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Der Schmied
Der Schmied
Das rhythmische Hämmern hallte durch den Saal. Schweißglänzend stand der alte Schmied vor seinem Amboss. Immer wieder schlug er mit dem Hammer auf sein Werkstück. Wer genau hinsah konnte schon die Form erkennen, es war ein Herz.
Ein kleines Mädchen stand neben ihm und sah interessiert zu. "Erklärst du mir noch mal was du da machst, Großvater?," fragte sie. Trotz des Lärms waren ihre Worte deutlich zu verstehen.
Der alte Mann hob das Stück mit der Zange hoch und drehte es vor dem Feuer, um es sich genauer anzusehen. "Ich habe es dir doch schon so oft erklärt," sagte er dabei, "unsere Aufgabe ist es die Herzen der Menschen zu schmieden, die bald geboren werden. Ohne Herzen haben die Menschen keine Gefühle, dann sind sie kaum mehr als Puppen die irgendwie funktionieren. Ich mache das schon seit Jahrhunderten, wie schon mein Vater, und sein Vater. Unsere Familie hat diese Aufgabe schon seit es die Menschen gibt. Und in all den Jahrtausenden ist es noch keinem von uns gelungen, das perfekte Material für die Herzen zu finden. Immer noch haben die Menschen auch negative Gefühle, wie Hass."
Der Alte steckte das Werkstück wieder in die Glut, er war mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. Aber er hatte nicht mehr viel Zeit. Er musste das Herz bald an die zuständigen Engel geben.
Mit traurigem Blick sah er auf seine Enkelin. Vor einiger Zeit war ihr Vater bei einem Unfall gestorben. Er hatte mit einem neuen Material experimentiert, unter einem harten Schlag war das Herz zersplittert, die Splitter hatten ihn unglücklich getroffen.
So hatte der Alte wieder den Hammer in die Hand nehmen müssen. Engel altern viel langsamer als Menschen, so konnte es noch sehr lange dauern, bis der Bruder des Mädchens soweit war, sein Amt zu übernehmen.
Der Alte sah sich um. 'Wo steckt der Faulpelz überhaupt schon wieder?,' fragte er sich wütend. In einer Ecke sah er den Halbwüchsigen. Der Schmied nahm mit der Zange ein Stück glühende Kohle aus dem Feuer und warf es nach seinem Enkel.
"Hey, schlaf nicht!," rief er dabei. "Hilf mir lieber. Sonst lernst du nie was."
"Mach mal nich sonne Welle, Opa," beschwerte sich der junge Engel. "So harte Arbeit is nich mein Ding. Warum bildest du nich einen der anderen Engel aus? Pfeif auf die Familientradition. In der Wetterkontrolle fühl ich mich wohler. Und es gibt genuch andere, die gern hier arbeiten würden."
"Nichts da, mein Junge. Seit es die Menschen gibt, schmieden die Männer unserer Familie ihre Herzen. Und das wird auch so bleiben, solange es die Menschen gibt."
"Aber wennse so weitermachen, wird es die Menschen nich mehr lang geben."
"Deshalb versuchen wir ja, neue Materialien für bessere Herzen zu finden."
"Das hasste mir schon so oft erzählt, Alterchen. Ich sach dir noch mal: Das interessiert mich nich, der Job is nix für mich."
Ohne auf die Antwort seines Großvaters zu warten, verlies der junge Engel die Schmiede.
"Dieser verdammte..." wütend hämmerte der Schmied auf das Herz ein und verbog es dabei. Das Kind dem dieses Herz eingesetzt wurde, wurde als Erwachsener ein Serienmörder, dem jede Moral egal war.
In der Welt der Engel war es schon sehr spät. Der Alte Schmied verließ gähnend die Werkstatt. Dabei vergas er, das seine Enkelin noch beim Feuer saß.
Das Mädchen ging in den Materialraum. Nach kurzem Suchen fand sie ein Metall, dessen Glanz sie besonders schön fand. 'Was so schön leuchtet, muss ein gutes Material für Herzen sein,' dachte sie.
Einer der Assistenten war noch in der Schmiede. Das Mädchen konnte ihn überreden, für sie das Feuer in Gang zu halten. Sie hatte noch nie selber den Hammer geschwungen, aber sie hatte ihren Vater und ihren Großvater oft genug zugesehen. So fand sie nach wenigen Schlägen den Rhythmus.
Auch wenn sie länger dafür brauchte, wie ihr Großvater, beendete sie ihr Werk lange bevor der neue Tag begann. Das Herz aus Gold legte sie in die Kiste der Herzen, die am nächsten Tag ausgeliefert wurden.
Markus war ein junger erfolgreicher Finanzmakler, der oft bis spät abends in seinem Büro saß um Geschäfte abzuwickeln. So auch an diesem Abend.
Seine Sekretärin rief ihn an: "Ihre Verlobte ist hier. Sie will sie sprechen."
"Ich hab keine Zeit," antwortete Markus.
Doch wenige Augenblicke später öffnete sich die Bürotür und eine junge Frau kam herein. "Du bist so was von pietätlos," warf ihm seine Verlobte im Reinkommen entgegen. "Warum bist du nicht auf der Beerdigung von meinem Bruder gewesen? Hast du vergessen, das die Beerdigung heute war?"
"Ich hab es nicht vergessen. Aber ich hatte wichtige Termine. Soll ich mir wegen deinem Bruder ein Millionengeschäft durch die Lappen gehen lassen? Ich bin Selbstständig und will noch viel erreichen."
"So erreichst du gar nichts," stellte die junge Frau fest, "meine Familie ist dir Egal, ich bin dir egal. Dir geht es nur ums Geld. Weist du was? Ich löse unsere Verlobung. Lieber lebe ich mit einem armen Mann der mich wirklich liebt, als mit einem wie dich für den ich nur eine Kapitalanlage bin."
"Dann geh doch. Es gibt bessere Partien wie dich."
Die junge Frau drehte sich daraufhin auf dem Absatz um und verlies das Büro. Dabei knallte sie die Tür hinter sich zu.
Markus zuckte nur mit den Schultern. Wenig später sah er sich im Internet nach reichen, alleinstehenden Frauen um. Er wollte mehr Geld. Denn er hatte das Herz aus Gold.