Der schöne, sonnige Samstag
Ein schöner, sonniger Samstag. Man sieht Madame Espoire wieder an einem ihrer großen Fenster stehen. Ein sanftes Blau, eine unendliche, ferne Grüne und ganz in der Nähe der Trubel und das Treiben. Die alte Dame lächelt.
Aus der Ferne erklingt leise das Surren des Fernsehers. Die Nachrichtenmelodie folgt. Korruption, Hunger, bullige Hitze und Armut. Nachrichten aus der fremden Welt. ‚Die verdammte Teilung wird nie ein Ende nehmen’, murmelt Madame Espoire vor sich hin, schüttelt den Kopf und wendet sich wieder dem Fenster zu. Zwei Jungen, gekleidet in diesen modernen, tiefsitzenden Hosen. Sie schweigen, blicken missmutig ins Menschengetümmel. Der eine holt sein Handy hervor und tippt auf ihm herum. Sekunden vergehen bis der andere es ihm gleich tut.
Minuten oder Stunden vergehen. Noch immer ist die Dame hinter ihrem Fenster zu erkennen. Viele Momente kehren zurück und spulen sich von neuem ab. Eine andere Welt, sie hat sie gesehen. Wie es sein kann, wie es für viele ist. Damals, mit eigenen Augen. Ihr kommt der junge Mann in den Sinn. Dieser, dessen einziger Wunsch es war hierher zu kommen. Auch ohne Familie, ohne Freunde, nur für diese eine Welt in die er seine ganze Hoffnung setzte. In ihrer Erinnerung sieht sie ihn wieder vor sich stehen, wie er ihr seinen Traum stolz erklärt: ‚Ich werde sehr viel arbeiten müssen, 12 Stunden, jeden Tag, aber nach mehreren Jahren werde ich es vielleicht geschafft haben und dort wird es perfekt sein.’
Am Himmel kräuseln sich nun bereits einige Wolken. Langsam öffnet die Dame das Fenster. Ein leichter Windstoß. Madame Espoire erhebt sich, verschwindet im Haus und kehrt mit einem Füller und einem etwas abgenutzt aussehenden Buch wieder. Sie schlägt es auf:
September 1979: ‚Solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung.’
Plötzlich, eine anrückende Menschenmenge. Eine angeregte Unterhaltung, dann die Limousine, sofortige Stille und sehnsüchtige Blicke. Einige Meter weiter strömen viele gut gekleidete Menschen in das Kaufhaus. Während Madame Espoire genauer hinschaut, meint sie viele gehetzte Blick zu erkennen. ‚Wieso bemerken sie es nicht?’, flüsterte die Dame in den Wind. Dieser antwortete mit einem unverständlichen Gemurmel und einer frischen Brise. Auf der anderen Straßenseite sitzt ein Bettler und krauelt seinen Hund, wie jeden Tag. Nörgelnde Kinder, gestresste Eltern und bald schon wieder Montag. Die Sonne scheint.
Madame Espoire blättert das Buch bis zur letzten Seite durch. Feierlich schwingt sie mit dem Füller über das melierte Papier und die Buchstaben beginnen langsam im Papier zu versinken:
Mai 2009: ‚Glück bedeutet, mit offenen Augen durchs Leben zu laufen.’