts darauf, denn ihm brannte eine Frauge auf der Seele.
"Willie? Was wird aus Lisa, wenn sie groß ist?"
Der Nekrophile lächelte, ohne wieder in Gekicher zu verfallen und antwortete: "Eine Perverse."


(geschrieben: 25.5.2007 - 26.5.2007
neues Ende: 4.9.2007 - 22.9.2007)

 

Hi Jellyfish,

ich sage es mal uncharmant und hart: So ein Scheiß entsteht, wenn man von einem Thema absolut keine Ahnung hat und sich darüberhinaus auch noch weigert, zu recherchieren. An dieser Geschichte stimmt nichts.
Klar, sie ist spannend und stilistisch ordentlich geschrieben, aber sie lässt geflissentlich die Realität außer Acht.
Das Klischee des reuigen Kinderschänders, der nun wegen der bösen vorurteilsgeladenen Gesellschaft obdachlos ist und bespuckt wird, ist zwar ärgerlich, aber durchaus noch möglich. Das Mädchen, das trotzdem (oder gerade wegen der Spannung) Vertrauen zu ihm fässt, sicher denkbar.
Aber da Päderasten in Gefängnissen in der untersten Hierarchiestufe stehen, wäre deinem Prot dort wesentlich mehr passiert, als lediglich bespuckt zu werden. Erst recht, wenn jemand sich, wie Bolto, auch noch mit einer solchen Tat brüstet.
Wenn jemand keinen festen Wohnsitz hat, wird keine Kaution für ihn gestellt werden, auch wird er nicht ohne sein eigenes Einverständnis als V-Mann mit Mikro ausgestattet (wenn ich diese merkwürdige Kaution denn richtig verstanden habe). Beides lässt unser Rechtssystem nicht zu.
Warum Boltos mit geweiteten Augen zusah, während Tom doch nur tat, was er von ihm erwartete, hat sich mir leider auch nicht erschlossen.
Ob man immer noch ungern gesehen wird, ist sicherlich keine Frage, die man sich stellen muss, es sei denn, man möchte ungern gesehen werden.
Noch ein paar sprachliche Dinge:

Tom hatte seinen Bekannten eines nachts bei seinem Tun entdeckt
bei dessen Tun
ob er in Zukunft lieber ein Essen in Mülltonnen suchen
sein Essen?
Das Mädchen war so niedlich, wie sie hilflos dalag.
wenn, "so hilflos, wie sie da lag"
An der Eingangstür knackte etwas, das Tom nur nebenbei bemerkte und nicht drauf achtete.
und nicht beachtete. (oder: weil er nicht drauf achtete)
und sah mit geweiteten Augen, dass er drauf und dran war, sein Angebot anzunehmen
dass der drauf und dran
Seine Augen wanderten über die makellose, weiche Haut des kleinen Mädchens
die Blicke, nicht die Augen.

Bitte recherchiere noch einmal und schreib die Geschichte dann neu.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Jellyfish!

An diesem Beispiel kann man sehen, dass handwerkliches Können des Autors nicht alles ist, was eine gute Geschichte ausmacht.
Du hast die Handlung geschickt aufgebaut: Zuerst dachte ich, Willie wäre ein Serienkiller und wollte schon eine negative Notiz in Sachen Glaubwürdigkeit machen, während etwas in mir sich gleichzeitig entsetzt zusammenzog, als ich mir den Dialog zwischen dem quietschvergnügten Perversen und dem Widerwillen verspürenden, aber hungrigen Helden vorstellte. Aber dann war er doch nur ein Nekrophiler, was zwar eine eklige Vorstellung, aber kaum eine Verletzung elementarer Menschenrechte ist.
Auch wie man zu deinem Prot stehen soll, weiß man zu Anfang nicht. Eigentlich will man Mitleid haben, aber der erste Dialog mit dem Mädchen lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen. So hältst du nicht nur die Handlung in der Schwebe, sondern auch die Sympathie des Lesers.

So weit der Teil, der mir gefallen hat. Aber irgendwann hast du dann beschlossen, das Ganze in eine Krimihandlung abgleiten zu lassen, und das auch noch - siehe sim - ohne genaues Hintergrundwissen. Dass ein Kinderschänder im Gefängnis nichts zu befürchten hat, stimmt ja so nicht. Drinnen wird er von den Mithäftlingen wahrscheinlich noch viel mehr drangsaliert als draußen von den "Normalbürgern".
Und dann das mit den zwielichtigen Typen, die die Kaution bezahlen und die Deus-Ex-Machina-Lösung mit dem Mikrofon, das die Polizisten zu den Bösen führt - das hat die ganze Thematik nicht verdient, dass du einen billigen Illustriertenkrimi daraus machst, den wohl nur ein sehr naiver Leser schlucken wird. ;)

Deshalb kann ich dir nur raten, zumindest die zweite Hälfte gründlich umzuschreiben. Du darfst dabei nicht vergessen, dass du ja eigentlich keinen Krimi darin sehen willst - sonst hättest du es in die entsprechende Rubrik verschoben - und darum solltest du dich auch stärker auf das Problem der Rehabilitation konzentrieren. Oder es bei einer Krimi-Version belassen und verschieben. Umschreiben musst du's so oder so, denn der anspruchsvolle Leser wird die Dinge, so wie sie da stehen, nicht stehen lassen. ;)

Die Lösung dieses Problems ist alles andere als einfach. Denkbar ist vielleicht, dass dein Prot Opfer einer Verleumdungskampagne wird und der wahre Mädchenmörder weiter frei herumlaufen kann. Dabei stolpert die Gesellschaft über ihre Voreingenommenheit: Der Held weiß, dass ein biederer, anständiger Familienvater für den Mord verantwortlich sein muss, aber natürlich glaubt ihm keiner. Dann würde auch so etwas wie eine Moral darinstecken, und es wäre dann eine wahrhaft würdige "Gesellschaft"-Geschichte.

Korrigiere erst mal die von sim angestrichenen Stellen, dann liefere ich eine Korrekturliste für die ersten beiden Abschnitte. Den dritten musst du auf jeden Fall völlig neu schreiben, davor kann man das Meiste so lassen.

Ciao, Megabjörnie

 

ohohoho...
Na ja, eigentlich habe ich schlimmere Kritik erwartet.

Erstmal Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt.


@Sim

Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich mich zum Thema "Pädophilie" doch informiert habe. Sozusagen für die ersten Absätze. Danach nicht, da gebe ich dir vollkommen Recht.

Die aufgerissenen Augen sollten den Blick eines Wahnsinnigen darstellten und gierig wirken.


@Megabjörnie

Der erste Teil hat dir gefallen und ist auch gut geschrieben. Na wenigstens etwas. Danke.
Und Danke auch für die Vorschläge. Ich werde darüber nachdenken.


Ich werde die Geschichte beizeiten überarbeiten, kann aber noch eine Weile dauern.

Grüße von Jellyfish

 

So, habe die zweite Hälfte komplett neu geschrieben und wüsste gerne eure Meinungen dazu, bevor ich mich selbst äußere.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jelly-

den Stil finde ich gut

Gruß,Elric

 

In meinen Augen gibt es für nachweisbare (!) Kinderschänder nur eines:

Eine Kugel zwischen die Augen.

Das ist genau die Einstellung von den meisten Leuten in meiner Geschichte, was auch den Protagonisten daran hindert, resozialisiert zu werden. Er weiß, dass er ein Problem hat und ist auch bemüht, sich zu verbessern, doch die Gesellschaft lässt ihm keine Chance dazu.
Außerdem resultieren (laut Wikipedia) viele Paraphilien aus einer Störung während einer frühkindlichen Entwicklungsphase. Wenn man annimmt, dass bei Tom etwas Ähnliches vorgefallen ist, für das er selber nichts kann, ist diese Einstellung nicht besonders gerechtfertigt.

Tu mir einen Gefallen und betrachte die Situation auch aus anderen Blickwinkeln, bevor du vorschnell urteilst. (Aber nichts für ungut: Danke fürs Lesen.)

Grüße von Jellyfish

 
Zuletzt bearbeitet:

Beitrag von mir gelöscht.

 

Hallo Jellyfish,

das Ende ist jetzt deutlich glaubwürdiger. Trotzdem habe ich noch meine Schwierigkeiten mit der Geschichte, die ich am besten in ein paar Fragen kleide.

Wie nützt es, deiner Meinung nach, der Geschichte, sie in der dritten Person aber aus Toms Perspektive zu erzählen? Welchen Effekt erhoffst du dir davon?

Hat deiner Meinung nach in Tom eine Veränderung stattgefunden, während er im Gefängnis saß? Und wenn ja, hat er die Geschehnisse aufgearbeitet?
Welchen Effekt könnte es für deine Geschichte haben, wenn er den Grund für seinen Gefängnisaufenthalt nicht aufgearbeitet hat?
Warum ist es wichtig für Tom, obdachlos in einer Gegend zu bleiben, in der ihn und seine Geschichte jeder kennt, er aber keine alten Freunde hat (Willy mag er ja nicht besonders)

Lieben Gruß, sim

die Diskussion, die Elric gern führen würde, gibt es schon im Kaffeekranz, leider habe ich den Link nicht gefunden.

 

Allgemeines Hallo.
Im Thread, zu dem Häferl freundlicherweise einen Link gepostet hat, wurde schon ausreichend diskutiert, deswegen versuche ich in meinen Ausführungen in der Nähe der Geschichte zu bleiben.

@Elric

Wie soll man eine solche Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten?
Eben zum Beispiel indem du eie Geschichte wie diese liest und versuchst - wenigstens versuchst - den Täter zu verstehen. Wenn du für die Todesstrafe plädierst habe ich den Eindruck, dass du die Sache an sich verurteilst, ohne dich genauer damit zu befassen.
Ist so eine Situation schon nicht genug?
Ich habe die Frage erst nicht verstanden, doch nun bestätigt sie meinen Eindruck, dass du die Thematik vollkommen ablehnst.
Muß man sowas auch noch von verschiedenen Seiten ansehen?
Um so ein Urteil zu fällen, wahrscheinlich nicht. Für mich war es halt nötig, mich da reinzudenken, um diese Geschichte schreiben zu können. Aber okay. Wenn du dich mit dem Thema nicht anfreunden willst, soll mir das recht sein.

Und zum Thema "Frühkindliche Störung".
Damit wird mittlerweile so ziemlich jede Gewalttat entschuldigt.
Ich kanns nicht mehr hören....
Jeder, der eine schlechte Kindheit hatte, wird nach deiner Theorie
(oder nach Wiki), sofort ein Sexualstraftäter...?
Ich entschuldige damit gar nichts, sondern habe nur einen Denkanstoß gegeben. Es ist doch offensichtlich, dass mein Protagonist ein Problem hat. Das sollte vielleicht die Frage aufwerfen, wieso.
Und überhaupt denke ich nicht, dass jeder Mensch mit einer schweren Kindheit zum Täter wird. Erstmal: Was verstehst du unter 'schlechte Kindheit'? Es gab Zeiten, da war es normal, Kinder mit Prügel zu erziehen, ich aber spreche von einer Störung während der Frühkindlichen Entwicklung, z.B. auch durch Missbrauch. Und nicht jeder Gestörte muss zwangsläufig zum Täter werden, es hängt auch vom Zeitpunkt der Störung ab, außerdem ist es sicher möglich, dass manche dieser Menschen sich unter Kontrolle haben.
Leider muss ich aber anmerken, dass ich auf dem Gebiet keine Expertin bin.

Ich schaue bei Gelegenheit mal, was Google dazu sagt.

@sim

Wie nützt es, deiner Meinung nach, der Geschichte, sie in der dritten Person aber aus Toms Perspektive zu erzählen? Welchen Effekt erhoffst du dir davon?
Die Wahl des Erzählers hat folgende Gründe: Bevor ich genau wusste, wie die Story ausgehen sollte, wusste ich auch noch nicht, wie 'weit' ich mit der Darstellung überhaupt gehen wollte. Weder wollte ich, dass der Leser einen Missbrauch aus den Augen des Täters miterleben und sich damit identifizieren muss, noch wollte ich als Autor mit so einem Charakter identifiziert werden.
Außerdem ist es bei Ich-Erzählern oft so (mMn), dass sie oft keine Namen brauchen oder selbiger erst spät genannt wird, und meinen Prot. erst nach zehn Minuten zu benennen, wenn er Willie begegnet, fand ich nicht angebracht. Und mit einem Er-Erzähler hat man als Autor noch die Möglichkeit, dem Leser Dinge zu zeigen, die der Prot nicht sieht, die z.B. hinter seinem Rücken ablaufen. Diese Möglichkeit habe ich nicht genutzt, wollte sie mir aber offen lassen.

Hat deiner Meinung nach in Tom eine Veränderung stattgefunden, während er im Gefängnis saß? Und wenn ja, hat er die Geschehnisse aufgearbeitet?
Wie gesagt, ich bin keine Expertin, und die Sache mit dem Gefängnis ist auch eher Vorgeschichte, habe nicht genauer darüber nachgedacht. Ich selbst, denke nicht, dass es viel geändert hat. Er hat halt zu spüren bekommen, dass die Gesellschaft so etwas nicht toleriert, und sein Treffen dort mit Bolto ist auch nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Immerhin meint Tom selbst, dass er ungerecht behandelt wird, andere, schlimmere Verbrecher aber besser wegkommen, was sein Vertrauen in das Rechtssystem, bzw. die Aufklärungsarbeit der Polizei erschüttert.

Welchen Effekt könnte es für deine Geschichte haben, wenn er den Grund für seinen Gefängnisaufenthalt nicht aufgearbeitet hat?
Ich halte das für unrelevant, da es ihm schon bei der Verurteilung leid tat und er nun nicht mehr in die Gesellschaft integriert ist.

Warum ist es wichtig für Tom, obdachlos in einer Gegend zu bleiben, in der ihn und seine Geschichte jeder kennt, er aber keine alten Freunde hat (Willy mag er ja nicht besonders)
Du könntest auch andersherum fragen: Wo soll er denn sonst hin? Es ist ja die Gegend, in der er früher gewohnt hat, möglicherweise hält ihn Heimweh dort, und seine einzigen Freunde waren die Kinder. Wenn seine Geschichte weit genug bekannt geworden ist, wird er woanders auch nicht akzeptiert.


Grüße von Jellyfish

Interessanterweise habt ihr euch mit euren Ausführungen bis jetzt nur auf Tom bezogen, von dem keine große Gefahr mehr ausgeht. Ihr solltet auch Bolto nicht vergessen, der illegale Videos dreht, oder Lisas Vater, der - je nach Auslegung des Endes - selbst verdächtigt werden könnte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jellyfish!

Nachdem ich Deine Geschichte neulich nur überflogen habe, hab ich sie jetzt doch noch komplett gelesen. Leider muß ich Dir sagen, daß sie auch mir nicht gefällt.

Das beginnt schon mal bei der unglaubwürdigen Situation von Tom. Es wird wohl kaum eine Stadt in Mitteleuropa geben, in der jemand einfach so aus dem Gefängnis hinaus auf die Straße gesetzt wird. Da gibt es Sozialarbeiter, die bei der Resozialisierung helfen, da diese ja im öffentlichen Interesse ist (weniger Kriminelle – weniger Straftaten – weniger Angst in der Bevölkerung). Außerdem haben wohl auch Haftentlassene Anspruch auf Sozialhilfe, abgesehen von diversen Unterstützungen, die sie sich von Hilfsorganisationen holen können. Es gibt sicher Städte, in denen das besser ist, andere, in denen das schlechter ist, aber irgendeine Unterstützung wird es überall geben, da ja niemand will, daß sie wieder straffällig werden (zumindest zum Stehlen wären sie gezwungen, würde man sie tatsächlich so wie in Deiner Geschichte behandeln).

Zwar war das Wasser oft so verschmutzt, dass man nach einer Handbreit den Grund nicht mehr sehen konnte, aber der durstige Pädophile wollte auch keine Fische beobachten.
Es gibt ja nirgends öffentlich zugängliche Wasserleitungen (öffentliche Toiletten, Trinkbrunnen, …).
Sollte ich mich aber täuschen und es gibt tatsächlich so eine arme Stadt, die weder öffentliche Wasserleitungen hat, noch sich Resozialisierungsmaßnahmen leisten kann, dann solltest Du sie beim Namen nennen, denn das wäre wahrlich wert, aufgezeigt zu werden. Dann solltest Du aber Tom statt mit Willy mit diversen Behörden sprechen lassen, wo er um Hilfe ansucht und sie nicht findet, damit das dann auch klar rüberkommt.

Auch ist es unglaubwürdig, daß ihn in einer Stadt jeder, von den Kindern an, kennt. In einem kleinen Dorf lasse ich mir das einreden. Vielleicht war sein Bild einmal in der Zeitung, aber davon merkt sich das doch nicht jeder.

"In einer Folge 'Southpark' haben sie erzählt, dass Kinderschänder unsterblich werden, wenn sie mit Kindern vö... vögeln. Stimmt das?"
Jetzt musste der Mann doch lächeln. Zuckersüß war die Kleine. Doch ebenso gut konnte sie ihm noch großen Ärger bereiten.
"Das ist Unsinn", antwortete er. "Und eigentlich solltest du in deinem Alter noch kein 'Southpark' gucken. Das ist nichts für dich."
Tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber »dass Kinderschänder unsterblich werden, wenn sie mit Kindern vö… vögeln« ist das Tiefsinnigste an der ganzen Geschichte. Daß Tom das als Unsinn abtut, finde ich schade, denn hier hätte ich mir wirklich eine Auseinandersetzung mit dem Satz gewünscht.
Natürlich werden sie unsterblich, nämlich in dem Sinn, daß die Kinder sie nie vergessen werden können.

Lisa rannen die Tränen übers Gesicht, als ihre zornige Mutter sie fortzog. Tom sah ihnen traurig hinterher, bis er Lisas Schreie nicht mehr hörte und er fragte sich, wer Kinder schlechter behandelte. Niemals hatte er ein Kind zum Weinen gebracht. Er hatte sich mit ihnen angefreundet und sie irgendwann zu sich nach Hause eingeladen. Sie bekamen ihr Lieblingsessen und durften fernsehen.
Ja, er hatte sie so gut behandelt, dass sie gerne, wiedergekommen sind.
"Es war einmal ein Männlein, ein kleines Mä-hänn-lein", summte er in Anlehnung an seinen Traum vor sich hin. Leise, damit ihn niemand hörte. "Das heilte alle Tiere, heilte sie geschwind."
Erwachsene interessierten sich selten für die einfachen, echten Kinderlieder. Sie mochten nur ihre eigenen, die sie für Kinder geschrieben hatten und verdrängten die anderen aus ihrem Bewusstsein. Als wären sie ihnen peinlich.
Die böse Mutter, die bösen, desinteressierten Erwachsenen ganz allgemein – aber der gute gute Tom, der eigentlich immer nur lieb zu ihnen war und Verständnis für sie hatte. Als Ich-Erzählung wäre es okay, aber als Erzähler in dritter Person?!

Die Kinder waren erwachsen geworden und hatten es verstanden. Ob es ihnen wohl gut ging?
»hatten es verstanden«? :eek: Meinst Du wirklich, daß allein Verstehen darüber hinweghilft?
So, jetzt hab ich es verstanden, jetzt fühl ich mich gleich nicht mehr benutzt, wenn ich mit meinem/ Freund/in ins Bett gehe. Alle meine Probleme sind wie weggeblasen!

An seiner Kleidung klebten Erdbrocken, die größtenteils schon wieder abgefallen waren.
Wenn sie an seiner Kleidung kleben, können sie nicht zugleich abgefallen sein.

Man stellte sich vor, wie das Kind plötzlich vor dem Mann auftauchte und ein Messer hinter dem Rücken hervorzog.
Wer ist »man«?

Es war nicht gut, tagelang an der Bushaltestelle herumzusitzen, weil dadurch die Muskeln verkümmerten und die Gelenke rosteten und sich schwerer bewegen ließen. Allerdings nahm dann auch der Hunger ab, denn wer keine Energie verbrauchte, brauchte auch nicht so viel Nahrung.
Solche Stellen (auch z. B. das mit der Biotonne und den Menschen am Nil) lesen sich wie Luftblasen, um scheinbare Tiefe zu erzeugen, die aber keine tatsächliche Tiefe ist.

"Ich sage es dir zum letzten Mal: Ich bin kein Kinderschänder! Ich bin pädophil, man hat Videoaufnahmen bei mir gefunden und meine Fotogallery beschlagnahmt. Ich habe mich mit Kindern angefreundet und sie bei mir baden lassen, aber ich habe sie niemals angerührt!"
Dem Mädchen erzählte er vorhin aber von Doktorspielen ... :susp:

"Der kleine Junge dort drüben wird später ein Homo - nichts Besonderes. Auf seinen Bildern malt er seinen Vater ohne Genitalien."
Sowas ist wirklich an langen Haaren herbeigezogen.
Aber der ganze Absatz … Du bagatellisierst hier Pädophile auf eine Stufe mit Menschen, die mit ihren sexuellen Vorlieben niemandem schaden.

Willie hatte erzählt, er plane ein 'dickes Ding', was immer das hieß. Bei Bolto auf jeden Fall nichts Gutes.
Da der Pädophile gerade seinen schwarzen Mantel trug und die fünf Männer ihn noch nicht gesehen hatten, folgte er ihnen unauffällig. Nebenbei versuchte er zu hören, was sie sagten, doch das meiste war zu undeutlich.
"Videos", glaubte er mehrfach herauszuhören, doch Tom war sich nicht sicher. Es könnte aber passen, denn den Gerüchten nach hatte Bolto viel Geld mit einer bestimmten Sorte Film verdient. Solche, die man im eigenen Haus oder im Garten drehen konnte und dann heimlich verkaufte. Da ging man dann in einen Tattooladen, fragte nach 'einem bestimmten Ersatzteil für die Fernbedienung' oder 'wo kann man hier mit Haifischzähnen handeln' und konnte sich ein solches Video besorgen.
Was Du uns hier erzählst, wissen wir doch bereits seit:
Ein paar seiner Kunden haben ein gutes Wort für ihn eingelegt. Habe ich gehört. Weil sie seine Videos so toll finden.

Wer offensichtlich etwas Schlimmes getan hatte - so wie Tom - wurde beschimpft und verstoßen, doch die wahren Verbrecher blieben unerkannt.
Tom hat also nichts Schlimmes getan?

Leider war er nicht schnell genug gewesen, dass er die dunkleren Flecken auf ihren Oberschenkeln übersehen hätte.
Wieso "Leider"? Wäre es besser gewesen, er hätte sie nicht gesehen?

"Keine Sorge. Ich kümmere mich darum", versuchte er sie zu beruhigen, doch sie hatte schon wieder die Augen geschlossen.
... und mit geschlossenen Augen hört man nichts?

Dann bleibt natürlich am Schluß auch noch die Frage, warum er nicht gleich die Polizei gerufen hat – zuerst schon bei Bolto, und dann, als er Lisa findet. Abgesehen davon gibt es auch Streifenwagen und wenn er da so lang herumläuft, mit ihr nackt in seinem Mantel und auf seinen Armen, dann hätten die ihn sicher längst aufgehalten.

Daß Du am Schluß den Vater als heimlichen Täter einbringst und die Reaktion der Mutter zeigst, die auf dem Ohr taub ist, finde ich gut, dem hättest Du ruhig mehr Raum geben können. Das alleine wäre eine Geschichte wert.

Außerdem resultieren (laut Wikipedia) viele Paraphilien aus einer Störung während einer frühkindlichen Entwicklungsphase. Wenn man annimmt, dass bei Tom etwas Ähnliches vorgefallen ist, für das er selber nichts kann, ist diese Einstellung nicht besonders gerechtfertigt.
Aber davon zeigst Du nichts. Was Du zeigst, sind großteils belanglose Dinge, so oberflächlich, daß die Luft schon dünn wird. Dabei hättest Du so viele Möglichkeiten in der Geschichte, in die Tiefe zu steigen. Nicht nur beim schon genannten Southpark-Satz könnte er sich an seine eigene Kindheit erinnern, auch die Mutter von Lisa könnte ihn etwa an seine eigene Mutter erinnern usw. – Aber nichts dergleichen. Stattdessen zeigst Du uns ein Unterweltmillieu, das mich eher an die Panzerknacker aus den Mickey-Maus-Heften erinnert, oder die Verbrecher bei Pippi Langstrumpf. Bolto und seine Helfer scheinen mir dabei das Realistischste zu sein.

Tut mir wirklich leid, daß das jetzt alles so negativ war, aber es bringt Dir nichts, wenn ich etwas schönrede, was nicht schön ist. Ich hoffe, daß ich Dir bei der nächsten Geschichte, die ich von Dir lese, eine bessere Kritik schreiben kann. :)

Zum Recherchieren bei diesem Thema gehört bedeutend mehr dazu als bloß bei Wikipedia nachzuschlagen. Lies z. B. mal von Alice Miller »Du sollst nicht merken« und »Am Anfang war Erziehung«. Als Einstiegslektüre kann ich Alice Miller vor allem deshalb empfehlen, weil sie verständlich erklärt und Fachausdrücke weitgehend vermeidet.

Einige Tippfehler sind noch in Deiner Geschichte, die ich jetzt aber nicht noch noch einmal raussuchen will. Da es sich hauptsächlich um fehlende oder vertauschte Buchstaben handelt, findest Du sie sicher selbst, wenn Du die Geschichte noch einmal liest – am besten rückwärts, dann fallen einem Vertipper am schnellsten auf, weil der Lesefluss wegfällt. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,
und erstmal danke, für die ausführliche Kritik.

Das beginnt schon mal bei der unglaubwürdigen Situation von Tom. Es wird wohl kaum eine Stadt in Mitteleuropa geben, in der jemand einfach so aus dem Gefängnis hinaus auf die Straße gesetzt wird. Da gibt es Sozialarbeiter, die bei der Resozialisierung helfen, da diese ja im öffentlichen Interesse ist (weniger Kriminelle – weniger Straftaten – weniger Angst in der Bevölkerung). Außerdem haben wohl auch Haftentlassene Anspruch auf Sozialhilfe, abgesehen von diversen Unterstützungen, die sie sich von Hilfsorganisationen holen können. Es gibt sicher Städte, in denen das besser ist, andere, in denen das schlechter ist, aber irgendeine Unterstützung wird es überall geben, da ja niemand will, daß sie wieder straffällig werden (zumindest zum Stehlen wären sie gezwungen, würde man sie tatsächlich so wie in Deiner Geschichte behandeln).
Wenn du meinst, dass es eine Stadt in Mitteleuropa sein muss (und nicht einfach eine fiktive), weil das für Gesellschafts-Geschichten so üblich ist, dann müsste ich nochmal alles komplett umschreiben, da die Story so keinen Sinn macht.

Es gibt ja nirgends öffentlich zugängliche Wasserleitungen (öffentliche Toiletten, Trinkbrunnen, …).
Ehrlich gesagt hatte ich da wirklich nicht dran gedacht, allerdings würde dann auch der Fluss als Fundort wegfallen.

Tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber »dass Kinderschänder unsterblich werden, wenn sie mit Kindern vö… vögeln« ist das Tiefsinnigste an der ganzen Geschichte.
Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du bist ehrlich und es ist meine Schuld, dass die Geschichte nicht tiefsinnig ist. Das hatte ich, ehrlich gesagt, auch nicht geplant.

Als Ich-Erzählung wäre es okay, aber als Erzähler in dritter Person?!
Es ist halt ein naher Er-Erzähler, und aus oben genannten Gründen wollte ich nicht aus der Ich-Perspektive schreiben.

»hatten es verstanden«? :eek: Meinst Du wirklich, daß allein Verstehen darüber hinweghilft?
Moment, ich sagte ja nicht, dass sie darüber hinweg sind. Als Kinder waren sie noch naiv und mochten Tom, erst später haben sie gemerkt, was das für Folgen hatte. Soll ich die Stelle noch weiter ausformulieren?

Wenn sie an seiner Kleidung kleben, können sie nicht zugleich abgefallen sein.
Ich hatte mir das so gedacht, dass einige Klumpen noch dran waren, die anderen aber Flecken zurückgelassen haben. Stimmt, da habe ich mich unklar ausgedrückt.

Solche Stellen (auch z. B. das mit der Biotonne und den Menschen am Nil) lesen sich wie Luftblasen, um scheinbare Tiefe zu erzeugen, die aber keine tatsächliche Tiefe ist.
Das mit dem Nil ist wirklich weit hergeholt, aber das andere... soll ich streichen?

Dem Mädchen erzählte er vorhin aber von Doktorspielen ... :susp:
Das Problem dabei ist, dass Tom selbst nicht weiß, dass er was Böses getan hat. Er denkt, dass er kein Kinderschänder ist, weil er mit den Kindern nicht geschlafen hat.

Sowas ist wirklich an langen Haaren herbeigezogen.
Aber der ganze Absatz … Du bagatellisierst hier Pädophile auf eine Stufe mit Menschen, die mit ihren sexuellen Vorlieben niemandem schaden.
Mal langsam! Das sind ja nicht meine Ansichten! Und Willie ist auch nicht normal...

Wieso "Leider"? Wäre es besser gewesen, er hätte sie nicht gesehen?
Er wollte das nicht sehen.

... und mit geschlossenen Augen hört man nichts?
Wenn der andere gerade eingeschlafen ist nicht ganz...

Dann bleibt natürlich am Schluß auch noch die Frage, warum er nicht gleich die Polizei gerufen hat
Kein Vertrauen in die Polizei, da er sich zu Unrecht verurteilt fühlte, weil er sich nicht für einen Kinderschänder hält?

Daß Du am Schluß den Vater als heimlichen Täter einbringst und die Reaktion der Mutter zeigst, die auf dem Ohr taub ist, finde ich gut, dem hättest Du ruhig mehr Raum geben können. Das alleine wäre eine Geschichte wert.
Und dabei habe ich mir mit dem Absatz am wenigsten Mühe gegeben, weil ich da keine Lust mehr zum Schreiben hatte...
Und das Ende lässt sich so und so auslegen, weil einige Sachen nicht eindeutig sind.

Ich hoffe, daß ich Dir bei der nächsten Geschichte, die ich von Dir lese, eine bessere Kritik schreiben kann. :)
Nun werd nicht gleich so positiv! Ich will dich ja nicht enttäuschen...

Als Einstiegslektüre kann ich Alice Miller vor allem deshalb empfehlen, weil sie verständlich erklärt und Fachausdrücke weitgehend vermeidet.
Klar, danke. Ich schau mal.

Da es sich hauptsächlich um fehlende oder vertauschte Buchstaben handelt, findest Du sie sicher selbst, wenn Du die Geschichte noch einmal liest – am besten rückwärts, dann fallen einem Vertipper am schnellsten auf, weil der Lesefluss wegfällt. ;)
Den Tipp finde ich klasse! Danke!

Okay, also ich könnte noch ein paar Kleinigkeiten ausbessern, doch ich denke nicht, dass ich Lust habe, das Ganze nochmal komplett neu zu schreiben. Ich möchte mich lieber anderen Projekten zuwenden und bin aus der Thematik sowieso wieder draußen, also hätte das auch nicht viel Sinn.
Ich hoffe, du kannst meine Entscheidung verstehen, denn ehlich gesagt habe ich von dem Thema die Schauze voll.
Aber ich danke dir nochmal vielmals für die umfangreiche Kritik und für die Tipps.

Viele Grüße von Jellyfish

 

Manuela- hast Du Kinder?
Ich bin zwar nicht Manuela, aber ich möchte Dir trotzdem antworten, da ich Mutter bin.

Wie würdest Du Dich fühlen, wenn Dein Kind nach Hause kommt, und Dir sagt, es ist mißbraucht worden?
Was würdest Du fühlen?
Wie ich mich fühlen würde, darauf hab ich keine Antwort. Aber ich weiß, daß in so einem Fall zuallererst mein Sohn Trost braucht. Es würde ihm nicht helfen, wenn ich irgendwelche Rachegefühle ausleben würde – er hat etwas zu verarbeiten. Und je schneller er Trost und Hilfe bei der Aufarbeitung bekommt, desto kleiner werden die Spätfolgen für ihn sein.
Eine Anzeige bei der Polizei ist natürlich selbstverständlich. Aber Selbstjustiz hilft keinem Kind, im Gegenteil, wenn Du dann dafür ins Gefängnis gehst, ist der Schaden für Deine Kinder noch größer.

Aber Deine Frage bezieht sich nur auf den Fall, daß es jemand von außerhalb war. Wie reagierst Du, wenn es z. B. Deine Frau, Dein Vater oder Bruder war, und Du Dir das im ersten Moment gar nicht vorstellen kannst? Gerade bei Verwandten kann sich das über Jahre ziehen und unentdeckt bleiben.

Vielleicht bin ich auch nur vorbelastet, was dieses Thema betrifft...
ich habe es im Umfeld erlebt....
Du kennst also ein Kind, dem das widerfahren ist? Nun wird dieses Kind erwachsen, Du findest ihn oder sie wirklich nett, es scheint alles in Ordnung zu sein, und plötzlich erfährst Du, daß er/sie zum Täter geworden ist. – Bist Du dann immer noch fürs Umbringen?


Wenn du meinst, dass es eine Stadt in Mitteleuropa sein muss (und nicht einfach eine fiktive), weil das für Gesellschafts-Geschichten so üblich ist, dann müsste ich nochmal alles komplett umschreiben, da die Story so keinen Sinn macht.
Welchen Sinn hat es, etwas anzuprangern, wenn es in der Form gar nicht existiert?

Ehrlich gesagt hatte ich da wirklich nicht dran gedacht, allerdings würde dann auch der Fluss als Fundort wegfallen.
Er kann ja auch da spazieren gehen. Er sitzt doch nicht den ganzen Tag bei seiner Bushaltestelle. ;)

Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du bist ehrlich und es ist meine Schuld, dass die Geschichte nicht tiefsinnig ist. Das hatte ich, ehrlich gesagt, auch nicht geplant.
Aber wenn Du beim Leser Verständnis für jemanden wecken willst, gerade für jemanden, der von der Gesellschaft verabscheut wird, das wolltest Du ja, dann kann das doch eigentlich nur über sein Innenleben gehen, oder?

Es ist halt ein naher Er-Erzähler, und aus oben genannten Gründen wollte ich nicht aus der Ich-Perspektive schreiben.
Die Wahl des Erzählers hat folgende Gründe: Bevor ich genau wusste, wie die Story ausgehen sollte, wusste ich auch noch nicht, wie 'weit' ich mit der Darstellung überhaupt gehen wollte. Weder wollte ich, dass der Leser einen Missbrauch aus den Augen des Täters miterleben und sich damit identifizieren muss, noch wollte ich als Autor mit so einem Charakter identifiziert werden.
Außerdem ist es bei Ich-Erzählern oft so (mMn), dass sie oft keine Namen brauchen oder selbiger erst spät genannt wird, und meinen Prot. erst nach zehn Minuten zu benennen, wenn er Willie begegnet, fand ich nicht angebracht. Und mit einem Er-Erzähler hat man als Autor noch die Möglichkeit, dem Leser Dinge zu zeigen, die der Prot nicht sieht, die z.B. hinter seinem Rücken ablaufen.
Ich will Dich nicht zur Ich-Perspektive drängen, aber es würde Dich wohl nicht so schnell jemand mit dem Charakter identifizieren. Im Gegenteil sind die meisten Geschichten, von denen ich weiß, daß darin persönlich Erlebtes aufgearbeitet wurde, in dritter Person geschrieben – weil man dann leichter Abstand bekommt, genauso, wie man bei fiktiven Geschichten durch die Ich-Perspektive mehr Nähe hinbekommt. ;)
Das mit dem Namen kann man immer irgendwie lösen, wenn man will, daß er bereits zu Beginn bekannt wird; und Dinge zeigen, die der Protagonist nicht sehen kann, sollte man auch bei dritter Person nicht, der Erzähler sollte nie allwissend sein.

Moment, ich sagte ja nicht, dass sie darüber hinweg sind. Als Kinder waren sie noch naiv und mochten Tom, erst später haben sie gemerkt, was das für Folgen hatte. Soll ich die Stelle noch weiter ausformulieren?
Das Problem ist vor allem auch, daß Du hier durch die Erzählerstimme etwas so erzählen möchtest, als seien es Toms Gedanken, die es aber nicht sein können, wenn Du sagst, daß er sich nicht bewußt ist, was er getan hat. Wie sollte er da soweit sein, über Folgen für die Kinder nachzudenken?

Ich hatte mir das so gedacht, dass einige Klumpen noch dran waren, die anderen aber Flecken zurückgelassen haben. Stimmt, da habe ich mich unklar ausgedrückt.
Du könntest auch einfach nur schreiben, daß er ganz erdig ist. Daß so richtige Klumpen an ihm hängen, kann ich mir auch gar nicht so richtig vorstellen.

Das Problem dabei ist, dass Tom selbst nicht weiß, dass er was Böses getan hat. Er denkt, dass er kein Kinderschänder ist, weil er mit den Kindern nicht geschlafen hat.
Es mag sich einer vielleicht nicht über die seelischen Folgen im Klaren sein, solange er nicht die Ursachen seiner eigenen Störung kennt, aber was gesetzlich erlaubt ist und was nicht, weiß jeder. Daß sie sich trotzdem oft nicht zurückhalten können, ist keine Sache eines fehlenden Wissens, sondern der eigenen seelischen Störung.

Mal langsam! Das sind ja nicht meine Ansichten! Und Willie ist auch nicht normal...
Warum läßt Du Willie dann unwidersprochen so ausführlich darüber referieren, wenn Du diese Ansicht gar nicht vermitteln willst?

Er wollte das nicht sehen.
Aber so nah bist Du Deinem Protagonisten leider nicht, daß man das unbedingt so lesen muß, als wäre es seine Sicht. Dafür brauchst Du Nähe in der ganzen Geschichte, nicht nur da, wo Du es gerade gern hättest.

Wenn der andere gerade eingeschlafen ist nicht ganz...
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Mädchen da die Ruhe hat, einfach einzuschlafen. Zum einen hat sie etwas erlebt, das sie aufregt, zum anderen weiß sie, wie ihre Mutter über den Protagonisten denkt, und würde sich wohl auch Gedanken machen, wie die wohl reagieren wird, wenn der sie nach Hause bringt, vielleicht hat sie sogar davor noch zusätzliche Angst.

Kein Vertrauen in die Polizei, da er sich zu Unrecht verurteilt fühlte, weil er sich nicht für einen Kinderschänder hält?
Um ein Gewaltverbrechen anzuzeigen, braucht man kein Vertrauen in die Polizei. Und gerade, wenn er sich zu Unrecht verurteilt fühlt, wäre es doch nur natürlich, daß er seine Unschuld unter Beweis stellen will.
Ich meine: Er liefert sie im Haus ihres Peinigers ab und ihm damit wieder aus, weil er kein Vertrauen zur Polizei hat? Hat er also zu dem Vater mehr Vertrauen?

Und dabei habe ich mir mit dem Absatz am wenigsten Mühe gegeben, weil ich da keine Lust mehr zum Schreiben hatte...
… ehlich gesagt habe ich von dem Thema die Schauze voll.
Ja, das Thema scheint Dir wirklich wichtig gewesen zu sein. Aber Du spiegelst damit nur den Durchschnitt der Menschen, dem die Hilfe für die Opfer genauso wichtig ist, wie es Dir wichtig ist, daß die Geschichte Hand und Fuß bekommt.
Sie sind zwar alle entrüstet, wenn sowas in der Zeitung steht, aber wenn diese Opfer erwachsen sind und mit ihren Problemen kämpfen, will keiner etwas davon hören. Dann sollen sie ihre Probleme eine Stunde in der Woche zum Therapeuten tragen, weil niemand bereit ist, ihnen das Wichtigste an Hilfe, das Zuhören, zu schenken. Dann sagen sie so schöne Sachen wie »Du mußt deine Vergangenheit endlich hinter Dir lassen, sei doch einfach fröhlich, wir haben doch alle unsere Probleme« oder »Erzähl mir das bitte nicht, denn ich kann das dann so schwer von dir trennen und das ist dann so unangenehm für mich«. Das sind nur etwas diplomatischere, also nicht so direkte Arten, zu sagen, daß man »die Schnauze voll« davon hat.

Und das Ende lässt sich so und so auslegen, weil einige Sachen nicht eindeutig sind.
Einem Kind, das seinen Vater so einer Tat beschuldigt, nicht zu glauben, sondern erst nach Beweisen zu suchen, ist der erste grobe Fehler, den man in so einem Fall machen kann. Damit stellt man sein eigenes Urteilsvermögen über das Kind, beweist ihm alles andere als Vertrauen und demütigt es erneut.
Und wenn die Mutter in Deiner Geschichte auf die Feststellung mit den blauen Flecken kontert "Sie ist vom Klettergerüst gefallen, Sie widerlicher Drecksack!", dann ist sogar anzunehmen, daß sie selbst davon weiß. Das geht sogar soweit, daß man annehmen kann, daß sie auch deshalb auf keinen Fall will, daß Tom Lisa erzählt, was er mit den Kindern gemacht hat, weil Lisa dann draufkommen könnte, daß das, was ihr Vater macht, genau dasselbe ist, und es so aufgedeckt werden könnte.
Für mich war der Schluß also sehr eindeutig und er wäre wirklich eine eigene Geschichte wert.

Ich hoffe, du kannst meine Entscheidung verstehen
Ich kann Dich schon verstehen. Aber überleg Dir nächstens, welcher Themen Du Dich annehmen willst, und ob Du dafür auch bereit bist, die notwendige Zeit für Recherche usw. aufzubringen.

Der Sexualtrieb eines Pädophilen unterscheidet sich in seiner drängenden Dringlichkeit nicht von dem eines sogenannten normal empfindenden Menschen.
Es geht dabei um keinen Sexualtrieb, sondern um eine psychische Störung, die viel mehr mit Machtausübung zu tun hat.

Jeder selbsternannte Henker möge froh darüber sein, wenn sein Ding in die "richtige" Richtung zeigt, denn wenn es nicht so wäre, könnte er so wenig daran ändern, wie an seinem "normalen" Sexualverhalten.
Du willst damit hoffentlich nicht sagen, daß man es nicht therapieren könne und die Täter dem hilflos ausgeliefert wären?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Guten Morgen ,Häferl.

Nein, natürlich möchte ich niemanden umbringen oder Selbstjustiz üben.
Ich habe meine beiträge geändert bzw. gelöscht. Da habe ich mich jetzt
wohl etwas unglücklich ausgedrückt.
Sorry, Gruß, Elric...

 

Hi Jellyfish,

wichtig war mir erstmal, dass du dir über deine Entscheidung, wie du etwas warum erzählst, bewusst bist. Zur Perspektive möchte ich einfach mal schildern, welches Gefühl sie in mir auslöst: Leichten Ärger. In dritter Person wird mit in Perspektive Toms fast eingetrichtert, wie schlecht er es hat. Alles ist darauf ausgelelegt, nicht nur Verständnis sondern Mitleid mit ihm zu empfinden. Das fällt schwer, zumal die wirkliche Tat im Dunkeln bleibt, sein Moralsystem unsicher ist und ich den Eindruck habe, er will nur deshalb nicht wieder auffällig werden, weil er nicht wieder ins Gefängnis möchte.
Wie und in welcher Weise er den Kindern geschadet hat, welche Traumata er ausgelöst hat, scheint eine Auseinandersetzung, die er bisher nicht geführt hat.
Beides ist als Motiv natürlich durchaus möglich, nur fällt es mir dadurch schwer, mit ihm zu fühlen.
Ich habe die ganze Geschichte über das Gefühl, Tom bemitleidet sich selbst so sehr, dass er meines Mitleids gar nicht bedarf.

Ich halte das für unrelevant, da es ihm schon bei der Verurteilung leid tat und er nun nicht mehr in die Gesellschaft integriert ist.
Ich finde es einen fundamentalen Unterschied, ob jemand etwas bedauert, weil er den Schaden einsieht oder es nur bedauert, weil er - nach eigener Meinung auch noch ungerechtfertigt - dafür ins Gefängnis kommt. In der Justiz gibt es dafür den Begriff der fehlenden Reue, der sich strafverschärfend auswirken kann.
Wenn seine Geschichte weit genug bekannt geworden ist, wird er woanders auch nicht akzeptiert.
Wir leben ja zum Glück nicht in den USA, in denen Internetseiten die neuen Anschriften aus der Haft entlassener Sexualstraftäter veröffentlichen.
Interessanterweise habt ihr euch mit euren Ausführungen bis jetzt nur auf Tom bezogen
Du bleibst in der Perspektive bei Tom, selbst, wenn es um Lisas Vater oder um Bolto geht. Es bleibt bei Toms Erleben. Dessen Selbstmitleid empfinde ich in der Geschichte als derartig mächtig, dass ich die anderen Aspekte tatsächlich eher als Nebenaspekte betrachte.

Lieben Gruß, sim

 

danke Mingus, der Titel des Films fiel mir die ganze Zeit nicht ein. Den wollte ich Jellyfish auch schon empfehlen. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Aus gegebenem Anlass bitte ich Jellyfish um Entschuldigung, seinen Thread für ein kurzes Statement zu missbrauchen.

@Elric
Um weiteres (auch persönliches) Ungemach hintanzuhalten, habe ich mein Posting von gestern Abend entfernt und werde mich in Zukunft zu derart emotional besetzten Themen nicht mehr äußern.

Nette Grüße,
Manuela :)

 
Zuletzt bearbeitet:

@Häferl und Sim

Anhand eurer Kritik sehe ich, dass es euch wichtig ist, dass ich bessere Geschichten schreibe, danke dafür.
Vielleicht schreibe ich noch eine neue Fassung, aber eher wohl nicht, trotzdem werde ich versuchen, eure Hinweise in Zukunft umzusetzen.

@Mingus

1. geniale idee, die lesezeit anzugeben!
Daraus lese ich, dass die Zahlen diesmal stimmen... ;)
2. schau dir doch mal the woodsman mit kevin bacon an, da geht es um die resozialisation eines päderasten.
Danke für den Tipp. Leider haben wir kein Premiere, da kommt er in den nächsten Tagen, also ich weiß noch nicht, wann ich da ran komme.

@Manuela Korn und Elric
Gut, dass euer Streit soweit beendet ist. Ich hatte schon befürchtet, dass das hier ausartet...


Grüße von Jellyfish


Mal eine kleine Frage: Wenn ich die Geschichte in eine andere Kategorie verschieben lassen würde, damit der Realitätsanspruch verschwindet, würde das etwas ändern?

 

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