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Der Schöpfer
Am Samstag, den 14.März 04 war ich, Wolf, in Kassel um mich von einem professionellen Schauspieler coachen zu lassen. Zu der Zeit nämlich wollte ich Schauspieler werden, wollte meinen Traum-seit-immer Wirklichkeit werden lassen, wollte spielen, wollte Theaterboden unter den Füßen spüren.
Leider weiß Wolf jedoch nicht so genau, was er eigentlich will. Ehrgeiz und Angst sind die zwei sich wiedersprechenden Pole in seinem Herzen, die von zwei Seiten gleich stark an ihm ziehen und ihn damit bewegungslos machen.
Ich konnte mich nur bei einer einzigen Schaupielschule bewerben (München), da sich die Vorsprechen der anderen mit dem schriftlichen Abi überschnitten.
Wolf träumt viel in dieser Zeit.
Über meine ehemalige Deutschlehrerin, die von meinem Vorhaben erfahren hatte, machte ich Bekanntschaft mit Mathias J. vom Kassler Staatstheater. An diesem Samstag, fuhr ich zu ihm und spielte die von mir vorbereiteten Stücke vor.
"Und was wird dann aus mir?"
"Wie, aus dir?"
"Naja, du wirst berühmter Schauspieler und ich bleib nur die kleine, liebe Freundin" (nimmt einen tiefen Zug)
"Das ist doch Quatsch, Bidi!"
"Was? Dass du berühmt wirst? Du hast Talent, Wolle, jeder sagt das."
"Gib mir erst mal die Kippe." Zieht. "Mmmh ... nein, ja, kann schon sein" (ginst) "Aber ich werd immer zu dir halten!"
"Na toll." Zieht noch mal, macht sie dann aus und dreht sich weg. Er will sie streicheln, sie schiebt seine Hand weg.
Er: "Mensch, Bidi, was ist denn?"
Sie: "Wo bleib ich? Das Große Leben des Wolf, des Wolle, den alle mögen und der in allem gut ist. Und wo bleibe ich? Wo bleibt das Große Leben der Bidi? Ich bin manchmal traurig und denke nach und weine ohne Grund und ... ach ... keine Ahnung."
Sie dreht sich wieder zu ihm hin.
"Ach, Bidi, mein Engel. Komm her." Er nimmt sie in den Arm.
Meine Eltern brachten mich nach Kassel, denn sie wollten sowieso Einkaufen gehen. Zurück sollte ich mit dem Zug fahren. Das Training lief wirklich gut. Ein Profi halt, er gab mir die richtigen Tipps.
AchzudesgeistesFlügelnwirdsoleichtkeinkörperlicher....
"Mensch, Wolf, das ist ne Rythmik drin, die musst du beachten! Versuch mal an die Betonung bei Reimen zu
denken."
IchhätteSteinegeklopftundgehungertIchwarnichtschlecht....
"Spiel das mal so, als würdest du es einem Geist erzählen, der so rechts über dir schwebt."
AllesgehtmalinRauchundFlammenaufdieVersicherungersetzt...
"Trenn die beiden Figuren sorgfältiger voneinander, sonst wirkt das komisch. Zieh dir vielleicht ein Jackett
an, wenn du als der andere sprichst."
Ich wurde nicht genommen. Das wusste ich aber noch nicht beim Vorsprechen, schon gar nicht beim Üben mit Mathias J., sondern diese niederschmetternde Nachricht erreichte mich eine Woche nachdem alles vorbei war, per Post.
Von Kassel fuhr Wolf, der Wolf mit dem Zug heim. In Wabern, einer niedlichen Stadt an der Schwalm stieg er um.
Ich weiß gar nicht, ob er mit mir in den zweiten Zug eingestiegen ist oder schon drin war, jedenfalls saß mir gegenüber ein seltsam anzuschauender älterer Herr.
Manchmal, wenn man total geschafft ist und gleichzeitig vollkommen entspannt, wenn die Nachmittagssonne die Welt in ein goldenes Bad taucht, wenn man kurz vor dem Einschlafen ist, dann ändert sich etwas. Die Dinge fangen an durchsichtig zu werden und man erblickt eine Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren.
Er hatte eine Glatze und war braungebrannt, seine Haut war von der Sonne förmlich gegerbt. Er trug abgewetzte Kleidung und roch nach Schweiß. Insgesamt aber von gutmütigem, rundlichen Aussehen.
"Zug heute voll, was? Tolles Wetter, was?"
Ich mag es nicht im Zug von Fremden angesprochen zu werden.
"Ja, stimmt"
"Tiere freuen sich. Ein Reh mir heute erzählt über sich und freute sich"
"Ein Reh?"
"Ja, Reh. Ich spreche mit Tiere. Mit alle Tiere: Vögel, Hunde, Fische, alle" Dabei macht er mit beiden Händen eine alles umfassende Bewegung.
"Sie sprechen mit Tieren?"
"Ich spreche alle Sprachen", meinte der alte Mann und lächelte. Da kam die Schaffnerin rein. Ich zeigte ihr mein Ticket, ein Nicken ihrerseits, wobei sie sich schon zu meinem Gegenüber wandte. Dieser hielt ihr optimistisch einen gelblichen Zettel eintgegen, undefinierbar für mich und wertlos für die Schaffnerin. Sie diskutieren eine Weile, bis sie keine Lust mehr hat und weitergeht, um des lieben Friedens willen. Sind eh nur noch zwei Stationen.
"Ich finde es schön, dass sie keinen Unterschied zwischen Menschen und Tieren machen. Das versuche ich auch. Ich bin Wolf."
"Ah, hallo, Wolf!", sagte er vergüngt und gab mir die Hand, "Wolf schön, Wolf stark."
Ich weiß nicht, wie das gemeint war. Aber es klang gut.
"Viele dumme Leute hier", meinte er plötzlich ohne Zusammenhang und find sich böse Blicke der anderen Mitfahrer ein, die ihn jedoch nicht störten, "Sehr dumme Leute."
Was damit wohl meint? Oder ist er einfach nur dement? Jedenfalls wollte ich seine angeblichen Sprachkenntnisse auf die Probe stellen und sagte:
"Mam piekna dziewczyne"
Woraufhin er ohne zu zögern (aber auf Englisch) antwortet:
"Good for you!"
Wir waren da, wir stiegen aus.
"Wissen Sie, wo sie heute schlafen können?"
Er schaute ernst, zum ersten Mal während dieses Nachmittags, aber nicht todernst, seriös eben und meinte:
"Ich werde etwas finden." Ich beschrieb ihn den Weg zu einem verlassenen Haus unweit des Bahnhofs, in dem ein Freund von mir einen Monat lang gewohnt hat, als er zu Hause rausgeflogen ist; es gibt sogar Wasser dort. Er hörte mir aufmerksam zu, doch als wir uns mit einem Händedruck (er drückte meine Hand mit beiden Händen) verabschiedeten, ging er in die entgegengesetzte Richtung.
Ich schaute ihm nach als mein Handy klingelte. "Hey, Wolle, bist du schon da? Soll ich dich abholen?" Die Sonne ging grad unter. "Ja, gerne."